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Ausgehend von aktuellen Implikationen der SARS-CoV-2-Pandemie für die psychische Gesundheit zeigen wir, dass neben psychoreaktiven auch biologische Verbindungen zwischen Inflammation und psychischer Erkrankung bestehen. Wichtige Prinzipien der biologischen Interaktion von Immunsystem und Psyche werden dargestellt. Zudem soll ein Stufenschema zur Diagnostik und Therapie autoimmunbedingter Hirnentzündungen Hilfestellung für die klinische Praxis geben mit abschließender Erläuterung der Rolle von Viren in diesem Kontext.
Am Beispiel "COVID-19" sind vielfältige Aspekte erkennbar, wie Inflammation und psychische Erkrankung miteinander verbunden sein können. Im zurückliegenden SARS-CoV-2-Pandemie-Jahr traten auch in der nicht am Virus erkrankten Allgemeinbevölkerung häufiger Ängste und Depressionen auf [1]. Neben existenziellen und gesundheitlichen Sorgen spielten vermutlich soziale Einschränkungen wie beispielsweise Kontaktbeschränkungen, Quarantäne und Homeoffice eine wichtige Rolle.
COVID-19-Erkrankte entwickelten relativ häufig reaktiv psychische Beschwerden. Dazu gehörte zum Beispiel die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) in etwa 30 % der Fälle mit schwerem Krankheitsverlauf und Intensivbehandlung [2]. Davon abzugrenzen sind psychische und neurologische Krankheitssymptome infolge einer direkten Störung der Hirnfunktion durch das Virus oder sekundär durch die Immunabwehr. SARS-CoV-2 konnte im Gehirn mittels Polymerase-Kettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) und Immunhistochemie zwar nachgewiesen werden, aber die bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es sich hauptsächlich in Gefäß- und Immunzellen befindet, ohne Neurone direkt zu infizieren [3, 4]. Durch das Virus können Riechverlust, Kopfschmerzen, Veränderungen des Bewusstseins und Verhaltens, Delir und Agitation verursacht werden. Sekundär durch die Immunabwehr kommt es zu zytokininduzierter axonaler Degeneration, Gerinnungs- und Blut-Hirn-Schranken-Störung mit ischämischem oder hämorrhagischem Schlaganfall oder zur Bildung von Autoantikörpern, die zum Beispiel eine Autoimmunenzephalitis oder ein Guillain-Barré-Syndrom verursachen können [4, 5, 6].
Beispiele und Prinzipien der biologischen Interaktion von Immunsystem und Psyche
Zytokininduziertes Krankheitsverhalten
Schon lange ist das sogenannte "zytokininduzierte Krankheitsverhalten" (Englisch: sickness behaviour) bekannt, welches zum Beispiel im Rahmen eines grippalen Infektes, einer Impfreaktion, autoimmunen oder tumorbedingten Erkrankung auftritt. Dabei produzieren Immunzellen entzündungsfördernde (proinflammatorische) Zytokine, die auf das Gehirn einwirken und depressionsähnliche psychische und Verhaltensänderungen hervorrufen, wie zum Beispiel gedrückte Stimmung, emotionale Labilität, Konzentrationsschwäche, Antriebs-/Motivationsverlust, sozialer Rückzug, Appetitmangel, Schlafstörungen und verminderte Körperpflege [7].
Wenn die Aktivierung des peripheren Immunsystems anhält, zum Beispiel bei chronischen Infektionen, autoimmunen oder tumorbedingten Erkrankungen, kann durch entzündungsfördernde Botenstoffe wie Interleukin (IL)-1β, IL-6, Interferon(IFN)-γ und Tumornekrosefaktor (TNF)-α im Gehirn prädisponierter Personen eine Persistenz des Krankheitsverhaltens entstehen, mit Symptomen einer Depression, denn diese Zytokine verringern die Verfügbarkeit von Serotonin und der Vorstufe Tryptophan im Gehirn; daneben wird das Gleichgewicht körpereigener N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor-Modulatoren verändert [8]. Solche Veränderungen könnten neben psychoreaktiven Faktoren für die erhöhte Prävalenz von Depressionen bei den oben genannten somatischen Erkrankungen mitverantwortlich sein.
Zytokin-Netzwerk-Veränderungen bei Schizophrenie und affektiven Störungen
Veränderungen entzündlicher Zytokine wurden auch im Blut von Patienten mit "genuinen psychiatrischen Erkrankungen" wie zum Beispiel schizophrenen oder affektiven Störungen gefunden.
Eine Metaanalyse von 68 Studien fand zum Beispiel diskret erhöhte Spiegel der proinflammatorischen Zytokine IL-6 und TNF-α bei akut erkrankten Patienten mit Schizophrenie, bipolarer Störung und majorer Depression (MD) im Vergleich zu gesunden Vergleichspersonen [9]. Nach Behandlung der akuten Erkrankung sanken die IL-6-Spiegel sowohl bei Schizophrenie als auch bei MD signifikant. Bei chronisch kranken Patienten waren die IL-6-Spiegel bei Schizophrenie, euthymer bipolarer Störung und MD im Vergleich zu Kontrollen signifikant erhöht. Insgesamt gab es Ähnlichkeiten im Muster der Zytokinveränderungen bei Schizophrenie, bipolarer Störung und MD während der akuten und chronischen Krankheitsphasen, was die Möglichkeit gemeinsamer zugrundeliegender Pfade einer Immundysfunktion aufwirft.
Infektions- und Autoimmunerkrankungen: Risiko schizophrener und affektiver Störungen
Möglicherweise sind die dargestellten Zytokinveränderungen Ausdruck einer chronisch schwelenden Entzündungsreaktion im Sinne einer insuffizienten oder fehlgeleiteten Immunantwort auf Krankheitserreger bei einer Patientensubgruppe [10]. Interessanter Weise fanden große epidemiologische Studien aus Dänemark tatsächlich Hinweise dafür, dass Krankenhausaufenthalte wegen Infektionskrankheiten und Autoimmunerkrankungen ein erhöhtes Risiko für die Manifestation einer Schizophrenie oder affektiven Störung nach sich ziehen [11, 12, 13]. Im Blut akut kranker und noch unmedizierter Schizophreniepatienten fanden sich vermehrt neutrophile Granulozyten, Monozyten und Proteine, welche mit der Immunabwehr bakterieller Infektionen assoziiert sind [14]. Solche Hinweise auf Infektionen oder autoimmune Fehlreaktionen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen sind jedoch nicht als monokausal ursächlich zu betrachten, sondern eher im Sinne des Vulnerabilitäts-Stress-Konzeptes als zusätzlicher Stressor beziehungsweise Trigger bei vulnerablen Menschen (z. B. genetische Disposition oder Störung der prä-/perinatalen Hirnentwicklung).
Proinflammatorische Zytokine können im Rahmen eines grippalen Infektes, einer autoimmunen oder tumorbedingten Erkrankung depressionsähnliche Symptome hervorrufen.
Neuropsychiatrische Symptome bei systemischen Autoimmunkrankheiten
Es ist seit Langem bekannt, dass systemische Autoimmunerkrankungen mit Beteiligung des zentralen Nervensystems, beispielsweise systemischer Lupus erythematodes, eine auf Steroide ansprechende Enzephalopathie bei Autoimmunthyreoiditis (SREAT/Hashimoto-Enzephalopathie) oder neuroinflammatorische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder zerebrale Vaskulitiden zu einer organischen schizophreniformen oder affektiven Symptomatik führen können [15].
Am Beispiel des systemischen Lupus soll erläutert werden, dass dabei sowohl strukturelle Hirnläsionen durch die Autoimmunkrankheit als auch diffuse Funktionsstörungen des Gehirns (ohne strukturelle Läsion) eine Rolle spielen können. Vaskulitische Veränderungen, zum Beispiel durch assoziierte Cardiolipinantikörper begünstigt, können zerebrale (Mikro-)Infarkte verursachen, die im zerebralen MRT sichtbar werden. Bei einem Teil der Patienten ist die Bildgebung jedoch trotz deutlicher neuropsychiatrischer Symptomatik unauffällig, wohingegen eine Allgemeinveränderung im EEG auf eine diffuse Hirnfunktionsstörung hindeutet. Inzwischen ist bekannt, dass in diesen Fällen neben entzündungsfördernden Zytokinen auch gegen Nervenzellen und Synapsen gerichtete Antikörper eine Rolle in der Genese neuropsychiatrischer Symptome spielen. So bildet ein Teil der Patienten mit systemischem Lupus Autoantikörper, die mit der GluN2-Untereinheit (synonym NR2) des NMDA-Rezeptors reagieren und diesen überstimulieren [16]. Dadurch kommt es zum Zelltod von nachgeschalteten Nervenzellen und einer Störung der glutamatergen Erregungsübertragung, was das Auftreten von Psychosen begünstigt.
Das zusätzliche Auftreten fokaler neurologischer Defizite bei einer psychiatrischen Symptomatik sollte immer eine erweiterte Liquoranalyse mit Bestimmung antineuronaler Antikörper nach sich ziehen.
Auch Menschen mit Autoimmunthyreoiditis scheinen häufiger verschiedene Antikörper gegen neuronale Zelloberflächen- beziehungsweise Synapsenproteine zu bilden [17]. Bezüglich der Entstehung antineuronaler Antikörper wird vermutet, dass hier eine "molekulare Mimikry" eine Rolle spielt. Damit ist gemeint, dass verschiedene Krankheitserreger ihre Proteine und Kohlenhydrate teilweise denjenigen ihres Wirtes angleichen, um dem Immunsystem zu entgehen (immune escape). Dadurch können immunologische Kreuzreaktionen mit Angriffen auf körpereigene Strukturen entstehen, zum Beispiel auch gegen Nervenzellen.
Autoimmunenzephalitiden mit psychischen und Verhaltensauffälligkeiten
In den letzten Jahren hat sich in der klinischen Neurologie und Psychiatrie eine neue diagnostische Entität etabliert: Autoimmunenzephalitiden mit schizophreniformer beziehungsweise schizoaffektiver Symptomatik durch antineuronale Antikörper gegen synaptische Rezeptoren und Oberflächenproteine wurden als seltene, jedoch potenziell behandelbare Ursache psychotischer Störungen identifiziert. Der Nachweis spezifischer antineuronaler Antikörper der IgG-Klasse ist dabei charakteristisch für Autoimmunenzephalitiden.
Stufenschema zur Diagnostik und Therapie autoimmunbedingter Hirnentzündungen
Für die klinische Praxis wurde ein Stufenschema entwickelt, das geleitet durch klinische Warnsignale eine zügige und sichere Diagnosestellung sowie die Einleitung einer Immuntherapie ermöglicht [15]. Bei psychiatrischer Symptomatik sollte das zusätzliche Auftreten fokaler neurologischer Zeichen, Bewusstseins-/Orientierungs-/Merkfähigkeitsstörungen, autonomer Instabilität oder epileptischer Anfälle/EEG-Auffälligkeiten immer eine erweiterte Liquoranalyse mit Bestimmung antineuronaler Autoantikörper nach sich ziehen [15, 18]. Diese entzündlichen Erkrankungen des Gehirns werden nun auch in der aktualisieren Fassung der S3-Leitlinie Schizophrenie als Differenzialdiagnose berücksichtig (https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-009.html). Zur Illustration verweisen wir auf Abb. 1.
Die Kasuistik beschreibt eine Patientin mit Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis (IgG-Autoantikörper im Liquor gegen die GluN1a-Untereinheit [synonym NR1a] des NMDA-Rezeptors). Dabei handelt es sich um die häufigste Form der Autoimmunenzephalitiden. Andere spezifische Antikörper mit erhöhtem Psychoserisiko sind gegen folgende synaptische und neuronale Zelloberflächenproteine gerichtet: LGI1/leucine-rich glioma inactivated 1 (Transmembranprotein, assoziiert mit spannungsabhängigen Kaliumkanälen), Caspr2/Contactin-assoziiertes Protein 2 (Transmembranprotein, assoziiert mit spannungsabhängigen Kaliumkanälen), AMPA/ α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-Propionsäure-Rezeptor (ionotroper Glutamat-Rezeptor), DPPX/Dipeptidyl-Peptidase-like Protein-6 (Membranprotein, bindet an spannungsabhängige Kaliumkanäle), GABA-/γ-Aminobuttersäure-Rezeptor (metabotrop), mGluR5/metabotroper Glutamatrezeptor 5 und GlyR/Gyzin-Rezeptor (ionotrop, ligandengesteuerter Chlorid-Ionenkanal) [15].
In einer Beobachtungsstudie an 501 Patienten mit Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis bewirkte eine immunmodulierende Therapie eine Besserung bei der Hälfte der Erkrankten innerhalb der ersten vier Wochen [19]. Lediglich 12 % aller Probanden erlitten einen Rückfall innerhalb der ersten 24 Monate und nur 4 % hatten mehrere Rückfälle. Eine Reaktivierung der Erkrankung fiel in der Regel milder aus als die erste Episode der Enzephalitis. Eine verspätete Therapie sowie eine Intensivpflichtigkeit der Patienten waren mit einem schlechteren Outcome verbunden und zogen mehr Rückfälle nach sich. Somit ist, obwohl nur eine kleine Gruppe psychiatrischer Patienten von einer Autoimmunenzephalitis betroffen ist, eine rechtzeitige und korrekte Diagnose von hoher therapeutischer und prognostischer Relevanz, da eine frühe und intensive Immuntherapie oft zu einer guten Prognose trotz schwerer Erkrankung führt.
Unter Berücksichtigung internationaler Expertenempfehlungen ist eine Immunsuppression durch Kortikosteroidtherapie (1 g Methyl-Prednisolon/Tag für 5 Tage) beziehungsweise intravenöse humane Immunglobulingabe (0,4 g/kg/Tag für 5 Tage), Immunadsorption oder Plasmapherese zur schnellen Entfernung der pathogenen Autoantikörper Therapie der ersten Wahl bei Patienten mit definitiver Autoimmunenzephalitis [15]. Schlägt die Therapie fehl, sollte die Behandlung innerhalb weniger Tage erweitert werden, vorzugsweise mit Rituximab (2 × 1.000 mg i.v. oder s.c. in Abständen von zwei bis vier Wochen). Auch eine Kombination mit Cyclophosphamid (750 mg/m2 Körperoberfläche alle vier Wochen), Mycophenolatmofetil oder Methotrexat kann erforderlich sein, um ein klinisches Ansprechen zu erreichen [15]. Zudem kann für Patienten mit Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, die eine künstliche Beatmung auf der Intensivstation benötigten und unzureichend auf die immunsuppressiven und B-Zell-depletierende Standardmedikamente ansprechen (Kortikosteroide, IV-Immunglobuline, Plasmaaustausch, Immunadsorption, Rituximab, Cyclophosphamid), Bortezomib eine wertvolle Option für die Eskalationstherapie darstellen (1-6 Zyklen von 1,3 mg/m2 Körperoberfläche für jeweils 21 Tage) [20]. Bortezomib ist ein Proteasominhibitor, der dazu beiträgt, Plasmazellen zu eliminieren. Neben der klinischen Verbesserung kann eine Normalisierung pathologischer cMRT- und EEG-Befunde zur Beurteilung des Therapieerfolgs herangezogen werden. Antineuronale Serum- und Liquor-Antikörpertiter sollten bei erfolgreicher Therapie abnehmen (Kontrolle nach einigen Wochen) [15].
Für die symptomatische Therapie psychotischer Symptome sollten Antipsychotika mit geringen extrapyramidalen Nebenwirkungen bevorzugt werden, da das Risiko neuroleptikainduzierter Komplikationen bei Autoimmunenzephalitiden erhöht ist [15]. Kurzwirksame Benzodiazepine können zur Anxiolyse und Sedierung und in höheren Dosen zur Behandlung katatoner Symptome eingesetzt werden.
Beim Nachweis einer Autoimmunenzephalitis sollte ein Tumorscreening durchgeführt werden, da antineuronale Antikörper paraneoplastisch auftreten können (Ganzkörper-CT/MRT/-PET, transvaginaler Ultraschall/Ultraschalluntersuchung der Hoden). Die Weiterbehandlung der Patienten sollte multidisziplinär erfolgen und sowohl Psychiater und Neurologen als auch Immunologen und Onkologen einbeziehen, auch um potenzielle Rezidive rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Potenzielle Rolle von Viren im Kontext Autoimmunenzephalitis
Virale Infektion als prädisponierender Faktor für eine Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis
In circa 70 % der Fälle mit Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis wurde beobachtet, dass die neuropsychiatrischen Symptome innerhalb von etwa zwei Wochen nach einem Vorstadium mit grippeähnlichen Symptomen wie zum Beispiel Kopfschmerz, Fieber, Appetitlosigkeit/Übelkeit/Erbrechen beziehungsweise Symptome eines oberen Atemwegsinfektes auftraten [21]. Deshalb wurden virale Erkrankungen als Trigger vermutet. Tatsächlich ist nun bekannt, dass Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitiden nach einer Infektion zum Beispiel mit Herpes-simplex-Virus 1 oder Varizella-Zoster-Virus auftreten können [22]. Der Nachweis einer Herpesenzephalitis schließt also das Vorliegen beziehungsweise die Entstehung einer Autoimmunenzephalitis nicht aus, die bei positiven antineuronalen Autoantikörpern nach einer Aciclovir-Behandlung mit einer Immuntherapie behandelt werden sollte. Sogar Zusammenhänge zwischen Herpes-simplex-Virus 1-Infektionen ohne Enzephalitis und dem Auftreten einer Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis sind bekannt [23]. Herpes-simplex-Virus 1 teilt Epitope mit dem NMDA-Rezeptor, was zur Auslösung von Kreuzreaktivität führen kann. Dementsprechend kann die Produktion antineuronaler Autoantikörper und einer Enzephalitis als sekundäre Reaktion auf die Viruserkrankung auftreten. Vice versa sollte deshalb beim Nachweis von NMDA-Rezeptor-Autoantikörpern im Liquor vorsorglich auch eine virologische Diagnostik durchgeführt werden.
Beim Nachweis von NMDA-Rezeptor-Autoantikörpern im Liquor sollte vorsorglich auch eine virologische Diagnostik durchgeführt werden.
Auch eine Assoziation von Influenza-A-Seropositivität mit der Bildung von NMDA-Rezeptor GluN1-Antikörpern wurde beschrieben [24]. Hier könnten Kreuzreaktionen dadurch entstehen, dass der M2-Kanal des Influenza-A-Virus und der NMDA-Rezeptor einen Liganden teilen, nämlich Amantadin [25]. Die Pandemie der "spanischen Grippe" im Jahr 1918 bis 1919 zog tatsächlich eine erhöhte Prävalenz psychischer Erkrankung nach sich. Vor allem Psychosen, katatone Symptome, unkontrollierbare Schlafanfälle und temporäre parkinsonartige Beschwerden traten auf und wurden als "Encephalitis lethargica" beschrieben [25].
Nach der Pandemie 1889 bis 1894, der sogenannten "russischen Grippe" konnten ähnliche Symptome beobachtet werden. Heutzutage gibt es allerdings Hinweise darauf, dass diese Pandemie nicht von Grippe-/Influenzaviren sondern vom humanen Coronavirus HCoV-OC43 ausgelöst wurde, das sich zu einem mittlerweile "harmlosen" Erkältungsvirus entwickelt hat (https://nzzas.nzz.ch/wissen/coronavirus-er-hat-schon-vor-130-jahren-die-welt-gelaehmt-ld.1573590?reduced=true). Neue Annahmen über die Mutationsrate ließen die Forscher darauf schließen, dass dieses Virus um 1890 vom Rind auf den Menschen gesprungen sei, weshalb der Erreger der "russischen Grippe" ein Coronavirus gewesen sein könnte [26]. Im Kontext der Pandemie 1889 bis 1894 wurden erhöhte Suizidraten beobachtet. Bei der Mehrheit der Betroffenen wurde kurz vor dem Selbstmordversuch ein "temporärer Wahnsinn" mit depressiver, psychotischer, manischer oder Zwangssymptomatik beschrieben [27]. Es wurde auch ein gehäufter Verlust des Geruchsinns beschrieben [27], ähnlich wie heutzutage bei COVID-19. Es bleibt abzuwarten, ob sich SARS-CoV-2 ebenfalls zu einem harmlosen Erkältungsvirus entwickeln wird.
Biologische Mechanismen psychischer Störungen im Kontext COVID-19
Hier scheinen IL-6 und Th17-Zellen eine wichtige Rolle zu spielen [28, 29]. Die IL-6-abhängige Th17-Aktivierung und Differenzierung ist essenziell für die Migration neutrophiler Granulozyten [30].
Experimentelle Arbeiten zeigten, dass SARS-CoV-2-infizierte Gliazellen vermehrt IL-6 und TNF-α sezernieren [5, 31]. IL-6 kann die neuronale und gliale Aktivität beeinflussen und deren Zelltod induzieren, wie zum Beispiel bei einem Riechverlust oder in Axonen eine Hyperphosphorylierung von Tau-Protein induzieren und deren Degeneration auslösen. Mehrere Publikationen zum Thema SARS-CoV-2 berichten über einen starken Zusammenhang zwischen hohen IL-6-Spiegeln im Serum und einem schweren Krankheitsverlauf oder einer ZNS-Beteiligung bei COVID-19, selbst bei Abwesenheit respiratorischer Symptome (IL-6 über 80 pg/ml im Serum [30], Referenzwerte nach Harbarth et al. zwischen 2,6 und 11,3 pg/ml im Serum [32]). Die neu entwickelte Leitlinie "Neurologische Manifestationen bei COVID-19 - Update vom 22.2.2021" (https://dgn.org/leitlinien/neurologische-manifestationen-bei-covid-19) nennt außer IL-6 auch IL-2, IL-7, GCSF, TNF-α als Biomarker zur Abschätzung des Risikos schwerer Verläufe oder einer Enzephalopathie. Die IL-6-Erhöhung im Serum scheint mit dem Anstieg im Liquor zu korrelieren (Referenzwerte sind laborabhängig, von einer Erhöhung spricht man bei Werten über 5,9-7 pg/ml) [30]. Das Auftreten affektiver und psychotischer Symptome im Kontext COVID-19 wird durch IL-6 begünstigt, vermutlich weil es zum Beispiel die serotonerge und glutamaterge Neurotransmission im Gehirn stört [33].
Herpes, Varizella Zoster, SARS-Cov-2 und eventuell Influenza-A-Viren können autoimmunbedingte Hirnentzündungen triggern, z. B. durch molekulare Mimikry, zytokininduzierte Inflammation und Störungen der Blut-Hirn-Schranke.
Yapici-Eser et al. [6] beschrieben zudem eine mögliche Mimikry zwischen der GluN2a-Untereinheit (synonym NR2a) des NMDA-Rezeptors und viralem Nichtstrukturprotein 9 (NSP9) sowie der GluN1-Untereinheit (synonym NR1) und viralem Nichtstrukturprotein 8 (NSP8), basierend auf Vergleichsanalysen zwischen dem menschlichen Genom und der RNA-Sequenz von SARS-CoV-2. Dieses Phänomen kann zur Entwicklung von IgG-Antikörpern gegen den NMDA-Rezeptor nach einer Coronainfektion führen [34, 35, 36, 37, 38, 39]. Für interessierte Leser verweisen wir auf eine systematische Übersicht zu diesem Thema [40]. Th17-Zellen der COVID-19-Erkrankten könnten ein begünstigender Faktor sein, da deren unphysiologische Aktivierung mit dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht wurde.
Mikrovaskuläre Schäden könnten im Rahmen der entzündlichen Antwort auf SARS-CoV-2 ebenfalls das Auftreten einer Enzephalopathie begünstigen [5]. Entzündliche Botenstoffe können zur Endothel-Entzündung, erhöhter Gefäßpermeabilität, Ödemen sowie zu erhöhter Synthese und Verbrauch von Gerinnungsfaktoren beitragen (typischer Befund: erhöhte D-Dimere-Werte bei den Patienten mit einem schweren COVID-19-Verlauf). Gerinnsel können thromboembolische Ereignisse zum Beispiel der Hirnarterien und Sinusvenenthrombosen auslösen. Die erhöhte Gefäßpermeabilität führt aber auch zu Störungen der Blut-Hirn-Schranke [5]. In Obduktionsberichten von COVID-19-Erkrankten wurde ein deutlicher Fibrinogenaustritt aus den kleinen Hirngefäßen sowie eine (reaktive) perivaskuläre Makrophagozytose "trotz" Abwesenheit des Virus im Hirngewebe festgestellt [41]. Diese Sekundärprozesse können chronifizieren. Anhaltende Beschwerden jenseits einer Zeitspanne von vier Wochen ab Infektion werden als "Long-COVID-Syndrom" und bei Persistenz von mehr als zwölf Wochen als "Post-COVID-Syndrom" bezeichnet. Dabei werden häufig Fatigue, Luftnot und eine eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit beschrieben. "Fatigue" tritt auch nach anderen Viruserkrankungen als "postvirales Müdigkeitssyndrom" beziehungsweise "postvirales Erschöpfungssyndrom" auf. Vermutlich handelt es sich um ein chronifiziertes "zytokininduziertes Krankheitsverhalten" mit Symptomen, die einer atypischen Depression ähneln können [42].
Fazit für die Praxis
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Entzündungsfördernde Botenstoffe sind verantwortlich für depressionsähnliche psychische und Verhaltensänderungen im Rahmen eines grippalen Infektes, einer Impfreaktion, autoimmunen oder tumorbedingten Erkrankung.
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Auch bei Menschen mit einer Schizophrenie und affektiven Störungen wurden erhöhte Zytokinspiegel gefunden. Zudem erhöhen Infektionen und Autoimmunerkrankungen das Risiko für die Manifestation dieser psychischen Erkrankungen.
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Autoantikörper gegen Nervenzellen und Synapsen begünstigen das Auftreten von Psychosen bei systemischen Autoimmunkrankheiten und Autoimmunenzephalitiden.
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Nach SARS-CoV2-Infektion sollte unabhängig vom Schweregrad Augenmerk auf psychiatrische Erkrankungen in der Folgezeit gelegt werden. Neben psychosozialen Effekten von Pandemie, Quarantäne und Isolation spielen biologische immunologische Phänomene eine Rolle bei der Entstehung der Beschwerden.
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Im Fall eines fulminanten Verlaufs mit intensivmedizinischer Betreuung sollte eine spezialisierte Nachsorge bei erhöhtem PTBS-Risiko erfolgen.
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Eine Autoimmunenzephalitis sollte bei akuten Wesens- oder Bewusstseinsveränderungen und neurologischen Defiziten in Betracht gezogen werden. Das Auftreten solcher Warnsignale erfordert eine zeitnahe Stufendiagnostik und Immuntherapie.
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Viren spielen eine Rolle in der Entstehung autoimmunbedingter Hirnentzündungen, zum Beispiel durch molekulare Mimikry, zytokininduzierte Inflammation und Störungen der Blut-Hirn-Schranke.
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Steiner, J., Vasilevska, V. Inflammation und psychische Erkrankung. InFo Neurologie 23, 42–51 (2021). https://doi.org/10.1007/s15005-021-2121-3
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