Fragestellung: Sind Lebensstilinterventionen effektive, praktikable und nicht stigmatisierende Möglichkeiten der Prävention von schweren depressiven Episoden bei älteren Erwachsenen mit subsyndromalen depressiven Symptomen?

Hintergrund: Die Publikation bezieht sich auf eine Studie von Reynolds CF 3rd et al. [1]. In dieser Studie sollte die Wirksamkeit problemlösungsorientierter Therapieansätze in der medizinischen Erstversorgung zur Prävention schwerer depressiver Episoden, Linderung depressiver Symptomatik und Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität untersucht werden. In einer experimentellen Gruppe wurden problemlösungsorientierte Therapieansätze vermittelt, die Kontrollgruppe erhielt Ernährungs-Coaching. Zur Überraschung der Wissenschaftler unterschieden sich die beiden Gruppen nicht signifikant bezüglich der Ergebnisse.

Patienten und Methodik: Insgesamt wurden 247 Teilnehmer mit subsyndromalen depressiven Symptomen ausgewählt und auf zwei randomisierte Studienarme verteilt. Es wurden Probanden über 50 mit einem CES-D-Score größer oder gleich elf gescreent. Ausschlusskriterien waren eine aktuelle oder schwere depressive Episode nach DSM-IV-Kriterien im letzten Jahr, ein MMST unter 24, Alkohol- oder Substanzabhängigkeit in den letzten zwölf Monaten, bipolare, psychotische oder neurodegenerative Störungen. 122 Teilnehmer erhielten Ernährungs-Coaching nach den Ernährungsrichtlinien der Essenspyramide des US Department of Agriculture. Im Schnitt waren die Teilnehmer der Kontrollgruppe 65,59 Jahre alt, 71 % Frauen. Zum Startzeitpunkt betrug der CES-D-Score im Mittel 21,15 (SD = 7,91), der BDI-Score 9,92 (SD = 5,51). Das Ernährungs-Coaching wurde in sechs bis acht 30 bis 60 Minuten dauernden Sitzungen über sechs bis zwölf Wochen vermittelt. Drei, neun und 15 Monate nach Ende der Behandlungsphase erfolgten Auffrischsitzungen.

Ergebnisse: 21,1 % der Probanden in der Kontrollgruppe schieden vor Ablauf der zweijährigen Studiendauer vorzeitig aus. 95 Teilnehmer im Studienarm mit dem Ernährungs-Coaching beendeten die Studie, davon entwickelten zehn (10,5 %) eine schwere depressive Episode. Dies entspricht einer deutlich geringeren Inzidenz der Entwicklung einer schweren depressiven Symptomatik im Vergleich zu Literaturangaben von 20 – 25 % bei Personen mit subsyndromalen Symptomen einer Depression innerhalb eines Jahres. Die Teilnehmer erlebten eine 40 – 50 %ige Verbesserung der depressiven Symptomatik, der BDI-Score fiel im Schnitt auf 5,93 (SD = 4,94). Dieser Effekt blieb für zwei Jahre erhalten. Zudem verbesserte sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Insgesamt entsprachen diese Ergebnisse den Verbesserungen in Bezug auf Symptomlast, Lebensqualität, Coping-Strategien und Gewichtsentwicklung im Studienarm mit den problemlösungsorientierten Therapieansätzen.

Schlussfolgerungen: Die Autoren sehen Lebensstilinterventionen als vielversprechende Strategie für die indizierte Depressionsprävention bei älteren Risikopatienten.

Kommentar von Jessica Krebs, Erlangen

Geringe Evidenz, möglicherweise aber ein interessantes Forschungsfeld

Die Publikation geht nicht auf eine mögliche Verblindung der Gruppen ein, sodass eine Bewertung anhand des JADAD-Scores nicht möglich ist. Die Autoren adressieren selbst die Problematik, dass die Untersuchung keine direkte Evidenz von Wirksamkeit nachweist. Interessant erscheint für sie vor allem die mögliche Nutzbarkeit im US-Gesundheitssystem, wo besonders gesellschaftlich marginalisierte Gruppen oft keinen Zugang zu adäquater antidepressiver Behandlung erhalten oder aus Furcht vor Stigmatisierung nicht wünschen. In der Publikation wird jedoch nicht auf den sozioökonomischen Status oder die Ernährungsgewohnheiten der Probanden eingegangen. Ebenfalls problematisch ist, dass die Studie zum Vergleich der gesunkenen Inzidenz nur (uneindeutige) Literaturangaben heranzieht.

Als stärkste Prädiktoren für das Auftreten einer schweren depressiven Episode trotz Intervention zeigten sich höhere kumulative Komorbidität, geringere gesundheitsbezogene Lebensqualität und eine stärkere Ausprägung depressiver Symptomatik zu Interventionsbeginn. Es stellt sich daher die Frage, für welche Personen lebensstilbezogene Therapieansätze präventiv wirken können, ob nicht genau diejenigen mit dem höchsten Risikoprofil nicht davon profitieren. Insgesamt stellen lebensstilbezogene Therapieansätze ein möglicherweise interessantes Forschungsfeld dar, die tatsächliche klinische Wirksamkeit und Relevanz ist jedoch erst noch nachzuweisen.