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Prof. Dr. med. Dr. phil. R. Stefan Roß Institut für Virologie, Nationales Konsiliarlaboratorium für Tollwut in der Humanmedizin, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen

Tollwut (Rabies)-Infektionen des Menschen werden überwiegend durch das Rabiesvirus, weit seltener durch andere Lyssavirus-Spezies verursacht. Sie verlaufen unter dem klinischen Bild einer Enzephalitis oder peripheren Paralyse fast ausnahmslos tödlich [1, 2 3]. Deutschland und viele andere europäische Staaten sind nach der Definition der Weltorganisation für Tiergesundheit seit Langem frei von klassischer, terrestrischer Tollwut [4]. Hier besteht ein Expositionsrisiko nur noch durch den Kontakt mit Fledermäusen oder illegal aus Endemiegebieten importierten Säugetieren [5].

In weiten Teilen der übrigen Welt ist das Rabiesvirus unverändert heimisch und zirkuliert überwiegend bei Haustieren (Abb. 1) [6]. Reisende sind dort einem potenziellen Tollwutrisiko ausgesetzt und erleiden v. a. in Asien und Afrika zu mehr als 1% Verletzungen durch Tiere, insbesondere Hundebisse [7, 8]. In der reisemedizinischen Beratung muss diese Gefahr explizit angesprochen werden.

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Weltweite Verbreitung der Tollwutinfektion [6] (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Centrums für Reisemedizin, Düsseldorf).

Zudem sollten Sie auf risikoreduzierende Verhaltensweisen gegenüber Tieren sowie auf die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer prä- und postexpositionellen Impfung gegen die Tollwutinfektion (s. u.) hinweisen [9, 10, 11].

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Tollwutgefahr: In Deutschland nur durch Fledermäuse und illegal importierte Haustiere, auf Reisen u. a. durch Hundebisse.

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Impfstoffe und Hyperimmunglobuline

Weltweit stehen heute zur Prophylaxe humaner Tollwutinfektionen eine Reihe sog. Zellkulturimpfstoffe zur Verfügung. Sie haben die (partiell) inaktivierten historischen Nervengewebevakzinen seit Langem abgelöst [12].

In Deutschland sind derzeit Rabipur und Tollwutimpfstoff (HDC) zugelassen. Beide basieren auf zunächst in Hühnerfibroblasten oder humanen diploiden Zellen vermehrten und dann inaktivierten Virusstämmen [13, 14]. Sie schützen somit nicht nur gegen das Rabiesvirus, sondern auch gegen die übrigen Lyssavirus-Spezies der Phylogruppe I, darunter u. a. die Europäischen Fledermaus-Lyssaviren der Typen 1 und 2 [1].

Laut Fachinformationen sind beide Impfstoffe nur i.m. anzuwenden, sodass sie für die verschiedenen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Rahmen der Prä- und Postexpositions-Prophylaxe ebenfalls propagierten „volumensparenden“ intradermalen Applikationsschemata nicht vorgesehen sind [15].

Tollwut-Hyperimmunglobuline werden von zuvor gegen die Infektion immunisierten Probanden gewonnen und kommen ausschließlich postexpositionell bei blutenden Wunden als Simultan-Prophylaxe zum Einsatz (s. u.).

Nicht in allen Ländern verfügbar

Sowohl moderne Zellkulturimpfstoffe als auch Tollwut-Hyperimmunglobuline sind in vielen Ländern, die sich touristischer Beliebtheit erfreuen, nicht verfügbar. Darauf sollte in der reisemedizinischen Beratung hingewiesen werden.

Präexpositionelle Tollwut-Prophylaxe

Reisenden, die in Regionen aufbrechen, in denen ein hohes Tollwutexpositionsrisiko z. B. durch streunende Hunde besteht, ist eine präexpositionelle Prophylaxe anzubieten [11]. Diese besteht klassischerweise aus drei Injektionen des Impfstoffs an den Tagen 0, 7 und 21 bzw. 28 [13, 14]. Hierauf reagieren nahezu alle immungesunden Erwachsenen, aber auch Kinder mit der Bildung neutralisierender Antikörper in protektiver Konzentration [16] (≥ 0,5 IU/ml, gemessen in einem geeigneten „Bioassay“ [2, 17]).

Ein Zeitraum von drei Wochen zur Komplettierung des Impfschemas stellt jedoch für diejenigen, die sich kurzfristig zu einer Reise entschließen, nicht selten ein Problem dar [18]. Um derart Kurzentschlossenen die von Goethes Lenardo angesichts einer beabsichtigten Auswanderung generell geäußerte Befürchtung (s. Randspalte) [6, 19] zumindest in Bezug auf die Zoonose Tollwut zu nehmen, kann man sich des Impfstoffs Rabipur im Rahmen eines „Schnellverfahrens“ bedienen. Dieses ermöglicht eine Grundimmunisierung durch drei Injektionen an den Tagen 0, 3 und 7. Es ist laut Hersteller „nur für Erwachsene im Alter von 18 bis 65 Jahren in Betracht zu ziehen, bei denen das konventionelle Schema zur präexpositionellen Prophylaxe nicht ... abgeschlossen werden kann“ [13]:

Die maßgebliche Zulassungsstudie war dreiarmig ausgelegt: Zum einen wurde Rabipur allein oder kombiniert mit Ixiaro, einer Vakzine zur Verhinderung der Japanischen Enzephalitis, konventionell an den Tagen 0, 7 und 28 verabreicht, zum anderen gemeinsam mit Ixiaro zu den Zeitpunkten 0, 3 und 7 angewandt. Hinsichtlich des Impferfolgs bestanden am 57 Studientag keine Unterschiede, jedoch war an den Tagen 181 und 366 der Anteil der vor Tollwut Geschützten mit 75% und 68% in der Gruppe der „Schnell-Immunisierten“ niedriger als bei denjenigen, die das konventionelle „3-Dosis-Schema“ erhalten hatten [20].

Verkürztes Impfschema noch „off-label use“

Im April 2018 erklärte die WHO, das seit Jahrzehnten erprobte Schema zur präexpositionellen Tollwut-Prophylaxe könne von drei auf zwei i.m. Impfstoffgaben an den Tagen 0 und 7 verkürzt werden [15]. Da diese Empfehlung noch nicht in die Fachinformationen der in Deutschland verfügbaren Impfstoffe gegen Tollwut eingegangen ist [13, 14], stellt deren Befolgung derzeit einen „off-label use“ dar [21].

Wissenschaftlich gesehen, basiert die geänderte Position der WHO v. a. auf Daten zur „Boosterbarkeit“ einer Grundimmunisierung gegen die Tollwutinfektion. Ausweislich einer verdienstvollen Metaanalyse betrug der mittlere geometrische Titer neutralisierender Antikörper gegen das Rabiesvirus ein oder zwei Jahre nach der Gabe von zwei oder drei Impfstoffdosen 1,5 IU/ml und stieg nach einer einmaligen „Booster-Injektion“ auf durchschnittlich 60 IU/ml an [22].

Erwies sich also eine erst kurz zurückliegende Grundimmunisierung mit nur zwei Dosen als gut auffrischbar, existieren aus der längerfristigen Impfverfolgung nur recht spärliche Daten.

In einer thailändischen Untersuchung z. B. wurden Schulkinder mit zwei oder drei intradermalen Dosen grundimmunisiert und dann nach einem, drei und fünf Jahren einer einmaligen „Boosterung“ unterzogen. Jeweils vierzehn Tage danach bewegte sich der Titer neutralisierender Antikörper zwar bei allen Personen wieder im protektiven Bereich von ≥ 0,5 IU/ml. Doch innerhalb eines Jahres waren nach den entsprechenden Auffrischimpfungen in der „3-Dosis-Gruppe“ mit 87%–95% noch deutlich mehr Personen vor Tollwut geschützt als in der „2-Dosis-Gruppe“ (zwischen 51% und 66%). Bemerkenswert war zudem, dass sich die mittleren geometrischen Konzentrationen neutralisierender Antikörper zu allen Zeitpunkten in der „3-Dosis-Kohorte“ auf rund das Dreifache der Messwerte des „2-Dosis-Pendants“ beliefen. Das belegt die immunologische Überlegenheit einer initialen Grundimmunisierung mit dem konventionellen „Drei-Dosis-Schema“ eindrücklich [23].

In dieselbe Richtung weisen Beobachtungen von Strady et al. [24]: Wurde zehn Jahre nach der i.m. Grundimmunisierung und einmaliger Auffrischung am Tag 366 die Konzentration neutralisierender Anti-Tollwut-Antikörper ermittelt, waren 35,9% derjenigen, die anfänglich nur zwei Impfstoff-Dosen erhalten hatten, nicht mehr vor der Infektion gefeit, während in der „3-Dosis-Gruppe“ noch 95,5% der Probanden protektive Antikörper-Titer besaßen.

Je nach verbleibender Zeit vor Reiseantritt stehen also verschiedene Schemata zur präexpositionellen Tollwut-Prophylaxe zur Verfügung (Abb. 2), um selbst noch einem Gutteil der sog. „last-minute traveler“ einen ausreichenden Schutz vor der gefürchteten Zoonose zu verschaffen [25].

Abb. 2
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Präexpositionelle Immunisierung gegen Tollwut in Abhängigkeit von der vor Reiseantritt verbleibenden Zeit [13, 14, 15]

Postexpositionelle Tollwut-Prophylaxe

Nach einer Biss- oder Kratzverletzung ist die Wunde ausführlich und gründlich mit Wasser zu spülen. Stehen Seife, andere Detergenzien, Jodlösung oder sonstige viruzide Substanzen zur Verfügung, können diese selbstverständlich eingesetzt werden. Die weiteren notwendigen Maßnahmen sind abhängig von Immunstatus der betroffenen Person [1, 11].

Vorgehen bei vollständig Grundimmunisierten

Immungesunde, vollständig grundimmunisierte Reisende müssen je eine Impfstoffdosis i. m. an den Tagen 0 und 3 erhalten. Tollwut-Hyperimmunglobuline sind nicht erforderlich. Nach den jüngsten WHO-Empfehlungen können diese Immunisierungen nur entfallen, wenn sich die Person bereits einer kompletten Postexpositions-Prophylaxe unterzogen hat, die nicht länger als drei Monate zurückliegt [15].

Der Verfasser hätte sich hier — wie wohl viele andere in der reisemedizinischen „Community“ — ein weitreichenderes und mutigeres Vorgehen aus Genf gewünscht. Er hatte gehofft, dass man dort — angesichts hinreichender empirischer [26, 27] wie experimenteller Evidenz [28] — eine weitere Immunprophylaxe auch dann für entbehrlich erklärt, wenn in den vergangenen 90 Tagen eine vollständige, drei Impfstoffdosen umfassende präexpositionelle Grundimmunisierung oder deren einmalige Auffrischung dokumentiert ist.

Vorgehen bei bisher nicht Geimpften

Je nach Expositionsgrad benötigen ungeimpfte Reisende nach einer möglichen Tollwutexposition folgende Immunprophylaxe: Bei nicht blutenden Wunden mehrere aktive Immunisierungen nach den derzeit in Deutschland zugelassenen Schemata, die bei blutenden Wunden ergänzt werden müssen durch die einmalige Gabe von Tollwut-Hyperimmunglobulin zeitgleich zur ersten aktiven Impfung (Tab. 1) [11, 13, 14]. Lege artis angewandt, schützt dieses Vorgehen nahezu alle immungesunden Betroffenen vor Tollwut [29].

Tab. 1 Postexpositionelle TollwutImmunprophylaxe nach Grad und Art der Exposition durch ein tollwütiges oder tollwutverdächtiges Tier [13, 14, 15]
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Blutet die Wunde? Auch danach richtet sich die PostexpositionsTherapie.

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Die von der WHO im Jahr 2018 empfohlene Verkürzung des klassischen „Essen-Schemas“ auf vier statt der gewohnten fünf Dosen fußt wesentlich auf einer schon 2009 unter dem Druck der damaligen weltweiten Impfstoff-Knappheit publizierten Metaanalyse [30], deren Ergebnisse unlängst im Wesentlichen nochmals bestätigt wurden [31].

Die jüngsten Vorgaben der WHO, im Zuge der Postexpositions-Prophylaxe zwar so viel Volumen des Tollwut-Hyperimmunglobulins in und um die Wunde zu infiltrieren, wie es anatomisch möglich erscheint, aber darauf zu verzichten, den je nach Körpergewicht berechneten Rest vorzugsweise in den M. vastus lateralis zu injizieren [15], bedeuteten derzeit in Deutschland nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut [11] und den einschlägigen Fachinformationen [14, 32] einen „off-label use“.

Dass ein derartiges „Wound-only-injection-Prozedere“ insbesondere dort Menschenleben rettet, wo Tollwut-Hyperimmunglogulin — wenn überhaupt — aus ökonomischen Gründen nur sehr begrenzt verfügbar ist, verdeutlichen exemplarische Studien aus Indien: Zwischen 2014 und 2018 gelang es dort mit diesem Ansatz, vermutlich 7.506 Personen vor der tödlichen Infektion zu bewahren, die Grad-III-Expositionen erlitten hatten [33].