Studienergebnisse des letzten Jahres zeigen die Bedeutung der antikonvulsiven Therapie für Menschen mit Epilepsie, stellen Therapieempfehlungen infrage und geben Hinweise zum Absetzen von Antikonvulsiva.

Im höheren Alter scheint die Epilepsie-Prävalenz derzeit zuzunehmen. Die älteren Menschen überleben potenziell auslösende Erkrankungen wie einen ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfall häufiger, erklärte Professor Hajo Hamer vom Epilepsiezentrum der Universitätsklinik Erlangen. Unabhängig vom Alter geht eine Epilepsie mit einer zwei- bis dreifach erhöhten Mortalität gegenüber Nichtbetroffenen einher. Dem kann die antikonvulsive Therapie teilweise entgegenwirken, beispielsweise unfallabhängige Todesfälle verhindern und ein SUDEP (engl. sudden unexpected death in epilepsy) verhindern, das bei generalisierten oder bilateralen tonisch-klonischen Anfällen besonders häufig ist. Die Warnung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, es komme bei Antikonvulsiva zu einer Erhöhung der Suizidraten, entkräftete inzwischen eine Metaanalyse [1]. Entscheidend ist laut Hamer, dass eine komorbide Depression nicht übersehen wird.

Lamotrigin bestätigt

Bei fokalen Epilepsien ist Lamotrigin Therapie der ersten Wahl. In den DGN-Leitlinien war bislang auf Basis eines Expertenkonsenses alternativ auch Levetiracetam aufgeführt [2]. Das muss jetzt aufgrund der Ergebnisse der industrieunabhängig durchgeführten kontrollierten Nichtunterlegenheitsstudie SANAD II korrigiert werden, berichtete Hamer. In der Studie hatten 990 Patientinnen und Patienten mit einer neu diagnostizierten fokalen Epilepsie in einem mittleren Alter von 39,2 Jahren randomisiert entweder 150 mg Lamotrigin, 1.000 mg Levetiracetam oder 200 mg Zonisamid erhalten. Der primäre Endpunkt - die Zeit bis zur zwölfmonatigen Anfallsfreiheit - ergab eine Unterlegenheit von Levetiracetam gegenüber den anderen beiden Antikonvulsiva. Die Retentionsrate war am höchsten bei Lamotrigin, gefolgt von Levetiracetam und Zonisamid. Grund war kein Unterschied in der Wirksamkeit, sondern bei den Nebenwirkungen, stellte Hamer klar: Mehr Patienten hatten Levetiracetam und Zonisamid auf Grund von - vor allem psychischen - Nebenwirkungen abgesetzt. Allergien spielten bei einer langsamen Aufdosierung von Lamotrigin kaum eine Rolle. Da die Kohorte relativ jung war, gab es auch wenig kardiale Auffälligkeiten unter Lamotrigin. Hamer empfahl, vor Beginn der Lamotrigin-Therapie ein EKG zu machen, im Verlauf dann bei über 60-Jährigen auch alle sechs Monate in der Hausarztpraxis ein EKG schreiben zu lassen. Für die in Überarbeitung befindlichen Leitlinien geht er davon aus, dass Lamotrigin bei neu diagnostizierten fokalen Epilepsien weiter Mittel der ersten Wahl sein wird und alle anderen Antikonvulsiva als gleichwertige Alternativen genannt werden.

Die SANAD-II-Studie prüfte auch Valproat und Levetiracetam bei neu diagnostizierten generalisierten Epilepsien. Hier blieb alles beim Alten: Valproat ist von der Wirksamkeit her überlegen und Antikonvulsivum der ersten Wahl - mit den bekannten Einschränkungen insbesondere für Frauen im gebärfähigen Alter [3, 4].

Absetzen von Antikonvulsiva

Wenn Patienten länger anfallsfrei sind, kann sich die Frage des Absetzens stellen. Die Evidenz dazu ist dürftig. Laut Hamer ist davon auszugehen, dass das Absetzen die Rückfallrate von etwa 20 % auf 40 % in zwei Jahren verdoppelt [5]. Das höchste Risiko für einen erneuten Anfall besteht in den ersten Monaten nach Absetzen. Eine geringere Rezidivhäufigkeit haben Patientinnen und Patienten, die mehr als zwei Jahre anfallsfrei waren und die bereits unter dem ersten Antikonvulsivum anfallsfrei wurden [6]. Ob das Absetzen erfolgreich sein kann, sollte zunächst anhand der Art der Epilepsie abgewogen werden, betonte Hamer, Absencen und Rolando-Epilepsien können beispielsweise ausheilen (Tab. 1). Er empfahl, die Chancen und Risiken wie auch die sozialen Konsequenzen eines Rezidivs individuell mit den Betroffenen zu besprechen. Die meisten entscheiden sich seiner Erfahrung nach für die fortgesetzte Einnahme, wenn die Therapie gut toleriert wurde. Wenn abgesetzt wird, ist eine schrittweise Dosisreduktion über weniger Monate hinweg wichtig. Kommt es danach zum Rezidiv, setzt Hamer zuerst wieder das Antikonvulsivum ein, das zuvor zur Anfallsfreiheit geführt hatte. Allgemein kann bei erneuter Behandlung in 80 % der Fälle wieder eine Anfallsfreiheit erreicht werden.

T1 Pro und Kontra des Absetzens von Antikonvulsiva frühestens nach zwei (bis fünf) Jahren (nach Vortrag Hamer)

14. Neurologie Update-Seminar, 4.-5. März 2022, online