THS bei therapierefraktärer Zwangsstörung

Fragestellung: Ist die tiefe Hirnstimulation (THS) im ventralen anterioren Schenkel der capsula interna (ventraler ALIC) bei therapierefraktärer Zwangsstörung klinisch wirksam?

Hintergrund: Die THS wurde in den letzten Jahren weltweit als Behandlungsmethode für therapierefraktäre Patienten mit Zwangsstörung erprobt. Die meisten der bisher durchgeführten Studien umfassen allerdings nur geringe Fallzahlen oder Einzelfälle.

Patienten und Methodik: Die vorliegende Studie schloss 70 Patienten ein, die seit mindestens fünf Jahren an der Zwangsstörung erkrankt sein mussten, einen Y-BOCS Gesamtwert von mindestens 28 aufwiesen und die Kriterien für Therapierefraktärität erfüllten (definiert als Erfolglosigkeit von mindestens zwei Behandlungsversuchen mit SSRI über mindestens zwölf Wochen, ein Behandlungsversuch mit Clomipramin über mindestens zwölf Wochen, ein Versuch der medikamentösen Augmentation mit einem atypischen Antipsychotikum über mindestens acht Wochen und kognitiv-behaviorale Therapie [CBT]). Allen Patienten wurden Elektroden mit Kontakten im ventralen ALIC und ein Impulsgenerator implantiert. Zusätzlich zur Stimulation erhielten die meisten Patienten weitere CBT-Sitzungen. Primärer Endpunkt war die Reduktion der Y-BOCS (volle Response ≥ 35 %, teilweise Response 25-34 %, keine Response ≤ 25 %).

Ergebnisse: Nach zwölf Monaten war der mittlere Y-BOCS-Gesamtwert um 40 % reduziert (Abb. 1). Die Behandlung wurde bei 36 Patienten als erfolgreich, bei zwölf Patienten als teilweise erfolgreich und bei 22 Patienten als nicht erfolgreich klassifiziert. Zudem wurde der HAM-A-Wert um 55 % und der HAM-D-Wert um 54 % reduziert.

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Mod. nach Denys D et al. Am J Psychiatry 2020; 177: 265-71

Veränderungen der Y-BOCS-, HAM-A- und HAM-D-Skalen nach tiefer Hirnstimulation

Schlussfolgerung: Die THS des ventralen ALIC ist eine effektive und gut verträgliche Behandlungsoption für therapierefraktäre Patienten mit Zwangserkrankung.

Denys D, Graat I, Mocking R et al. Efficacy of deep brain stimulation of the ventral anterior limb of the internal capsule for refractory obsessive-compulsive disorder: A clinical cohort of 70 patients. Am J Psychiatry 2020; 177:265-71

Kommentar von Thomas Schüller, Köln

Mögliche Option für schwer betroffene Patienten

Die Studie untersuchte die Wirksamkeit der THS zur Behandlung von therapierefraktären Patienten mit Zwangsstörung. Die Studie zeigt, dass die meisten Patienten von der THS profitieren und stimulationsbedingte Nebenwirkungen größtenteils reversibel waren. Dem gegenüber steht ein Drittel der Patientenkohorte, welches nur unzureichend von der Behandlung profitiert hat. Eine Stärke der Studie ist die große Stichprobe, in welche auch Patienten mit schweren psychischen Komorbiditäten eingeschlossen wurden. Wünschenswert wären zusätzliche Angaben über den Langzeitstimulationserfolg gewesen.

Die Autoren stellen anschaulich dar, dass die exakte Implantation, die systematische Anpassung der Stimulationsparameter und der begleitende Einsatz von CBT wichtige Bausteine für den Behandlungserfolg sind. Um den bestmöglichen Behandlungserfolg zu ermöglichen, sollten diese Behandlungen in spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Zurzeit fehlen leider noch klinische oder anderweitige Indikatoren, die im Vorfeld dazu beitragen könnten, den Interventionserfolg für einen einzelnen Patienten vorherzusagen. Für schwer betroffene, anderweitig therapierefraktäre Patienten mit Zwangsstörung kann die THS des ventralen ALIC eine wirksame Behandlungsoption sein.

Dr. Thomas Schüller, Dipl.-Psych., Köln

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Universitätsklinikum Köln

E-Mail: thomas.schueller@uk-koeln.de