Fragestellung: Welchen Effekt haben Universitätsregeln für Medizinstudierende zum Umgang mit der Pharmaindustrie auf die Verschreibungspraxis neu zugelassener Psychopharmaka?

Hintergrund: Etwa 80% der Ärzte werden mindestens einmal pro Woche von Pharmavertretern besucht [1]. Auch Studierende haben schon während des Studiums engen Kontakt mit Pharmavertretern [2]. Die Auswirkungen dieser Kontakte auf das Verschreibungsverhalten dieser Studierenden, wenn sie später im Arztberuf tätig sind, sind bisher nur unzureichend untersucht. Diese Studie untersuchte den Effekt der Einführung von Regeln für Studierende zum Umgang mit der Pharmaindustrie an 14 US-amerikanischen Universitäten auf die Verschreibungspraxis von Ärzten, die an diesen Universitäten studiert hatten.

Methodik: Untersucht wurde die Wahrscheinlichkeit, mit der Ärzte drei neu zugelassene Psychopharmaka (Lisdexamphetamin, Paliperidon und Desvenlafaxin) im Vergleich zu Alternativen verordneten, und zwar in Abhängigkeit davon, ob sie vor oder nach der Einführung von universitären Regeln zum Umgang mit der Pharmaindustrie im Jahr 2004 die Universität verlassen hatten. Die Regeln der Universitäten variierten von einem völligen Verbot der Annahme von Geschenken von Pharmavertretern bis hin zu schwächeren und nicht eindeutigen Regeln.

Ergebnisse: Ärzte, die eine der 14 Universitäten besucht hatten, nachdem Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten mit der Pharmaindustrie eingeführt worden waren, verordneten in Relation zu Alternativsubstanzen weniger häufig Lisdexamphetamin (5,9% vs. 7,4%; Odds Ratio [OR] 0,44) und Paliperidon (0,5% vs. 1,7%; OR 0,25), nicht aber Desvenlafaxin, im Vergleich zu Ärzten, die vor der Einführung dieser Regeln die Universität verlassen hatten. Studierende, die länger solchen und strengeren Regeln ausgesetzt waren, zeigten noch geringere Verordnungsdaten.

Schlussfolgerungen: Die Autoren folgern, dass die Einführung von universitären Regeln zur Interessenkonfliktreduktion mit der Pharmaindustrie bei von diesen Universitäten abgehenden Ärzten bei zwei von drei neu eingeführten Psychopharmaka zu niedrigeren Verordnungen führte.

Kommentar von Klaus Lieb, Mainz

Regeln für Studierende aufstellen

Seit der Einführung von sogenannten „PharmFree scorecards“ durch die Vereinigung der amerikanischen Medizinstudierenden in 2002 haben heute fast alle US-amerikanischen Universitäten Regelungen für ihre Studierenden zum adäquaten Umgang mit der Pharmaindustrie eingeführt. Bisher war der Effekt dieser Regeln auf das spätere Verordnungsverhalten der Ärzte unbekannt. Diese Studie zeigt erstmals, dass solche Regeln auch das Verordnungsverhalten verändern. Um diesen Effekt zu zeigen, konzentrierten sich die Ärzte auf drei Medikamente, die als Schritt- oder Scheininnovationen bezeichnet werden können, da sie nur einen geringen bis keinen Zusatznutzen gegenüber bereits auf dem Markt befindlichen Substanzen aufweisen. In Deutschland sind diese Substanzen (noch) nicht auf dem Markt (Lisdexamphetamin und Desvenlafaxin) oder nur als Depotpräparat verfügbar (Paliperidon). Solche Substanzen werden besonders intensiv beworben. Die Studie stellt eine wichtige Anregung dar, auch an deutschen Universitäten entsprechende Regeln für Medizinstudierende aufzustellen, um die spätere Verschreibung von teuren Substanzen mit wenig bis keinem Zusatznutzen zu reduzieren.

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Prof. Dr. med. Klaus Lieb, Mainz Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz E-Mail: klaus.lieb@unimedizin-mainz.de