Fragestellung: Zusammenfassung der Studienlage zur Senkung des Suizidrisikos bei affektiven Störungen.

Hintergrund: Bei Patienten mit bipolaren Störungen ist die Suizidrate trotz der zunehmenden Palette von stimmungsstabilisierenden Medikamenten nicht gesunken. Ein Phänomen, das am ehesten mit der schwierigen Therapie von depressiven oder gemischten Phasen zusammenhängt.

Patienten und Methodik: Dieser Übersichtsartikel fasst Literatur zu vollendeten Suiziden sowie zu suizidalem Verhalten bei bipolaren Störungen und bei Major Depression zusammen. Die Autoren ergänzen eigene vorherige Metaanalysen durch aktuelle Daten von Studien mit stimmungsstabilisierenden Medikamenten, bei denen Daten zu Suiziden erhoben wurden. Zusätzlich beurteilen sie die Datenlage hinsichtlich Suizidprävention für übrige, in der Therapie affektiver Erkrankungen eingesetzte Medikamente und erweitern die Perspektive punktuell auf Suizidprävention bei Schizophrenie.

Ergebnisse: Unter Berücksichtigung der Daten von 34 offenen und randomisierten Studien mit verschiedenen Vergleichsarmen versus Lithium zeigte sich eine 75 %ige Reduktion des Risikos für vollendete und unvollendete Suizide bei Patienten, die mit Lithium behandelt wurden (relatives Risiko [RR]: 0,241 [0,176 – 0,331] p < 0,0001). Diese Vergleichsstudien umfassten sowohl Lithium-Placebo-Vergleiche als auch Vergleiche von Lithium mit anderen, bei affektiven Störungen eingesetzten Präparaten. Die Risikoreduktion war sowohl bei unipolarer Depression (17 Studien, RR: 0,215 [0,158 – 0,292] p < 0,0001) als auch bei bipolaren Erkrankungen (14 Studien, RR: 0,187 [0,126 – 0,279] p < 0,0001) robust. Insbesondere aber war sie für vollendete Suizide bei bipolarer Erkrankung auch signifikant in der Untergruppe der Studien, die Lithium mit Antikonvulsiva als Phasenprophylaxe verglichen (sechs Studien, RR: 0,35 [0,254 – 0,437] p < 0,0001). In dieser besonders gefährdeten Gruppe lag die jährliche Suizidrate bei 0,278 % mit Lithium, im Vergleich zu 0,884 % bei Antikonvulsiva (Carbamazepin, Lamotrigin oder Valproat).

Schlussfolgerungen: Die langfristige antisuizidale Wirksamkeit von Lithium bei affektiven Erkrankungen ist robust belegt, obgleich die systematische Erforschung von Suizidalität methodisch schwierig ist. Dennoch hat, außer Clozapin bei Schizophrenie, keine Substanz, auch nicht Lithium, eine regulatorisch bestätigte Indikation zur Suizidprävention.

Kommentar von Maren Carbon, Berlin

Suizidprävention mit Lithium? — Ja, Ja und nochmals Ja!

Nachdem Baldessarini et al. bereits 2006 [1] in ihrer umfangreichen Metaanalyse mit damals 31 Studien, 85.229 Behandlungsjahre umfassend, zeigen konnten, dass der Einsatz von Lithium bei affektiven Störungen das Risiko von versuchten und vollendeten Suiziden um rund 80 % mindert, fragt man sich, warum wohl in den zwischenzeitlichen zwölf Jahren überhaupt noch Studien zu dieser augenscheinlich beantworteten Frage durchgeführt wurden.

In der Tat bestätigen Tondo und Baldessarini in ihrer aktuellen Übersicht zunächst ihre vorherige Aussage, die sich auch in den nationalen Behandlungsrichtlinien niedergeschlagen hat. Sie zeigen darüber hinaus, dass selbst das Hinzufügen von besonders problematischen Kohorten, wie die von Lauterbach et al. [2], nämlich Patienten mit kürzlich stattgehabtem Suizidversuch bei Erkrankung aus dem affektiven Spektrum, den robusten Vorteil von Lithium nicht schmälert. Ein weiterer, neuer Aspekt wird durch den Einschluss der Studie von Licht et al. [3] gezeigt, die durch eine besonders lange Nachbeobachtungsperiode von bis zu fünf Jahren hervorsticht. Die große Datenfülle ermöglichte den Autoren außerdem das relative Suizidrisiko unter Antikonvulsiva mit demjenigen unter Lithium direkt zu vergleichen. Ein Vergleich allerdings, der randomisierte und offene Studien poolt. Einschränkend ist überdies zu erwähnen, dass der Fülle an Ergebnissen eine Verknappung an methodischen Informationen gegenübersteht. So bleibt sowohl die genaue Suchstrategie zur Quellenlokalisierung als auch die Lokalisierung eventuell unveröffentlichter Daten offen. Darüber hinaus bleibt bei einigen Vergleichen unklar, welche Studien zusammengefasst wurden. Ungeklärt bleibt auch, warum wohl einige Fragestellungen metaanalytisch, andere narrativ beantwortet wurden.

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Priv.-Doz. Dr. med. Maren Carbon, Berlin