Fragestellung: Ist eine Standardbehandlung plus intranasalem Esketamin einer Standardbehandlung plus Placebo bei schwer depressiven Patienten mit akuter Suizidalität überlegen?

Hintergrund: Patienten mit einer Depression haben ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko. Viele Patienten, die an akuter Suizidalität leiden, benötigen kurzfristig und zügig Hilfe. Da viele Interventionsmöglichkeiten nicht schnell genug wirken, ist oft eine stationäre Aufnahme mit engmaschiger Überwachung notwendig. Klassische Antidepressiva eigenen sich aufgrund ihrer mehrwöchigen Wirklatenz nur sehr eingeschränkt für die Akutintervention bei suizidalen Patienten. Das Ketamin-Isomer Esketamin führt auch bei schwer depressiven, therapierefraktären Patienten zu einer raschen (zwei bis vier Stunden) und deutlichen Symptomverbesserung. Kleinere Vorstudien zeigten einen positiven und vor allem schnellen Effekt auf akute Suizidalität.

Patienten und Methodik: Die randomisierte, placebokontrollierte, doppelt verblindete, multizentrische klinische Studie untersuchte den therapeutischen Effekt einer supportiven Therapie von intranasalem Esketamin gegenüber Placebo, jeweils zusätzlich zur Standardbehandlung. Einschlusskriterium war eine schwere Depression ohne psychotische Symptomatik. 68 Patienten wurde für 25 Tage in doppelt verblindete Behandlungsarme randomisiert und erhielten zweimal wöchentlich entweder 84 mg intranasal Esketamin oder eine Kontrollapplikation. Im Anschluss erfolgte ein achtwöchiges Follow-up. Primärer Studienendpunkt war die Differenz des MADRS-Wertes zwischen Baseline und vier Stunden nach erster nasaler Applikation. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem die Überprüfung der Suizidalität und die MADRS-Werte 24 Stunden nach erster Eskatamin-Gabe und am Ende der Doppelblindphase (Tag 25).

Ergebnisse: Vier Stunden nach erstmaliger intranasaler Applikation verringerte sich der MADRS-Wert in beiden Behandlungsarmen, mit einer statistisch signifikant höheren Verbesserung im Esketamin-Arm. Auch 24 Stunden nach erstmaliger intranasaler Applikation konnte dieser Effekt beobachtet werden. Keine Unterschiede gab es zum Ende der Doppelblindphase (Tag 25) und des Follow-up (Tag 81). Suizidalität nahm in der Esketamin-Gruppe vier Stunden nach erstmaliger intranasaler Applikation statistisch signifikant deutlicher ab als in der Kontrollgruppe. Insgesamt wurde die intranasale Esketamin-Gabe gut vertragen.

Schlussfolgerungen: Die Autoren folgerten, dass bei depressiven Patienten mit akuter Suizidalität die intranasale Applikation von Esketamin die depressive Symptomatik, inklusive einiger Parameter zur Suizidalität, schnell und effektiv reduziert.

Kommentar von David Herzog, Mainz

Auf dem Weg zur schnell wirksamen, antidepressiven Therapie

Die vorliegende klinische „Proof-of-concept“-Studie weist eine sehr hohe Qualität auf und beleuchtet ein besonders wichtiges Thema: Schnelle Behandlungseffekte sind in der Therapie der Depression — und im Besonderen bei der Behandlung von akuter Suizidalität — von großer Bedeutung. Kritisch zu sehen ist die relativ kleine Teilnehmerzahl, auch wenn die Studie einer vorherigen Poweranalyse unterzogen wurde. Dies mag erklären, warum einige interessante Ergebnisse die Schwelle zur statistischen Signifikanz leider nicht überschritten. Ferner ist die Verblindung — wie von den Autoren selbst eingeräumt — bei einem Vergleich Esketamin gegenüber Placebo sicherlich schwierig.

Zu einem entscheidenden Punkt findet sich in der Studie leider keine Angaben: Schloss die Standardbehandlung Benzodiazepine ein? Und wenn ja, wie wurde einer möglichen Verfälschung der schnellen antidepressiven Effekte Rechnung getragen? Eine Therapie mit Benzodiazepinen ist immerhin ein häufiges und effektives Mittel der Akutbehandlung.

Nichtsdestotrotz konnte die Studie einmal mehr zeigen, dass der „Ketamin-Hype“ durchaus vielversprechend ist und schnell wirksame Behandlungsoptionen für depressive Patienten schon heute verfügbar sind. Auch wenn Ketamin für die breite Patientenpopulation aufgrund des Nebenwirkungsprofils und des Abhängigkeitspotenzials nicht infrage kommen mag, gibt es doch schnell wirksame Substanzen, die diese Nebenwirkung in der präklinischen Phase bisher nicht gezeigt haben. Man kann also gespannt sein, wie sich zum Beispiel Hydroxynorketamin [1] oder Rapastinel [2] in klinischen Studien bewähren.

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Dr. med. David Herzog, Mainz