Durch die sehr heterogene Ausprägung des Post-Covid-Syndroms stellen Diagnostik und Therapie eine interdisziplinäre Herausforderung dar. Welche wichtigen kardiologischen, pneumologischen, neurologischen und psychischen Differenzialdiagnosen beachtet werden müssen, erfahren Sie in diesem Beitrag.

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© baranq / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) ist eine durch das SARS-CoV-2 ausgelöste Systemerkrankung, die jedes Organ befallen kann. Nach der akuten, vorwiegend grippeartig verlaufenden Krankheitsphase persistieren bei einem Teil der Patienten schwer einzuordnende Beschwerden [1, 2, 3].

Das Leitsymptom ist häufig eine ausgeprägte Müdigkeits- und Erschöpfungssymptomatik = Fatigue [4, 5, 6]. Anhaltende Symptome 4 Wochen nach der akuten COVID-19-Erkrankung werden in Anlehnung an die Leitlinie des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) als Post-Akut-Covid-Syndrom (PACS), anhaltende oder neue Symptome nach 12 Wochen als Post-Covid-Syndrom (PCS) und beide Entitäten zusammen als Long- Covid (LC) bezeichnet (Abb. 1) [7]. Dabei können sowohl der Charakter als auch die Intensität der Symptome stark variieren. Die beim PCS auftretenden Symptomkomplexe sind in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 1
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Mod. nach [7]

Nomenklatur des Post-Covid-Syndroms

Abb. 2
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Mod. nach [22]

Symptome und Differenzialdiagnosen des Post-Covid-Syndroms

Initialer Krankheitsverlauf ohne Bedeutung

Das PCS kann unabhängig vom initialen Krankheitsverlauf auftreten. Die Häufigkeit wird je nach Studienpopulation mit bis zu 15% angegeben. Die Prävalenz sinkt mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Akut-Infektion [8]. Schwere kardiovaskuläre bzw. pulmonale Komplikationen, die zu einer Hospitalisierung führen, sind nach einer dänischen Kohorten-Studie mit unter 1% sehr selten [9].

Ein pathophysiologisches Verständnis des PCS existiert aktuell nur partiell. Daher gibt es auch keine belastbaren Marker in Bildgebung oder Labor zur Sicherung einer PCS-Diagnose. Vermutete Erklärungsmodelle beinhalten die Theorie der Viruspersistenz im Körper, eine anhaltende Autoimmunreaktion, chronische Immundysregulation, postvirale Gewebeschädigung, eine vaskuläre oder autonome Dysregulation mit Hypoxie sowie eine hohe psychosoziale Belastung durch die Erkrankung, die Pandemie-assoziierte Lebenssituation oder das persönliche Umfeld [10, 12, 13, 14].

Differenzialdiagnostische Abklärung

Die Abklärung eines Post-Covid-Patienten beginnt mit einer ausführlichen Anamnese und der Erfassung aller Symptome. Neben der eingehenden körperlichen Untersuchung sollten der neurologische Status, der psychopathologische Befund und die psychosozialen Lebensumstände des Patienten erfasst werden. Dabei können die funktionellen Einschränkungen, die durch die Symptome des PCS entstehen, mittels Post-Covid-Functional-Scale (PCFS) auf einer Skala von 0-4 (keine Einschränkungen - schwere funktionelle Einschränkungen) eingeschätzt werden [15].

Die S1-Leitlinie Post-COVID/Long- COVID finden Sie unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-027.html

Ein großer Anteil der Post-Covid-Patienten wird in der primärärztlichen Praxis versorgt. Eine Überweisung an eine spezialisierte Post-Covid-Ambulanz kann bei persistierender Symptomatik mit schwerer funktioneller Einschränkung erfolgen. Aktuell bestehen hier aufgrund der Vielzahl der Erkrankten begrenzte Behandlungskapazitäten.

Kardiologische Aspekte

Zielstellung der kardiologischen Diagnostik beim PCS ist der Ausschluss von kardial bedingten COVID-19-Komplikationen, z. B. Myokarditis, Myokardinfarkt und Herzrhythmusstörungen [16, 17]. Die Basisdiagnostik umfasst die Bestimmung der Vitalwerte mit Herzfrequenz und Blutdruck (RR) in Ruhe sowie ein Ruhe-EKG, die Erhebung des kardiovaskulären Risikoprofils (Anamnese/LDL-Cholestin/HbA1c) des Patienten und ggf. eine Langzeit(LZ)-EKG- bzw. LZ-RR-Untersuchung. Bei anhaltender Angina pectoris oder Belastungsdyspnoe kann die Basisdiagnostik um eine echokardiografische Untersuchung und die Bestimmung der kardialen Biomarker (Troponin T, NT-pro-BNP) erweitert werden. Bei unauffälligem Ruhe-EKG, befundfreier Echokardiografie und normwertigen Biomarkern ist eine kardiale COVID-19-Komplikation klinisch unwahrscheinlich.

Die Indikation zur weiterführenden Diagnostik mittels Belastungsuntersuchungen und ggf. invasiver Koronarangiografie ergibt sich aus dem individuellen Risikoprofil des Patienten sowie der Charakteristik der Beschwerden entsprechend der Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) für das chronische Koronarsyndrom und sollte vom kardiologischen Facharzt gestellt werden [18]. Ob kardiale Veränderungen in der hochauflösenden Magnetresonanztomografie (MRT) mit Symptomen des PCS assoziiert sind, ist derzeit noch unklar und Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses (Abb. 3) [19, 20, 21]. Dementsprechend wird ein kardiales MRT nach den aktuellen AWMF-Leitlinien nicht generell bei Post-Covid-Patienten empfohlen [22].

Abb. 3
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© P. Baum

Kardiales MRT im 3-Kammer-Blick (links) und 4-Kammer-Blick (rechts). Dargestellt ist eine Fibrosierung bzw. Narbe nach akuter Myokarditis im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung durch Late-Gadolinium-Enhancement (LGE) in der lateralen linksventikulären Wand subepikardial (blaue Pfeile, Aufhellung) im Vergleich zum unauffälligen Befund im Bereich des Septum (blauer Stern).

Pneumologische Aspekte

Ziel der pneumologischen Diagnostik beim PCS ist der Ausschluss neu aufgetretener oder exazerbierter pulmonaler Erkrankungen, z. B. Asthma bronchiale oder COPD, einer neu aufgetretenen interstitiellen Lungenerkrankung sowie einer Lungenarterienembolie als akute Komplikation nach COVID-19 [23, 24].

Die pneumologische Basisdiagnostik umfasst neben der körperlichen Untersuchung einen Lungenfunktionstest (Volumetrie, Diffusionskapazität, ggf. Bronchospasmolysetest), eine Blutgasuntersuchung in Ruhe und einen Belastungstest des Patienten (6-Minuten-Gehtest, Spiroergometrie). Je nach Untersuchungsbefunden kann eine weiterführende Bildgebung des Thorax mittels Röntgen, Pleurasonografie bzw. bei begründetem V. a. eine interstitielle Lungenerkrankung mittels Computertomografie (CT) erfolgen (Abb. 4). Zum Ausschluss der Lungenarterienembolie dient nach ESC-Leitlinie die Bestimmung von Wells-Score und D-Dimer sowie die nachfolgende Bildgebung (CT-Angiografie, Lungen-Ventilations-Perfusion-Szintigrafie) bei positiven Befunden [25].

Abb. 4
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© P. Baum

CT-Thorax (transversale Schnittebene) eines Post- Covid-Patienten ein Jahr nach der akuten Infektion. Es zeigen sich basal betonte, postentzündliche Zeichnungsvermehrung des Interstitiums ohne sicheren Nachweis einer primär fibrosierenden Lungenerkrankung.

Neurologische/psychosomatische Aspekte

Zur Abklärung einer neurologischen Manifestation beim PCS empfiehlt sich zunächst eine neurologische Anamnese und Untersuchung mit dem Fokus auf bestehende fokale neurologische Defizite (Paresen, Sinnesausfälle u. a. m.). Ein zusätzliches Basis-Assessment dient einerseits der Erfassung von kognitiven Defiziten (Konzentrationseinschränkung, mnestische Beeinträchtigungen) und andererseits der Erfassung psychischer Störungen.

Grundsätzlich kann auf das Vorliegen verschiedener psychischer Erkrankungen mit Screening-Fragebögen für Depression (PHQ-9), Angststörung (GAD-7) und Somatisierungsstörung (PHQ-15) getestet und mit dem klinischen Eindruck abgeglichen werden [26, 27, 28]. Auch für die Quantifizierung der Fatigue eignen sich standardisierte Fragebögen (z. B. FAS oder MFI-20) [29, 30].

Die Diagnose eines chronischen Fatigue-Syndroms bzw. myalgischer Ezephalomyelitis kann dabei nach den kanadischen Consensus-Kriterien gestellt werden [31, 32]. Die Symptome dieser Erkrankung dauern über das Intervall von 6 Monaten an und sind häufig mit Muskelschmerz, Kraftminderung, Schlafstörungen und Symptomen der autonomen Dysfunktion (RR-Schwankung/posturale Tachykardie) assoziiert [33].

Bei V. a. auf eine COVID-19-bedingte neurologische Komplikation, z. B. ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS), Hirnnervenausfälle, Myositiden, Polyneuropathien oder Schlaganfälle, erfolgt nach Überweisung zum neurologischen Facharzt die weitere Abklärung mittels kranialer MRT bzw. Liquordiagnostik. Grundsätzlich erscheint die Inzidenz von psychischen Komorbiditäten im Kollektiv der Post-Covid-Patienten hoch, neurologische Komplikationen hingegen sind selten [5, 34].

Therapie

Da pathophysiologische Zusammenhänge noch besser verstanden werden müssen, existiert bisher kein evidenzbasierter medikamentöser Therapieansatz. Grundsätzlich richtet sich die Therapie nach dem jeweiligen Leitsymptom der Post-Covid-Patienten [22]. Im Folgenden werden Behandlungsempfehlungen für häufige Leitsymptome zusammengefasst.

Dyspnoe/Belastungsintoleranz

Somatische Ursachen der Belastungsintoleranz sind selten. Falls Hinweise auf eine Perimyokarditis bestehen (positives Troponin T, perikardiales Reiben, EKG- und MRT-Veränderungen), sind zur Vermeidung einer progredienten myokardialen Fibrosierung durch die Inflammation eine körperliche Schonung für mindestens 3 Monate und eine antiinflammatorische Therapie mit Ibuprofen und Colchicin nach den Empfehlungen der ESC anzuraten [35].

Eine Verordnung von Physio- bzw. Ergotherapie und ggf. rehabilitative Maßnahmen mit dem Ziel der Wiedereingliederung des Patienten in den Arbeitsalltag hilft dabei, die Symptomlast des PCS-Patienten zu reduzieren [37, 38].

Beim Nachweis progredienter interstitieller Lungenveränderungen nach COVID-19 kann im Einzelfall über eine immunsupressive Therapie, z. B. mit Prednisolon, entschieden werden, wobei aktuell keine Evidenz für den generellen Einsatz einer antifibrotischen Therapie besteht [36].

Wesentlich häufiger werden bei PCS-Patienten kardiale und pneumologische Ursachen der Belastungsintoleranz ausgeschlossen. In diesem Fall kann mit dem Patienten ein individuelles Konzept zur Wiederaufnahme der körperlichen Betätigung besprochen werden. Hierbei sollten kurze Trainingsintervalle im niedrigen Intensitätsniveau (Pacing) empfohlen werden, um körperliche Überanstrengung mit nachfolgender Symptomverschlechterung (postexertionelle Malaise) zu vermeiden [24].

Fatigue

Fatigue ist ein schwer behandelbares Syndrom. Nach der aktuellen S1-Leitlinie stellen die Symptomlinderung und die Vermeidung einer Chronifizierung die primären Therapieziele dar [22]. Dabei stehen Veränderungen des Lebensstils mit Stressreduktion, der Förderung persönlicher Ressourcen, einem adäquaten Schlafverhalten, Schmerztherapie, kreislaufunterstützende Maßnahmen und Förderung angemessener Copingstrategien (Vermeiden von Überforderung, Meidung von Inaktivität) im Mittelpunkt der Behandlung [22]. Supportiv können Physio- und Ergotherapie verordnet werden. Eine psychotherapeutische Mitbehandlung ist bei Vorliegen weiterer psychischer Symptomkomplexe (z. B. Depressionen, Ängste) indiziert.

Sollten ambulante Maßnahmen die Symptome der PCS-Patienten nicht ausreichend mindern, kann über eine (teil-)stationäre Rehabilitation mit dem individuell angezeigten indikationsspezifischen Behandlungsschwerpunkt nachgedacht werden [22].

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Dr. med. Paul Baum

Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Leipzig