Ist die Multiple Sklerose (MS) eine allein durch T-Zellen vermittelte Erkrankung? Dann ließe sich kaum erklären, warum der gegen CD20-positive B-Zellen gerichtete Antikörper Ocrelizumab bei schubförmiger und — als erstes Prüfmedikament überhaupt — auch bei primär progredienter MS wirkt.

„Jahrzehntelang wurde angenommen, MS sei eine allein durch T-Zellen vermittelte Erkrankung. In den letzten Dekaden gewonnene Daten legen aber nahe, dass auch B-Zellen eine Schlüsselrolle spielen“, betonte Professor Patrick Vermersch, Lille, Frankreich. So sind Antikörper in aktiven Läsionen nachweislich an der Demyelinisierung beteiligt. Außerdem sind B-Zellen in die Bildung ektopischer lymphoider, follikelartiger Strukturen involviert. B-Zellen können zudem nicht nur T-Zellen aktivieren und so zur Zytokinausschüttung anregen. Vermersch zufolge sind sie auch selbst dazu in der Lage, große Mengen pro-inflammatorischer Mediatoren wie Interleukin 6 freizusetzen. Einige der von B-Zellen freigesetzten Antikörper seien auch direkt pathogen. CD20-positive B-Zellen wurden dabei nicht nur in ZNS-Läsionen von Patienten mit schubförmiger MS, sondern auch mit primär oder sekundär progredienter MS (PPMS, SPMS) nachgewiesen [Josa M et al. Brain 2009; 132: 1175 – 89].

Wie Professor Giancarlo Comi, Mailand, Italien, ausführte, konnte unter allen bei PPMS erprobten Medikamenten bislang nur für den noch nicht zugelassenen, gegen CD20-positive B-Zellen gerichteten monoklonalen Antikörper Ocrelizumab eine Wirksamkeit gezeigt werden [Montalban X et al. Abstract 2368, ECTRIMS-Kongress, Barcelona 2015]. Nun wurden aktuell gepoolte Daten der Phase-III-Studien OPERA I und II präsentiert, denen zufolge Ocrelizumab (alle 24 Wochen 600 mg als i. v. Infusion) bei Patienten mit schubförmiger MS über 96 Wochen eine höhere Wirksamkeit zeigt als dreimal wöchentlich 44 μg Interferon beta-1a [Lublin F et al. Poster P21117, EAN-Kongress 2016]. Das Risiko der nach drei Monaten bestätigten Behinderungsprogression reduzierte das Prüfmedikament im Vergleich zum InterferonPräparat signifikant um 40 % (9,8 % vs. 15,2 %; p < 0,001) (▶Abb. 1). Bei 20,7 % der mit Ocrelizumab behandelten Patienten kam es zu einer mindestens drei Monate anhaltenden Verbesserung des Behinderungsgrades — und damit häufiger als in der aktiven Kontrollgruppe mit 15,6 % (p = 0,02).

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Kumulative Wahrscheinlichkeit der Behinderungsprogression unter Ocrelizumab versus Interferon beta-1a bei Patienten mit schubförmiger MS.