Fragestellung: Kann Andexanet alfa, ein modifiziertes, rekombiniertes, humanes Faktor-Xa-Protein die Wirkung der Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban und Apixaban aufheben?

Hintergrund: In den letzten Jahren wurden mit Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban drei Faktor-Xa-Hemmer für die Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern sowie zur Prophylaxe und Therapie von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien untersucht und zugelassen. Diese Substanzen sind zwar in der Summe etwas sicherer als Vitamin-K-Antagonisten, haben dessen ungeachtet aber das Risiko, zu schwerwiegenden Blutungskomplikationen zu führen. Daher ist es sehr wichtig, spezifische Gegenmittel zu entwickeln. Für die Behandlung von schwerwiegenden Blutungskomplikationen unter einer Dabigatran-Therapie wurde Idarucizumab entwickelt, das als Bolus gegeben wird und seit Dezember 2015 in Deutschland zugelassen ist. Andexanet alfa ist ein rekombinantes modifiziertes humanes Faktor-Xa-Protein, das Faktor-Xa-Hemmer neutralisiert. In Untersuchungen an älteren gesunden Probanden zeigte sich, dass eine Bolusgabe, gefolgt von einer zweistündigen Infusion, die gerinnungshemmende Wirkung der Faktor-Xa-Hemmer weitestgehend aufhebt [1]. Die Wirksamkeit der neuen Substanz sollte jetzt prospektiv in einer offenen Studie an Patienten mit schwerwiegenden Blutungskomplikationen unter der Therapie mit Apixaban oder Rivaroxaban untersucht werden.

Patienten und Methodik: In die multizentrische, prospektive, offene Studie wurden 67 Patienten mit schwerwiegenden Blutungskomplikationen innerhalb von 18 Stunden nach der letzten Einnahme von Rivaroxaban oder Apixaban eingeschlossen. Alle Patienten erhielten initial einen Bolus von 400 mg Andexanet alfa, gefolgt von einer zweistündigen Infusion mit 480 mg. Wenn die letzte Einnahme von Rivaroxaban oder Apixaban mehr als 7 Stunden zurücklag, betrug der Bolus 800 mg und die Infusion 960 mg. Der primäre Outcome waren die Anti-Faktor-Xa-Aktivität und die Hämostase im Zeitraum von 12 Stunden. Alle Patienten wurden über 30 Tage weiterverfolgt. In die Wirksamkeitsanalyse gingen 47 von 67 Patienten ein, die bei Studieneinschluss eine Anti-Faktor-Xa-Aktivität von mindestens 75 ng/ml hatten.

Ergebnisse: Das mittlere Patientenalter betrug 77 Jahre. Bei der Mehrzahl lagen gastrointestinale (49 %) oder intrakranielle Blutungen (42 %) vor. Je die Hälfte der Patienten war mit Rivaroxaban und Apixaban behandelt worden. Die mittlere Zeit von der Krankenhausaufnahme und der Gabe von Andexanet alfa lag bei 4,8 Stunden. Nach der Applikation des Bolus fiel die mediane Anti-Faktor-Xa-Aktivität um 89 %, im Vergleich zur Baseline für die mit Rivaroxaban behandelten Patienten, und um 93 % bei den Patienten, die Apixaban erhalten hatten. Diese niedrigen Wirkspiegel blieben während der zweistündigen Infusion erhalten. 4 Stunden nach Beginn der Gabe von Andexanet alfa stieg die Anti-Faktor-Xa-Aktivität wieder an und erreichte 39 % der Baselinewerte. 12 Stunden nach der Behandlung wurde die erreichte Hämostase als exzellent oder gut bei 37 von 47 Patienten eingestuft. Thrombotische Ereignisse traten bei zwölf von 67 Patienten während der nächsten 30 Tage auf.

Schlussfolgerungen: Bei Patienten, die unter einer Behandlung mit Apixaban oder Rivaroxaban eine schwerwiegende Blutungskomplikation erleiden, kann die Bolusgabe von Andexanet alfa, gefolgt von einer zweistündigen Infusion die biologische Aktivität der beiden Faktor-Xa-Hemmer um 90 % reduzieren. Fast 80 % der Patienten erreichen eine ausreichende Hämostase.

Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

Vielversprechende Ergebnisse, aber auch offensichtliche Nachteile

Die Ergebnisse der Andexanet-alfa-Studie sind sehr vielversprechend. Nach der Zulassung würde zum ersten Mal ein spezifisches Gegenmittel gegen Apixaban und Rivaroxaban zur Verfügung stehen. Edoxaban wurde in der vorliegenden Studie nicht untersucht. Die Studie zeigt aber auch einige Nachteile der Substanz:

  • Im Gegensatz zu Idarucizumab, das als einmaliger Bolus gegeben wird, muss hier ein Bolus gefolgt von einer zweistündigen Infusion gegeben werden.

  • Die Dosis von Bolus und Infusion richtet sich danach, wann die letzte Einnahme des Faktor-Xa-Hemmers erfolgte.

  • In die Studie wurden nur Patienten mit schwerwiegenden Blutungskomplikationen eingeschlossen.

Patienten, die eine dringende Operation beziehungsweise Intervention benötigen, wurden leider nicht untersucht. Bisher ist auch nicht bekannt, wie teuer das Gegenmittel gegen Faktor-Xa-Hemmer sein wird, nachdem die Substanz zugelassen ist.