"Bei Patientinnen und Patienten, die von Anfang an einen hochaktiven Verlauf zeigen, sollte auch von Anfang an eine hoch wirksame Substanz verwendet werden", betonte Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie, Universität Essen. Das Nukleosidanalogon Cladribin (Mavenclad®) ist eine solche Substanz. Bei hochaktiven schubförmigen Verläufen der MS wird Cladribin über eine Woche oral eingenommen, mit erneuter Gabe nach einem Jahr.

In der Phase-IV-Studie MAGNIFY-MS zeigte Cladribin einen raschen Wirkeintritt mit signifikanter Schubratenreduktion vor allem im zweiten Jahr und anhaltender Wirkung (Abb. 1). Auch noch nicht publizierte Daten aus dem Team Kleinschnitz bestätigen eine niedrige EDSS-Progression über einen Zeitraum von fünf Jahren nach Therapiebeginn.

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Reduktion von Gd+-T1-Läsionen unter Cladribin [De Stefano et al. ECTRIMS 2022, P717]

Das Impfen mit Totimpfstoffen stelle ebenfalls kein Problem dar. Herausfordernd könne die Therapie bei schubunabhängiger MS-Progression sein. Hier verwies Kleinschnitz auf entsprechende Erfahrungen ab Jahr drei und vier nach Start der Behandlung. Betroffene könnten von einem erneuten Cladribin-Zyklus profitieren, alternativ käme eine Eskalation auf Anti-CD20-Antikörper infrage.

Das Phänomen, dass die MS trotz unauffälliger MRT-Scans und keinerlei Schüben voranschreitet, bezeichnete Prof. Dr. Heinz Wiendl, Direktor der Klinik für Neurologie, Universitätsklinik Münster, als "silent progression." Die neue Wirkstoffklasse der Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi), könnte diesen Verlauf bremsen. Bruton-Tyrosinkinasen werden von B-Zellen, Makrophagen und Mikroglia exprimiert; ihre Hemmung provoziert eine Immunmodulation ohne relevante Zelldepletion. Zudem können BTKi im Vergleich zu etablierten MS-Therapeutika die Blut-Hirn-Schranke durchqueren [Cree BAC et al. Ann Neurol. 2019; 85(5):653-66]. In einer Phase-II-Studie bewies der BTKi Evobrutinib seinen Effekt durch Reduktion der "slowly expanding lesions" (SEL) im Gehirn - SEL gelten als frühe Indikatoren der silent progression [Montalban X et al. N Engl J Med. 2019;380(25):2406-17].

Pressekonferenz "Innovative MS-Therapie früher und heute", Neurowoche 2022, Berlin, 3.11.2022; Veranstalter: Merck