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Alexander von Freyburg Leitung Notaufnahme, HELIOS Amper- klinikum Dachau

Zusammenfassung

Anfang April 2020 wurde für ein Lehrkrankenhaus aufgrund eines COVID-19-Ausbruchs (Indexpatient und fünf infizierte Pflegekräfte) die Betriebsunterbrechung und Quarantäne gemäß § 6 Infektionsschutzgesetz angeordnet. Das komplette Personal (Ärzte, Pflegekräfte und nichtmedizinisches Personal [NMP]) wurde auf COVID-19 getestet. Die kumulierte Infektionsrate für NMP (1,6%), Ärzte (3,8%) und Pflegekräfte (9,7%) stand im Zusammenhang mit Art und Umfang des COVID-19-Patientenkontaktes. Trotz COVID-19-Positivität von 34,8% (46 von 132 Betten) ist bei Beachtung der Hygienevorschriften und strikter Patientenselektion ein risikoarmes Management des Krankenhausbetriebs bis zu einem gewissen Grad möglich. Allerdings ist aufgrund stiller Träger (silent carrier) ein COVID-19-freies Klinikum nicht zu erwarten.

Einleitung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) deklarierte am 10. Januar 2020 den Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Epidemieausbruch in China [1] und am 11. März 2020 in ihrem Situation Report — 51, dass für COVID-19 der Pandemiezustand besteht [2]. Am 19. März 2020 erließ das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes eine Allgemeinverfügung, in der „soweit medizinisch vertretbar bis auf weiteres alle planbaren Behandlungen zurückzustellen oder zu unterbrechen sind, um möglichst umfangreiche Kapazitäten für die Versorgung von COVID-19-Patienten freizumachen“ (BayMBI) [3]. Daraufhin erfolgten Anstrengungen, entsprechende strukturelle sowie personelle Voraussetzungen zu schaffen, um einem möglichen COVID-19-Patientenaufkommen so gut wie möglich gewachsen zu sein.

Ausgangspunkt

Am Nachmittag des 3. April 2020 wurde am HELIOS Amperklinikum Dachau nach Erhalt von positiven COVID-19-Testergebnissen von fünf Mitarbeitern der Intermediate-Care(IMC)-Station ein Indexpatient ermittelt, der danach auf Normalstation verlegt worden war. Damit war ein Ausbruchsgeschehen nach § 6 Infektionsschutzgesetz und plötzlich eine sehr hohe Zahl von Kontaktpersonen der Kategorie 1 gegeben, sodass das Gesundheitsamt einen Shut-down des Krankenhauses verfügte und alle Mitarbeiter sowie sämtliche Patienten unter Quarantäne stellte.

Weiterhin wurde sofort die Entscheidung getroffen, dass sich das komplette Personal (Ärzte, Pflegekräfte und nichtmedizinisches Personal [NMP]) PCR-Testungen auf COVID-19 zu unterziehen hatte, um sowohl symptomfreie stille Träger („silent carrier“) als auch infizierte Mitarbeiter zu identifizieren und rechtzeitig eine weitere Infektionsausbreitung zu unterbinden.

Methodik

Die COVID-19-Testung der Mitarbeiter erfolgte in zwei zeitlichen Serien (Anzahl Positivität):

  1. 1.

    zwischen 3. April 2020 16.30 Uhr und 5. April 2020 16.00 Uhr (n = 1.170). Zeitgleich wurden die Mitarbeiter über die Quarantäne-Richtlinien, wie sie vom Gesundheitsamt vorgegeben waren, schriftlich informiert.

  2. 2.

    zwischen dem 8. und 9. April 2020 (n = 953). Dazu wurden alle Mitarbeiter, die bei der ersten Untersuchung COVID-19-negativ waren, über E-Mail und Aushang informiert.

Aus der Mitternachts-Belegungsstatistik am 3. April 2020 (n = 197) und 8. April 2020 (n = 132) und der zum jeweiligen Datum bekannten Anzahl COVID-19-positiver Patienten (n = 33 bzw. n = 46) wurde die einfache Verhältniszahl der Krankenhaus-Bettenbelegung mit COVID-19-positiven und -negativen Patienten in Prozent als Surrogatparameter für das Ansteckungspotenzial angegeben.

Die Referenzzahl zur COVID-19-Infektion in der Bevölkerung wurde dem Zeit-online-Corona-Ticker entnommen [4], der am 3. April 2020 n = 457 und am 8. April 2020 n = 555 bestätigte Coronafälle im Landkreis Dachau mit seinen 154.544 Einwohnern auswies [5].

Die Auswertung hinsichtlich der Inzidenz von COVID-19-positiven Befunden stratifiziert nach Berufsgruppen wurde mit dem Chi2-Test für unverbundene Stichproben zweiseitig analysiert und als Nullhypothese wurde formuliert, dass der ausgeübte Beruf keinen Einfluss auf die Infektionszahlen hat [6].

Ergebnisse

Der Landkreis Dachau gehörte am 14. April 2020 mit 684 positiv getesteten Personen, entsprechend einem Anteil von 45,3 Infizierten/10.000 Einwohner (Infektionsrate 0,45%), zu den stark betroffenen Landkreisen und Städten Deutschlands [4].

Abb. 1 verdeutlicht den zeitlichen Verlauf der Belastung des Krankenhauses mit COVID-19-Patienten zwischen dem 24. März und dem 14. April 2020. Mit zeitlicher Verzögerung zur Durchseuchung in der Normalbevölkerung ergab sich am 30. März 2020 ein rascher Anstieg der COVID-19-positiven Patienten in der Klinik mit einer Verdopplungszeit von 4,6 Tagen im Gegensatz zum Landkreis mit 10,2 Tagen. Am 14. April 2020 zeigte sich ein anderes, positives Bild: Die Verdopplungszeit im Landkreis war auf knapp 14 Tage angestiegen, die Zahl der hospitalisierten Patienten mit positivem COVID-19-Test konstant geblieben.

Abb. 1
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COVID-19-positive Patienten, Allokation und Krankheitsverlauf

Der Bedarf an Beatmungsplätzen, die von COVID-19-positiven Patienten beansprucht wurden, hatte am 3. April 2020 die volle Normalkapazität an Beatmungsplätzen (n = 12) beansprucht, eine Ausweitung auf die vorbereiteten 20 Beatmungsplätze war nur in geringem Umfang (4 zusätzliche Betten) erforderlich. 10 COVID-19-Patienten verstarben trotz Intensivtherapie, die offizielle Statistik schreibt dem Landkreis 14 Todesfälle zu.

In der ersten COVID-19-Testserie (3. bis 5. April 2020) wurden 1.170 Mitarbeiter und in der zweiten Serie (8. bis 9. April 2020) 953 Mitarbeiter getestet. Der Nachweis von COVID-19-stillen Trägern („silent carrier“) (Positivität) ergab für die erste Serie n = 19 (1,6%) und für die zweite Serie n = 25 (2,6%).

Die Verteilung der betroffenen Personen auf die einzelnen Berufsgruppen ist in Tab. 1 dargestellt. Bezüglich Tätigkeit zeigte sich eine kumulierte Infektionsrate für NMP (1,6%), Ärzte (3,8%) und Pflege (9,7%) als Zusammenhang mit Art und Umfang des COVID-19-Patientenkontaktes.

Tab. 1 Stratifizierung nach Berufsgruppen, positivem COVID-19-Abstrich und kumulierter Infektionsrate

Diskussion

Das Lehrkrankenhaus hält normalerweise 435 Betten vor. Im Rahmen des Erweiterungsbaus und einer Kernsanierung unter laufendem Betrieb (Planungszeitraum von 5 Jahren) standen vor der Corona-Krise durchschnittlich 290 Betten im Haupthaus zur Verfügung. Mit dem Shut-down wurde die Belegung bis auf 132 Betten (45%) zurückgefahren, wobei am 8. April 2020 jeder dritte Patient im Krankenhaus COVID-19-positiv getestet war.

Frühe Analyse zeigt Transmissionswege auf

In der frühen Analyse von 138 Patienten aus Wuhan im Zeitraum vom 1. bis 28. Januar 2020 [7] wurde eine Infektion im Krankenhaus beim Krankenhauspersonal (n = 40, 29% der Fälle) bzw. eine nosokomiale Infektion (n = 17, 12,3%) als wesentlicher Transmissionsweg identifiziert. Die spätere Detailanalyse von 32.583 bestätigten COVID-19-Fällen in China ergab eine Anzahl von 1.496 (4,6%) infizierten Krankenhausmitarbeitern [8].

In der weiteren Analyse hatte die hohe Gesamtzahl infizierter Krankenhausmitarbeiter — n = 3.019, 3,83% bezogen auf die Gesamtzahl der Infektionsfälle (n = 82.623) — einen direkten Einfluss auf die Patientenversorgung und die Gesamtletalität [9]. In diesen Untersuchungen wurde jeweils die Anzahl infizierter Krankenhausmitarbeiter in Relation zur Gesamtzahl der erfassten Infizierten gesetzt, nicht zur Anzahl der beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wie hoch ist das Infektionsrisiko der Krankenhausmitarbeiter?

Nach bestem Wissen stellt diese Untersuchung die erste zeitliche Längsschnittuntersuchung über das Gefährdungspotenzial bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im deutschen Gesundheitswesen dar. Bei Verwendung der gleichen Bezugsgrößen wie in den chinesischen Arbeiten, also erkrankten Mitarbeitern in Bezug zur Gesamtzahl der Erkrankten in einer Region, ergäbe sich für Dachau ein erheblicher Wert von 10,45% (58/555 am 8.4.2020). Die Infektionsrate für die Landkreisbevölkerung lag bei 0,46%. Alle Mitarbeiter, die einen direkten Patientenkontakt hatten, zeigten demgegenüber eine deutlich erhöhte Infektionsrate, die im zweiseitigen Chi2-Test eine signifikante Risikoerhöhung der Pflege gegenüber allen anderen Berufsgruppen erreicht (p < 0,5, Chi2-Wert 6,613).

Am 19. Februar 2020 [10] und 21. Februar 2020 [11] wurde der Nachweis geführt, dass klinisch und radiologisch asymptomatische Personen das Virus übertragen können. Die Viruslast ist dabei nasal höher als pharyngeal und sinkt tendenziell mit zunehmender Erkrankungsdauer [10]. Experimentell erzeugte, Virus-beladene Aerosole ergaben lebendige, infektiöse Viruspartikel während der dreistündigen Experimentdauer. SARS-CoV-2 hatten eine mediane Überlebensdauer von 5,6 Stunden auf Stahl und 6,8 Stunden auf Plastikoberflächen, sehr kleine Virusmengen konnten selbst nach 72 Stunden noch auf diesen Oberflächen nachgewiesen werden [12]. Die Infektion durch Aerosole ist der Hauptübertragungsweg [13].

Vorsichtsmaßnahmen zeigen Wirkung

Bei Einhaltung sämtlicher Hygienemaßnahmen und Etablierung einer Aufnahmeprozedur aus Temperaturmessung, Symptomscreening, Reise- und Sozialanamnese wird aus Singapur eine Null-Prozent-Rate nosokomialer Infektionen nach Behandlung von 147 Verdachtsfällen berichtet [14].

Die Strategie von möglichst umfassender Identifizierung von Infizierten, Isolierung und Nachverfolgung von Kontaktpersonen, rigorosem Screening bis hin zur vollständigen Testung und Einzelzimmerisolierung aller Patienten, die stationär aufgenommen werden, hat trotz steigender Infektionszahlen im Landkreis zu einer Stabilisierung der Zahl hospitalisierter und beatmeter Patienten beigetragen. Die wiederholte konsequente Testung aller COVID-19-negativen Mitarbeiter und das Aufdecken und die Testung von Kontaktpersonen, sei es durch eine App oder anhand von Anamnesebögen, kann in bis zu 25% asymptomatische Träger identifizieren [15]. Im Operationssaal als Hochrisikobetrieb für eine Ansteckung des Krankenhauspersonals sind extensive Maßnahmen zur Selektion von asymptomatische Virusträgern zu fordern [13]. Hierzu wurde von einem internationalen Konsortium eine Pandemie- Chirurgie-Anleitung etabliert und publiziert, die weltweit sowohl jetzt in der COVID-19-Krise als auch bei zukünftig zu erwartenden Pandemien nutzbar ist.

Trotz COVID-19-Positivität von 34,8% (46 von 132 Betten) ist bei Beachtung der Hygienevorschriften und strikter Patientenselektion ein risikoarmes Management des Krankenhausbetriebs bis zu einem gewissen Grad möglich. Allerdings ist aufgrund stiller Träger („silent carrier“) ein COVID-19-freies Klinikum nicht zu erwarten.