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Prof. Dr. med. Johannes R. Bogner

_ Krankheitserreger kann man benennen nach dem Entdecker, nach der charakteristischen Krankheit oder aber auch nach ihrem charakteristischen Aussehen. Im Fall der Coronaviren ist Letzteres zur Anwendung gekommen, wobei die Vielfalt dieser Viren und ihre Wandlungsfähigkeit dazu geführt haben, dass bei neuen Varianten eine Art Vorname hinzugefügt wird. So haben wir nun zu Beginn der 2020er-Jahre quasi als Reminiszenz an das alte Jahrzehnt einen Erreger mit dem vorläufigen Namen 2019-nCoV, der einerseits zu Schreckensszenarien und andererseits zu Kritik an Quarantäne- und Reisebeschränkungsmaßnahmen geführt hat.

Hohe Mutationsraten und geringe Wirtsspezifität

Sowohl über den Erreger als auch über die von ihm verursachte Erkrankung ist bereits einiges bekannt: Coronaviren sind RNA-Viren mit einer Hülle, aus der Hüllenproteine herausragen, die für das charakteristische kranzartige Aussehen sorgen. Wichtig ist, dass eine nicht besonders präzise arbeitende RNA-Polymerase dazu führt, dass das Virus leicht mutieren kann. Ebenso ist von Bedeutung, dass eine sehr niedrige Speziesspezifität besteht, was den Übergang von Wirbeltieren unterschiedlicher Gattungen erklärt.

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Geht bald nichts mehr ohne Mundschutz?

© Miguel Candela / ZUMAPRESS.com / picture alliance (Symbolbild mit Fotomodellen)

Die Beobachtung der letzten Jahrzehnte hat immer wieder gezeigt, dass für den Wechsel der Pathogenität eines viralen Erregers meist der Wechsel des Wirts eine entscheidende Rolle spielt. Dies war jedenfalls die Beobachtung bei dem von Fledermäusen ausgehenden SARS-Coronavirus und der davon ausgelösten Pandemie in den Jahren 2002–2004 sowie auch bei dem MERS-Coronavirus mit dem Übergang von Kamelen auf den Menschen.

Erreger vom Nassmarkt?

Auch bei 2019-nCoV ist es wahrscheinlich, dass ein zoonotischer Ursprung besteht, der allerdings noch nicht aufgeklärt ist. Als mögliches Reservoir gelten auch hier Fledermäuse. Allerdings wird bei der Erstbeschreibung darauf hingewiesen, dass der Besuch sogenannter „wet-markets“ eine Gemeinsamkeit der ersten Betroffenen war [1]. Wet-markets sind Lebensmittelmärkte, auf denen noch lebende oder kurz vor dem Handel geschlachtete Nutztiere verkauft werden. Dazu gehört ein vielfältiges Angebot, das von Fisch über Reptilien, Meeresfrüchte bis hin zu Geflügel und Schweinen reicht. Denkbar wäre einerseits der Übergang eines Virus von Kleinnagern auf die gehandelten Waren, andererseits könnte es sich auch hier um ein Virus handeln, das von Fledermäusen ausgeht.

Übertragung von Mensch zu Mensch

Während zunächst an der Übertragung zwischen Menschen gezweifelt wurde, stellte es sich auch hier heraus, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich ist. Die Infektiosität ist vermutlich geringer als bei anderen über Aerosole übertragenen respiratorischen Viren, jedoch mit einer Rate von 2–3 Folgefällen pro infiziertem Patienten durchaus ausreichend, um epidemische oder gar pandemische Ausmaße anzunehmen. Ein energisches Gegensteuern kann also nicht als Überreaktion gedeutet werden.

Bisherige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Lungen-Epithelzellen über den humanen Angiotensin-Converting-Enzyme-Rezeptor 2 (hACE2) infiziert werden [2]. Damit eine Infektion des unteren Respirationstraktes zustande kommt, sind Aerosole mit kleinen, fein zerstäubten Teilchengrößen erforderlich. Eine Infektion des oberen Respirationstraktes mit Weiterleitung in die Lunge ist jedoch auch eine Möglichkeit.

Nimmt die Infektiosität im Verlauf zu?

In der Fachwelt wird bereits diskutiert, ob die Affinität an den Rezeptor sich durch mehrere Passagen im Menschen im Sinne einer höheren Infektiosität verändern wird. Dies würde dann auch zu einer Zunahme der Fallzahlen führen, die von einem einzelnen Infizierten ausgehen.

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Modell eines Coronavirus.

© Naeblys / Getty images / iStock

Klinische Manifestation der Erkrankung

Ärzte des chinesischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben mit einer eiligen Kurzmitteilung im New England Journal of Medicine über die ersten 3 infizierten Patienten in Wuhan berichtet [1]. Darüber hinaus werden laufend medizinische Details über die Symptomatik und den Verlauf bekannt [3]. Zusammenfassend stellt sich die Krankheit wie eine Pneumonie dar, die wenige Tage nach der Exposition mit hohem Fieber und trockenem Husten beginnt.

Die 3 ersten Patienten wurden am 27. Dezember 2019 in die Klinik aufgenommen. Patientin 1, eine 49-jährige Frau, hatte Husten und Brustschmerzen seit dem 23. Dezember. Von Beruf ist sie Verkäuferin in einem Geschäft für Meeresfrüchte. Patient 2 war ein 61-jähriger Mann, der seit dem 20. Dezember über Fieber und Husten klagte. Er hatte sich häufiger in diesem Geschäft für Meeresfrüchte als Kunde befunden. Seine Erkrankung verschlechterte sich innerhalb von zwei Tagen zur Beatmungspflicht. Er verstarb am 9. Januar 2020. Bei Patient 3 handelt es sich um einen 32-jährigen Mann, der ebenso wie Patientin 1 überlebte und wieder gesund wurde.

Diagnostik und Virusquantifizierung

Zhu und Kollegen berichten über die Diagnostik und Virusquantifizierung in bronchoalveolären Lavage. Beispielsweise wurden 20.000 RNA-Kopien des neuen Virus entdeckt. Elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigten variable Virus-Durchmesser zwischen 60 und 140 nm. Der zytostatische Effekt konnte an Lungen-Epithelzellkulturen nach Inokulation mit 2019-nCoV gezeigt werden. Die Genom-Sequenz des neuen Virus wurde zu anderen bekannten Coronaviren in Beziehung gesetzt. Damit ist ein hoher Verwandtschaftsgrad mit Coronaviren aus Fledermäusen, aber auch mit SARS-CoV gezeigt. Die Autoren weisen darauf hin, dass durch ihre Arbeiten die Kochschen Postulate einer Ursachen-Wirkungs-Beziehung zwischen Erreger und Wirt als erfüllt anzusehen sind.

Radiologische Befunde

Die von Zhu und Kollegen gezeigten radiologischen Veränderungen zeigen broncho-pneumonische bis hin zu ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome)-artigen Bilder. Auf den gezeigten Abbildungen handelt es sich um eine bilaterale diffuse Anordnung der Infiltrate. Allerdings ist noch völlig unklar, wie leichtere Krankheitsverläufe aussehen. Davon wird unter anderem abhängen, ob Infizierte mit minderen Symptomen an der raschen Weiterverbreitung der Erkrankung beteiligt sein werden.

Wie schlimm wird es werden?

Über die wichtigen Parameter Ansteckungsfähigkeit, Ansteckungsdauer, Inkubationszeit und „case fatality rate“ ist aktuell noch zu wenig bekannt, um belastbare Prognosen aufzustellen. Der Blick zurück zeigt, dass für SARS-CoV die Case-Fatality-Rate bei 9,5% lag und dass 58% der Fälle Resultat einer nosokomialen Übertragung waren. Demgegenüber lag bei MERS-CoV die Case- Fatality-Rate bei 34%, und 70% der Fälle erfolgten durch nosokomiale Übertragung [4]. Einen weiteren Faktor stellen sogenannte „Superspreader“ dar, d. h. infizierte Personen, von denen überdurchschnittlich viele weitere Infektionen ausgehen.

Am 27. 1. 2020 teilten die europäischen Centers for Disease Control (ECDC) mit, dass die aktuelle Fallzahl weltweit bei 2.820 liegt und dass erste Fälle außerhalb Chinas berichtet wurden. Alle 81 Todesfälle haben sich in China ereignet und 8 weitere asiatische Länder sind betroffen. Erste Fälle sind auch außerhalb Asiens bestätigt worden: Australien, Frankreich und USA. Auch in Deutschland wurden schon die ersten Fälle diagnostiziert (Stand 30.1.2020). Dies war schon deshalb zu erwarten, da in Deutschland lebende Chinesen, die aus Anlass des chinesischen Neujahrsfestes ihre Heimat besucht haben, nach Deutschland zurückreisen.

Was tun bei Verdacht?

Bei Symptomen einer schweren respiratorischen Erkrankung, die einer Influenza oder einer Pneumonie ähnelt, sollten wir also unbedingt nach der Exposition fragen. Und die Frage beschränkt sich nicht auf „Waren Sie in China?“, sondern muss differenzierter und breiter angelegt gestellt werden: Es sollte nach Reisen in Massentransportmitteln inklusive Flugzeugen und Zügen gefragt werden und nach Exposition gegenüber anderen Personen mit Husten oder respiratorischen Symptomen. Insbesondere bei Patienten mit positiver Reiseanamnese „China“ ist an den Test für 2019-nCoV zu denken. Bevor ein Patient in eine Notaufnahme oder Klinik gesandt wird, ist eine Aufklärung über das verantwortungsbewusste Verhalten und das vorsorgliche Tragen eines Mundschutzes nötig. Eine Konzentration von leicht Erkrankten an Orten mit hoher Übertragungsmöglichkeit (Klinikambulanzen) ist natürlich zu vermeiden. Virologische Labors werden demnächst den Test anbieten können, in begründeten Einzelfällen ist über Speziallabors auch jetzt schon eine Testung möglich.