In der COVID-19-Pandemie wurden aus Krankenhäusern und hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen zum Teil konträre Signale übermittelt, was die Versorgungssituation von Krebserkrankten betrifft. Um einen besseren Einblick zu erlangen, wie Krebspatientinnen und -patienten ambulant in der Pandemie behandelt werden, wurde eine Umfrage unter hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen durchgeführt. Nachfolgend werden deren wichtigste Ergebnisse dargestellt.

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© Qwenergy / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)

Die Mehrzahl der hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen hat unter anderem mit einer Einführung von Telefonsprechstunden auf die Pandemie reagiert. Ein kleinerer Teil (12 %) hat sogar Videosprechstunden eingeführt. Insgesamt ist die Nachfrage nach Videosprechstunden vonseiten der Betroffenen aufgrund des höheren Durchschnittsalters geringer. Das könnte sich mit zukünftigen Generationen aber ändern.

Die COVID-19-Pandemie hat weltweit Auswirkungen auf die Versorgung von Krebserkrankten. So wurde unter anderem berichtet über [1, 2, 3, 4]:

  • Verzögerungen bei Krebsfrüherkennungsuntersuchungen,

  • Veränderungen der Behandlungspfade (z. B. in der Nachsorge, der psychoonkologischen Versorgung, bei Ernährungs- und Bewegungstherapien sowie Sozialberatungen),

  • Verschiebungen elektiver Leistungen,

  • Aussetzen klinischer Studien,

  • eine höhere Wahrscheinlichkeit schwerer Krankheitsverläufe im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion bei Krebserkrankten sowie

  • eine höhere Arbeitsbelastung der medizinisch Versorgenden und Veränderungen der einrichtungsinternen Abläufe.

Kliniken und Krankenhäuser verzeichneten pandemiebedingte Einschränkungen in der Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten [5]. Im Gegensatz dazu konnte in Bezug auf die ambulante Versorgung von Krebserkrankten anhand von Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung gezeigt werden, dass die medikamentöse Krebstherapie in den hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen im Verlauf der Pandemie fortgesetzt wurde [2]. Darüber hinaus deuten die Daten darauf hin, dass es im Durchschnitt pro Praxis einen Zuwachs an Krebspatientinnen und -patienten gab. Diese Angaben basieren auf anonymisierten Versionen der Datensätze, die die Praxen an ihre jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zur Abrechnung senden [2]. Die Fortschreibung der KV-Abrechnungsdaten aus den Schwerpunktpraxen zeigt für das erste Quartal 2021 einen weiteren Anstieg - sowohl der Krebserkrankten als auch der übrigen Patientinnen und Patienten (Abb. 1). Der prozentuale Anteil an Krebspatientinnen und -patienten hat bereits in den Jahren 2016 bis 2019 von 67 % auf 84 % zugenommen. Im zweiten Quartal 2020 ist dieser Anteil auf 89 % angestiegen und hat sich im dritten Quartal 2020 mit 84 % und im ersten Quartal 2021 mit 81 % wieder dem Vorjahresniveau angeglichen. Auch die absolute Anzahl der übrigen Patientinnen und Patienten ist im Vergleich zu den vorliegenden Daten aus 2020 zu Beginn des Jahres 2021 deutlich gestiegen. Für das vierte Quartal 2020 liegen derzeit keine Daten vor.

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Entwicklung der durchschnittlichen Anzahl an Patientinnen und Patienten in hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen in den vergangenen fünf Jahren basierend auf Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV).

Die in Abb. 1 dargestellten Ergebnisse beziehen sich allein auf die Versorgung in hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen. Zieht man die KV-Abrechnungsdaten aller in Deutschland im Jahr 2020 betreuten Krebserkrankten heran, zeigen sich im Jahresverlauf von Ende März bis Ende Mai zunächst geringere Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr, gefolgt von einem Anstieg und einer Annäherung zum Vorjahresniveau und schließlich einem erneuten Rückgang der Fallzahlen im November [6]. Diese Schwankungen entsprechen weitestgehend der zu erwartenden Entwicklung der Zahlen an Patientinnen und Patienten angesichts des Infektionsgeschehens und den damit einhergehenden Maßnahmen und Lockerungen der Kontaktbeschränkung [6].

Eine Erklärungsmöglichkeit für den beobachteten Anstieg der Anzahl der versorgten Krebspatientinnen und -patienten in den hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen liegt in der Übernahme der Behandlung von Patientinnen und Patienten, die zuvor in umliegenden oder kooperierenden Klinikambulanzen behandelt wurden [7]. Um diesem Erklärungsansatz nachzugehen und weitere Kenntnisse über die Versorgungssituation in der ambulanten hämatoonkologischen Versorgung zu erlangen, wurde eine Umfrage unter allen Mitgliedspraxen des Wissenschaftlichen Instituts der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO) durchgeführt.

Methodik

Die Befragung der WINHO-Mitgliedspraxen fand Ende April/Anfang Mai 2021 statt. Um einen schnellen und möglichst komplikationslosen Rücklauf zu erreichen, erfolgte die Umfrage per Faxaufruf an 167 Mitgliedspraxen des WINHO und umfasste eine DIN-A4-Seite. Der ausgefüllte Fragebogen wurde von den Mitgliedspraxen an das WINHO zurückgefaxt. Eine Zuordnung der Faxnummern oder der geografischen Verteilung anhand der Faxnummern erfolgte zur Wahrung der Anonymität nicht. Die Daten wurden per Hand in eine Excel-Tabelle eingegeben und mittels Statitistikauswertungssoftware (SPSS-Version 27) deskriptiv ausgewertet. Neben Fragen zur Anzahl der versorgten Patientinnen und Patienten adressiert die Kurzbefragung der Praxen Themen wie pandemiebedingte Kurzarbeit und Schließungen von Praxen aufgrund von Quarantänevorschriften, das Angebot von Telefon- und Videosprechstunden sowie von COVID-19-Schutzimpfungen und SARS-CoV-2-Testmöglichkeiten für die Praxismitarbeitenden.

Ergebnisse der Befragung der Schwerpunktpraxen

Insgesamt haben sich 115 hämatoonkologische Schwerpunktpraxen an der Befragung beteiligt (Rücklaufquote: 69 %). 38 % der befragten Praxen geben einen zeitweisen Rückgang, 35 % einen Anstieg der Anzahl an Patientinnen und Patienten an. Schwankungen, also sowohl eine Reduktion als auch einen Anstieg der Anzahl an Patientinnen und Patienten im Zeitverlauf, verzeichneten nur knapp 6 % der Schwerpunktpraxen. 99 % der Praxen, die sich an der Befragung beteiligten, haben mindestens eine Klinik im Einzugsgebiet. Ein knappes Drittel (31 %) der Praxen hat seit März 2020 einen Anstieg der Zahl der Patientinnen und Patienten aus diesen Kliniken erfahren (Tab. 1).

T1 Entwicklung der Patientenzahl

Fast drei Viertel (74 %) der Schwerpunktpraxen bieten ihren Patientinnen und Patienten seit dem ersten Lockdown in der COVID-19-Pandemie die Möglichkeit einer Telefonsprechstunde an (Abb. 2). Dieses Angebot hat es gleichermaßen in Praxen mit und ohne Zuwachs der Anzahl an Patientinnen und Patienten gegeben (72 bzw. 75 %). Eine Videosprechstunde hingegen wurde deutlich seltener etabliert. Von den befragten Schwerpunktpraxen geben 12 % an, seit Beginn der Pandemie eine Videosprechstunde anzubieten. Videosprechstunden werden tendenziell häufiger von Praxen angeboten, die auch einen Zuwachs bei der Zahl der zu versorgenden Personen verzeichnen (18 bzw. 8 %).

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Telemedizinische Versorgungsangebote der hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen

Von vorübergehenden Schließungen der Praxis aufgrund von Quarantänevorschriften und von der Notwendigkeit, zeitweise Kurzarbeit anmelden zu müssen, waren jeweils nur wenige (4 und 5 %) der Schwerpunktpraxen betroffen (Tab. 2). Die Praxen, die zeitweise Kurzarbeit anmelden mussten, gaben bis auf eine Praxis ebenfalls an, dass sie einen Rückgang bei der Anzahl an Patientinnen und Patienten verzeichnet haben.

T2 Praxisschließungen und Kurzarbeit

In 60 % der hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen werden Schutzimpfungen gegen COVID-19 durchgeführt (Tab. 3). Alle Praxismitarbeitenden der Schwerpunktpraxen haben bereits die Option für eine Impfung gegen COVID-19 erhalten. Darüber hinaus werden in fast allen Praxen SARS-CoV-2-Schnelltests für die Mitarbeitenden angeboten.

T3 COVID-19-Impfungen und SARS-CoV-2-Schnelltests

Diskussion

Betrachtet man alle Patientinnen und Patienten unabhängig von der Art ihrer Erkrankung, haben auch die hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen Schwankungen im Verlauf der COVID-19-Pandemie bei der Anzahl der zu versorgenden Personen erfahren. Jeweils etwas unter 40 % der befragten Praxen haben zeitweise einen Anstieg bzw. Rückgang der Anzahl an Patientinnen und Patienten erfahren. Jedoch verdeutlicht die Unterscheidung zwischen allen Patientinnen und Patienten und denjenigen mit aktiver Krebstherapie, dass die Versorgung von Krebserkrankten in den hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen aufrechterhalten werden konnte [2]. Darüber hinaus haben knapp ein Drittel der befragten Schwerpunktpraxen weitere Krebspatientinnen und -patienten aus umliegenden Krankenhäusern mitversorgt, sodass sich das Aufkommen an Patientinnen und Patienten in diesen Praxen trotz der COVID-19-Pandemie und den zusätzlichen Schutzmaßnahmen und dem höheren Arbeitsaufwand erhöht hat.

Ob dieser Anstieg auch nach der COVID-19-Pandemie anhält, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Auch die langfristigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das Krebsgeschehen in Deutschland werden sich erst in den nachfolgenden Jahren zeigen. Insbesondere betrifft dies die Folgen verspäteter Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und damit einhergehender möglicherweise erst später bzw. im fortgeschrittenerem Stadium identifizierten Krebserkrankungen [8, 9, 10]. Neben den rein klinischen Auswirkungen sollten jedoch die psychosozialen Folgen der COVID-19-Pandemie für Krebserkrankte und deren Angehörige, z. B. durch verschobene psychosoziale, rehabilitative und andere unterstützende Maßnahmen, nicht aus den Augen verloren werden.

Ein erhöhtes Aufkommen an Patientinnen und Patienten in den Schwerpunktpraxen geht mit einer höheren Arbeitsbelastung einher, die sich durch zusätzliche Schutzmaßnahmen wie Entzerrungen der Termindichte und damit einhergehender längerer Arbeitszeit, Aufteilung der Praxis bzw. des Praxisteams oder die Durchführung von Impfungen von Krebserkrankten noch verstärken [7, 11, 12]. Auch die European Society for Medical Oncology (ESMO) verzeichnet in ihren Umfragen eine hohe Arbeitsbelastung und hohe Burnoutraten im Verlauf der COVID-19-Pandemie [4].

Während Telefonsprechstunden von den Schwerpunktpraxen sehr häufig angeboten werden, fällt das Angebot für Videosprechstunden sehr gering aus. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund eines insgesamt höheren Altersdurchschnitts bei den Krebserkrankten von 67 Jahren (im Median 58 Jahre) [13] und einer geringeren Nutzung von Internetangeboten in dieser Altersgruppe zu betrachten. Aus früheren Befragungen der Patientinnen und Patienten in hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen ist bekannt, dass das Internet zwar für Recherchetätigkeiten genutzt wird, die Affinität bezüglich digitaler Angebote für Konsultationen mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten aber eher gering ist. Demnach möchten lediglich 20 % der Patientinnen und Patienten Besuchstermine über das Internet vereinbaren und nur 30 % das Internet für den weiteren Austausch mit den Ärztinnen und Ärzten, z. B. zu Nachfragen über das Befinden oder zur Übermittlung von einfachen Behandlungsdaten, nutzen [14, 15]. Mit Blick auf zukünftige Patientinnen und Patienten und einer zunehmenden Digitalisierung wird hier jedoch auch ein deutliches Ausbaupotenzial bei digitalen Angeboten wie Videosprechstunden in den Schwerpunktpraxen deutlich.

Neben internationalen Fachgesellschaften hat sich unter anderem auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) wiederholt für eine Impfung gegen SARS-CoV-2 von Krebserkrankten ausgesprochen [16, 17]. Daher ist es naheliegend, dass auch die niedergelassenen Hämatoonkologinnen und Hämatoonkologen in ihren Praxen COVID-19-Schutzimpfungen durchführen, wenngleich dies mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden ist [12]. Zum Zeitpunkt der Befragung gaben 60 % der Praxen an, dass sie dieses Impfangebot haben. Die Impfung in Arztpraxen ist in Deutschland seit Anfang April 2021 möglich. Seitdem hat die Anzahl der Impfungen in Arztpraxen stark zugenommen, wobei die Anzahl der bestellten Impfdosen deutlich über den lieferbaren Dosen liegt [18]. Aufgrund fehlender repräsentativer Daten und der Dynamik der Informationen zu Schutzimpfungen gegen SARS-CoV-2 fehlen derzeit noch Angaben zur Impfbereitschaft und der Anzahl bereits geimpfter Praxismitarbeitenden. Basierend auf den hier vorgestellten Daten lässt sich zumindest festhalten, dass alle Praxismitarbeitenden bereits ein Impfangebot erhalten haben.

Eine in der Öffentlichkeit differenziertere Darstellung der Versorgungssituation von Krebserkrankten während der COVID-19-Pandemie in Deutschland ist wünschenswert. Dies betrifft nicht nur die ambulante Versorgung in Schwerpunktpraxen. Denn gerade der tiefergehende Blick in die Versorgung in Comprehensive Cancer Centers (CCC) zeigt, dass Einschränkungen in der Versorgung von Patientinnen und Patienten vorrangig die Nachsorge sowie das in der Befragung der CCC zusammengefasste breite Spektrum der Psychoonkologie, Ernährungs- und Bewegungstherapie und Sozialberatung betrafen [3]. Diese Kurzumfrage der hämatoonkologischen Schwerpunktpraxen in Deutschland gibt einen Überblick über einige Aspekte der Versorgung von Krebserkrankten im Laufe der COVID-19-Pandemie. Dabei zeichnen sich auch Unterschiede und Veränderungen hinsichtlich der Ströme von Patientinnen und Patienten im Verlauf der COVID-19-Pandemie ab, die es in Zukunft näher zu betrachten gilt.