Keine Frage: Der Typ-2-Diabetes ist mit einer Reihe von Folgeschäden assoziiert. Doch lassen sich diese auch durch eine strenge Stoffwechseleinstellung oft nur unzureichend verhindern. Brauchen wir deshalb neue Konzepte zur Pathogenese der Diabetes-Folgeerkrankungen und auch neue Wege in der Therapie?
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_ „Ein hoher Blutzucker ist dann als schädlich anzusehen, wenn die Blutzuckersenkung alle diabetischen Folgeschäden verhindern kann“, sagte Prof. Peter Nawroth von der Medizinischen Universitätsklinik in Heidelberg. Doch dies sei keinesfalls wissenschaftlich bewiesen. Die Daten der Diabetes Control and Complications Research Group zeigten bei der Primär- und Sekundärprävention der Albuminurie nur einen sehr geringen Effekt einer strengen Blutzuckereinstellung [1]. Dabei sei die Normalisierung der Nierenfunktion für das Überleben wichtiger als eine strenge Glukosekontrolle. Bei der Retinopathie habe man errechnet, dass der HbA1c-Wert und die Diabetesdauer nur zu 11% beteiligt seien [2]. Und auch in der UKPD-Studie sei die Effizienz bzgl. der Verhinderung von Spätschäden sehr gering gewesen.
HbA1c nicht über 8,5%
Diese Daten sprechen, so Nawroth, dafür, dass bei der Manifestation der Diabetes-Spätschäden noch andere Pathomechanismen als erhöhte Blutzuckerwerte beteiligt sind. Ergebnisse, z. B. der ACCORD-Studie, zeigten dann auch, dass eine zu strenge Stoffwechselkontrolle sogar mit einer Übersterblichkeit einhergeht. Ähnlich sind die Ergebnisse von Registerstudien [3].
„Doch die Studien lassen auch keinen Zweifel daran, dass ein HbA1c-Wert über 8,5 mit einem erhöhten Risiko für Folgeschäden verbunden ist“, so Nawroth. Daher gebe es kein Argument für eine schlechte, aber auch kein Argument für eine normnahe Blutzuckereinstellung. Die einzige Komplikation, die zu hundert Prozent durch eine Blutzuckersenkung verhindert werden könne, sei das diabetische Koma. Ein optimaler HbA1c-Wert bedeute noch lange keine Normalisierung des Risikos im Hinblick auf Folgeschäden.
Diabetes ist mehr als Blutzucker
„Die Diabetologie hat durch die allzu starke Fokussierung auf einen im Blut messbaren Parameter, nämlich die Glukose, Schaden genommen“, so Nawroth. Die Diabetologen hätten sich zur MTA des Laborarztes degradieren lassen. Der Diabetes sei aber nicht durch Blutanalysen, sondern nur durch das Erkennen der intrazellulären Veränderungen zu verstehen. Das ausschließliche Konzentrieren auf einen Surrogatparameter sei eine Fehlentwicklung.
Die heutige Diabetologie konzentriere sich auf die Entwicklung neuer blutzuckersenkender Medikamente, und das Interesse an Substanzen, die die Folgeschäden verhindern, sei sehr gering.
Da die den Spätschäden zugrunde liegenden pathogenetischen Mechanismen individuell und auch von Organ zu Organ unterschiedlich seien, könnten sie nicht mit einer einzigen Substanz verhindert werden. Zunächst müssten die beteiligten Stoffwechselwege genau analysiert werden, bevor spezifische Wirkstoffe entwickelt werden können. Vorstellbar seien auch neue Substanzen, die schützende Stoffwechselwege stimulieren können.
50. Deutscher Diabeteskongress, 15.5.2015 in Berlin
The Diabetes Controll and Complications (DCCT) Research Group . Kidney International 1995; 47:1703-1720
Lind M et al. Diabetologia 2010; 53: 1093-1098
Currie CJ et al. Lancet 2010; 375:481-489
Li G et al. Lancet Diabtes Endocrinol 2014; 6:474-480
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Stiefelhagen, P. Blutzuckersenkung bringt wenig: Mythos oder Fakt?. MMW - Fortschritte der Medizin 157, 14 (2015). https://doi.org/10.1007/s15006-015-7515-z
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