Fragestellung: Wird die Immunantwort auf eine Impfung gegen das Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus Type 2 (SARS-CoV-2) durch krankheitsmodifizierende Therapien bei Multipler Sklerose (MS) beeinträchtigt?

Hintergrund: In der Behandlung der MS werden verschiedene krankheitsmodifizierende Therapien eingesetzt. Diese können zu einer Änderung der Immunantwort auf Impfstoffe führen. In der COVID-19-Pandemie sind Informationen zur Effektivität der gegen SARS-CoV-2 gerichteten Impfstoffe beziehungsweise den zu erwartenden Schutz vor einer Erkrankung an COVID-19 für die Betreuung und Beratung von Patientinnen und Patienten mit MS entscheidend.

Patienten und Methodik: Blutproben von insgesamt 473 MS-Patienten, die mit unterschiedlichen krankheitsmodifizierenden Therapien behandelt wurden, wurden auf SARS-CoV-2-Antikörper untersucht und die Ergebnisse mit denen von Personen ohne eine krankheitsmodifizierende Therapie verglichen. Die Rate von Serokonversionen wurde ermittelt und die Impfantwort quantifiziert. Dabei wurden die Art und der Zeitpunkt der Impfung sowie die Art und die Dauer der krankheitsmodifizierenden Therapie berücksichtigt.

Ergebnisse: Die Gabe von monoklonalen Anti-CD20-Antikörpern (Odds-Ratio [OR] 0,03; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,01-0,06; p < 0,001) oder Fingolimod (OR 0,04; 95 %-KI 0,01-0,12) führte unabhängig vom verwendeten Impfstoff signifikant seltener zu einer Serokonversion nach der SARS-CoV-2-Impfung. Dabei spielten bei den Anti-CD20-Antikörpern (Ocrelizumab, Rituximab, Ofatumumab) sowohl der Zeitpunkt der letzten Infusion als auch die Gesamttherapiedauer eine Rolle. Die Impfantwort unter allen anderen krankheitsmodifizierenden Therapien unterschied sich nicht von den Kontrollen. Vorläufige Ergebnisse zeigten allerdings eine zelluläre Anti-SARS-CoV-2-T-Zell-Immunität bei 40 % der seronegativen Patientinnen und Patienten.

Schlussfolgerungen: Die serologische Impfantwort nach COVID-19-Vakzinierung bei MS-Patienten ist unter krankheitsmodifizierender Therapie mit CD20-Antikörpern und Fingolimod beeinträchtigt.

Tallantyre EC, Vickaryous N, Anderson V et al. COVID-19 Vaccine Response in People with Multiple Sclerosis. Ann Neurol 2022; 91: 89-100