"Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können", steht im Ärztlichen Gelöbnis der Deklaration von Genf. Doch können dem alle Ärzte nachkommen? Wo liegen Schwierigkeiten, wo Lösungen? Ein Überblick:

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Niedergeschlagen, erschöpft, ausgelaugt: Nicht wenige Ärztinnen und Ärzte leiden unter einem Burn-out.

Die Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten ist von 1980 bis heute vom wenig beachteten Randthema zu einer wichtigen Angelegenheit geworden [1]. Dazu beigetragen haben nicht zuletzt die tragischen Schicksale mancher Kollegin und manches Kollegen, die hohe Zahl an Ärztesuiziden, die wachsende Burn-out-Rate und der wachsende Ärztemangel. Dem Wohl und Wehe der Mediziner wird inzwischen sowohl seitens Politik und Gesellschaft als auch seitens der Ärzteschaft selbst deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die physischen und psychischen Auswirkungen hoher Arbeitsbelastung und unzureichender beruflicher Rahmenbedingungen wurden auf mehreren Deutschen Ärztetagen in den Fokus der Diskussionen und Beschlüsse gerückt [2, 3]. Was wurde erreicht in Sachen Ärztegesundheit? Was sind die zukünftigen Herausforderungen?

Ärzte und Sucht

In den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts war die Situation suchtkranker Ärzte oft verzweifelt. Mit Bekanntwerden ihrer Abhängigkeit verloren sie ihre Kassenzulassung, die damals üblichen Entwöhnungsprogramme dauerten 6 Monate, eine Fehlzeit welche sich die allermeisten Ärzte kaum leisten konnten. Hilfestellungen innerhalb der Ärzteschaft waren so gut wie nicht vorhanden. Im Gegenteil: Suchtkranke Ärzte wurden als schwarze Schafe gesehen und exmittiert. Entsprechend verleugneten erkrankte Ärzte ihre Sucht solange, bis alles zusammen brach - nicht wenige verloren damals ihre Praxis, ihre Ehe, ihr gesamtes Vermögen [4].

Es brauchte mutige Pioniere, die das schwierige Thema innerhalb der Ärzteschaft angingen, bessere Hilfsmöglichkeiten erfanden, die Unterstützung einzelner Ärztekammern organisierten und klinische Studien, welche nachwiesen, dass mit geeigneten Hilfsprogrammen suchtkranke Ärzte sehr wohl erfolgreich therapiert werden und im Arztberuf weiter arbeiten können [5, 6, 7]. Auf dieser Grundlage entschieden viele Landesärztekammern, ihren Mitgliedern Hilfen anzubieten statt sie zu bestrafen; hierzu wurden Ansprechpartner benannt, an die sich erkrankte Mitglieder kurzfristig mit der Bitte um Hilfe wenden konnten. Auf dem 111. Deutschen Ärztetag (2008) wurde beschlossen, suchtkranke Ärzten - so sie sich therapieren lassen - nicht aus der KV auszuschließen bzw. für 5 Jahre zu sperren [8].

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Der Arzt als Patient: Viele bagatelliesieren ihre Erkrankung und zögern lange, sich untersuchen und behandeln zu lassen.

Einzelne Bezirksärztekammern wie die in Südbaden übernahmen das Thema "der suchtkranke Arzt" in die Weiterbildung "Suchtmedizin". Damit werden Ärztinnen und Ärzten, die den Zusatz erwerben, Grundkenntnisse für die speziellen Aspekte in der Behandlung suchtkranker Kollegen vermittelt [9]. Durch all diese Anstrengung hat sich bundesweit ein erfolgreiches Hilfesystem etabliert, das mittlerweile Tausenden jetzt abstinent lebenden Ärzten geholfen hat und die weitere berufliche Tätigkeit ermöglichte. Ebenfalls langfristig erfolgreich sind die Anonymen-Alkoholiker-Selbsthilfegruppen "Ärzte in AA" mit ihren monatlichen Treffen in ganz Deutschland und einem Jahrestreffen in Bad Nauheim.

Nach wie vor sind die zentralen Erkenntnisse bezüglich suchtkranker Mediziner:

  • Ärztinnen und Ärzte nutzen als Suchtmittel der Wahl Alkohol bzw.

  • Alkohol und Tabletten (meist Sedativa/Hypnotika) in Kombination;

  • es dauert lange, bis abhängige Ärztinnen und Ärzte in eine Therapie einwilligen;

  • mit einer individuellen Entwöhnungstherapie sind 70% Ein-Jahres-Abstinenzraten zu erzielen;

  • wesentlich für die längerfristige Abstinenz ist ein12-monatiges Nachbehandlungs- und Kontrollprogramm.

Ärzte und somatische Erkrankungen

Ärztinnen und Ärzte werden genauso krank, wie alle anderen Menschen - sie haben Herzinfarkte, bekommen Krebs, erleiden Schlaganfälle, infizieren sich mit Hepatitis oder dem Coronavirus. Sie verhalten sich aber nicht so wie andere Erkrankte - sie verleugnen oder bagatellisieren ihre Krankheiten, oft schonen sie sich nicht, sondern arbeiten weiter trotz und mit der Krankheit. Noch immer behandeln sie sich zu oft selbst, statt sich vertrauensvoll von einem Kollegen helfen zu lassen.

Immerhin verstecken die meisten ihre Erkrankung nicht mehr so wie früher - es gibt von ihnen viele persönliche Berichte [10, 11, 12]. In Deutschland hatte 2002 der unvergessene Dr. Thomas Ripke mit dem Selbstbericht "Der kranke Arzt" über seine Krebserkrankung geschrieben [13]. Daraufhin meldeten sich viele andere betroffene Ärzte, es gab für eine Weile einen offenen persönlichen Austausch, überregionale Gesprächskreise etc., bis die Bewegung nach einiger Zeit zum Stillstand kam. Was bis heute erhalten blieb ist der Fortschritt, dass erkrankte Ärzte heute auf viele Selbstberichte von gleichermaßen betroffenen Kollegen zurückgreifen können. Auch ist nach meinem Eindruck die Vereinbarkeit von Krebsbehandlung, Fehlzeiten, Reha-Aufenthalt und weiterer Tätigkeit im gewählten Arztberuf tendenziell besser geworden.

Schlechter geworden ist dagegen die direkte Behandlung erkrankter Kollegen; damit meine ich weniger die apparativ-technische Seite als die menschliche [14]. Immer wieder höre ich in meiner Schwerpunktpraxis für Ärzte, wie unzufrieden diese mit der stationären und zum Teil auch ambulanten ärztlichen Versorgung waren - ständig wechselnde Gesichter, niemand, der den Gesamtüberblick hat, unpersön-liche Statements da, wo früher Zuwendung und Zuhören war. Ein Kollege fasste es so zusammen: "Da herrscht ein eklatanter Mangel an Empathie!" Das ist enttäuschend und genau das, worüber auch viele andere Patienten klagen.

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© Paul Zinken, picture alliance

19. November 2019: Tödliche Messerattacke auf den Chefarzt Fritz von Weizsäcker, Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Im Bild wird der 57-jährige Täter, der später wegen Mordes zu 12 Jahren Haft verurteilt wurde, von Polizisten abgeführt.

Ärzte und Burn-out

Auch wenn die abgrundtiefe Erschöpfung vieler Ärztinnen und Ärzte nach mehr als zwei Jahren Corona-Dauerepidemie zur Zeit prominent in den Me-dien ist, Klagen über Burn-out hat es schon lange vor COVID-19 gegeben.

Über viele Jahre haben Ärztemonitore in Befragungen die hohe Burn-out-Rate in unserem Beruf festgehalten. Beim Ärztetag in Münster 2019 war ein Schwerpunkt der Beratungen, wie verhindert werden kann, dass die Arbeit uns Ärzte krank macht. Es ist viel an Wissen über einzelne Belastungsfaktoren, Gratifikationskrisen, veränderte Arbeitsbelastung etc. geforscht worden - ein guter Überblick findet sich im "Report Versorgungsforschung: Arbeitsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten" [15]. In meiner Praxis habe ich viele ausgebrannte Kolleginnen und Kollegen gesehen, und die Bandbreite reichte vom jungen Assistenzarzt bis zum langjährig erfahrenen Chefarzt, vom niedergelassenen Einzelkämpfer bis zum Partner in einer Großpraxis mit Dutzenden von Angestellten. Oft waren neben der beruf- lichen Überlastung auch private Probleme mit ursächlich für ihr Burn-out. Die Suche nach einer individuellen Lösung war und ist hier oft mühsam, es gibt keine Patentrezepte. Die Abwägung ist oft schwierig: Wann ist jemand bereit, loszulassen, um wieder gesund zu leben, zu arbeiten und eine emotional befriedigende Beziehung zu führen? Ein Faktor, der für die Salutogenese erforderlich ist, findet sich jedoch bei so gut wie allen Betroffenen: Die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit, der wöchentlichen Dienste und genügend lange Urlaubszeiten (s. a. Infobox 1).

Gewalt gegen Ärzte

Trotz der besonderen medialen Auswirkung war die tödliche Messerattacke im November 2019 auf Prof. Fritz von Weizsäcker, Chefarzt für Innere Medizin an der Schlosspark-Klinik Berlin, bei Weitem nicht die einzige Gewalttat gegen Ärzte [16] - es hat Dutzende davon in den letzten Jahren gegeben. Nachdem sich lange wenig bewegt hat, hat die Idee eines besseren Schutzes für Ärzte und andere medizinische Berufsgruppen neuerdings viel Zuspruch. Einschlägige Gesetze sind verabschiedet worden, insbesondere zum Schutz von Notärzten und Rettungssanitätern. In manchen Kliniken sind Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter und Kursangebote zu Deeskalationsstrategien eingerichtet worden.

Die Ärzteschaft verlangt von der Politik nachdrücklich, Beschäftigte im Gesundheitswesen besser vor verbaler und physischer Gewalt zu schützen. Zugleich wird flächendeckend festgestellt, dass die Gewaltbereitschaft, die Wut zahlreicher Patienten sowie einschlägige Drohungen von Patienten deutlich zugenommen haben, dies insbesondere angesichts von Corona und Impfverweigerung. Auf Seiten der Helfer hat sich die frühere Passivität in Sachen Gewalt gegen Ärzte verloren, ein deutlicher Wunsch nach persönlichem Schutz der Mitarbeiter wird ausgedrückt. Einzelne Patienten erhalten auch Praxis- bzw. Klinikverweise. Für die Zukunft wird der weitere Ausbau dieser Schutzmaßnahmen notwendig sein.

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Im Sinne der Gesundheit: In Teambesprechungen sollte jeder auch mal seine Gefühle zum Ausdruck bringen dürfen.

Ausblick

Die Herausforderungen in Sachen Ärztegesundheit werden nicht kleiner werden. Im Gegenteil - zwei Trends bedrohen die erreichten Fortschritte: Zum einen der weiter zunehmende Ärztemangel (weil viele ältere Kollegen in den nächsten Jahren aus dem Beruf ausscheiden), zum anderen die stetig wachsende Bürokratie und staatlich/kassenärztlich verordneten Kontrollmechanismen in unserem Beruf. Damit erhöht sich der Druck auf Kollegen, noch länger und härter zu arbeiten, noch weniger Zeit am Pa- tienten zu verbringen, was zu immer mehr Erschöpfung und Entfremdung beitragen wird. Der einzelne Arzt kann diese Trends nicht aufhalten. Paradoxerweise hat er aber - aufgrund des Ärztemangels - mehr Macht, Einzelverträge, Absprachen oder Teilzeitverträge nachdrücklich zu seinen Gunsten zu verhandeln. Dies gibt eine gewisse Chance auf eine verbesserte Work-Life-Balance. Neue Praxismodelle mit Praxismanagern, die niedergelassene Ärzte von vielen kaufmännischen Aufgaben befreien, ihnen mehr Zeit mit Patienten geben, könnten sich weiter etablieren. Eins ist sicher: Auch die Gesellschaft der Zukunft wird dringend auf Ärztinnen und Ärzte angewiesen sein, und je gesünder der Ärzte sind, umso bessere Arbeit können sie letztendlich leisten.

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Dr. med. Bernhard Mäulen

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Institut für Ärzte- gesundheit in Villingen-Schwenningen E-Mail: docmaeulen@ gmail.com