Die COVID-19 Task Force der European Society of Hypertension (ESH) hat sich in einem Review erneut zur Bedeutung von Bluthochdruck und therapeutischer RAS-Blockade bei COVID-19-Patienten geäußert. Dargestellt und kritisch diskutiert werden v. a. die molekularen Mechanismen der Infektion und der RAS-Hemmung sowie die potenziellen klinischen Implikationen.
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Schwere Verläufe einer SARS-CoV-19-Infektion betreffen am häufigsten alte Menschen, bei denen oft Komorbiditäten bestehen; allen voran die Hypertonie, gefolgt von chronischen Erkrankungen von Herz, Lunge und Niere. In diesem Kontext wird unter Experten seit Wochen auch die eigenständige Bedeutung des Bluthochdrucks diskutiert — bis hin zur Befürchtung, ein hoher Blutdruck bzw. antihypertensive Medikamente könnten anfälliger für SARS-CoV-2-Infektionen machen.
Hierzu hat sich nun die ESH COVID-19 Task Force geäußert [1]. Aufgrund der hohen Prävalenz der Hypertonie ist es wenig überraschend, dass diese auch gehäuft bei schweren Verläufen von COVID-19 auftritt. Die wichtigere Frage, ob Hypertonie ein unabhängiger Risikofaktor für schwere Verläufe ist, muss durch sorgfältige, risikoadjustierte und kontrollierte Studien erfolgen. Eine aktuelle Studie aus China fand in einer multifaktoriellen Analyse keine Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Hypertonie und tödlichem Ausgang [2]. Ebenso zeigten drei Anfang Mai 2020 im The New England Journal of Medicine publizierte, große Observationsstudien, dass Angiotensin-converting-Enzyme(ACE)-Hemmer (ACEI) und Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) weder das Risiko erhöhen, an COVID-19 zu erkranken, noch das Risiko, dass eine COVID-19-Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt [3, 4, 5].
Aufgrund der spezifischen molekularen Infektionsmechanismen wurden die Blocker des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) kritisch hinterfragt. Grundlage der Diskussionen ist, dass SARS-CoV-2 zum Eintritt in die Zellen das membranständige ACE2 als Co-Rezeptor nutzt [6, 7]. ACE2 wird in vielen Organen exprimiert, z.B. in Herz, Nieren, Gastrointestinaltrakt und Lunge.
Hinsichtlich der spekulativen Zusammenhänge zwischen einer therapeutischen RAS-Blockade, ACE2 und dem Risiko für Virusinfektionen muss zunächst eingeräumt werden, dass es tierexperimentelle Befunde gibt, die zeigen, dass die ACE2-Expression kompensatorisch zunimmt [6]. Jedoch existieren keine Daten, die dafür sprechen, dass ACEI oder ARB eine SARS-CoV-2-Infektion durch die kompensatorische ACE2-Zunahme begünstigen [4, 6].
Die Task Force kommt zu dem Schluss, dass keine eindeutigen Hinweise existieren, dass eine Hypertonie per se mit einem erhöhten SARS-CoV-2-Infektionsrisiko einhergeht. Somit werden für Hypertoniker die gleichen Vorsichtsmaßnahmen empfohlen wie für Patienten der entsprechenden Alterskategorien bzw. mit denselben Begleiterkrankungen (https://www.ecdc.europa.eu/en).
Leitliniengerechte antihypertensive Therapie bei stabilen Patienten nicht umstellen
Die Task Force empfiehlt, bei stabilen Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion bzw. COVID-19-Risiko die ACEI- oder ARB-Therapie entsprechend den ESC/ESH-Leitlinien von 2018 durchzuführen [8]. Diese Aussage stützt sich auf die Tatsache, dass keine derzeit verfügbaren Daten einen von den Leitlinien abweichenden Einsatz von RAS-Blockern (ACEI oder ARB) bei COVID-19-Patienten nahelegen. Im Gegenteil — die Beendigung oder Umstellung einer stabilen antihypertensiven Therapie birgt stets die Gefahr zwischenzeitlich unkontrollierter Blutdruckschwankungen, die ihrerseits ein inakzeptables Risiko für Zwischenfälle (z. B. Schlaganfall) darstellen [6].
Auch eine Ende April publizierte Studie aus Wuhan [9] zeigte kein schlechteres Outcome von COVID-19 unter ACEI/ARB. Ausgewertet wurden über 1.100 COVID-19-Patienten. Der Anteil von Hypertonikern, die mit ACEI/ARB behandelt worden waren, unterschied sich zwischen den Patientengruppen mit schweren und milden Krankheitsverläufen nicht signifikant (32,9% vs. 30,7%; p = 0,645) — das gleiche galt für die Gruppen verstorbener und überlebender Patienten (27,3% vs. 33%; p = 0,34).
Interessant ist an dieser Stelle darüber hinaus auch ein bislang selten angesprochener Aspekt, nämlich ein potenziell protektiver Effekt von ACE2 und einer RAS-Blockade bei schwerer Lungenschädigung [10, 11, 12]. Bei einem Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) ist die ACE2-Expression herabreguliert, und die zusätzliche Gabe von ACE2 bzw. RAS-Blockade hatte in tierexperimentellen Studien pulmonal und kardiovaskulär protektive Effekte, was für die schädlichen Wirkungen eines aktivierten RAS während einer Lungenschädigung spricht [6, 7].
Individuelle Therapieentscheidungen bei schwerkranken COVID-19-Patienten
Während also im ambulanten Bereich bei milden COVID-19-Verläufen keine Umstellung einer antihypertensiven Medikation vorgenommen werden sollte, empfiehlt die ESH COVID-19 Task Force, bei schwerem COVID-19-Verlauf, Sepsis oder hämodynamischer Instabilität von Fall zu Fall zu entscheiden und RAS-Blocker und andere Antihypertensiva unter Berücksichtigung der Leitlinien individuell einzusetzen bzw. abzusetzen. Grundsätzlich stellt auch bei intensivmedizinischen Patienten eine unkontrollierte Hypertonie eine zusätzliche Gefahr dar und sollte therapiert werden.
Aktualisierung der Empfehlungen bei neuen Erkenntnissen durch zunehmende Daten
Selbstverständlich müssen noch weitere Studien die ständig zunehmenden Datenmengen analysieren, um die Bedeutung der Hypertonie und blutdrucksenkender Medikamente, speziell der RAS-Blocker, für den klinischen COVID-19-Verlauf fortlaufend zu analysieren. Einerseits ist bei der Interpretation neuer Daten Vorsicht geboten (Bias aller Art sind möglich), andererseits dürfen berechtigte Hin- weise auf neue Aspekte nicht zurückgehalten werden, sondern sind im Rahmen der aktuellen Wissensgrundlagen immer wieder neu zu diskutieren.
Literatur
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Limbourg, F. RAS-Inhibition in Zeiten der COVID-19-Pandemie — aktuelle ESH-Empfehlungen. MMW - Fortschritte der Medizin 162, 67–69 (2020). https://doi.org/10.1007/s15006-020-0483-y
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