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Welche Ängste und Sorgen treiben Menschen mit HIV-Infektion in der Corona-Pandemie um? Der Schwerpunktarzt Dr. Sebastian Noe, München, berichtet von seinen Erfahrungen und erklärt, warum man auf diese Patienten besonders achtgeben sollte.
MMW: Herr Dr. Noe, wie geht es HIV- infizierten Menschen in der Corona- Pandemie, mit welchen Fragen kommen Ihre Patienten in die Schwerpunktpraxis?
Noe: Am Anfang war das für viele unserer Patienten wie ein schlimmes Flashback: Ein neues Virus, das um sich greift und schwere Erkrankungen auslöst. Die Patienten sahen zum Teil Parallelen zum Beginn der HIV-Pandemie. Die HIV- Infektion wurde ja häufig über eine Pneumocystis-Pneumonie diagnostiziert. Und auch in der Corona-Pandemie ging es mit Lungenerkrankungen los. Eine Sorge war außerdem, dass Patienten mit Immunschwäche besonders anfällig für einen schweren Verlauf von COVID-19 sein könnten. Da kam einiges zusammen, was die Patienten beunruhigt hat.
MMW: Im letzten Jahr war man davon ausgegangen, dass HIV-Patienten an sich kein erhöhtes Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken [1]. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse, unter anderem aus den USA und Italien [2, 3]. Wie bewerten Sie diese Studien, in denen nun doch von einer erhöhten Morbidität und Mortalität HIV-Infizierter mit SARS-CoV-2- Koinfektion berichtet wird?
Noe: Momentan geht die Sichtweise dahin, dass zumindest Menschen mit einem schweren Immundefekt - gegenwärtig oder auch irgendwann im Lauf der HIV-Infektion - wahrscheinlich ein erhöhtes Risiko haben, schwerer an COVID-19 zu erkranken. Entsprechend äußern sich auch Fachgesellschaften wie die European AIDS Clinical Society (EACS) und die Deutsche AIDS Gesellschaft (DAIG) [4]. Ich denke, im Moment sollten wir im Sinne unserer Patienten davon ausgehen, dass Menschen mit einer HIV-Infektion als besonders schutzbedürftig zu betrachten sind.
MMW: In den erwähnten Studien hatten die schwer erkrankten HIV-Patienten zugleich häufiger Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf, z. B. Diabetes oder Bluthochdruck.
Noe: Es ist richtig, dass gerade Patienten, die bereits viele Jahre in Therapie sind, oft schon älter sind und damit auch alterstypische Begleiterkrankungen haben, die schon an sich für ein erhöhtes Risiko im Fall einer SARS-CoV-2-Infektion prädestinieren. Aber man kann das Risiko durch die HIV-Infektion damit nicht abtun. V. a. kann man es nicht für alle gleich bewerten. Wir haben zwar mittlerweile viele Menschen mit HIV-Infektion, die immer nur einen leichten zellulären Immundefekt hatten, aber auch Patienten mit schweren Immundefekten, entweder gegenwärtig oder in der Vergangenheit.
Um auf der sicheren Seite zu sein, ist man wohl gut beraten, HIV als eigenständigen Risikofaktor zumindest für bestimmte Subgruppen anzunehmen. Das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf könnte man beispielsweise an der CD4-Zellzahl festmachen. In Studien sah man zwei Signale: die aktuelle Helferzellzahl und den Nadir im Verlauf der Therapie. Danach zu differenzieren, ist das Plädoyer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) und auch der Aidshilfe.
MMW: Wie war der Verlauf bei Ihren Patienten, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert haben?
Noe: Unser Eindruck war, dass wir sehr viele eher leichte Verläufe sahen. Allerdings entspricht die Demografie in einer HIV-Schwerpunktpraxis nicht der einer allgemeinärztlichen Praxis. Unsere Patienten sind im Schnitt viel jünger und haben viel weniger Begleiterkrankungen. Aber auch bei uns gab es schwere Verläufe, ebenso wie in anderen Praxen und Kliniken.
MMW: Sollte man einen HIV-Patienten mit SARS-CoV-2-Koinfektion anders behandeln als andere Patienten?
Noe: Nein, hierfür gibt es keine Rationale. Das gilt auch für die Therapie mit Dexamethason bei schwerem COVID-19-Verlauf. Auch die Diskussion über eine Therapieumstellungen, etwa auf Lopinavir, ist mittlerweile vom Tisch. Allerdings würde man bei einem Patienten mit sehr wenigen Helferzellen die Entscheidung zur stationären Überwachung etwas großzügiger stellen. Es gibt Fälle, bei denen es sehr schnell zur pulmonalen Erschöpfung gekommen ist, obwohl die Patienten relativ symptomarm waren.
MMW: Gibt es Empfehlungen zur Wahl des Corona-Impfstoffs?
Noe: Impfstudien, die explizit mit HIV-Patienten durchgeführt wurden, gibt es nicht. Man kann aber davon ausgehen, dass an den Großstudien auch Menschen mit HIV beteiligt waren. Ich empfehle meinen Patienten, sich in jedem Fall impfen zu lassen, auch bei schlechterem Immunstatus, und zwar mit dem Impfstoff, der ihnen angeboten wird. Diese Einschätzung wird auch von der DAIG getragen.
MMW: Was raten Sie HIV-Patienten, die sich wegen einer möglichen Ansteckung mit SARS-CoV-2 sehr viele Sorgen machen?
Noe: Wir versuchen, keine Angst zu verbreiten, raten aber dennoch zur Vorsicht. Da wir immer mehr den Eindruck haben, dass viele Infektionen da entstehen, wo man ein bisschen unachtsamer ist, versuchen wir, die Vigilanz für die empfohlenen Maßnahmen zu schärfen. Letztlich kann man den Patienten und Patientinnen sagen: Wenn ihr euch an die Vorgaben haltet, habt ihr kein höheres Risiko, euch mit SARS-CoV-2 anzustecken, als jemand, der nicht mit HIV infiziert ist.
Literatur
Härter G et al. COVID-19 in people living with human immunodeficiency virus: a case series of 33 patients. Infection 2020; doi: 10.1007/s15010-020-01438-z.
Hadi YB et al. Characteristics and outcomes of COVID-19 in patients with HIV: a multicentre research network study. AIDS 2020; doi: 10.1097/QAD.0000000000002666.
Gervasoni C et al. Clinical Features and Outcomes of Patients With Human Immunodeficiency Virus With COVID-19. Clin Infect Dis 2020; doi: 10.1093/cid/ciaa579.
BHIVA, DAIG, EACS, GESIDA & Polish Scientific AIDS Society. Statement on risk of COVID-19 for people living with HIV (PLWH), https://www.eacsociety.org/home/bhiva-daig-eacs-gesida-and-polish-scientific-aids-society-statement-on-risk-of-covid-19-for-people-living-with-hiv-plwh.html
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Oberhofer, E. Menschen mit HIV in der Corona-Pandemie. MMW - Fortschritte der Medizin 163 (Suppl 2), 10–11 (2021). https://doi.org/10.1007/s15006-021-0055-9
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