Fragestellung: Sind die Effektstärkenunterschiede von Citalopram und Paroxetin gegenüber Placebo dadurch zu erklären, dass die Patienten in randomisierten kontrollierten Studien aufgrund von Nebenwirkungen realisieren, dass sie sich in der Verumgruppe befinden?

Hintergrund: Es wurde immer wieder argumentiert, dass die Wirkung von Antidepressiva ganz oder zumindest zu einem großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass Patienten in randomisierten, placebokontrollierten Studien aufgrund von Nebenwirkungen realisieren, ob sie sich in der Verum- oder in der Placebogruppe befinden und daher höhere Erwartungen an die Wirksamkeit der Substanzen haben. Die Autoren gingen daher dieser Frage in einer Post-hoc-Analyse von Antidepressivastudien zu Citalopram und Paroxetin nach, die von der Industrie gefördert worden waren.

Patienten und Methodik: Die Autoren führten eine Analyse aller 15 Zulassungsstudien zu Citalopram und Paroxetin durch, welche die entsprechenden Firmen bei den Zulassungsbehörden eingereicht hatten. Einschlusskriterien waren die Behandlung erwachsener Patienten mit Depression, die Verwendung der Hamilton-Depressions-Skala und das Vorliegen individueller Patientendaten. Der Haupt-Outcome-Parameter war der Effektstärkenunterschied zwischen Patienten, die Citalopram oder Paroxetin erhielten und keine initialen Nebenwirkungen aufwiesen im Vergleich zu Patienten, die Placebo erhielten (mit oder ohne Nebenwirkungen). Darüber hinaus führten die Autoren weitere Sensitivitätsanalysen durch.

Ergebnisse: Beim Vergleich der mit Citalopram behandelten Patienten ohne Nebenwirkungen mit den mit Placebo behandelten Patienten zeigte sich eine Effektstärke zugunsten von Citalopram von 0,48. Für Paroxetin betrug der Effektstärkenunterschied 0,33. Auch bei Patienten, die initial Nebenwirkungen aufwiesen, zeigten die Antidepressiva eine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo. Nebenwirkungen waren nicht geeignet, den Therapieerfolg zu prädizieren. Weitere Sensitivitätsanalysen bestätigten die Befunde der Analyse des Haupt-Outcome-Parameters.

Schlussfolgerungen: Die Befunde sprechen dagegen, dass Antidepressiva nur aufgrund ihrer wahrgenommenen Nebenwirkungen einer Placebobehandlung überlegen sind.

Kommentar von Klaus Lieb, Mainz

Wichtige Information auch für die Patienten

Die kürzlich von Cipriani et al. publizierte Metaanalyse zu Antidepressivaeffekten hat zu einer gewissen Verunsicherung geführt, da die untersuchten Antidepressiva nur Effektstärken von 0,2 bis maximal 0,48 aufwiesen [1] (siehe auch InFo Neurologie & Psychiatrie 2018;20(5):11–14]. Die hier publizierte Studie ist in diesem Zusammenhang wichtig, da sie eine Hypothese widerlegt, die immer wieder kursiert, dass in den klinischen Studien die Antidepressiva nur aufgrund der wahrgenommenen Nebenwirkungen besser abschneiden als Placebo. Die Studie hat zwar nur zwei Antidepressiva untersucht und auch vergleichsweise geringe Patientenzahlen eingeschlossen, sie ist jedoch ein wichtiger Startpunkt für weitere Untersuchungen, die im Anschluss an diese Studie durchgeführt werden sollten und die die gefundenen Effekte bestätigen müssen. Für die Patienten ist diese Information wichtig, da sie das Vertrauen in die Behandlung mit Antidepressiva stärken kann.

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Prof. Dr. med. Klaus Lieb, Mainz