Fragestellung: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Epilepsie, Antiepileptikatherapie und schweren Verkehrsunfällen?

Hintergrund: Epileptische Anfälle schränken die Fahrtüchtigkeit ein. Zudem kann auch die Ätiologie der Epilepsie die Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen, einschränken. Die Regeln zum Führen von Fahrzeugen bei Epilepsie sind je nach Land verschieden. Die Therapie der Epilepsien mit Antiepileptika ist zwar meist eine Voraussetzung, um überhaupt wieder fahrtüchtig zu werden, andererseits kann die Fahrtüchtigkeit durch die Nebenwirkungen von Antiepileptika wieder eingeschränkt werden. Eine schwedischen Registerstudie untersuchte diese Zusammenhänge.

Patienten und Methodik: Eine Kohorte von Patienten mit Epilepsie wurde von 2006 bis 2013 nachverfolgt und es wurden schwere Verkehrsunfälle (definiert durch mindestens Notaufnahmebehandlung) mit dem Vorliegen der Epilepsie, der Einnahme von Antiepileptika und anderen Kofaktoren korreliert.

Ergebnisse: Es wurden 29.220 Personen mit 267.637 Kontrollen verglichen. In der Epilepsiegruppe traten 37 % mehr schwere Verkehrsunfälle auf, bei Fußgängerunfällen betrug die Hazard Ratio (HR) 2,24, bei Fahrradunfällen 1,68 und bei Autounfällen 1,31. Die Einnahme von Antiepileptika änderte die HR nicht.

Schlussfolgerungen: Verkehrsunfälle, die zu einer Hospitalisierung führten, waren bei Epilepsiepatienten statistisch signifikant häufiger und bei allen Arten der Verkehrsteilnahme nachweisbar. Die Einnahme von Antiepileptika veränderte das Risiko für Unfälle nicht.

Kommentar von Jan Rémi, München

Führerscheinberatung ist notwendig und muss dokumentiert werden

Die Teilnahme am Straßenverkehr, insbesondere als Fahrer eines Kraftfahrzeugs, steht im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Mobilität und den Einschränkungen durch die Grunderkrankung. Für Patienten mit Epilepsie sind klare, länderspezifische Regeln vorgegeben. Ein grundsätzliches, zum Beispiel lebenslanges Verbot der Teilnahme am Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen ist nicht zielführend, da bei zu strengen Regeln das Nichteinhalten des Fahrverbots sehr häufig ist (bis zu 70 % Nichtadhärenz [1]). Bei den Verkehrsregeln für Epilepsiepatienten wird typischerweise das Rezidivrisiko für epileptische Anfälle für die Begutachtung verwendet. Solche Daten geben jedoch keinen genauen Anhalt für das tatsächliche Unfallrisiko, da Epilepsiepatienten möglicherweise seltener und vorsichtiger Auto fahren und somit das seltene Risiko eines Anfalls noch weniger wahrscheinlich im Auto eintritt. Daher sind Studien, die das Risiko von Verkehrsunfällen der gesamten Epilepsiepopulation einschätzen, sehr hilfreich für den Alltag.

Die vorliegende Registerstudie zeigt, dass das Risiko für alle Arten von Unfällen erhöht ist. Die Rate schwerer Fahrradunfälle war sogar höher als die der schweren Autounfälle, somit ist Radfahren keine Alternative. Die Einnahme von Antiepileptika mit ihren möglichen Nebenwirkungen erhöhte die Unfallwahrscheinlichkeit nicht. Dies ist insofern hilfreich, da Medikamente bei Anfallsfreiheit für einige Patienten die Fahrtauglichkeit erst ermöglichen.

Interessanterweise ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Unfallwahrscheinlichkeit. In vorangegangenen Studien war gezeigt worden, dass junge Männer mit Epilepsie deutlich häufiger gegen Fahrtauglichkeitsregeln verstoßen als Frauen [2]. Neben Antiepileptika werden andere psychotrope Medikamente (z. B. Antidepressiva [3]) bei Epilepsiepatienten häufig eingesetzt. Die Einnahme solcher Medikamente erhöhte das Unfallrisiko in der vorliegenden Studie nicht.

Die Limitationen der Studie liegen in der Auswertung von Datenbanken, da hier Recall- und Selektionsbias systematische Fehler bedingen könnten. Zudem wird nicht ersichtlich, ob die Unfälle durch Anfälle oder aus anderen Gründen (z. B. höheres Risikoverhalten oder Unaufmerksamkeit) verursacht wurden. Diese fehlende Aufschlüsselung der Unfallursache ist jedoch andererseits für die Einschätzung der Fahrtauglichkeit nicht entscheidend, da hier die Gesamtzahl der Unfälle relevant ist.

Die Führerscheinregeln (www.bast.de) sind klar definiert, und die vorliegende Studie gibt weitere Hinweise darauf, warum eine Führerscheinberatung bei Epilepsiepatienten durchgeführt und dokumentiert werden muss.

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PD Dr. med. Jan Rémi