Fragestellung: Spiegeln Expertenkriterien für die Remission einer Schizophrenie den Symptomrückgang und die verbesserten sozialen Funktionen im praktischen Alltag wider?

Hintergrund: Der Begriff „Remission“ einer Schizophrenie wird durch ein symptombezogenes Schwerekriterium und ein Zeitkriterium definiert [1]. Das symptombezogene Kriterium ist durch niedrige Intensität oder Fehlen von acht Kernsymptomen der Schizophrenie operationalisiert, das Zeitkriterium durch Aufrechterhaltung der Besserung für mindestens sechs Monate [1, 2]. Diese Operationalisierung stellt die Grundlage für die Untersuchung von Remission in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen dar. Allerdings basieren validierende Untersuchungen zu Behandlungsergebnissen, Symptomschwere, Pflegebedürftigkeit und Lebensqualität häufig auf standardisierten Fremdratings, nicht auf Selbstberichten der Patienten und deren Erlebnissen im täglichen Leben. Ziel der Studie war es, anhand von zeitlich verteilten Momentaufnahmen in Form von Selbstberichten zu erfassen, welche Alltagsfunktionen bei Patienten, welche die Remissionskriterien erfüllen, im Vergleich zu nicht remittierten Patienten und zu Gesunden im Alltag vorliegen.

Patienten und Methodik: Es wurden Daten von 191 Patienten mit Schizophrenie-Spektrums-Störung und 168 gesunden Probanden aus drei niederländischen Studien gepoolt. Alle Teilnehmer waren 18 bis 65 Jahre alt, gesunde Probanden durften keine Lebenszeitdiagnose für affektive Störungen oder Psychosen und auch keine positive psychiatrische Familienanamnese aufweisen. Es wurde die Experience Sampling Method (ESM, [3]) eingesetzt: Eine programmierte Armbanduhr forderte die Teilnehmer an sechs aufeinander folgenden Tagen zehnmal täglich zu unvorhersehbaren Zeiten dazu auf, Selbstbeurteilungen zu Stimmung, Positiv- und Negativsymptomatik, sozialer Funktion und Aktivitätsniveau auszufüllen. Die Erfüllung von Remissionskriterien wurden durch Fremdbeurteilung mittels „Positive and Negative Syndrome Scale“ (PANSS) innerhalb einer Woche nach der ESM-Datenerhebung erfasst.

Ergebnisse: In die Analyse gingen 177 Patienten und 148 Kontrollprobanden ein, von denen 70 Patienten die Remissionskriterien erfüllten. In der ESM-Erfassung berichteten Patienten ein schlechteres Funktionsniveau als gesunde Kontrollen. Im Vergleich zu nicht-remittierten Patienten zeigten remittierte Patienten signifikant weniger Positivsymptome, insbesondere auditorische und visuelle Halluzinationen und Wahndynamik, sowie signifikant weniger Negativsymptome, insbesondere weniger negative Affekte und vermehrt positive Affekte. In ihrem täglichen Leben verbrachten Patienten ungeachtet ihres Remissionsstatus signifikant mehr Zeit alleine und zeigten eine höhere Präferenz für das Alleinsein als gesunde Kontrollen. Das subjektive Aktivitätsempfinden unterschied sich nicht zwischen den drei Gruppen, allerdings verbrachten Patienten signifikant mehr Zeit mit Nichtstun und gingen zielgerichteten Aktivitäten seltener nach. Remittierte Patienten gingen häufiger zielgerichteten Tätigkeiten nach als nicht-remittierte.

Schlussfolgerungen: Diese Studie liefert eine praxisnahe Validierung der Konsensuskriterien für die Remission von Schizophrenie, da remittierte Patienten weniger Positiv- und Negativsymptome aufwiesen. Bei den Alltagsfähigkeiten zeigte sich ein gemischtes Bild. Sowohl die remittierten als auch die nicht-remittierten Patienten erzielten niedrigere Werte in Maßen der sozialen Funktionsfähigkeit verglichen mit gesunden Probanden, mit geringen Unterschieden zwischen den Patientengruppen. Die Studie zeigt, dass eine Remission der Symptome nicht mit einer funktionellen Erholung gleichzusetzen ist. Obwohl Patienten in Remission eine Verringerung der Symptomatik berichteten, waren ihre Alltagsfunktionen gegenüber Gesunden deutlich reduziert. Die symptomatische Remission ist als Behandlungsziel zu begrenzt, grundsätzlich sollte eine funktionelle Remission angestrebt werden. ESM kann eine hilfreiche und sensitive Methode zur Erfassung der Alltagsfunktionen sein.

Kommentar von Carsten Konrad, Sadat Shirazi und Tilo Kircher, Marburg

Therapiemaßnahmen und -evaluationen so alltagsnah wie möglich

Die Studie von Oorschot et al. hebt zu Recht auf die Differenzierung zwischen symptomatischer und funktioneller Remission ab. Sie belegt erneut, dass eine Symptomreduktion nicht automatisch eine Verbesserung der Alltagsfähigkeiten bedeutet. Dieses Ergebnis erinnert an die vielen Interventionsstudien, in denen einzelne Fähigkeiten von schizophrenen Patienten systematisch trainiert werden, aber die Erfolge aus dem „künstlichen“ Training kaum auf den Alltag transferiert werden können. Offenbar greift im Alltag ein wesentlich komplexeres Gefüge aus kognitiven, emotionalen, motivationalen und anderen Faktoren ineinander, als sich in der Reduktion von Einzelsymptomen oder Verbesserung von Einzelfunktionen abbildet. Diese Erkenntnisse sprechen dafür, sowohl Therapiemaßnahmen als auch -evaluationen so alltagsnah wie möglich auszurichten.