Fragestellung: Wie lassen sich „niedriger-gradige“ Gliome besser klassifizieren?

Hintergrund: Die rein histologische Klassifikation von „niedriger-gradigen“ Gliomen ist unbefriedigend, weil sich hinter morphologisch ähnlichen Tumoren Erkrankungen mit sehr unterschiedlicher Prognose verbergen und weil sich aus den histologischen Befunden bisher kaum allgemein akzeptierte Therapieleitlinien herleiten lassen. Die gültige WHO-Klassifikation unterscheidet reine Astrozytome, reine Oligodendrogliome und Mischtumoren des WHO-Grads II, sowie entsprechende anaplastische Varianten des WHO-Grads III. Es herrscht der Glaube, dass Astrozytome eine ungünstigere Prognose haben als oligodendrogliale Tumoren und es bleibt unklar, wo die oligoastrozytären Mischtumoren anzusiedeln sind. Das TCGA-Netzwerk berichtet nun über die Ergebnisse einer fundierten molekulargenetischen Analyse dieser Tumoren.

Patienten und Methodik: Eine Serie von 293 „niedriger-gradigen“ Gliomen der WHO-Grade II und III bei Erwachsenen wurde mittels Exomasequenzierung, DNA-Kopieanalyse, DNA-Methylierungsanalyse, Transkriptomanalyse, Mikro-RNA-Expression und gezielter Proteomik untersucht. Die Ergebnisse wurden mit klinischen Verlaufsdaten korreliert.

Ergebnisse: Die komplexe Hochdurchsatzanalytik ergab im Wesentlichen drei Klassen von „niedriger-gradigen“ Gliomen: Patienten mit Isozitratdehydrogenase (IDH)-1/2-mutierten Tumoren und 1p/19q-Kodeletion hatten die beste Prognose. Diese Tumoren zeigten häufig Mutationen in CIC, FUBP1, NOTCH1 und im TERT-Promotor. Die zweite Gruppe mit IDH-1/2-Mutation, aber ohne 1p/19q-Kodeletion hatte Mutationen in TP53 und zeigte eine ATRX-Inaktivierung. Die dritte Gruppe der Patienten mit „niedriger-gradigen“ Gliomen hatte Tumoren ohne IDH-1/2-Mutation, die molekular und prognostisch häufig Ähnlichkeiten zu Glioblastomen aufwiesen.

Schlussfolgerungen: Mit einer sehr aufwändigen, umfassenden molekularen Analyse wurden drei Klassen von „niedriger-gradigen“ Gliomen identifiziert, die eine unterschiedliche Prognose aufweisen. Diese Klassen müssen in der Revision der WHO-Klassifikation der primären Hirntumoren abgebildet werden.

Kommentar von Michael Weller, Zürich, Schweiz

Neue klinische Studien anhand dieser Dreiteilung entwerfen

Nach den bahnbrechenden Ergebnissen aus den Analysen zum Glioblastom, die die Literatur maßgeblich beeinflusst haben, zeigt diese hochrangig publizierte Folgearbeit zu den „niedriger-gradigen“ Gliomen des TCGA, dass sich diese Tumoren in drei Klassen einteilen lassen, die sich prognostisch sehr unterscheiden. Das Konzept, dass sich eine solche Dreiteilung andeutet, ist allerdings nicht neu, sondern unter anderem durch das Deutsche Gliomnetzwerk [1] und zahlreiche andere Arbeiten bereits vorweggenommen worden [2]. Eine ähnliche Dreiteilung gibt es auch bei den anaplastischen Gliomen in der NOA-04-Studie [3], sodass die WHO-Gradierung nach II und III infrage gestellt werden sollte. Unbestritten liegt hier die größte, umfangreichste molekulare Charakterisierung von Gliomen der WHO-Grade II und III vor, aber die praktische Konsequenz bleibt die Forderung, dass als erster Parameter bei diesen Tumoren IDH bestimmt werden sollte und nur bei IDH-1/2-mutierten Tumoren die Prüfung des 1p/19q-Status indiziert ist. Mit diesem einfachen Vorgehen lassen sich die wesentlichen prognostischen Subgruppen dieser Tumoren identifizieren und neue klinische Studien sollten anhand dieser Dreiteilung entworfen werden.

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Prof. Dr. med. Michael Weller, Zürich/Schweiz