Fragestellung: Gibt es vorteilhafte Strategien, Antidepressiva abzusetzen?

Hintergrund: Das Absetzen von Antidepressiva nach längerer Einnahme kann Absetzsymptome (Entzugssymptome) und Rebound-Depressionen verursachen. Letzteres bezeichnet das Risiko, das eine erneute depressive Episode nach dem Absetzen rascher, stärker oder mit höherer Wahrscheinlichkeit auftritt, als wenn nie ein Antidepressivum gegeben worden wäre. Daher sind Absetzstrategien gesucht, die diese beiden Risiken verringern.

Patienten und Methodik: Review nach den strengen Vorgaben der Cochrane Collaboration (hohes Evidenzniveau). Systematisch gesucht wurden Studien, in denen Absetzen nach einer bestimmten Strategie mit der Fortführung des Antidepressivums oder üblicher Standardbehandlung verglichen wurde. Folgende Strategien wurden analysiert: Absetzen ohne weitere Maßnahmen (ausschleichend oder abrupt), Ausschleichen mit einer psychotherapeutischen Begleitung sowie Ausschleichen mit minimaler Zusatzunterstützung. Hinter der letztgenannten Strategie verbarg sich eine Studie, in der den behandelnden Hausärzten ein Brief zugesandt wurde, der Informationen zum Absetzen enthielt. Das Review zielte auf den Einsatz von Antidepressiva (mindestens 6 Monate) gegen depressive oder Angsterkrankungen; gefunden wurden aber nur Absetzstudien bei Patienten mit rezidivierender Depression.

Ergebnisse: Abruptes Absetzen (13 Studien) verdoppelte das Risiko für ein depressives Rezidiv im Vergleich zur Fortführung des Medikaments (Hazard Ratio [HR] 2,09; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 1,59-2,74), während Entzugssymptome nicht sicher erhöht nachweisbar waren (Odds Ratio [OR] 1,11; 95 %-KI 0,62-1,99]). Auch Ausschleichen (18 Studien) erhöhte das Risiko für ein depressives Rezidiv im Vergleich zur Fortführung (HR 2,97; 95 %-KI 2,24-3,93) ohne eindeutige Effekte auf Entzugssymptome (OR 1,06; 95 %-KI 0,82-1,38). In den drei Studien mit begleitender psychotherapeutischer Unterstützung ergab sich kein erhöhtes Rezidivrisiko (HR 0,89; 0,66-1,19) (Entzugssymptome nicht erfasst). Die minimale Unterstützung zeigte in der hierzu einzigen Studie keine klaren Effekte.

Schlussfolgerungen: Die Cochrane-Autoren betonen vorrangig die unzureichende Datenqualität, da alle eingeschlossenen Studien mit einer niedrigen methodischen Qualität (high risk of bias) bewertet wurden und da Entzugssymptome und Symptome eines möglichen depressiven Rezidivs in den Studien nicht sicher abgegrenzt werden konnten. Außerdem sei in den Ausschleich-Studien zu schnell ausgeschlichen worden (zumeist über maximal vier Wochen).

Van Leeuwen E, van Driel ML, Horowitz MA et al. Approaches for discontinuation versus continuation of long-term antidepressant use for depressive and anxiety disorders in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 4. Art. No.: CD013495