Beim Off-label-Use können haftungsrechtliche Konsequenzen drohen, obwohl der Off-label-Use in Deutschland gesetzlich gar nicht definiert ist, erläuterte Professor Peter Wolfgang Gaidzik, Medizinrechtsexperte aus Witten, anlässlich der diesjährigen Neurowoche in Berlin. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in dem Versuch einer Definition den Begriff sehr weit gefasst: „Unter ‚Off-label-Use‘ wird der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen, Patientengruppen) verstanden.“ Darunter kann auch eine nicht zugelassene Dosierung oder Applikationsform fallen, betonte Gaidzik.

Pflicht zum Off-label-Use

Ordentliche Gerichte deuten den Off-label-Einsatz oft anders als Sozialgerichte. So betonte das Oberlandgericht Köln im Aciclovir-Urteil 1990, dass es medizinisch zwingend geboten sein kann, ein nicht zur Behandlung einer Erkrankung zugelassenes Medikament einzusetzen, wenn es wissenschaftlich erprobt ist und als einzig nachhaltig Erfolg versprechendes Mittel zur Verfügung steht [1]. Die Unterlassung kann unter haftungsrechtlichen Aspekten standardwidrig oder sogar grob fehlerhaft sein, betonte Gaidzik.

Kostenerstattung problematisch

Auf der anderen Seite wird im Leistungsrecht die Kostenerstattung immer wieder an die Zulassung geknüpft. Das hat beispielsweise das Bundessozialgericht (BSG) 2002 im Fall eines nicht zugelassenen intravenösen Immunglobulin-Einsatzes bei Multipler Sklerose festgehalten und auf die Notwendigkeit einer besonders sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung hingewiesen [2]. Den Off-label-Einsatz sieht das Gericht auf Fälle beschränkt, in denen es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Damit wird der Einsatz zulasten der Kostenträger sehr beschränkt, denn als notwendige Evidenz nennt das Urteil kontrollierte klinische Studien der Phase III, Veröffentlichungen zu Qualität und Wirksamkeit in dem neuen Anwendungsgebiet, die zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen, oder einen Konsens der einschlägigen Fachkreise über einen voraussichtlichen Nutzen.

Diese Beschränkung hat der „Nikolausbeschluss“ des Bundesverfassungsgesetzes kurze Zeit später wieder relativiert [3]: Es sei mit den Grundrechten in Verbindung mit dem Sozialstaatprinzip nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten bei lebensbedrohlicher oder regelhaft tödlicher Erkrankung, für die es keine allgemein anerkannte Standardtherapie gibt, von der Leistung einer ärztlichen Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Das BSG entschied 2010 allerdings erneut, dass die arzneimittelrechtliche Zulassung der Maßstab für die Kostenerstattung ist und nahm einen Vertragsarzt wegen einer Off-label-Verordnung in Regress [4]. Grund war, dass das Medikament sich nicht gegen die Erkrankung selbst richtete, sondern nur die Begleiterscheinungen positiv beeinflusste wie hier Megestrolacetat bei Kachexie aufgrund eines Bronchialkarzinoms. Das BSG verlangt in seinem Urteil, in einem solchen Falle ein Privatrezept auszustellen und es dem Patienten zu überlassen, sich bei der Krankenkasse um die Erstattung der Kosten zu bemühen.

Off-label begründet nicht automatisch Haftung

Der Einsatz eines nicht zugelassenen Medikaments begründet haftungsrechtlich dagegen nicht den Vorwurf eines Behandlungsfehlers [5]. Das BSG wies in einem Urteil aus dem Jahr 2007 aber darauf hin, dass mit bisher nicht bekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist und deshalb eine besonders sorgfältige Abwägung erfolgen muss — nicht nur vor Behandlungsbeginn, sondern immer wieder neu auch während der Behandlung, wenn neue Erkenntnisse über Risiken und Nebenwirkungen vorliegen. Über solche neuen Erkenntnisse muss auch der Patient informiert werden.

Praktischer Umgang mit Off-label

Deshalb rät Gaidzik bei Einsatz von Medikamenten in einer nicht zugelassenen Indikation zur

  • kritischen und dokumentierten Abwägung von Nutzen und Risiken,

  • Aufklärung mit einer ausdrücklichen Erläuterung des zulassungsrechtlichen Status und der damit verbundenen Möglichkeit auch der bislang unbekannter Risiken,

  • Durchführung besonders intensiver Kontrollen während des Einsatzes der Therapie und darüber hinaus im weiteren Verlauf,

  • fortlaufenden Information über neue Erkenntnisse zu Risiken und Nebenwirkungen und

  • Information des Patienten über neue Erkenntnisse zur Risikolage — eventuell noch nach Abschluss der Behandlung.