Optimierte Verfahren der Gendiagnostik erlauben es heute, mit weniger Aufwand als je zuvor eine Genomsequenzierung zurate zu ziehen. Das erleichtert die Suche nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Auf die Differenzialdiagnostik der Dystonien trifft das in besonderem Maß zu.

Bei Dystonien handelt es sich laut Prof. Dr. Thomas Gasser, Neurologie, Universitätsklinikum Tübingen, um eine sowohl phänotypisch als auch genetisch sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen. Die zugrundeliegende Mutation könne meist nicht aus dem klinischen Bild abgeleitet werden. Eine korrekte Diagnose könne aber durchaus therapierelevant sein. Mit wenigen Ausnahmen sei dazu eine Sequenzierung des kompletten Genoms angezeigt. Diese sei mittlerweile nicht wesentlich kostspieliger als die gezielte Suche nach einem einzelnen Gendefekt, und letztere ziehe bei negativem Ergebnis in der Regel dann doch eine weitläufigere Sequenzierung nach sich.

In einer aktuellen Studie konnte in einer nicht vorselektierten Kohorte mit 111 Dystoniepatienten durch die Genomsequenzierung bei 13 eine sichere genetische Diagnose gestellt werden. Die diagnostizierten Patienten hatten eher eine kombinierte Form einer Dystonie, wiesen also neben der Dystonie noch andere Bewegungsstörungen auf [1].

"Die Dystonie mit ADCY5-Mutation hat sich in den vergangenen Jahren als relativ häufig erwiesen," berichtet Gasser. Sie gehe mit einem besonders charakteristischen, andererseits aber auch variablen klinischen Manifestationsspektrum einher. Die assoziierte Erkrankung wurde erstmals 1978 in einer betroffenen Familie als "Dyskinesie mit fazialer Myokymie" beschrieben [2]. 2012 fand man in dieser Familie das assoziierte ADCY5-Gen [3]. Mittlerweile wurden über 70 weiteren Patienten mit demselben Gendefekt identifiziert. Die genaue Prävalenz dieser Erkrankung ist unbekannt [4].

Symptome durch Müdigkeit oder Stress ausgelöst

Die ADCY5-Dystonie ist gekennzeichnet durch perioral und periokulär betonte faziale Dyskinesen. Wenn zusätzlich Dyskinesien der Extremitäten auftreten, dann überwiegend an den Armen. Besonders charakteristisch sind paroxysmale, manchmal schmerzhafte dystone Exazerbationen, die durch Müdigkeit und Belastung ausgelöst werden können und Minuten bis Stunden anhalten. "Diese Exazerbationen können manchmal sogar im Schlaf auftreten, im Gegensatz zu den meisten anderen Bewegungsstörungen, die im Schlaf sistieren", erklärte Gasser. Weitere charakteristische Symptome sind eine axiale Hypotonie, die bei betroffenen Kindern zu Gangstörungen führen kann, eine Spastik in etwa der Hälfte der Fälle und Sprachentwicklungsstörungen, wahrscheinlich infolge der oralen Bewegungsstörungen. Manche Patienten sprechen auf eine Behandlung mit dem Carboanhydraseinhibitor Acetazolamid an [4].

12. Neurologie-Update-Seminar, 20.-21.3.2020, Livestream