Dieses Editorial möchte ich (H.-C. Diener) mit einem Fallbeispiel beginnen: Im Sommer 2021 erhielt ich mitten in der Nacht einen Anruf. Ein neurologischer Kollege war nachts auf dem Gang ins Bad kollabiert und von seiner Ehefrau komatös aufgefunden worden. Unter dem Verdacht eines Schlaganfalls wurde er vom Notarzt sofort in die nächstgelegene Klinik gebracht. Die Untersuchung dort zeigte ein Locked-in-Syndrom. Die CT-Angiografie zeigte einen Verschluss der Arteria basilaris. Die Frage der Ehefrau, ob bei ihrem Mann jetzt sofort eine Thrombektomie durchgeführt werden sollte, wurde vom diensthabenden Neurologen dahingehend beantwortet, dass gerade zwei randomisierte Studien aus China keinen Nutzen der Thrombektomie gezeigt hätten und er deshalb den diensthabenden Neuroradiologen nicht in die Klinik rufen wolle. Ich riet der Ehefrau am Telefon, mit juristischen Konsequenzen zu drohen und eine Thrombektomie ultimativ zu fordern. Diese wurde dann auch erfolgreich durchgeführt und unser Kollege hat sich in der Zwischenzeit bis auf eine leichte Gangataxie und Dysarthrie vollständig erholt.

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Methodische Mängel

Zum Zeitpunkt, zu dem diese Ereignisse geschahen, lagen tatsächlich zwei Studien zur endovaskulären Therapie im Vergleich zu einer Standardtherapie vor. Die BEST-Studie hatte 131 Patienten randomisiert und nach 90 Tagen einen Trend zugunsten der Thrombektomie gezeigt, aber keinen statistisch signifikanten Unterschied [1]. Die zweite, die BASICS-Studie, randomisierte 300 Patienten mit Basilarisverschluss zu Thrombektomie plus Lyse versus Lyse allein in ein Zeitfenster von sechs Stunden [2]. Auch diese Studie zeigte keinen Nutzen der Thrombektomie.

Diese beiden Studien erinnern stark an die Datenlage zur Thrombektomie beim Verschluss der Arteria carotis interna und der Arteria cerebri media vor sechs Jahren. Damals lagen ebenfalls drei Studien vor, die keinen Nutzen der Thrombektomie gezeigt hatten. Die Studien hatten aber damals, ähnlich wie die beiden Studien zum Basilarisverschluss, methodische Mängel, eine unzureichende Patientenselektion, geringe Erfahrung mit der Thrombektomie und unrealistische Erwartungen bezüglich des Therapieerfolges. In der Folgezeit wurden dann vier randomisierte Studien publiziert, die alle eindeutig den Nutzen der Thrombektomie bei Verschlüssen großer Arterien in der vorderen Zirkulation zeigten.

Hoher Nutzen ohne jeden Zweifel belegt

Zwei Studien, die im Mai 2022 beim europäischen Schlaganfallkongress in Lyon vorgestellt wurden, ändern die Datenlage völlig. Die BAOCHE-Studie aus China schloss Patienten mit Basilarisverschluss in einem Zeitfenster von 24 Stunden ein. 110 Patienten wurden thrombektomiert und 107 waren in der Kontrollgruppe. Es zeigte sich ein hoch signifikanter Nutzen mit einer Odds Ratio (OR) von 2,92 für das funktionelle Outcome (gemessen mit der modifizierten Rankin Skala 0-3) und eine 12 %ige Reduktion der Mortalität. Die zweite, die ATTENTION-Studie hatte ein Einschlussfenster von zwölf Stunden. Darin wurden 228 Patienten thrombektomiert und 114 rein konservativ behandelt. Auch hier ergab sich ein signifikanter Benefit mit einer OR von 2,1 für das funktionelle Outcome und eine 19%ige Reduktion der Sterblichkeit. Mit diesen beiden Studien ist nun ohne jeden Zweifel belegt, dass die Thrombektomie beim Basilarisverschluss einen hohen Nutzen hat.

Welche Lehren haben wir gezogen? Wir sollten immer sehr vorsichtig sein, die Ergebnisse von randomisierten Studien zur neuen Therapieverfahren sofort in den klinischen Alltag zu übertragen. Dies gilt insbesondere, wenn die Patientenzahlen in den Studien nicht ausreichend sind oder wenn beispielsweise nur bestimmte Patientenpopulation eingeschlossen wurden, wie in diesen Fällen in den früheren Studien Patienten mit eher mittelschweren neurologischen Defiziten. Therapieempfehlungen und Leitlinien ändern sich erst dann, wenn wir tatsächlich von einer soliden wissenschaftlichen Evidenz aus gehen können. Diese ist jetzt für den Nutzen der Thrombektomie beim Basilarisverschluss gegeben.

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Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener

Leiter der Abteilung für Neuroepidemiologie, IMIBE

Universität Duisburg-Essen, Essen

h.diener@uni-essen.de

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Prof. Dr. med. Christian Gerloff

Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Kopf- und Neurozentrum

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistraße 52, 20246 Hamburg

gerloff@uke.de