Wie führt man die SARS-CoV-2-Impfungen mit möglichst minimalem Risiko für allergische Reaktionen durch? Tatsächlich können die aktuellen mRNA-Impfstoffe selbst bei Allergikern meist ohne Weiteres verabreicht werden. Der folgende Beitrag legt dar, wann ein erhöhtes Risiko für schwere Anaphylaxien besteht und gibt praktische Tipps für die sichere Durchführung der Impfung.

Hintergrund

Seit Kurzem sind Impfstoffe gegen die SARS-CoV-2-Infektion verfügbar und werden in verschiedenen Ländern der Welt eingesetzt [1, 2], in Deutschland seit Dezember 2020. Bei insgesamt guter Verträglichkeit sind in Großbritannien und Nordamerika nach Applikation des Impfstoffs BNT162b2 (Biontech-Pfizer) mehrere anaphylaktische Reaktionen beschrieben worden [1, 2], die durch eine adäquate Akuttherapie beherrscht wurden; die ersten beiden Patienten hatten eine Vorgeschichte einer Anaphylaxie und waren im Besitz von Adrenalin-Autoinjektoren. Bei einem weiteren Patienten war eine allergische Vorgeschichte nicht bekannt.

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© Ridofranz / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Alle impfende Personen sollten anaphylaktische Reaktionen erkennen und managen können.

Aufgrund dieser Berichte sowie der Erkenntnisse vorbereitender Studien wurde von der britischen Gesundheitsbehörde eine zeitlich begrenzte Empfehlung gegeben, Patienten mit "schweren Allergien" oder "Anaphylaxie" in der Vorgeschichte von der Impfung auszuschließen. Dies könnte bei der hohen Prävalenz allergischer Erkrankungen dazu führen, dass vielen Menschen unnötigerweise eine Impfung vorenthalten und somit eine "Herden-Immunität" erschwert wird.

Die aktuelle Empfehlung der europäischen Zulassungsbehörde EMA lautet, dass Patienten, die eine bekannte Allergie gegenüber im Impfstoff enthaltenen Inhaltsstoffen haben, nicht geimpft werden sollten. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass seit Beginn der Vakzinierung eine sehr geringe Anzahl schwerer allergischer Reaktionen aufgetreten ist. Die Impfungen sollen grundsätzlich unter medizinischer Supervision erfolgen, die eine Notfallbehandlung ermöglicht. Personen, die eine schwere allergische Reaktion nach der ersten Impfung erfahren, sollten die zweite Dosis des Impfstoffes nicht erhalten.

Mit dem Ziel, die Impfung möglichst großen Teilen der Bevölkerung zugänglich zu machen, analysieren wir das Anaphylaxie-Risiko bei der COVID-19-Impfung aus allergologischer Sicht unter Berücksichtigung des aktuellen Kenntnisstands. Gleichzeitig weisen wir auf die Grundlagen zur Prävention und Therapie anaphylaktischer Reaktionen hin [3] und schlagen Maßnahmen zum praktischen Management der Impfung gegen SARS-CoV-2 vor.

Methode

Es wurde eine Bewertung des Anaphylaxie-Risikos für die kürzlich zugelassenen COVID-19-mRNA-Impfstoffe durchgeführt. Hierzu wurden aktuelle Meldungen, Fallberichte, Positionspapiere und die aktuelle Literatur analysiert [1-20] und u. a. von den interdisziplinären Autoren der Leitlinie "Management der Anaphylaxie" bewertet.

Ergebnisse

Allergische Reaktionen auf Impfstoffe sind - wenn man von ausgeprägten Lokalreaktionen (> 10 cm) an der Injektionsstelle absieht - sehr selten [4, 5, 6, 7, 8] und werden meist durch eine Sensibilisierung der geimpften Person gegen Inhaltsstoffe der Vakzine ausgelöst. Die Impfstoffe BNT162b2 (Biontech/Pfizer) und mRNA-1273 (Moderna) enthalten neben der spezifischen viralen mRNA eine Reihe von Zusatzstoffen, die theoretisch eine allergische Reaktion auslösen können (Tab. 1) [1, 2, 9, 10].

Tab. 1 Inhaltsstoffe der mRNA-basierten COVID-19-Vakzine#

Mit Stand vom 19.12.2020 waren in Nordamerika bei sechs Personen schwere allergische Reaktionen auf 272.001 Impfungen aufgetreten. Dies entspricht einer Häufigkeit von ca. 1:45.000. In den klinischen Zulassungsstudien der beiden mRNA-Impfstoffe wurden häufiger Lokalreaktionen oder Fieber beschrieben, die als typische Impfreaktionen bekannt sind.

Nach Angaben des Herstellers waren Personen mit anamnestisch bekannten schweren Reaktionen auf Impfstoffe oder Hilfsstoffe in "BNT162b2" sowie solche mit schweren allergischen Reaktionen im Anschluss auf eine Impfung von den Zulassungsstudien ausgeschlossen.

Die allergischen oder Allergie-ähnlichen Reaktionen könnten möglicherweise durch Polyethylenglycol (PEG, auch: Macrogol) ausgelöst worden sein, ein zur Stabilisierung von Nanopartikel enthaltener Zusatzstoff in beiden neuen Vakzinen, der auch in vielen anderen oralen oder i.v.-Präparaten enthalten sein kann. Gegen PEG sind neben ungefährlichen, verzögert einsetzenden kontaktallergischen Reaktionen auch Einzelfälle von Soforttypreaktionen bis hin zu anaphylaktischen Reaktionen beschrieben worden [11, 12, 13, 14, 15, 16].

Als weiterer möglicher Mechanismus wird derzeit eine über das Komplement vermittelte Mastzellaktivierung durch PEG-spezifische IgG- und/oder IgM-Antikörper diskutiert [complement-activation-related-pseudoallergy CARPA [17, 18]). Bekannt ist, dass viele Gesunde spezifische Antikörper gegen PEG aufweisen.

Allergischen Reaktionen können unterschiedlich schwere, immunologisch vermittelte Überempfindlichkeitsreaktionen gegen Fremdstoffe zugrunde liegen, von denen nur einige lebensbedrohlichen Charakter besitzen [5, 7]. Unter Anaphylaxie versteht man die Maximalvariante einer allergischen Soforttypreaktion, die sich an verschiedenen Organsystemen manifestieren und potenziell lebensbedrohlich sein kann [3]. Davon abzugrenzen sind nicht-IgE- vermittelte Sofortreaktionen.

Implikationen für die Praxis

Als mögliche unerwünschte Reaktionen nach einer Impfung sind - neben einer sehr selten auftretenden Anaphylaxie - verstärkte Lokalreaktionen, Verschlechterung der Symptome einer bestehenden allergischen Erkrankung wie z. B. Asthma, Rhinokonjunktivitis oder atopisches Ekzem möglich, aber auch kontaktallergische Reaktionen und Exantheme, die in sehr seltenen Fällen erst nach mehreren Tagen einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen können. Aktuell geht es um die Möglichkeit einer unmittelbar akut auftretenden Anaphylaxie und die Beantwortung der folgenden Fragen:

  • Wer ist gefährdet?

  • Wann besteht eine eindeutige Kontraindikation?

  • Was muss vorbereitend getan werden?

  • Wann ist eine Allergie-Testung vor Impfung erforderlich?

  • Was ist bei der Applikation des Impfstoffs zu beachten?

  • Wie lange sollte eine Nachbeobachtung sein?

  • Ist eine pharmakologische Prämedikation sinnvoll?

  • Gibt es einen Einfluss durch übertriebene Ängste (Nocebo-Effekt)?

Wer ist gefährdet? Wann besteht eine eindeutige Kontraindikation? Wann ist eine Allergietestung vor Impfung erforderlich?

Abb. 1 ordnet das Risikopotenzial einer akuten allergischen Reaktion nach einer SARS-CoV-2-Impfung bei verschiedenen allergischen Krankheiten auf Basis der derzeitigen Erkenntnisse zu.

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Praktisches Vorgehen bei COVID-19-Impfung und Allergie-Anamnese

Eine frühere schwere allergische Reaktion (Anaphylaxie) auf einen Bestandteil des SARS-CoV-2-Impfstoffs ist eine absolute Kontraindikation für die Impfung. Weitere Risikokonstellationen bestehen aus allergologischer Sicht bei Patienten mit einer anamnestisch bekannten Anaphylaxie mit unklarem Auslöser, auf frühere Impfungen oder auf Medikamente bei bestehender Mastozytose.

Anaphylaxie nach Insektenstichen oder Nahrungsmitteln stellen hingegen nach derzeitigem Kenntnisstand keine Kontraindikation zur COVID-19-Impfung mit den mRNA-Impfstoffen dar. Als Vorsichtsmaßnahme wurden in der Vergangenheit Patienten mit einer anaphylaktischen Reaktion auf Nahrungsmittel in der Vorgeschichte für bestimmte Impfungen (z. B. Tetanus oder Influenza) ausgeschlossen, da vereinzelt residuale Bestandteile von Nahrungsmittelallergenen allergische Reaktionen bei Impfungen auslösen können [19, 20]. Die mRNA-basierten Corona-Impfstoffe der Firmen Biontech-Pfizer und Moderna enthalten jedoch solche Inhaltsstoffe, z. B. Hühnerei, nicht (Tab. 1). Daher ist bei nahrungsmittelallergischen Patienten nicht von einem erhöhten Allergierisiko bei der COVID-19-Impfung auszugehen.

Die in Abb. 1 angegebenen Erkrankungen sollten in Bezug auf ein mögliches Risiko für den Patienten geprüft werden. Bei unklarer Konstellation sollte rechtzeitig vor der Impfung eine Allergie-Diagnostik zur Ermittlung der auslösenden Substanz erfolgen. Die Impfung kann erfolgen, wenn sich herausstellt, dass Patienten eine Anaphylaxie auf definierte, nicht im Impfstoff enthaltene Medikamente oder Zusatzstoffe aufweisen. Dieses Prozedere setzt entsprechende Information und Aufklärung sowohl der Impf-Teams als auch der impfwilligen Personen voraus.

Wahrscheinlich wird sich herausstellen, dass absolute Kontraindikationen für die SARS-CoV-2-Impfung bei allergischen Patienten selten sind. Allerdings muss im Verlauf sehr sorgfältig beobachtet werden, wie häufig schwere allergische Reaktionen im Kontext der mRNA-basierten Impfstoffe auftreten, was der zugrundeliegende Mechanismus ist und welche Personen ein besonderes Risiko aufweisen.

Was muss vorbereitend getan werden? Gibt es eine Möglichkeit der pharmakologischen Prämedikation?

Im Rahmen der Bekanntmachungen zur Durchführung der SARS-CoV-2-Impfungen sollten Hinweise auf die Notwendigkeit einer allergologischen Abklärung bei bestimmten Risiken in der Vorgeschichte gegeben werden. So wird das Eingangsgespräch mit Anamnese im Impfzentrum erleichtert.

Bei unklarem Ergebnis der allergologischen Diagnostik sollte neben der ohnehin bestehenden Vorgabe der Vorhaltung einer medizinischen Notfallversorgung eine antiallergische Prämedikation erwogen werden. Infrage kommt diese z. B. bei Vorliegen einer perioperativen oder Kontrastmittel-induzierten Anaphylaxie sowie bei einem Zustand nach Anaphylaxie unklarer Genese. Präventiv verabreicht werden Antihistaminika (Histamin-H1- und -H2-Antagonisten) und ein orales Glukokortikoid [3]. Bei Impflingen, die offensichtlich eine große Angst vor möglichen Impfreaktionen haben, kann nach einer rationalen Aufklärung und dem Versuch, Nocebo-Reaktionen vorzubeugen, ebenfalls eine Prämedikation erwogen werden.

Was ist bei der Applikation des Impfstoffes zu beachten? Wie lange sollte die Nachbeobachtung sein?

Nach Kurz-Anamnese und Ausschluss von Kontraindikationen (Fachinformation und Abb. 1) kann die Injektion erfolgen.

Wegen möglicher Nebenwirkungen empfiehlt sich bei Personen mit Anaphylaxie in der Vorgeschichte eine Nachbeobachtung von 30 min nach der Injektion.

Das Impf-Team muss über die Möglichkeit einer Anaphylaxie informiert und in deren Akutbehandlung geschult sein. Die dazu nötigen Medikamente und Hilfsmittel müssen vor Ort verfügbar sein, einschließlich von Adrenalin-Autoinjektoren [3].

Diskussion

Allergien haben weltweit in den letzten Jahrzehnten an Häufigkeit zugenommen. Anaphylaktische Reaktionen nach Arzneimittelgabe sind ein seltenes, aber aktuelles Problem der klinischen Medizin. Ein pauschaler Ausschluss von allen Allergikern von einer SARS-CoV-2-Impfung ist nicht sinnvoll und sollte vermieden werden.

Bei entsprechender Anamnese soll eine adäquate allergologische Diagnostik (einschließlich Mastzelltryptase-Bestimmung) durchgeführt werden, um das tatsächliche Risiko für das Auftreten einer Anaphylaxie nach SARS-CoV-2-Impfungen zu ermitteln. Dies sollte am besten bereits vor Wahrnehmung eines Impftermins erfolgen.

Alle impfenden Personen sollten explizit im Erkennen und Management von anaphylaktischen Reaktionen geschult werden und das notwendige Equipment einschließlich Adrenalin-Autoinjektoren zur Verfügung haben. In unklaren Fällen und bei hypochondrischen Ängsten kann eine pharmakologische Prämedikation mit Histamin-H1- und -H2-Antagonisten plus Glukokortikosteroiden vor der Impfung erwogen werden. Personen mit Vorgeschichte einer Anaphylaxie sollen nach der Impfung 30 min nachbeobachtet werden.

Wenn eine schwere allergische Reaktion im Kontext einer Impfung auftritt, sollte sie unbedingt gemeldet werden. Im Arzneimittelgesetz (AMG) sind gesetzliche Melde- und Mitteilungspflichten verankert. Für Impfstoffe erfolgen die Meldungen an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Entsprechende Formulare sind online verfügbar (https://bit.ly/35jKPdG). Darüber hinaus können Reaktionen dem Anaphylaxie-Register gemeldet werden. Auf der Website steht ein Fragebogen bereit, mit dem aufgetretene Fälle einfach und schnell erfasst werden können (www.anaphylaxie.net).

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Univ.-Prof. Dr. med. Margitta Worm

Allergologie und Immunologie, Klinik für Dermatologie und Allergologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin