Bei einer Binge-Eating-Störung ist die kognitive Verhaltenstherapie Behandlung der ersten Wahl. Auch davon abgeleitete Verfahren, die die betroffene Person dabei unterstützen, selbstständig ein weniger impulsives Essverhalten einzuüben, scheinen sinnvoll zu sein. Ob eine begleitende medikamentöse Behandlung einen Zusatznutzen bringt, ist fraglich.

"Aspekte einer Impulsstörung gehören mit zum Phänotyp der Binge-Eating-Störung", erklärte Prof. Dr. Stephan Zipfel, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universität Tübingen. Impulsivität im Sinne eines stabilen Persönlichkeitsmerkmals wird als "Trait-Impulsivität" bezeichnet, in Abgrenzung zur "State-Impulsivität" als situativem, vorübergehendem Zustand.

Zipfel und Mitforschende entwickelten die kognitiv-verhaltenstherapeutische Gruppenintervention IMPULS (Impulsivity-Focused Group Intervention to Reduce Binge Eating Episodes in Patients with Binge Eating Disorder), die vor allem das impulsive Essverhalten bei einer Binge-Eating-Störung adressiert. Dabei wird Zipfel zufolge unter anderem das individuelle Binge-Food der betroffenen Person ermittelt und die entsprechenden Lebensmittel im Rahmen von Übungen zur Stimuluskontrolle präsentiert.

In einer randomisiert-kontrollierten Studie mit 80 Betroffenen ging die Zahl der Binge-Eating-Episoden sowohl unter der achtwöchigen IMPULS-Intervention als auch in der unbehandelten Kontrollgruppe zurück, ohne signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Am Ende der dreimonatigen Nachbeobachtungsphase war aber die Frequenz der Binge-Eating-Episoden in der Kontrollgruppe wieder angestiegen, während er in der Interventionsgruppe weiter sank. Die Gruppenintervention zeigte zudem positive Effekte auf andere Aspekte des Binge-Eatings und auf die Depressivität der Behandelten [Schag K et al. Psychother Psychosom. 2019;88:141-53].

Impulsivität ist kein unveränderlicher Charakterzug

Die im letzten Jahr publizierten Ergebnisse der durchschnittlich 33 Monate dauernden Nachbeobachtung der Studie IMPULS zeigten, dass sowohl die Binge-Eating-Frequenz der letzten vier Wochen als auch die Trait-Impulsivität laut der Barrat-Impulsiveness-Skala (BIS-15) in beiden Studienarmen gegenüber dem Ausgangswert zurückgegangen war, ohne signifikante Unterschiede im Gruppenvergleich am Ende der Nachbeobachtungsphase. Die Autorinnen und Autoren der Studie finden das insofern bemerkenswert, als es zeige, dass die Erkrankten beider Gruppen einen Weg gefunden haben, das vermeintlich stabile Persönlichkeitsmerkmal der Trait-Impulsivität zu reduzieren. Die Aussagekraft der Nachbeobachtungsstudie ist jedoch begrenzt, unter anderem aufgrund der relativ hohen Rate an Studienabbrüchen (46 %) [Schag K et al. Psychological Medicine. 2022;1-2:epub ahead of print].

Zeigt die prozessuale Analyse mehr?

Eine zeitlich höher aufgelöste retrospektive Analyse des Prozessverlaufs während der Intervention zeigt Zipfel zufolge, dass die Woche für Woche separat bestimmte Zahl der Binge-Eating-Episoden besonders gegen Ende der Intervention in der Therapiegruppe signifikant niedriger war als in der Kontrollgruppe (Abb. 1) [Rennhak SK et al. Behavior Therapy. 2023;54:260-73]. "Eine entsprechende Prozessforschung kann bei der Aufklärung der zeitlichen Dynamik helfen und somit auch eine gezielte und personalisierte Intervention steuern und adaptieren," resümierte Zipfel.

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Studie IMPULS: Binge-Eating-Frequenz in den acht Wochen der Interventionsphase (mod. n. [Rennhak SK et al. Behavior Therapy. 2023;54:260-73])

Kein klarer Zusatznutzen der medikamentösen Kombitherapie

Ob eine flankierende medikamentöse Behandlung die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie bei einer Binge-Eating-Störung verstärken könnte, ist Zipfel zufolge ungewiss. Er berichtete von einer randomisierten Doppelblindstudie, in der Forschende der Yale University die Kombination des Opioidantagonisten Naltrexon mit dem Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion gegen Placebo sowie gegen die verhaltenstherapeutische Intervention zur Gewichtsreduktion (Behaviour weight-loss Intervention, BWL) verglichen. In den Gruppen, in denen die Behandlung eine BWL einschloss, waren die Remissionsraten im Vergleich zu allen Gruppen ohne BWL signifikant höher. Naltrexon/Bupropion erzielte signifikant höhere Remissionsraten als Placebo. Die Remissionsrate der Kombination von Pharmakotherapie und BWL war nicht signifikant höher als die unter BWL alleine.

"Die kognitive Verhaltenstherapie ist bei einer Binge-Eating-Störung weiterhin Erstlinienbehandlung," resümierte Zipfel. Abgeleitete Interventionen wie IMPULS erschienen hilfreich, aber eine Kombination mit einer Pharmakotherapie könne derzeit nicht generell empfohlen werden.

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