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So fröhlich können sie während der CoronaKrise nicht mehr zusammenkommen.

© Michaela Illian (Symbolbild mit Fotomodellen)

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Prof. Dr. rer. medic. Margareta Halek Lehrstuhl für Pflegewissenschaft, Leitung des Departments für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke, Witten

Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungen haben ein hohes Risiko, schwere Verläufe von Covid-19 zu zeigen. Bei ihnen ist die Mortalitätsrate am höchsten [1]. Die Pflegeeinrichtungen stehen vor neuen und großen Herausforderungen, nicht nur weil die Einrichtungen auf die empfohlenen pandemiespezifischen Maßnahmen [2, 3] nicht genügend vorbereitet sind, sondern auch weil sie mit den Folgen von Abschottung, Kontaktbeschränkung, körperlicher Distanz und teilweiser Isolation umgehen müssen. Der Umgang mit Infektionskrankheiten ist in den Altenhilfeeinrichtungen kein Schwerpunkt der Versorgung. In der jetzigen Situation müssen die Einrichtungen, die auf eine Alltagsnormalität für ihre Bewohnern mit größtmöglicher Autonomie und sozialer Teilhabe ausgerichtet sind, Verfahren bzw. Hygienerichtlinien etablieren, die ein hohes Maß an spezieller Kompetenz erfordern.

Umsetzung von Hygienemaßnahmen — die Schutzausrüstung

Zu den notwendigen Aktivitäten in den Pflegeeinrichtungen gehören neben der Bereitstellung von Schutzausrüstung die Schulung aller Mitarbeitern im Umgang mit der Schutzausrüstung und die Einhaltung grundlegender Hygienemaßnahmen. Die Hygienefachbeauftragten müssen gemäß den landesspezifischen Erlassen der einzelnen Bundesländer im Zusammenhang mit COVID-19 einrichtungsspezifische Hygienemaßnahmen umsetzen [4].

Das in allen Empfehlungen geforderte Abstandhalten stellt Pflegende vor Ort vor enorme Schwierigkeiten. Pflege basiert auf dem direkten Körperkontakt und zwischenmenschlicher Interaktion. In den Schulungen müssen Pflegesituationen exemplarisch besprochen und Handlungsempfehlungen für Pflegemaßnahmen konkret formuliert werden, damit die Mitarbeiter in den unterschiedlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Qualifikationen eine Handlungssicherheit erlangen.

Umgang mit Quarantäne, Isolationsregeln und Besuchsverbot

Basierend auf den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts [4] stellte ein Erlass des Landes NRW [5] vom 16. März 2020 zunächst Anforderungen an die Einrichtungen, die kaum mit der Lebenswirklichkeit der Bewohner zu vereinbaren sind und rein epidemiologisch sowie einer Krankenhauslogik folgend geprägt waren. Räumlich getrennte Bereiche sollten von unterschiedlichen Mitarbeiterteams versorgt werden und Bewohner zur Not auch zwangsweise in andere Zimmer umziehen zu lassen.

Unabhängig davon, dass ein solches Vorgehen in Altenhilfeeinrichtungen organisatorisch kaum umzusetzen ist, spielt das Grundverständnis der Pflegeeinrichtungen als Lebensorte eine besondere Rolle. Die Umsetzung diese Regelungen verletzt die Grundrechte der Schwächsten der Gesellschaft und ist ein sehr tiefer Eingriff in die Autonomie und Selbstbestimmung der Menschen (Art. 13 GG). Auch wenn die strikte Trennung der Bewohner die gegenseitige Ansteckung verhindern sollte, hat sie keinen Einfluss auf die Ansteckungsgefahr, welche vom Pflegepersonal selbst ausgeht. Dieses stellt als Wandler zwischen Innen- und Außenwelt das größte Virenübertragungsrisiko dar.

Social distancing ist für Menschen mit Demenz besonders belastend

Die Abschottung nach Außen und die Trennung nach innen wird nicht spurlos an den Bewohnern vorbeigehen. Soziale Isolation, Kontaktabnahme, Langeweile und Einsamkeit können negative Folgen für das Wohlbefinden haben und gelten ihrerseits als Risikofaktoren für eine erhöhte Mortalität [6]. Besonders vulnerabel sind Menschen mit Demenz, die ca. 50% der Bewohner in stationären Einrichtungen ausmachen [7]. Häufig sind sie nicht mehr in der Lage, die Situation zu verstehen. Ein sozialer und damit auch emotionaler Zugang stellt meist die einzig vorhandene Ressource für Kommunikation dar und ist von enormer Bedeutung für die Lebensqualität [8, 9].

Die Besuchsverbote und Einschränkungen von Kontakten innerhalb der Einrichtungen führen zur Veränderung gewohnter Rituale. Zu nennen sind z. B. das gemeinsame Essen, Gruppenaktivitäten oder alltägliche Gesprächsrunden. Die fehlenden Familienbesuche können Gefühle der Vereinsamung und des Alleingelassendseins hervorrufen. Mundschutz, Schutzkittel und Handschuhe erzeugen Fremdheit, Distanz und Bedrohung.

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Abschied nehmen von einem Sterbenden — das muss auch während der Corona-Pandemie möglich sein.

© Photographee.eu / Fotolia.com

Die fehlende Sicht auf die Mimik des Pflegenden erschwert das Verstehen der Sprache und das Erkennen von Emotionen, was besonders bedeutsam für die Interaktion mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Schwerhörigkeit ist. Rückzug und Deprivation können Folgen für die Menschen — insbesondere solche mit Demenz — sein.

Die Komplexität der Situation ist groß: einerseits der möglichst sichere Schutz vor Infektionen und damit auch der Schutz des Lebens, abdererseits die Gewährleistung eines selbstbestimmten Lebens und einer guten Lebensqualität. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von zwischen 9,6 [10] und 27 Monaten [11] fehlt den Bewohnern die Zeit, die Situation auszusitzen und auf bessere Zeiten zu hoffen.

Was können die Verantwortlichen der Einrichtungen tun?

Es gilt, die Ansteckungsrisiken zu minimieren und gleichzeitig das Leben der Bewohner weiterhin so normal wie möglich zu halten. Auch in der Krisenzeit darf die Selbst- und Mitbestimmung der Pflegeheimbewohner nicht unter die Räder kommen.

  1. 1.

    Frühzeitiger Kontakt mit Gesundheitsämtern, Kommunen und behandelnden Ärzten ist wichtig. Entsprechend den jeweiligen Regelungen sind individuelle Lösungen zu suchen, weil es nicht die eine Lösung für alle geben kann. Die Einrichtungsausstattung hat Einfluss auf die Umsetzung der Pandemiekonzepte.

  2. 2.

    Essenziell ist das Gespräch mit den Angehörigen, Betreuern und Heimbeiräten. Sie brauchen genaue Informationen, wie es mit ihren Angehörigen weitergeht. Die unterschiedlichen Interessen müssen angesprochen werden, wenn Lösungen von allen akzeptiert werden sollen. Dazu gehört auch, dass die Mitarbeiter frühzeitig informiert werden müssen.

  3. 3.

    Eine Verkleinerung der Organisationseinheiten ist sinnvoll. Mitarbeiter sollten nicht in unterschiedlichen Wohnbereichen eingesetzt werden. Die Infektionsübertragung kann damit zwar nicht verhindert, aber durchaus begrenzt werden. Symptomkontrollen bei allen ist für eine frühe Identifikation von Verdachtsfällen unerlässlich. Eine Überprüfung der Immunität der Mitarbeitern würde den zielgruppenspezifischen Einsatz erleichtern.

  4. 4.

    Ungeklärt bleibt die Situation für beschützte Bereiche (Unterbringungsbeschluss). Die Teams müssen individuelle Lösungsansätze entwickeln. Abzuwägen ist, wie groß das Risiko ist, die Einrichtung unbeaufsichtigt zu verlassen und sich damit potenziellen Gefahren auszusetzen — auch der Gefahr der Infektion. Ähnliche Überlegungen und Sonderregelungen sollten für die Demenzbereiche gelten.

  5. 5.

    Die Einrichtungen müssen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden über eine Öffnung der Einrichtungen für die Familien nachdenken und Konzepte entwickeln. Es muss geprüft werden, ob Angehörige mit Schutzausrüstung ihre Lieben z. B. nach draußen begleiten dürfen. Die konsequente Isolation der stationären Einrichtungen mag als erste Reaktion auf die akute Phase richtig gewesen sein, für einen längeren Zeitraum ist es aus psychosozialen und ethischen Gründen nicht durchzuhalten.

  6. 6.

    Bewohnern mit einem Risiko für soziale Deprivation müssen erkannt und individuelle Maßnahmen eingeleitet werden. Kreatives Denken outside the box ist notwendig, und Einzellösungen werden benötigt: z. B. tägliche Videokonferenzen oder das Streamen von Gottesdiensten. Die Betreuungskräfte müssen ihre Aktivitäten umdisponieren.

Pflege von Bewohnern, die Symptome von COVID-19 zeigen

Aktuell werden Entscheidungen über den Verbleib von Bewohnern hauptsächlich vor dem Hintergrund der Infektionsrisikobewertung durch Gesundheitsämter getroffen. Perspektivisch muss das Wohl des Individuums gleichwertig behandelt werden.

Um erkrankte Bewohner gut pflegen zu können, müssen, neben der Möglichkeit der Isolation, bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, u. a.

  • interdisziplinäre Teams, die gemeinsam die medizinischen und pflegerischen Maßnahmen planen,

  • der Einsatz von spezialisiertem Pflegefachpersonal (Advanced Nursing Practitioner [ANP]),

  • die verlässliche Ansprache der Hausärzte,

  • die Bereitstellung von notwendigen Hilfsmitteln (Sauerstoff) und

  • die enge Zusammenarbeit mit Palliativfachkräften oder -Teams.

Für schwierige, existenzielle Entscheidungen sollten die Patientenverfügungen und ethische Fallbesprechungen berücksichtigt werden. In der Sterbephase sollten die Menschen nie allein sein. Der Abschied ist für den Sterbenden und die Familie sehr wichtig. Ist er nicht möglich, kann dies traumatische Folgen haben. Die Einrichtung muss eine Möglichkeit für einen würdigen Abschied schaffen, z. B. durch die Bereitstellung eines Sterbezimmers mit einem sicheren, geschützten Zugang für Angehörige.

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Die Angehörigen wenigstens durch Videotelefonie sehen zu können, kann deutliche Erleichterungen für isolierte Senioren bringen.

© Fotolyse / Fotolia (Symbolbild mit Fotomodell)

Die Herausforderungen der Corona-Pandemie verstärken die Diskussionen um zwingend anstehende Veränderungen der Gesundheitspolitik im Bereich der Altenhilfe. Die Versorgungslücken oder -schwächen, die durch die starke Segmentierung und Ökonomisierung des Systems entstehen, werden offensichtlicher. Sowohl die Quantität als auch die Qualität des Pflegepersonals sind Schlüsselelemente im Umgang mit der Pandemie. Die individuelle, kreative und reflektierte Umsetzung der diversen relevanten Handlungsempfehlungen erfordert auch den Einsatz akademisch ausgebildeter Pflegeexperten, die nachhaltig komplexe Pflegeprozesse steuern.