Aus zahlreichen Untersuchungen wissen wir, dass Senioren, Männer, Übergewichtige und Patienten mit Vorerkrankungen deutlich höher gefährdet sind, an COVID-19 zu versterben. Unter den Vorerkrankungen sticht der Diabetes mellitus als besonders risikoreich heraus. Dies betrifft sowohl den Typ-1- als auch den Typ-2-Diabetes. Im Folgenden sollen einige mit dieser Beobachtung im Zusammenhang stehende Aspekte diskutiert werden.

Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, dass Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 gegenüber Patienten ohne Diabetes insgesamt ein erhöhtes Infektionsrisiko haben [1]. Dabei korreliert das Infektionsrisiko mit der Blutzuckereinstellung und es wird vermutet, dass Diabetes-bedingte Veränderungen des angeborenen und des erworbenen Immunsystems eine Rolle spielen.

Im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion ist von besonderer Bedeutung, dass Corona-Viren über einen Rezeptor in die Zelle aufgenommen werden, der bei Diabetikern typischerweise überexprimiert ist: der sog. ACE2-Rezeptor [2]. So konnte zunächst im Tiermodell und später auch am Menschen gezeigt werden, dass das Lungengewebe von Diabetikern mehr ACE2-Rezeptoren exprimiert und dass dies mit der Plasmaglukoseeinstellung korreliert [3]. Auch wenn schlüssige epidemiologische Daten hierzu fehlen, spricht dieser Befund dafür, dass insbesondere nicht gut eingestellte Diabetiker besonders anfällig für eine SARS-CoV-2-Infektion und somit für eine COVID-19-Erkrankung sind.

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In COVID-Zeiten besonders auf eine gute Blutzuckereinstellung achten!

Warum haben Diabetiker ein besonders hohes Risiko für einen schweren Verlauf?

Wenn ein Diabetiker mit SARS-CoV-2 infiziert ist, hat er ein höheres Risiko für eine Krankenhausaufnahme, für eine Intensivpflichtigkeit und zu sterben. Die genaueste diesbezügliche Studie (aus England) zeigt eine 23%-Steigerung des Sterberisikos unabhängig von Alter, Geschlecht, Ethnizität, Übergewicht und anderen Komorbiditäten [4]. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind aber nur partiell verstanden (Tab. 1).

Tab. 1 Mögliche Mechanismen für die erhöhte COVID-19-Mortalität von Patienten mit Diabetes mellitus

Inzwischen mehren sich die Daten, dass Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf ausgeprägte Veränderungen im Metabolom und Lipidom aufweisen. Gleichzeitig ist bekannt, dass sich Patienten mit Diabetes mellitus auch ohne Infektion sehr deutlich hinsichtlich Stoffwechseleigenschaften und Blutfettmustern von Personen ohne Diabetes mellitus unterscheiden. Man könnte also postulieren, dass die durch die COVID-19-Erkrankung induzierten Veränderungen im Metabolom und Lipidom bei Diabetikern auf einen bereits veränderten Status treffen und so besonders deletäre Auswirkungen haben.

Ähnlich könnte man davon ausgehen, dass die subklinische Inflammation, die viele Patienten mit Diabetes mellitus (und metabolischem Syndrom) charakterisiert, eine Rolle spielt. Auch hier könnte man postulieren, dass die durch die SARS-CoV-2 induzierte Inflammationskaskade anders verläuft, wenn diese auf ein bereits "vorstimuliertes" System trifft. Daten hierzu fehlen allerdings.

Die schwere COVID-19-Erkrankung ist auch durch Hyperkoagulabilität, Mikroangiopathie und Mikrothromben gekennzeichntet. Diese Veränderungen sind bei Diabetikern gehäuft nachweisbar. Es könnte somit sein, dass die für einen fulminaten COVID-19-Krankheitsverlauf typischen Veränderungen bei Diabetikern besonders stark ausgeprägt sind.

Welchen Einfluss hat die Diabeteseinstellung?

Es gibt zahllose Daten, die belegen, dass Patienten mit einer erhöhten Plasmaglukose bei Krankenhausaufnahme eine schlechtere Prognose haben also solche mit normalen Plasmaglukosewerten. Dies betrifft sowohl Patienten mit bekanntem wie auch solche ohne bisher bekannten Diabetes mellitus. Die Daten sind für die COVID-19-Erkrankung besonders eindrücklich; diese Beobachtung trifft aber auch ganz allgemein für Aufnahmen auf die Intensivstation zu.

Hier muss berücksichtigt werden, dass eine Entgleisung der Plasmaglukose im Rahmen einer schweren Erkrankung (bei Patienten mit bisher gut eingestelltem Diabetes mellitus oder ohne bekanntem Diabetes mellitus) die massive Ausschüttung von Stresshormonen und damit die Schwere der Erkrankung widerspiegelt. So haben Patienten mit COVID-19-Erkrankung und erhöhter Plasmaglukose höhere CRP-Werte, andere IL6-Verläufe und deutlich veränderte Lymphozytenzahlen und -funktion [5]. Die Aufnahmeplasmaglukose spiegelt also oft die Schwere der Erkrankung wider.

Lässt sich die Plasmaglukose gut kontrollieren, ist die Überlebensrate deutlich besser als bei schlecht kontrollierbarer Plasmaglukose. Unklar ist, ob die Plasmaglukoseeinstellung per se die Prognose verändert oder letztendlich nur den klinischen Verlauf widerspiegelt. Auch wenn hierzu keine randomisierten Studien vorliegen, mehren sich die Daten, die darauf hinweisen, dass eine konsequente Einstellung der Plasmaglukose zu einem günstigeren klinischen Verlauf führt [6].

Konkrete Maßnahmen für an COVID-19 erkrankte Patienten mit Diabetes mellitus

Wie sollte mit der "typischen Therapie" von Patienten mit Diabetes mellitus umgegangen werden, wenn sie eine COVID-19-Erkrankung erleiden? Hierzu hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bereits im April eine Stellungnahme veröffentlicht, die weiterhin gilt (https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/user_upload/06_Gesundheitspolitik/01_Stellungnahmen/2020/20200403_Positionspapier_COVID19_final_1.pdf). Darin werden Therapieziele genannt (Abb. 1) und eine kurze Stellungnahme zu den einzelnen Antidiabetika abgegeben (Tab. 2).

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DDG-Empfehlung zu COVID-19 und metabolischen Erkrankungen (Mod. nach [8])

Tab. 2 Antidiabetika bei Patienten mit Diabetes mellitus und COVID-19

Metformin: In Abhängigkeit von der Schwere der Erkrankung sollte die Metformin-Therapie unterbrochen werden. Dabei stehen die Überprüfung der Nierenfunktion und das Risiko für eine Laktatazidose im Vordergrund. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt eine großzügige Unterbrechung der Therapie und eine Wiederaufnahme erst bei Fieberfreiheit und ausreichender Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme sowie Ausschluss einer Hypoxämie.

Positionspapier der DDG zu Diabetes und COVID-19:

https://bit.ly/2VR17p9

Sulfonylharnstoffe: Sulfonylharnstoffe erhöhen das Hypoglykämie-Risiko und können bei Niereninsuffizienz akkumulieren. Auch hier ist, spätestens wenn der Patient krankenhauspflichtig wird, eine Unterbrechung der Therapie empfehlenswert.

DPP-4-Inhibitoren: Eine Therapie mit DPP-4-Inhibitoren kann grundsätzlich fortgesetzt werden, wird gerade bei schwereren Verläufen aber häufig nicht ausreichen, um die Plasmaglukose zu kontrollieren. Interessanterweise gibt es eine italienische Studie, in der festgestellt wurde, dass Sitagliptin-behandelte Patienten eine bessere Prognose hatten als Patienten, die zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme mit anderen Antidiabetika behandelt worden waren [7].

SGLT-2-Inhibitoren: Eine seltene, aber wichtige Nebenwirkung der SGLT-2-Inhibitoren sind Ketoazidosen. Das Risiko hierfür ist bei schweren Erkrankungen (auch ohne COVID-19) oder perioperativ (bei Eingriffen jeglicher Art) erhöht. Es ist deshalb empfehlenswert, bei Fortsetzung der Therapie die Ketonspiegel im Serum oder Urin zu beobachten und ggf. die Therapie frühzeitig zu unterbrechen. Inzwischen werden auch eine Reihe von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 mit SGLT-2-Inhibitoren behandelt, bei denen das Risiko für die Ketoazidose höher ist. Eine vorbestehende SGLT-2-Inhibitortherapie bei Diabetes mellitus sollte generell bei akuten Infektionskrankheiten pausiert werden.

GLP-1-Analoga: Sie können unter Berücksichtigung der Nierenfunktion weiter eingesetzt werden. Sie werden aber vermutlich bei schweren Verläufen nicht ausreichen, um eine gute Plasmaglukseeinstellung zu erreichen.

Die DDG empfiehlt deshalb, wie andere Fachgesellschaften auch, insbesondere bei hospitalisierten Patienten eine frühzeitige Umstellung auf eine Insulintherapie.

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Prof. Dr. med. Klaus G. Parhofer

Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Klinikum der Universität München - Großhadern