Fragestellung: Gibt es modifizierbare Risikofaktoren für das Persistieren von Suizidideen während einer Psychotherapie bei älteren Menschen mit einer Depression?

Hintergrund: Ältere Menschen haben höhere Suizidraten als jüngere und die meisten durch einen Suizid verstorbenen älteren Menschen hatten eine erstmalige leichte bis mittelgradige depressive Episode in Abwesenheit einer Persönlichkeitsstörung oder Substanzabhängigkeit. Mittels Psychotherapien wie Problem-Solving-Therapy (PST) oder dem ENGAGE-Programm können Depressionen behandelt und Suizidgedanken reduziert werden. Nichtmodifizierbare Risikofaktoren wie männliches Geschlecht und Suizide in der Familie sind bekannt, aber nicht die potenziell modifizierbaren Risikofaktoren für das Persistieren von Suizidideen während einer Psychotherapie. Sollten diese Faktoren erkannt werden, könnten die Psychotherapien darauf gezielter eingehen.

Patienten und Methodik: Den Autoren standen die Verlaufsdaten über neun Wochen von 249 Teilnehmern einer Psychotherapiestudie zur PST und zum ENGAGE-Programm zur Verfügung. Im Rahmen dieser Studie wurden Suizidideen und weitere Faktoren mehrfach erhoben. Typische Verläufe von Suizidgedanken wurden als Verlaufsmuster modelliert und mittels Maschinenlernen Prädiktoren für diese Verläufe erfasst.

Ergebnisse: Es ergaben sich sowohl ein günstiges Verlaufsmuster mit abnehmenden Suizidideen unter Psychotherapie als auch ein ungünstiges Muster mit persistierenden Suizidideen. Beide Muster fanden sich gleich häufig unter beiden Psychotherapieprogrammen (PST oder ENGAGE). Die Verlaufsgruppe mit persistierenden Suizidgedanken wies zu Studienbeginn etwas höhere Depressionswerte (MADRS 27 Punkte, günstiger Verlauf 25 Punkte) und etwas höhere Werte für Neurotizismus (NEO 20 Punkte, günstiger Verlauf 17 Punkte) auf.

Verschiedene Maschinenlernprogramme ergaben ein gemeinsames hierarchisches Model von Prädiktoren für ein Persistieren von Suizidgedanken. Hierbei spielte vordringlich Hoffnungslosigkeit (erhoben mit der Beck-Hoffnungslosigkeits-Skala), auf der zweiten Ebene Neurotizismus (erhoben mit dem NEO) und an dritter Stelle Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (General-Selfefficacy-Skala) eine prädiktive Rolle (Abb. 1).

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Suizidgedanken zu Beginn einer Psychotherapie [mod. nach: Alexopoulos GS et al. Transl Psychiatry 2021; 11: 536]

Schlussfolgerungen: Die Autoren sehen ihre Studie als Beleg, dass Hoffnungslosigkeit und hohe Werte für Neurotizismus Prädiktoren für persistierende Suizidgedanken sind. Die in kognitiven und behavioralen Psychotherapien eingesetzten Techniken seien geeignet, die Hoffnungslosigkeit positiv zu beeinflussen. Für die Anteile des erhöhten Neurotizismus empfehlen sie meditative Ansätze (Mindfulness), damit Patienten ihre emotionale Reagibilität gelassener erleben können.

Alexopoulos GS, Raue PJ, Banerjee S et al. Modifiable predictors of suicidal ideation during psychotherapy for late-life major depression. A machine learning approach. Transl Psychiatry 2021; 11: 536