Durch den medizinschen Fortschritt können wir dem Leben heute viele zusätzliche Jahre geben. Gleichzeitig fragen wir, ob dieses Leben dann noch lebenswert ist. Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst gegen eine bloße Verlängerung der biologischen Existenz und bestimmen im Voraus, was medizinisch unternommen werden soll, falls sie selbst nicht mehr entscheiden können. Was Sie zum Thema Patientenverfügung wissen müssen, ist in diesem Beitrag zusammengefasst.

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© Mark Bowden / iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

In dieser Situation hilft eine Patientenverfügung sowohl dem Arzt als auch dem Patienten.

Immer noch wird der vorausbestimmte Wille eines Patienten von Ärzten häufig nicht beachtet - teils aus Unkenntnis, teils aus Zweifel an der Gültigkeit und teils auch aus Furcht, der unterlassenen Hilfeleistung oder gar der aktiven Sterbehilfe verdächtigt zu werden.

Der Fall der Frau H.

Die 1956 geborene Frau H. hat sich schon früher Gedanken über ihr eigenes Lebensende gemacht. Sie verfasste als 55-Jährige im Jahr 2011 bei damals noch guter Gesundheit eine Patientenverfügung und verfügte darin u. a.: "Sollte ich eine Hirnschädigung oder Gehirnerkrankung haben, durch die meine normalen geistigen Funktionen schwerwiegend und irreparabel geschädigt worden sind, so bitte ich um eine Einstellung der Therapie, sobald durch die behandelnden Ärzte festgestellt wird, dass ich künftig nicht mehr in der Lage sein werde, ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Dies gilt insbesondere, wenn ich in Dauerbewusstlosigkeit ohne medizinisch begründete Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins in einem Koma, auch Wachkoma, liege. Bei Verlust meiner Kommunikationsfähigkeit und einem nach meiner Festlegung erfolgten Verzicht bzw. Abbruch von Maßnahmen, wünsche ich auch keine künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr durch Sonden und Infusionen, jedoch wünsche ich eine angemessene palliativmedizinische Therapie."

Nach mehreren Schlaganfällen befindet sich Frau H. nun seit fast einem Jahr in einem dem Wachkoma ähnlichen Zustand. Sie wird zuhause gepflegt und über eine PEG-Sonde künstlich mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt. Auf die Frage an den Ehemann, warum die Patientenverfügung seiner Frau nicht befolgt werde, antwortete er: "Meine Frau wollte in diesem Zustand keine künstliche Ernährung, da bin ich mir sicher. Aber ich weiß nicht, was ich unternehmen soll, das ist so schwierig. Und unsere Hausärztin sagt, das sei vielleicht Sterbehilfe."

Rechtliche Grundlagen des ärztlichen Handelns

Die drei Grundvoraussetzungen ärztlichen Handelns sind Indikation, Einwilligung des Patienten und die Behandlung entsprechend den Regeln der Kunst (Abb. 1). An diesem dreistufigen Prüfschema wird die Rechtmäßigkeit jeder medizinischen Maßnahme gemessen.

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Grundvoraussetzungen ärztlichen Handelns

Die Indikation

Sie ist eine rein ärztliche Entscheidung. Der Arzt bestimmt aufgrund der gesundheitlichen Situation des Patienten, des bisherigen Krankheitsverlaufs, der Behandlungsmöglichkeiten und der Prognose darüber, ob eine bestimmte Maßnahme medizinisch indiziert ist oder nicht. Prognostisch muss durch sie eine Besserung beim Kranken zu erwarten oder zu erhoffen sein. Dabei gibt es in einem Patientenfall häufig mehr als nur eine vertretbare Meinung. Der Gesetzgeber gesteht dem Arzt diesen Ermessensspielraum ausdrücklich zu. Die Grenzen ärztlicher Entscheidungsfreiheit liegen dort, wo von anerkannten medizinischen Standards so weit abgewichen wird, dass ein vernünftig denkender Arzt in gleicher Situation die getroffene Wahl nicht mehr nachvollziehen kann. In diese rein ärztliche Entscheidung über die Indikation kann der Patient bei allem Wollen nicht eingreifen. Sein Recht beschränkt sich auf die Ablehnung von Maßnahmen: Will er eine Therapie nicht, obwohl sie medizinisch indiziert ist, kann er sie ablehnen. Erzwingen kann er eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme dagegen nicht.

In dem Fall von Frau H. lag eine Indikation für die künstliche Ernährung mittels PEG-Sonde kurz nach dem Schlaganfall sicher vor. Wie sich ihr neurologischer Zustand entwickeln würde, war damals nicht abzusehen. Später aber hätte die Indikation für eine weitere künstliche Ernährung von Frau H. hinterfragt werden können, denn auch eine einmal gestellte Indikation muss ständig überprüft werden*.

* vgl. BGH, Urteil vom 02.04.2019, Az.: VI ZR 13/18, in Fortführung von LG München I, Urteil vom 18.01.2017, Az.: 9 O 5246/14 und OLG München, Urteil vom 21.12.2017, Az.: 1 U 454/17

Die Einwilligung

Sie ist die zweite Grundvoraussetzung für ärztliches Handeln. Jedes Behandeln gegen den Willen des Patienten stellt eine Körperverletzung dar. Der Patient kann eine medizinische Maßnahme ablehnen, selbst wenn ihm dadurch Schaden droht. Sein Wille steht über seinem Wohl.

Aus rechtlicher Sicht ist es daher entscheidend, den Willen des Patienten zu kennen. Ist der Patient einwilligungsfähig, d. h. kann er die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung einschätzen, wird er vom aufklärenden Arzt direkt befragt und entscheidet selbst. Vor einer Operation oder wenn ein schwerer Krankheitsverlauf absehbar ist, sollte mit dem Patienten rechtzeitig besprochen werden, wie er sich seine Behandlung vorstellt und welche Vorgaben er macht.

Auch ein betreuter oder demenzkranker Patient ist nicht generell einwilligungsunfähig. Ob der Patient in der Lage ist, Nutzen und Risiken eines Eingriffs in voller Bedeutung und Tragweite zu bewerten, obliegt allein dem Urteil des behandelnden Arztes. Hält ein Arzt seinen Patienten in Bezug auf eine bestimmte Maßnahme für einwilligungsfähig, entscheidet der Patient selbst. Der ausdrückliche Wille des aufgeklärten und einwilligungsfähigen Patienten ist oberstes Gesetz. Erst wenn ein Patient, wie in dem Fall von Frau H., nicht mehr einwilligungsfähig - z. B. bewusstlos - ist, kommt die Patientenverfügung zum Tragen. Ihre rechtliche Wirksamkeit ist durch das Bürgerliche Gesetzbuch (§1901a) garantiert.

Kann in der Patientenverfügung keine konkrete Behandlungsvorgabe für die vorliegende Situation gefunden werden, ist gemeinsam mit dem Vorsorgebevollmächtigten oder dem Betreuer der sog. "mutmaßliche Wille" des Patienten zu ermitteln: Welche Behandlung hätte sich der Betroffene für eine solche Situation gewünscht? Für den (seltenen) Fall, dass eine medizinische Indikation besteht und der Patient weder einwilligen kann noch eine Patientenverfügung vorliegt und auch kein mutmaßlicher Wille festgestellt werden kann, ist abstrakt und generell eine "Entscheidung für das Leben" zu treffen (Abb. 2).

Abb. 2
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Ermittlung des Patientenwillens

Im Fall von Frau H. liegt eine Patientenverfügung aus dem Jahr 2011 vor. Frau H. hat in ihrer Verfügung genau die Situation, in der sie sich heute befindet, vorhergesehen und die künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde abgelehnt. Doch ist der 2011 verfasste Wille auch nach neun Jahren noch aktuell? Hätte die Verfügung notariell beurkundet werden müssen? Ist die Patientenverfügung überhaupt relevant, wenn der Tod noch gar nicht absehbar ist? Hätte Frau H. von einem Arzt über die medizinischen Hintergründe ihrer Entscheidung aufgeklärt und dieses Gespräch dokumentiert werden müssen? Was bedeutete "menschenwürdiges Dasein" für Frau H.? Und muss eine solch wichtige Entscheidung nicht durch das Betreuunggericht genehmigt sein? Um diese Fragen zu klären, soll zunächst eine Übersicht über die verfügbaren Vorsorgedokumente gegeben und eine Entscheidungshilfe erarbeitet werden.

Welche Vorsorgedokumente gibt es?

Im Bereich der vorausschauenden Behandlungsplanung gibt es folgende drei wesentliche Vorsorgedokumente:

  • die Patientenverfügung,

  • die Vorsorgevollmacht und

  • die Betreuungsverfügung.

Darüber hinaus gibt es als Sonderfall der Patientenverfügung den sogenannten "Palliativen Notfallbogen" (z. B. "Dokumentation Therapiebegrenzung", abrufbar unter www.divi-online.de).

Die Patientenverfügung

Sie ist definiert als eine für den Fall der eigenen Willensunfähigkeit vorformulierte Erklärung, mit der der Patient für konkrete Krankheitssituationen vorgibt, welche medizinischen Behandlungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen und welche nicht.

Jeder Mensch, der einwilligungsfähig und volljährig ist, kann eine Patientenverfügung verfassen. Diese muss schriftlich abgefasst und eigenhändig unterschrieben sein. Kann der Verfasser aufgrund einer körperlichen Behinderung oder wegen Analphabetismus nicht selbst unterzeichnen, wird die Unterschrift durch ein vom Notar beglaubigtes Handzeichen ersetzt.

Eine Patientenverfügung kann vom Verfasser jederzeit formfrei, das heißt auch mündlich oder durch Gesten, widerrufen werden. Sie gilt ansonsten jedoch zeitlich unbegrenzt, hat also kein "Verfallsdatum". Dennoch ist es sinnvoll und erhöht die Glaubwürdigkeit, wenn die Verfügung von Zeit zu Zeit aktualisiert und bestätigt wird (z. B.: "Die in meiner Patientenverfügung aus dem Jahr 2011 getroffenen Aussagen entsprechen weiterhin meinem Willen. Datum/Unterschrift"). Eine notarielle Beurkundung oder Beglaubigung der Patientenverfügung ist nicht erforderlich.

Die Patientenverfügung ist in ihrer Reichweite nicht begrenzt, d. h. sie gilt unabhängig von einer infausten Prognose und auch dann, wenn das Lebensende noch nicht absehbar ist (z. B. Wachkoma, Demenz)*. Der Gesetzgeber erkennt damit an, dass es auch außerhalb eines unmittelbar bevorstehenden Todes Gründe gibt, nicht weiterleben zu wollen.

* BT-Drs. 16/8442, S. 16

Die dokumentierte ärztliche Beratung und Aufklärung vor dem Abfassen einer Patientenverfügung ist wünschenswert, aber nicht Voraussetzung für deren Gültigkeit.

Das wichtigste Kriterium für die Gültigkeit einer Patientenverfügung ist die Konkretheit. Die Verfügung muss potenzielle Erkrankungssituationen klar benennen (z. B. Wachkoma, fortgeschrittene Demenz, schwerer Schlaganfall). Für diese Situationen muss dann festgelegt werden, welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden sollen und was unterbleiben soll (z. B. Wiederbelebungsmaßnahmen, Beginn einer Dialysebehandlung, maschinelle Beatmung, Ernährung über PEG-Sonde). Allein das Ablehnen von "lebenserhaltenden Maßnahmen" oder der Verweis auf eine "menschenwürdige Lebensqualität" ist nicht bestimmt genug, wenn nicht erklärt wird, welche "lebenserhaltenden Maßnahmen" damit gemeint sind und was unter "menschenwürdig" verstanden wird**. So ist eine Verfügung konkret und für den behandelnden Arzt bindend, die im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz (z. B. "wenn ich meine Angehörigen nicht mehr erkenne") die antibiotische Therapie einer Lungenentzündung untersagt.

** BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016, Az.: XII ZB 61/16; BGH, Beschluss vom 08.02.2017, Az.: XII ZB 604/15; BGH, Beschluss vom 14.11.2018, Az.: XII ZB 107/18

Frau H. hatte in ihrer Patientenverfügung die zu weit gefasste Formulierung benutzt, dass sie um eine Einstellung der Therapie bittet, "sobald durch die behandelnden Ärzte festgestellt wird, dass ich künftig nicht mehr in der Lage sein werde, ein menschenwürdiges Dasein zu führen."

Stünde diese Aussage alleine, wäre die Patientenverfügung zu unkonkret und damit nicht direkt verbindlich. Im Folgenden schreibt Frau H. jedoch: "Dies gilt insbesondere, wenn ich in Dauerbewusstlosigkeit ohne medizinisch begründete Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins in einem Koma, auch Wachkoma, liege." Damit erklärt Frau H. was genau sie unter einem menschenunwürdigen Dasein versteht. Ihre Aussagen sind konkret genug, um eine verbindliche Behandlungsentscheidung zu treffen.

Die Vorsorgevollmacht

Sie dient dazu, dass der Vollmachtgeber eine Person benennt, die an seiner Stelle handeln und für ihn entscheiden darf. Häufig werden Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht miteinander verwechselt. Während in der Patientenverfügung festgelegt ist, wie verfahren werden soll, bestimmt die Vorsorgevollmacht, wer stellvertretend handeln und entscheiden darf. Sollen mehrere Vertreter bevollmächtigt werden, so kommt es darauf an, wie der Patient die Vertretung gestaltet.

Was bei finanziellen Angelegenheiten ratsam erscheint, ist für die Gesundheitsfürsorge oft hinderlich: die Vertretung durch mehrere Personen, die nur gemeinsam entscheiden können. Dem Patienten, der diesbezüglich um Rat fragt, sollte empfohlen werden, für den Gesundheitsbereich nur einen Vorsorgebevollmächtigten zu benennen oder eine klare Rangfolge festzulegen (im Sinne "Wenn mein Mann die Vertretung nicht weiter übernehmen kann, soll meine Tochter entscheiden.").

Wichtig ist, dass der Vorsorgebevollmächtigte folgenschwere Entscheidungen nur treffen darf, wenn er ausdrücklich dazu ermächtigt ist. In der Vollmacht muss explizit festgelegt sein, dass er auch dann entscheiden darf, wenn mit der Entscheidung die Gefahr des Todes oder eines schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden ist***.

*** BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16

Gibt es diesen Passus nicht, muss für solch folgenschwere Entscheidungen eine gerichtliche Betreuung eingerichtet werden. Im Unterschied zu der Betreuungsverfügung ist die Vorsorgevollmacht sofort (ohne Bestätigung durch das Betreuungsgericht) rechtswirksam. Jeder Bevollmächtigte kann damit unmittelbar entscheiden. Das ist der große Vorteil der Vorsorgevollmacht.

Der Palliative Notfallbogen, der regelt, welche Maßnahmen der Patient in akuten lebensbedrohlichen Situationen zulassen möchte, ist abrufbar unter: https://bit.ly/2VMalmy

Die Betreuungsverfügung

Mit einer Betreuungsverfügung benennt der Patient ebenfalls eine Person, die an seiner Stelle Entscheidungen treffen soll. Doch ist die Betreuungsverfügung im Gegensatz zur Vorsorgevollmacht nicht direkt wirksam. Der in der Betreuungsverfügung Benannte muss diese zunächst dem zuständigen Betreuungsgericht vorlegen, welches ihn dann als Betreuer des Patienten einsetzt. Die Betreuungsverfügung selbst legitimiert ihn noch nicht. Sie ist sozusagen nur ein "Wunschzettel" an das Gericht. Die Betreuungsverfügung kann auch dann sinnvoll sein, wenn Menschen verhindern wollen, dass bestimmte Angehörige später von einem Gericht zu ihrem Betreuer bestellt werden (z. B.: "Auf keinen Fall soll mein Sohn mein Betreuer sein. Wenn ich je eine Betreuung benötige, soll diese Aufgabe meine Enkeltochter übernehmen.").

Sonderfall: Palliativer Notfallbogen

Für einen akuten Notfall ist es schwer, zuvor festzulegen, wie ärztlich verfahren werden soll. Im Notfall hat der Arzt meist weder die Zeit noch die notwendigen Mittel, um eine Patientenverfügung auf Wirksamkeit und Verbindlichkeit zu prüfen. Hier gilt daher grundsätzlich: in dubio pro vita - im Zweifel für das Leben. Dies kann aber z. B. dazu führen, dass eine Reanimation begonnen oder eine Krankenhauseinweisung veranlasst wird, obwohl dies weder medizinisch sinnvoll noch vom Patienten gewünscht ist. Für derartige Situationen, z. B. eine absehbare massive Lungenblutung bei einem Patienten mit fortgeschrittenem Bronchialkarzinom oder eine Pneumonie bei einem hochgradig demenzkranken Pflegeheimbewohner, kann mit einem Palliativen Notfallbogen auf einer Seite klar formuliert werden, welche Maßnahmen unterbleiben sollen (Abb. 3).

Abb. 3
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Der Palliative Notfallbogen

Rechte und Pflichten von Vorsorgebevollmächtigten und Betreuern

Einen Vorsorgebevollmächtigten kann jeder volljährige Bürger selbst bestellen, ein Betreuer wird vom Gericht bestellt (wenn kein Vorsorgebevollmächtigter existiert). Vorsorgebevollmächtigte und Betreuer sind sich in ihren Rechten und Pflichten völlig gleichgestellt. Beide haben die Pflicht, den Willen des Patienten in dem Umfang ihrer Bevollmächtigung umzusetzen. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, dass der Vertreter wirklich den (mutmaßlichen) Willen des Patienten und nicht seinen eigenen durchsetzt. Gemäß §1904 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) braucht ein Betreuer oder Bevollmächtigter immer die Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Gefahr besteht, dass der Patient auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren gesundheitlichen Schaden erleidet. Nur wenn der behandelnde Arzt und der Stellvertreter des Patienten einer Meinung darüber sind, was der Patient in dieser Situation gewollt hätte, braucht man keinen Richter (§1904, Abs. 4 BGB).

Entscheidung über den Beginn oder die Beendigung von medizinischen Maßnahmen

Bei der Entscheidung darüber, ob eine Behandlungsmaßnahme begonnen oder unterlassen oder ob eine bereits begonnene Maßnahme abgebrochen werden sollte, hilft das in Abb. 4 dargestellte Prüfschema. Sollte sich, wie in dem genannten Fallbeispiel, erst im Verlauf der Erkrankung herausstellen, dass die bis dahin ergriffenen Maßnahmen nicht (mehr) dem Patientenwillen entsprechen, stellt der Abbruch eine durch den Patientenwillen legitimierte Therapiezieländerung und keine Form der aktiven Sterbehilfe dar. Als Todesursache gilt das Wirken der Krankheit ("natürlicher Tod") und nicht das Unterlassen des Arztes.

Abb. 4
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Algorithmus für die Entscheidungsfindung bei einwilligungsfähigen und nicht einwilligungsfähigen Patienten

Sonderfall Organspende

Besitzt der Patient einen Organspendeausweis, ist zu beachten, dass lebenserhaltende Maßnahmen für die Zeit der Hirntoddiagnostik und Organentnahme notwendig sind. Der Patient sollte die Verfügung für diese Zeit aussetzen und erklären, dass er die kurzfristige (Stunden bis wenige Tage umfassende) Durchführung der notwendigen intensivmedizinischen Maßnahmen zum Zweck der Organspende gestattet [Arbeitspapier der Bundesärztekammer zum Verhältnis von Patientenverfügung und Organspendeerklärung. Dtsch. Ärzteblatt. 2013;110:A572-4].

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© [M] Dario Sabljak / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodellen)

In der Patientenverfügung muss die Fortsetzung lebenserhaltender, intensivmedizinischer Maßnahmen zum Zweck der Organspende ausdrücklich gestattet werden.

Sonderfall Vorhandensein eines implantierten Defibrillators

Wurde einem Patienten wegen einer Herzerkrankung zu früheren Zeiten ein Defibrillator zur Vermeidung eines plötzlichen Herztods implantiert, sollte dies in der Patientenverfügung vermerkt und eine Genehmigung zum Abschalten der Defibrillatorfunktion in der Terminalphase des Lebens erteilt werden. Dadurch werden Unsicherheiten ausgeräumt und es wird verhindert, dass das implantierte Aggregat Wiederbelebungsversuche macht und dazu für den Sterbenden evtl. qualvolle Stromschläge abgibt.

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Das Abschalten eines Defibrillators in der Terminalphase des Lebens sollte in der Patientenverfügung erwähnt und erlaubt werden.

Einschätzung der Situation von Frau H.

Die von Frau H. verfasste Verfügung aus dem Jahr 2011 gilt ohne zeitliche Begrenzung und ohne eine Beschränkung auf eine infauste Situation, also auch wenn Frau H. in diesem Zustand durchaus noch viele Jahre leben könnte.

Die Situationen, in denen ihre Verfügung gelten soll, hat Frau H. sehr konkret dargestellt. Für den Fall, dass sie im Zustand der wachkomaartigen Dauerbewusstlosigkeit ohne medizinisch begründete Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins liege, hatte Frau H. verfügt, dass die Therapien einzustellen sind, auch die künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr durch Sonden und Infusionen, und nur eine angemessene palliativmedizinische Therapie aufrecht erhalten werden soll.

Die Weiterführung der künstlichen Ernährung über eine Sonde widerspricht dem Willen der Patientin. Juristisch gesehen ist die Fortsetzung der PEG- Ernährung ein rechtswidriger Eingriff in ihren Körper und damit eine Körperverletzung. Diese muss beendet werden. Wenn der bevollmächtigte Ehemann und der behandelnde Arzt in der Auslegung des Patientenwillens einer Meinung sind, bedarf es zur Beendigung der künstlichen Ernährung nicht der Genehmigung des Betreuungsgerichts.

Wie es weiterging

Frau H. ist zwei Monate nach der Therapiezieländerung mit Umstellung der kalorischen Sondennahrung auf Tee und radikalen Reduktion der Medikamente im Sinne eines strikt palliativen Behandlungsplans friedlich und gut symptomkontrolliert verstorben. Angehörige und Hausärztin äußerten sich sehr zufrieden und waren erleichtert, dass dem Willen der Patientin nun Folge geleistet worden sei.

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Kristin Memm

Rechtsanwältin, Kanzlei für Medizinrecht/Medizinethik/ Digitale Medizin, Erfurt

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Dr. med. Joachim Zeeh

Facharzt für Innere Medizin, Meiningen