In den kommenden Wintermonaten stellen Viruserkrankungen mit überwiegender Transmission über respiratorische Sekrete und Aerosole besondere Anforderungen an die rationale Versorgung von Patienten in der Hausarztpraxis. Welche Symptome deuten eher auf eine Influenza, welche eher auf COVID-19? Dieser Beitrag fasst den aktuellen Wissensstand zusammen.

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© Africa Studio / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Hat er eine Influenza oder COVID-19?

Seit Beginn des Jahres 2020 hält COVID-19 die Welt in Atem. Bereits zum Ende des Sommers 2020 waren weltweit rund 25 Millionen Menschen erkrankt und mehr als 700.000 Patienten sind im Zusammenhang mit COVID-19 verstorben [1]. Die zugrundeliegende Erkrankung wird durch das SARS-CoV-2, ein dem SARS-Coronavirus aus dem Jahr 2003 verwandtes Virus, hervorgerufen. Die ersten Fälle wurden in Wuhan, China, Ende 2019 identifiziert, wobei davon auszugehen ist, dass die Erkrankung bereits in der Zeit zuvor zirkulierte.

Es besteht gegenwärtig noch keine Klarheit über das tierische Reservoir der Zoonose. Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist jedoch unstrittig; anhand von phylogenetischen Analysen können die komplexen Transmissionswege in den verschiedenen Regionen weltweit nachvollzogen werden [2]. Die Evolution des Virus kann auch zu einer erleichterten Übertragung führen [3]. Glücklicherweise scheint es bis dato noch nicht zu einer Steigerung der Pathogenität gekommen zu sein.

Nach dem ersten ausgeprägten internationalen Anstieg der Erkrankungszahlen gelang es in Deutschland, die Verbreitung durch verschiedene Maßnahmen des "lockdowns" zu reduzieren. Mit der Normalisierung des Zusammenlebens kommt es jedoch zu einer Zunahme der Inzidenz. So ist für den Herbst und insbesondere für die Erkältungszeit des Winters damit zu rechnen, dass sich banale Erkältungskrankheiten, die saisonale Influenza sowie COVID-19 überlagern, was die Herausforderungen der Patientenversorgung und der Hygienemaßnahmen vergrößern wird.

Hinzu kommt, dass sich auch die epidemiologischen Rahmenbedingungen ändern. Während zu Beginn des Jahres 2020 lokale Ausbrüche mit definierten Quellen der Übertragung vorherrschten (z. B. in fleischverarbeitenden Betrieben oder bei Reiserückkehrern aus Ischgl), verlagern sich die Infektionen zunehmend in die Fläche. Die wesentliche Konsequenz ist, dass bei symptomatischen Patienten immer weniger ein definierbares Risikoprofil erkennbar ist. Ursprünglich setzten die Falldefinitionen des Robert-Koch-Instituts sehr auf erfragbare Kontakte zu Menschen mit einer SARS-CoV-2-Infektion. Diese Frage kann in der Realität nur selten beantwortet werden, wenn Transmissionen an vielen Orten und außerhalb von Clustern stattfinden. Hinzu kommt, dass bei bis zu 50% der Betroffenen die COVID-19-Infektion asymptomatisch verlaufen kann [4].

Zusammengefasst werden "klassische" identifizierbare Risiken im kommenden Winter für die Einschätzung von Patienten eine geringe Rolle spielen. Wesentlich wichtiger werden die individuelle Anamnese und die klinische Präsentation der Erkrankten - typische Herausforderungen für die Hausärztin/ den Hausarzt. Aus diesen Gründen versucht der vorliegende Artikel, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der genannten Infekte zu beschreiben. Eine rationale klinische Einschätzung ist auch deswegen von Bedeutung, da noch nicht klar ist, wie sehr die Kapazitäten des Gesundheitswesens belastet werden, sollte es zu einer erheblichen Zunahme von Fällen kommen. Während sich die Diskussionen oft an Krankenhauskapazitäten und Intensivbetten festmachen, sind bis dato rund sechs von sieben COVID-19-Patienten ambulant versorgt worden [5].

Verlauf von COVID-19

Bei einem Manifestationsindex von 57-86% entwickelt eine große Anzahl von exponierten Menschen die Erkrankung [6]. Verschiedene Publikationen beschäftigen sich mit dem Verlauf von COVID-19 [6, 7, 8]. Jeweils in Klammern sind die Spannweiten angegeben. Von der Exposition bis zum Symptombeginn ist mit 5-6 (1-14) Tagen zu rechnen. Patienten sind bereits 1 (-2) Tag(e) vor Auftreten von Symptomen infektiös. Nach Erkrankungsbeginn vergehen im Mittel 4 (2-7) Tage bis zum Auftreten der Pneumonie und 4 (1-8) Tage bis zur Hospitalisierung. Patienten auf der Intensivstation hatten ihren Symptombeginn 9-11 (6-12) Tage zuvor. Dies trifft in Deutschland bei rund 48% der hospitalisierten Patienten zu. Betroffene mit Atemnotsyndrom (ARDS) entwickeln dieses im Mittel nach 7 (2-10) Tagen. Von der Diagnose der Pneumonie bis zum Versterben vergehen 1-6 Wochen.

Eine wichtige Kennzahl ist die case-fatality-ratio, die für Deutschland mit bis zu 4,0% angenommen wird, wobei die Letalität vermutlich niedriger liegt [6]. Im Vergleich zu anderen Ländern ist dieser Wert sehr günstig, international geht man von 3,4-11% aus [9]. Insgesamt liegt die Mortalität innerhalb eines 14-Tage-Intervalls in Europa bei 4/100.000 Personen. Rund 24% der bis dato hospitalisierten Patienten sind verstorben [10].

Wichtige Symptome von COVID-19 sind in Tab. 1 aufgeführt. Besonders typisch ist der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. Seltene Manifestationen werden erst im Lauf der Zeit deutlich, wobei die zunehmenden Kenntnisse zeigen, dass kaum ein Organsystem von der Schädigung durch COVID-19 ausgenommen bleibt.

Tab. 1 Beschwerden bei Covid-19

Symptomatik der Influenza

Die Grippe tritt saisonal auf. Die Nordhalbkugel ist in den Wintermonaten betroffen. Es ist - mit erheblichen Schwankungen - damit zu rechnen, dass jährlich eine Milliarde Menschen von der Influenza betroffen ist. Mit durchschnittlich 500.000 jährlichen Toten handelt es sich bei der Influenza ebenfalls um eine klinisch bedeutsame Infektion [11]. Die wichtigsten Subtypen sind Influenza A (H1N1 und H3N2) sowie Influenza B (Yamagata und Victoria).

Die Influenza-Symptome treten typischerweise plötzlich auf, wobei Fieber fast regelhaft hinzugehört (Abb. 1). Weitere Symptome sind Muskel- und Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und Malaise. Oft ist die Schwäche ausgeprägt und ungewöhnlich für die sonst gesunden Patienten. Trockener Husten, Halsschmerzen und verstopfte Nase können hinzukommen. Gerade letztere sind auch typisch für Erkältungserkrankungen, die deutlich häufiger ohne Fieber einhergehen. Die Inkubationszeit beträgt 1-4 Tage, die Virusausscheidung dauert von einem Tag vor Symptombeginn bis 5-7 Tage danach [11].

Abb. 1
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Symptome der Influenza

Im Vergleich von Studien zu COVID-19 und dem H1N1-Ausbruch 2009 wird deutlich, dass Patienten mit Influenza deutlich mehr Symptome der oberen Atemwege aufweisen. Dies ist noch ausgeprägter bei Patienten, die stationär aufgenommen werden [12]. Die Grippe kann aber auch mit geringen Symptomen einhergehen. Bei 5-36% der Patienten kann sie asymptomatisch verlaufen bzw. bei 25-62% oligosymptomatisch, d. h. sie ist dann nur schwer von einer Erkältung zu unterscheiden [13]. Andererseits sind das gemeinsame Auftreten bzw. die Exazerbation schwerer Atemwegserkrankungen möglich.

Der primär schwere Verlauf mit viraler Pneumonie, die meist später auftretende sekundäre Grippepneumonie durch bakterielle Sekundärinfektion oder die Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung sind als schwere Verläufe der Influenza zu nennen [14]. Tab. 2 und Tab. 3 fassen klinische Aspekte und Gruppen mit ungünstigem Verlauf zusammen. Die Sterblichkeit liegt bei 0,1%.

Tab. 2 Typische Symptomkombinationen verschiedener viraler Infektionserkrankungen
Tab. 3 Risikofaktoren für einen schweren Verlauf bzw. eine erhöhte Mortalität bei COVID-19 und Influenza

Weitere Aspekte der Patientenversorgung

Die Schwierigkeiten durch die nur unscharfe Diskriminierbarkeit der Infekte zeigen auf, dass für die erfolgreiche Versorgung der Patienten die klassischen hausärztlichen Handwerksmittel bedeutsam sind. Eine genaue Anamnese steht ganz am Anfang, um die Symptomkomplexe korrekt werten zu können (Tab. 2). Individuelle Vorerkrankungen sind zu berücksichtigen.

Eine besondere Problematik hat hierbei eine gewisse Aufmerksamkeit erfahren: Andere und insbesondere schwere Grunderkrankungen wurden bei einzelnen Betroffenen unter dem Eindruck von COVID-19 weniger berücksichtigt, wichtige Behandlungen wurden zurückgestellt [15]. Während letzteres zu vermeiden ist, sind Besonderheiten bestimmter Krankheitsgruppen zu beachten. Hier-zu haben viele Verbände spezielle Empfehlungen publiziert [16].

Der weiteren Abklärung von COVID-19 dienen die körperliche Untersuchung und Laboruntersuchungen. Die Auskultation der Lunge kann hierbei eine falsche Spur legen, da die interstitiellen Infiltrate oft nicht hörbar sind. Hier hilft die Beobachtung (Dyspnoe, Atemfrequenz, Atemarbeit) und das Pulsoxymeter, das mitunter früh die erniedrigte Sauerstoffsättigung anzeigen kann. Zum Einsatz der verschiedenen Laboruntersuchungen ist auf die Literatur zu verweisen. Auch hier gilt: Ein eindeutiger Befund zur Diagnosestellung bzw. zum Ausschluss ist oft nicht erreichbar. Sowohl die PCR aus dem Rachenabstrich als auch die Serologie und insbesondere die Schnelltests sind mit relevanten Einschränkungen verbunden [17, 18] und können nur in Zusammenschau mit Anamnese und Klinik bewertet werden. Auch das CRP ist nicht in allen Fällen hilfreich, da ein negativer Befund eine bakterielle Infektion nicht ausschließt und ein erhöhter Wert einen schweren Verlauf der Virusinfektion andeuten kann. Für die Routinediagnostik fehlt es demnach momentan noch an Tests mit schneller Verfügbarkeit von validen Ergebnissen.

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Influenza-Virus: © Spectral-Design / Fotolia; Sars-CoV-2: © Spectral-Design / Fotolia

Das Influenza-Virus (links) und das Sars CoV-2 (rechts) werden in den Herbst- und Wintermonaten das Gesundheitssystem auf eine harte Probe stellen.

Bei Abfassung dieses Beitrages war die Diskussion über die Transmission über Aerosole noch im Gange, wobei diesem Übertragungsweg vermutlich eine wichtige pathophysiologische Bedeutung zukommt. Als Konsequenz müssen bestimmte Tätigkeiten in der medizinischen Versorgung als risikoträchtig benannt werden. Zu ihnen gehören u. a. die Intubation oder die Bronchoskopie, die eher für die Krankenhäuser relevant sind, die Entnahme von Rachenabstrichen. Hierbei ist nicht nur die Einhaltung der Mindestabstände unmöglich, sondern auch eine relevante Exposition der den Abstrich durchführenden Person durch die Provokation von Husten, Niesen oder Erbrechen gegeben. Dies bedeutet, dass auch das Abstreichen von Verdachtsfällen nur mit ausreichendem Schutz durchzuführen ist (FFP2-Maske, Sichtschutz bzw. Brille, Kopfhaube, Einmalumhang, Handschuhe) [6]. Es existiert ein hochwertiges Video, das die Technik des Abstreichens darstellt [19]. Die konsequente Anwendung der Hygienemaßnahmen und v. a. das Tragen von Gesichtsmasken sind geeignet, auch die Übertragung der Influenza zu reduzieren. Für Deutschland konnte bereits gezeigt werden, dass durch COVID-19-Prävention, insbesondere die Schulschließungen, auch die Inzidenz der Influenza verringert wurde [20]. Ähnliches wurde für Singapur [21] und von der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC [10] berichtet.

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Sie hat wahrscheinlich nicht COVID-19. Kopfschmerzen und laufende Nase sind eher typisch für Erkältungen und Influenza.

Risikofaktoren

Faktoren für einen schweren Verlauf der Infektionen sind in Tab. 3 aufgelistet. Auffällig ist die weitgehende Übereinstimmung der Risikogruppen für COVID-19 und Influenza. Die genannten Gruppen sollen, basierend auf Empfehlungen nationaler Gesundheitseinrichtungen, bei V. a. Influenza eine antivirale Therapie erhalten. Gleiches gilt für Patienten, die wegen einer Influenza stationär aufgenommen werden. Eine ähnliche Empfehlung existiert aktuell noch nicht für Remdesivir für die Risikogruppen bei COVID-19. Laborwerte, die einen schweren Verlauf einer COVID-19-Infektion mit ARDS andeuten, sind die Leukozytenzahl, LDH, Kreatinkinase, D-Dimere und IL-6 [7].

Was Komorbiditäten betrifft, fiel in einer Studie, die Patienten mit ARDS betrachtete und COVID-19 mit H1N1-Influenza verglich, auf, dass COVID-19-Patienten häufiger nicht-produktiven Husten, Schwäche und gastrointestinale Symptome aufwiesen, während H1N1-Patienten einen höheren Sequential-organ- failure-assessment(SOFA)-Score hatten [22].

COVID-19 ist durch eine langsame Zunahme der Erkrankungsschwere gekennzeichnet. Für den Kliniker heißt dies, dass die schwer verlaufende Influenza relativ früh erkennbar ist, ein ungünstiger Ausgang einer COVID-19-Erkrankung jedoch zu Beginn nicht deutlich ist. Wiederholt wurde gezeigt, dass Fieber bei der Grippe häufiger als bei COVID-19 auftritt [23].

Das Thema der Differenzialdiagnose der Virusinfekte ist noch kaum in der Literatur repräsentiert. Dies gilt auch für seltene Manifestationen. Ein Beispiel ist die Analyse zu ischämischen Schlaganfällen, die in einer Studie zu 1,6% bei COVID-19- Patienten und zu 0,2% bei Grippepatienten gezeigt wurde [24].

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Prof. Dr. med. Mark Oette

Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie und Infektiologie

Krankenhaus der Augustinerinnen Köln