figure 1

© Benjamin Beytekin / picture alliance

figure 2

Prof. Dr. med. Klaus Weckbecker Institut für Allgemeinmedizin (ifam) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

figure 3

Dr. med. Johannes Just Institut für Allgemeinmedizin (ifam) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) hat am 20.3.2020 die Leitlinie „Neues Coronavirus — Informationen für die hausärztliche Praxis“ veröffentlicht. Die Leitlinie enthält nicht nur eine S1-Handlungsempfehlung für Hausärzte, sondern auch die für die Praxis besonders wichtige Patienteninformation, eine Anleitung zur Durchführung eines Nasopharynx-Abtstriches durch den Patienten und Empfehlungen zur häuslichen Isolierung. Aufgrund der rasanten Entwicklungen werden alle Dokumente zeitnah aktualisiert (www.degam.de).

Coronaviren, abgekürzt CoV, sind eine Unterfamilie von RNA-Viren. Coronaviren können die Art des Wirtes wechseln. Sowohl Tier-zu-Mensch- als auch Mensch-zu-Mensch-Übertragungen sind möglich. Einige Spezies zirkulieren seit Jahrhunderten in der menschlichen Population und lösen nur milde Beschwerden aus. Andere Spezies wie Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV, 2012) oder das Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus (SARS-CoV, 2002) verursachen lebensgefährliche Atemwegerkrankungen mit hoher Mortalität. Diese Ausbrüche konnten bisher wahrscheinlich aufgrund ihrer niedrigeren Kontagiosität glücklicherweise eingedämmt werden.

Im Dezember 2019 wurden in China vermehrt Pneumonien unklarer Ursache beobachtet. Die zuerst betroffen Patienten hatten sich alle auf einem Markt aufgehalten, auf dem lebende Tiere gehandelt wurden. Die Diagnostik isolierte ein bisher noch nicht beschriebenes Coronavirus, welches im Februar den Namen Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) erhielt. Die durch diesen Erreger ausgelöste Erkrankung wird als Corona Virus Disease 2019 (COVID-19) bezeichnet und verbreitet sich zur Zeit pandemisch.

Übertragung

Die Übertragung erfolgt hauptsächlich als Tröpfcheninfektion. Trotzdem sind auch Schmierinfektion ein möglicher Übertragungsweg, weshalb in der Hausarztpraxis die Händedesinfektion und die Desinfektion von Oberflächen jetzt konsequent durchgeführt werden sollten. Aus dem Übertragungsweg Tröpfcheninfektion ergeben sich die aktuell eingeleiteten Präventionsmaßnahmen. Alle haben das Ziel, die Wahrscheinlichkeit einer Tröpfcheninfektion zu vermindern. Ohne Präventionsmaßnahmen überträgt jeder mit SARS-CoV-2 infizierte Patient den Erreger auf zwei bis drei Personen, was zu einem exponentiellen Anstieg der Infizierten führt. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Ausbreitung nur gestoppt werden kann, wenn 2/3 der Übertragungen verhindert werden. Die wahrscheinlich wirksamste Maßnahme zur Ausbreitungsbegrenzung ist die soziale Distanzierung.

figure 4

Coronaviren. Ein mit SARS-CoV-2 infizierter Patient steckt im Schnitt zwei bis drei weitere Personen an.

© DR LINDA STANNARD, UCT / SCIENCE PHOTO LIBRARY

Klinik und Verlauf

Es gibt keine typische COVID-19-Klinik. Die häufigsten in China beobachteten Symptome sind Fieber, Husten und Atemnot. Die noch begrenzten Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass Menschen mit COVID-19 auch häufig über Schnupfen, Kopf- und Halsschmerzen klagen. Auch von Geruchs- und Geschmacksstörungen wurde im Rahmen einer Befragung von Patienten im Kreis Heinsberg berichtet. Insgesamt ist die Klinik nicht spezifisch.

Auch die Verläufe sind sehr variabel. Das Risiko für schwere Verläufe steigt ab einem Alter von 50 Jahren sowie bei Komorbiditäten an. Aber auch Raucher haben ein höheres Risiko für schwere Verläufe. Wichtig ist, dass dies lediglich Risikofaktoren sind. Trotzdem können einzelne jüngere Patienten ohne Risikofaktoren schwere Verläufe erleiden und andererseits alte, vorerkrankte Patienten symptomarm bleiben. Lediglich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten schwerer Verläufe ist bei jüngeren Patienten niedriger.

Inkubationszeit und Manifestationsindex

Nach Infektion treten die — wie oben beschriebenen oft unspezifischen Beschwerden — im Mittel nach fünf bis sechs Tagen auf, bei einer erneut großen Varianz von 1–14 Tagen (Inkubationszeit).

Aber nicht alle Infizierten bekommen überhaupt Beschwerden. Aktuell geht man aufgrund der begrenzten Studiendaten von einem Manifestationsindex zwischen 50% und 80% aus. Das bedeutet, dass 20–50% der Infizierten eine Infektion im Zweifel gar nicht bemerken.

Letalität

Aussagen zur Letalität von COVID-19 sind schwierig. Nicht nur die Krankheit selbst, sondern z. B. auch die Anzahl der Erkrankten und die damit verbundene Belastung des Gesundheitssystems bestimmen die Letalität. Definiert ist die Letalität als die Anzahl der Verstorbenen im Verhältnis zu der Anzahl der tatsächlich Infizierten. Genau diese Zahl der tatsächlich Infizierten ist aber nicht bekannt. In dieser Situation behilft man sich mit dem Fall-Verstorbenen-Anteil, der den Anteil der Verstorbenen im Verhältnis zu den gemeldeten Fällen wiedergibt. Er liegt je nach Studie bei 0,8% bis 7,7% und damit deutlich höher als bei der Influenza.

Aktuell beeinflusst die Verfügbarkeit der Diagnostik diese Statistik. Bei guter Verfügbarkeit werden auch Infektionen mit geringer Symptomatik entdeckt. Diese führen aber seltener zum Tode. Bei geringer Verfügbarkeit dagegen fokussiert sich die Diagnostik auf Schwerkranke, die jedoch wieder ein höheres Risiko haben zu versterben. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Angaben aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Gesundheitssystemen stark variieren. In jedem Fall muss der Hausarzt aber auf Grund aller bisher verfügbaren Zahlen davon ausgehen, dass COVID-19 zu einem erheblichen Anteil schwer und auch tödlich verläuft.

Wer soll getestet werden?

Die Leitlinie folgt der Systematik des RKI (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Massnahmen_Verdachtsfall_Infografik_Tab.html) (Abb. 1). Diese werden ständig der Lage angepasst. Unterschieden werden „Begründete Verdachtsfälle“ und „Differenzialdiagnostische Abklärung“.

Abb. 1
figure 5

Abklärung von COVID-19-Verdachtsfällen

Begründete Verdachtsfälle sind Patienten mit Beschwerden und direktem Kontakt zu einem Patienten mit COVID-19 oder mit klinischem Verdacht auf eine Pneumonie in Zusammenhang mit einer Häufung von Pneumonien in einer Pflegeeinrichtung. Aufenthalt in einem Risikogebiet ist kein Kriterium mehr. „Begründete Verdachtsfälle“ müssen dem Gesundheitsamt schon bei Verdacht gemeldet werden. Zusätzlich kann der Hausarzt auch Abstriche auf SARS-CoV-2 initieren, wenn er auf eine solche Infektion in der „Differenzialdiagnostischen Abklärung“ untersuchen will. Hierzu zählen nach der aktuellen Empfehlung auch Menschen mit akuten respiratorischen Symptome jeder Schwere ohne Kontakt zu bestätigtem COVID-19-Fall, aber in Tätigkeit in Pflege, Arztpraxis oder Krankenhaus oder Menschen, die der Risikogruppe zugehören.

Bei respiratorischen Symptomen ohne Tätigkeit im Gesundheitswesen oder Zugehörigkeit zur Risikogruppe empfiehlt das RKI Diagnostik nur bei hinreichender Testkapazität.

Welche Diagnostik wird wie durchgeführt?

Aktuell ist der einzige sinnvolle diagnostische Schritt die PCR-Untersuchung aus dem Nasopharynx-Abstrich. Dieser Abstrich sollte so erfolgen, dass weder Praxismitarbeiter noch andere Hausarztpatienten gefährdet werden. Ein wichtiger diagnostischer Baustein ist hierbei der durch den Patienten in Eigenregie durchgeführte Abstrich. Hierfür ist keine Schutzkleidung erforderlich. Die Leitlinie umfasst auch eine bebilderte Anleitung, die dem Patienten zusammen mit dem Abstrichtupfer zur Verfügung gestellt werden kann. Der Selbstabstrich kann am Wohnort des Patienten oder etwa in dessen PKW durchgeführt werden.

Nur wenn dies nicht möglich ist, sollte der Abstrich — nach telefonischer Terminabsprache — mit entsprechenden Schutzmaßnahmen in der Praxis durchgeführt werden.

figure 6

© Benjamin Beytekin / picture alliance

Die richtige Maske

Durch Mundschutzmasken soll die Übertragung von Mensch-zu-Mensch verhindert werden. Während FFP2- und FFP3-Masken die Luft bei der Einatmung sehr effektiv filtern, vermindern normale OP-Masken die Verbreitung von Speicheltropfen beim Ausatmen und Sprechen und schützen somit die Umwelt teilweise vor den Pathogenen des Trägers.

Daher sollten Patienten mit V. a. COVID-19 direkt bei Betreten der Praxis normale OP-Masken anziehen und so das Praxispersonal schützen. Beim Abstrich durch Praxispersonal ist dagegen zusätzlich zur Schutzkleidung und Schutzbrille eine FFP2-Maske indiziert, da diese die Luft bei Inspiration effektiver filtert und Infektionen vermeidet. Die Leitlinie weist ausdrücklich darauf hin, dass der Kontakt mit einem Patienten mit COVID-19 in der Praxis kein „enger“ Kontakt ist und die Praxismitarbeiter nach einem solchen Kontakt nicht in Quarantäne müssen. Auch eine Diagnostik ist bei solch kurzen Kontakten unter Einhaltung der Hygieneregeln nicht indiziert, wenngleich das letzte Wort hier das Gesundheitsamt hat.

Einige Praxen nutzen bereits standardmäßig einen selbstgenähten, waschbaren Mund-Nasen-Schutz. Dieser kann von jedem Mitarbeiter getragen werden, sobald eine Distanz von 2 m zu „normalen Patienten“ und Kollegen unterschritten wird. Hierduch kann das Infektionsrisiko von Risikopatienten und Kollegen reduziert werden. Eine Näh- und Hygieneanleiung findet sich unter: Mund-Nasen-Schutz selbst herstellen (siehe Randspalte links).

figure 7

Muss ein Abstrich in der Praxis vorgenommen werden, muss das Praxispersonal besonders geschützt werden.

© Roberto Pfeil / dpa / picture alliance (Symbolbild mit Fotomodell)

Therapie

Eine kausale Therapie von COVID-19 existiert nicht. Der Hausarzt sollte eine durch SARS-CoV-2-Infektion verursachte Pneumonie frühzeitig erkennen und sich unabhängig von der PCR-Diagnostik klinisch leiten lassen. Schwerkranke wird der Hausarzt daher auch ohne vorherige Testung einweisen. Hier wird nochmals auf den CRB-65-Index hingewiesen (Tab. 1). Nicht schwer Erkrankte dagegen sollten ambulant weiterbehandelt werden, auch um eine unnötige Belastung der Krankenhäuser zu vermeiden. Hier kommt dem Hausarzt eine besondere Rolle zu. Durch seinen Einsatz in der häuslichen Betreuung, z. B. durch tägliche Telefonate, kann er helfen, Patienten und Krankenhäusern unnötige Einweisungen zu ersparen.

Bei schweren Verläufen hilft die vorherige Absprache mit dem Krankenhaus dabei, einen optimalen und infektionssicheren Weg ins Krankenhausbett zu ermöglichen. Hierzu kann es hilfreich sein, für COVID-19-Erkrankte auch eine Erreichbarkeit am Wochenende sicher zu stellen. Im Mittel entwickelten Patienten mit schweren Verläufen Dyspnoe nach 5 Tagen und ein ARDS 8 Tage nach Symptombeginn. Daher sollte der Hausarzt gerade bei Patienten, die bereits einige Tage erkrankt sind, besonders aufmerksam auf Symptome wie Dyspnoe achten. Dabei kann der Verlauf in den ersten Tagen durchaus noch minimalsymptomatisch sein und sich dann schnell verschlechtern.

Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass gerade ältere Patienten mit Komorbiditäten schwere Verläufe erleiden. Diese leben in Deutschland nicht nur, aber häufig in stationären Pflegeeinrichtungen. Gerade hier sollte daher auf strenge Einhaltung der Hygienevorgaben geachtet werden. Grundsätzlich könnte der Hausarzt die Situation jetzt angesichts der Epidemie nutzen, um mit den Patienten, den Angehörigen und den Bevollmächtigten das Gespräch zu suchen. Es gilt im wahrsten Sinne des Wortes „Behandlung im Voraus zu planen“. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um mit den Patienten und den Bevollmächtigten in Ruhe zu besprechen, welche Behandlung im Sinne des Patienten ist, wenn es zu einer akuten Verschlechterung kommt und der Patient selbst sich nicht mehr äußern kann.

Häusliche Isolierung: Was bedeutet dies?

Die Leitlinie enthält auch eine umfassende Handlungsempfehlung zur häuslichen Isolierung (siehe Kasten auf Seite 17). Die Empfehlungen sind sehr weitreichend und werden in der Praxis schwer umsetzbar sein. Hier muss der Hausarzt beraten und unterstützen, um eine Weitergabe der Infektion einzugrenzen.