Ob eine immunmodulierende oder -suppressive Therapie in Zeiten der COVID-19-Pandemie ein erhöhtes Risiko für Patienten mit Multipler Sklerose (MS) bedeutet, ist derzeit nicht klar. Prof. Dr. Gavin Giovannoni vom Blizard Institut in Barts und der London School of Medicine in London, plädierte dafür, die Therapie nicht nur unter diesem Aspekt zu verzögern, zu deeskalieren oder gar ganz auszusetzen, sondern die Dringlichkeit der Therapie aufgrund der Krankheitsaktivität zu berücksichtigen und im Umfeld zum Schutz vor COVID-19 alle Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe zu ergreifen. Auch während COVID-19 sollte die MS seiner Meinung nach proaktiv behandelt werden und wie sonst auch auf eine Freiheit von Krankheitsaktivität abzielen (Abb. 1). Therapieentscheidungen müssen individuell mit dem Patienten getroffen werden. Empfehlungen dazu hat Giovannoni kürzlich publiziert [Giovannoni G et al. Mult Scler Relat Disord 2020;39:02073].

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Die Therapiestrategie muss auch während der COVID-19-Pandemie auf die MS-Krankheitskontrolle abzielen (nach Giovannoni G et al. Mult Scler Relat Disord 2020;39:102073)

Die Immunsuppression könnte für einige auch günstige Effekte haben. Der Anteil von immunsupprimierten Patienten an den intensivpflichtigen COVID-19-Patienten ist jedenfalls geringer als erwartet, berichtete Giovannoni. Möglicherweise ist dies auf eine Modulierung des durch die Virusinfektion teilweise hervorgerufenen Zytokinsturms zurückzuführen [Mehta P et al. Lancet 2020;395:1033-4]. Außerdem haben beispielsweise Betainterferone wie Interferon beta-1a (Rebif®) antivirale Eigenschaften. Deshalb ist der Therapiebeginn mit Betainterferonen auch aktuell möglich und die Therapie kann fortgesetzt werden, selbst wenn der Patient an COVID-19 erkrankt ist. Unklar ist, ob eine Therapie mit Cladribin (Mavenclad®) aktuell begonnen werden sollte. Cladribin war in klinischen Studien nicht mit einem gegenüber Placebo erhöhten Risiko für virale Infektionen assoziiert und die CD8-positive T-Zellen, die für die antivirale Immunabwehr besonders von Bedeutung sind, werden durch Cladribin weniger stark reduziert als CD4-positive T-Zellen oder B-Zellen. Eine bereits begonnene Cladribin-Therapie kann je nach individueller Risikoeinschätzung fortgesetzt oder der zweite Zyklus verzögert werden, im Falle einer COVID-19-Erkrankung ist der zweite Zyklus aber in jedem Fall zu verschieben, empfahl Giovannoni.

Virtuelles Symposium "MS Beyond 2020: expanding treatment options and considering new challenges", 30.4.2020. Veranstalter: Merck Serono