Long-Covid geht bei älteren Patienten oft mit einem Verlust der Selbstständigkeit und Lebensqualität einher. Im Folgenden werden neben rehabilitativen Behandlungs- und Versorgungsoptionen die relevanten Faktoren beschrieben, die die Funktionalität der älteren Patienten beeinflussen.

Die COVID-19-Pandemie ist aus medizinischer und gesellschaftlicher Sicht eine der größten Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts. Bis Anfang Januar 2022 wurde weltweit bei mehr als 282 Mio. Menschen eine SARS-CoV-2-Infektion diagnostiziert, davon bei 7,2 Mio. in Deutschland [1]. Während in der 1. und 2. Pandemiewelle vor allem ältere Menschen in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen behandelt wurden, waren in der 3. und 4. Welle vermehrt Erwachsene mittleren Alters schwer betroffen. Für diese Entwicklung sind in erster Linie die erfolgreichen Impfungen in der älteren Bevölkerung verantwortlich.

Aufgrund der Veränderungsfähigkeit des SARS-CoV-2-Virus ist anzunehmen, dass COVID-19 auch für den älteren Menschen zukünftig eine besondere Relevanz besitzen wird.

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Krankheitsbedingte Immobilität wirkt sich negativ auf die Funkionalität älterer Patienten aus.

Vulnerabilität im Alter und COVID-19

Aus geriatrischer Perspektive wird bei älteren Menschen über 70 Jahren, insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen von Begleiterkrankungen, von einer erhöhten Vulnerabilität ausgegangen. Im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion begünstigen dabei eine Reihe von Altersprozessen wie epigenetische Dysregulation, Immunoseneszenz, Inflammaging sowie altersassoziierte Komorbiditäten einen schwereren Krankheitsverlauf [2]. Dies erklärt, warum sich im klinischen Alltag vor allem Patienten mit Frailty-Syndrom im Kontext der COVID-19-Erkrankung als hochvulnerabel erweisen [3, 4]. Zur Identifikation und damit vorausschauenden Behandlung dieser Patienten wird vor allem die Klinische Frailty Skala [5] genutzt.

Long-Covid und Funktionalität

Die protrahierte Symptomatik einer COVID-19-Erkrankung über 4 Wochen hinaus wird bis zur 12. Woche als subakute Phase und anschließend als Post-COVID-19-Syndrom bezeichnet [6, 7]. Long-Covid wird dabei als Synonym für das Post-Covid-Syndrom verwendet.

Aufgrund der Diversität der Angriffspunkte seitens des SARS-CoV-2-Virus ist die Vielfältigkeit der akuten sowie der subakuten und chronischen Symptome erklärbar (s. Tab. 1).

Die Auswirkungen dieser Symptome auf die Selbstständigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben spielt für jüngere wie ältere Menschen eine wichtige Rolle. Während die Beschwerden jedoch bei jüngeren auf eine meist intakte Funktionalität treffen, ist diese bei älteren, insbesondere geriatrischen Patienten bereits häufig durch Vorerkrankungen und geriatrische Syndrome eingeschränkt. Dadurch kann es zur Verzögerung in der Identifikation und adäquaten Behandlung von Long-Covid-bedingten Beeinträchtigungen kommen.

Die Selbstständigkeit wird bei geriatrischen Patienten häufig mittels Barthel-Index [10] gemessen und ist dabei mit der entsprechenden Funktionalität für die Teilhabe (Participation) gemäß der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF - International Classification of Functioning, Disability and Health) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) [11] eng verknüpft.

Immobilität

Einen sehr wichtigen und dabei äußerst negativen Einfluss auf die Funktionalität der älteren Patienten hat eine krankheitsbedingte Immobilität. Aus früheren Untersuchungen zur Immobilität von älteren Patienten im Krankenhaus wissen wir, dass bei stark eingeschränkter Beweglichkeit pro Tag von einem Muskelschwund von ca. 3% [12] auszugehen ist. Während jüngere Menschen diesen Abbau relativ schnell wieder ausgleichen können, ist dies bei Senioren nicht der Fall. Es resultiert ein erhöhtes Sturz- und Frakturrisiko. Ein anhaltender Kraftverlust begünstigt zudem dauerhafte Mobilitätsstörungen, die mit einem Verlust an Selbstständigkeit und Lebensqualität einhergehen.

Die Beschwerdepersistenz im Rahmen eines subakuten und Long-Covid-Syndroms, das mit anhaltender Fatigue [13], persistierender Belastungsdyspnoe [14] sowie kognitiven Defiziten einhergehen kann [15, 16], birgt die Gefahr einer nachhaltigen schweren diesbezüglichen Gefährdung der Betroffenen.

Verstärkung geriatrischer Syndrome

Aufgrund vielfältiger Symptome, welche durch SARS-CoV-2 und eine verzögerte Rekonvaleszenz im Rahmen des Long-Covid-Syndroms hervorgerufen werden können (s. Tab. 1), wird bei geriatrischen Patienten häufig eine Verschlechterung bereits bestehender geriatrischer Syndrome begünstigt.

Tab. 1 Häufige Long-Covid-Symptome [8, 9]

Intellektueller Abbau: So kann es z. B. bei einer beginnenden dementiellen Erkrankung zu einer akuten Verschlechterung im Sinne eines Delirs [17] und zu einem raschen Abbau der kognitiven Reserven mit einer Verschlechterung des Demenzstadiums kommen.

3% Muskelschwund - davon ist bei Immobilität pro Tag auszugehen.

Inkontinenz: Eine Inkontinenz kann durch eine länger andauernde Immobilität und konsekutiven Muskelschwund begünstigt bzw. verstärkt werden [18], wodurch in der Folge die Selbstständigkeit des Patienten bedroht wird. Zudem bestehen Hinweise auf eine direkte SARS-CoV-2-induzierte Verursachung einer Inkontinenz [19].

Bei einer vorbestehenden Mobilitätsstörung findet sich in der Akutphase einer COVID-19-Erkrankung und auch bei Long-Covid-Syndrom eine wesentliche Verschlechterung derselben.

Inappetenz: Ebenso sind Auswirkungen einer Inappetenz, hervorgerufen durch die akute Erkrankung, aber auch im Rahmen des Long-Covid-Syndroms, nicht zu unterschätzen. Zum einen kann eine niedrige Nährstoff- und Proteinzufuhr den Muskelschwund bei Immobilität beschleunigen, zum anderen die muskuläre Rekonvaleszenz sowie die angestrebte Wiedererlangung der Selbstständigkeit gefährden.

Insomnie: Zudem kann sich eine Insomnie durch die akute Erkrankung, durch Isolationsmaßnahmen, durch eine posttraumatische Belastungsstörung sowie im Rahmen eines Long-Covid-Syndroms neu entwickeln bzw. sie kann verstärkt werden.

Pulmonologische, neurologische und vaskuläre Komplikationen

Schwere SARS-CoV-2-induzierte pulmonologische, neurologische und kardiovaskuläre Erkrankungen wie eine beidseitige Pneumonie bei einem Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) [20], ein akuter Schlaganfall [21], eine Lungenembolie [22] sowie ein Herzinfarkt oder eine Herzinsuffizienz [23, 24] wirken sich auf das Ausmaß der Funktionseinschränkungen und die Dauer der Rekonvaleszenzphase aus.

Rehabilitative Behandlungs- und Versorgungsoptionen

Gerade die Vielfalt medizinischer und rehabilitativer Behandlungsbedarfe bei geriatrischen Patienten mit und nach einer COVID-19-Erkrankung machen die akute und auch postakute Behandlung komplex. Aufgrund der häufig bestehenden Vorerkrankungen, die durch eine COVID-19-Erkrankung noch verstärkt werden, ist in der Regel eine interdisziplinäre und interprofessionelle Behandlung notwendig [6].

Erste Ergebnisse aus flächendeckenden Krankenkassendaten (AOK Baden-Württemberg) deuten darauf hin, dass nur ca. 10% der über 65-jährigen Patienten im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung aufgrund einer COVID-19-Erkrankung eine stationäre Rehabilitationsbehandlung erhielten. Wenn diese im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt erfolgte, profitierten die Patienten jedoch deutlich davon [25].

Diese Daten unterstützen eine forcierte Nutzung rehabilitativer Behandlungsoptionen bei schwer betroffenen geriatrischen Patienten unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Funktionalität. So sollte im Akutkrankenhaus die Notwendigkeit einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung (GFK) geprüft werden, um ggf. nach deren Abschluss eine stationäre Rehabilitation - je nach Symptomspektrum neurologisch, pulmonologisch, kardiologisch oder geriatrisch - und/oder eine ambulante Rehabilitation (z. B. geriatrische Tagesklinik [AGR] oder mobile geriatrische Rehabilitation [MoGeR]) anzuschließen (Abb. 1).

Abb. 1
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© S. Grund

Behandlungsphasen/-optionen bei geriatrischen Patienten mit COVID-19 und Long-Covid unter Berücksichtigung medizinischer und rehabilitativer Bedarfe und der Funktionalität

GFK: geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung; GR: geriatrische Rehabilitation; A/MGR: geriatrische Tagesklinik/mobile geriatrische Rehabilitation

Welche Rehabilitationseinrichtung auswählen?

Bei der Wahl der Rehabilitationseinrichtung sind die führenden Symptome, die notwendige Fachexpertise und die Präferenzen der Patientinnen und Patienten sowie u. U. die Wohnortnähe zu berücksichtigen.

Für die geriatrische Rehabilitation, welche gerade auf die post-akute rehabilitative Behandlung geriatrischer Patienten spezialisiert ist [26, 27], wurde aktuell eine große europaweite Studie zur Behandlung von Post-COVID-19-Patienten initiiert [28]. Die ersten Ergebnisse zeigen eine sehr gute Wirksamkeit der stationären Rehabilitation mit einer überwiegenden Entlassfähigkeit der Patienten in ihr häusliches Umfeld, einer Verbesserung der Selbsthilfefähigkeit nahe dem Vorerkrankungsniveau und einer Verbesserung der Lebensqualität [29]. Zudem wurde vor Kurzem eine europäische Behandlungsempfehlung für die Therapie von Post-Covid-Patienten in der geriatrischen Rehabilitation veröffentlicht [30].

Aufgrund der sehr komplexen Behandlungsbedarfe bei geriatrischen Post-Covid- und Long-Covid-Patienten sowie der Wirksamkeit der geriatrischen Rehabilitation ist für die Zukunft zu wünschen, dass eine erneute Reduktion der rehabilitativen Behandlungskapazitäten in der stationären Geriatrie [31, 32] vermieden wird.

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Dr. med. Stefan Grund

Geriatrisches Zentrum am Universitätsklinikum Heidelberg, Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg