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Prof. em. Dr. med. Dr. h. c. D. Reinhardt Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Haunerschen Kinderspital, München

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Asymptomatisch — aber infiziert?

© picture alliance / abaca

Zu Beginn der Coronavirus-Epidemie in China wurde angenommen, dass Kinder möglicherweise resistent gegenüber dem neuen Virus sind, weshalb auch nur wenige Kinder den Behörden gemeldet wurden. So hatte das Chinese Center for Disease Control and Prevention bis März 2020 zwar insgesamt 77.314 infizierte Personen erfasst — der Anteil der Kinder lag jedoch bei weniger als 1%.

Ein anderes Bild ergaben Haushaltkontaktstudien, bei denen die Patienten durch den direkten Erregernachweis im Nasen- oder Rachensekret evaluiert wurden. Hier konnte bei Kindern im mittleren Alter von 6,7 Jahren eine Infektionsrate von 10,3% nachgewiesen werden. Diese lag noch über jener von 7,9% bei Erwachsenen [1]. Auch die führenden Symptome entsprachen in der bisher ausschließlich chinesischen Literatur denen bei Erwachsenen. Die Auftrittsraten schwanken je nach Studie und liegen für Fieber zwischen 11% und 49%, für Husten zwischen 19% und 65%, für Pharyngitis und Rhinitis zwischen 8% und 40% und für seltenere Manifestationen wie Kopf- und Bauchschmerzen oder Abgeschlagenheit zwischen 4% und 10%. Die Symptome waren jedoch wesentlich weniger stark ausgeprägt als bei Erwachsenen, und bei etwa 20% verlief die Infektion sogar völlig inapparent [2].

Schwere Verläufe sind außerordentlich selten. In der Literatur wurden bisher weniger als 15 Kinder unter sechs Jahren beschrieben, die während der chinesischen Epidemie wegen COVID-19 intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Zwei davon mussten beatmet werden, zwei mit kardialen Grunderkrankungen verstarben. Aus anderen schwer betroffenen Ländern wie Spanien, Italien und den USA werden ebenfalls nur Einzelfälle von schweren Erkrankungen oder gar Todesfälle berichtet [2].

Das Lungen-CT zeigt auch bei Kindern mit leichtem oder inapparentem Verlauf charakteristische Veränderungen. In einer Studie mit 20 nachweislich infizierten Kindern hatten 16 Patienten radiologische Veränderungen im CT [3]. Ein- oder beidseitige milchglasartige Verschattungen zeigten sich bei 12 Kindern, diskrete Infiltrate bei 4, Konsolidierungen bei 10 und eine vermehrte noduläre Zeichnung bei 3.

MMW-Kommentar

Kinder, aber auch Jugendliche stecken sich unter Kontaktpersonen genauso häufig an wie ältere Menschen. Die Infektionen verlaufen jedoch in der Regel wesentlich weniger schwer. Auch bei auffälligen radiologischen Befunden können sie asymptomatisch sein. Dies ist umso unverständlicher, als Kinder wesentlich empfänglicher gegenüber viralen Infektionen sind. Im Vorschul- und Schulalter machen sie im Winterhalbjahr zuweilen 4–6 oder mehr virale Atemwegsinfekte durch. Folgende Erklärungen werden diskutiert:

  • Während der Quarantäne in China wurden Kinder möglicherweise zuletzt infiziert. Die Passagen durch mehrere Personen könnten das Virus vorher abgeschwächt haben. Wie die Infektionswege genau verlaufen, müssen weitere Studien zeigen. Nach Wiedereröffnung der Kitas werden sicher schon bald weitere Daten vorliegen.

  • Das naive kindliche Immunsystem könnte durch SARS-CoV-2 stärker aktiviert werden als das erworbene Immunsystem von Erwachsenen. Über solche antiviralen Wirkeffekte wird im Zusammenhang mit einem neuen Tuberkulose-Impfstoff (VPM1002) berichtet. Seine Effizienz gegenüber SARS-CoV-2 wird momentan in Studien untersucht.

  • Bei Kindern könnte der ACE2-Rezeptor, das „Einfallstor“ zur Zelle für das Coronavirus, noch nicht voll entwickelt sein. Die Herstellung von löslichen ACE2-Rezeptoren, die das Virus binden, und die Synthese von ACE2-Rezeptor-Antagonisten könnten auch Ansätze für die COVID-19-Therapie sein.

Unabhängig davon, wann welcher Impfstoff oder welches Arzneimittel auf den Markt kommt, wären epidemiologische und immunologische Studien an Kindern unter Beachtung strenger ethischer Richtlinien sinnvoll. Sie könnten Ergebnisse darüber liefern, wie Kinder mit SARS-CoV-2 zurechtkommen, um neue therapeutische Ansätze zu generieren.