Fragestellung: Welche Rolle spielt bei Patienten mit Vorhofflimmern und akutem ischämischen Schlaganfall die Vorbehandlung mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK) auf die Schwere des Schlaganfalls, den Einsatz einer intravenösen Thrombolyse (IVT), die Sicherheit der IVT und die Dreimonatsergebnisse?

Hintergrund: Bei Patienten mit Vorhofflimmern reduziert eine orale Antikoagulation das Schlaganfallrisiko dramatisch. Registerstudien zeigten, dass ischämische Schlaganfälle, wenn sie unter einer oralen Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten auftreten, weniger schwer sind als bei Patienten die nicht antikoaguliert sind [1]. Ob dies auch für den Einsatz von direkten oralen Antikoagulanzien gilt, ist bisher nicht gut untersucht.

Patienten und Methodik: Es handelt sich um eine Kohortenstudie von konsekutiven Patienten mit ischämischem Insult aus den Jahren 2014 bis 2019. Erfasst wurden Patienten mit Antikoagulation im Vergleich zu Patienten ohne Antikoagulation (Kontrollen). Verglichen wurden die Schwere des Schlaganfalls, die Häufigkeit einer Thrombolyse und/oder mechanischen Thrombektomie, symptomatischer intrakranieller Blutung (sICH) sowie der Anteil der Patienten mit günstigem Outcome (Modified Rankin Scale Score 0-2) nach 3 Monaten. Bei Patienten, die mit Vitamin-K-Antagonisten behandelt worden waren, wurde unterschieden, ob die International Normalized Ratio (INR) bei Aufnahme unter 1,7 lag oder größer war. Bei Patienten mit einer INR unter 1,7 war eine Thrombolyse möglich. Bei mit NOAK vorbehandelten Patienten wurden die entsprechenden Gerinnungstests in der Notaufnahme vorgenommen. Bei Patienten mit einer geringen oder negativen Antikoagulation konnte eine Thrombolyse erfolgen.

Ergebnisse: Die Studie schloss 8.179 Patienten im mittleren Alter von 79,8 Jahren ein, 49 % waren Frauen. Insgesamt 1.486 (18 %) der Studienteilnehmer erlitten den Schlaganfall unter einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten, 1.634 (20 %) unter der Behandlung mit einem NOAK. Bei 5.059 Kontrollpatienten bestand keine Antikoagulation.

Der Schweregrad des Schlaganfalls war bei Patienten unter NOAK geringer mit einem medianen Wert auf der National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) von 4 im Vergleich zu VKA mit 6 und den Kontrollen mit 7 (Differenz: -2,7; 95 %-Konfidenzintervall [KI] -2,6 bis -1,7, p < 0,001). Die Lyserate war bei den potenziell infrage kommenden Patienten signifikant niedriger bei Patienten unter Vitamin-K-Antagonisten (156 von 247 Patienten = 63 %; adjustierte Odds Ratio [aOR] 0,67; 95 %-KI 0,50-0,90) und insbesondere bei Patienten unter NOAK (69 von 464 Patienten = 15 %; aOR 0,06; 95 %-KI 0,05-0,08) im Vergleich zu Kontrollen (1.544 von 2.504 = 74 %). Symptomatische intrazerebrale Blutungen nach IVT traten bei 3,6 % (95 %-KI 2,6-4,7 %) der Kontrollen auf. Unter Vitamin-K-Antagonisten war dies der Fall bei 4,6 % (95 %-KI 1,9-9,2 %; aOR 0,93; 95 %-KI 0,46-1,90) und unter NOAK bei 3,1 % (95 %-KI 0,4-10,8 %, aOR 0,56; 95 %-KI 0,28-1,12). Nach Adjustierung für prognostische Einflussfaktoren war die NOAK-Vorbehandlung mit einem günstigeren Dreimonatsergebnis assoziiert (aOR 1,24; 95 %-KI 1,01-1,51).

Schlussfolgerungen: Eine vorherige NOAK-Therapie bei Patienten mit Vorhofflimmern ging mit einer geringeren Schwere des Schlaganfalls bei Aufnahme im Krankenhaus und einer niedrigen Thrombolyserate einher. Insgesamt hatten Patienten unter NOAK ein besseres funktionelles Ergebnis nach drei Monaten.

Meinel TR, Branca M, De Marchis GM et al. Prior anticoagulation in patients with ischemic stroke and atrial fibrillation. Ann Neurol 2021; 89: 42-53