Dieser Beitrag liefert einen aktuellen Überblick zum Stellenwert von Thrombozytentransfusionen bei hämatoonkologischen Patienten mit Thrombozytopenie oder Thrombozytenfunktionstörungen.

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© Eventpress Hoensch / dpa

Thrombozyten werden zur Prophylaxe und Therapie von Blutungen bei Patienten mit Thrombozytopenie transfundiert. Insbesondere hämatoonkologische Patienten mit Thrombozytopenie benötigen aus diagnostischen und therapeutischen Gründen regelmäßig invasive Eingriffe. Hier werden Thrombozyten transfundiert, um präoperativ eine Thrombozytopenie auszugleichen und das Risiko periinterventioneller Blutungen zu reduzieren [1].

Thrombozytenfunktionsstörungen sind bei hämatologisch-onkologischen Patienten ebenfalls möglich [2], z. B. wegen der Einnahme thrombozytenaggregationshemmender Medikamente. Relevant sind ferner erworbene Thrombozytenfunktionsstörungen bei Myelodysplasien oder Urämie. Seltener sind hereditäre Thrombozytopathien. Bei der Behandlung von Thrombozytenfunktionsstörungen sind Thrombozytentransfusionen oftmals eine Therapieoption neben weiteren prohämostatischen Maßnahmen.

Transfusionsstrategien

Es werden zwei generelle Strategien unterschieden:

  • Prophylaxe: Thrombozytenkonzentrate (TK) werden transfundiert, um präoperativ eine festgelegte Mindestthrombozytenzahl zu erreichen und damit das Blutungsrisiko zu senken

  • Therapie: Hier werden TK nur bei einer Blutung transfundiert. Insbesondere im perioperativen Setting sollte bei therapeutischer Strategie eine schnelle Verfügbarkeit von TK gewährleistet sein.

Allgemeines zu Thrombozytenkonzentraten

TK enthalten 2-6 × 1011 Thrombozyten [3] und können in Deutschland vier Tage bei Raumtemperatur gelagert werden. Es sind prinzipiell zwei Arten von TK verfügbar [4, 5]:

  • Pool-TK aus 4-6 Vollblutspenden

  • TK, die durch Apherese von Einzelspendern gewonnen werden.

Weitere Unterschiede bestehen im Lagermedium, welches aus Plasma oder aus einer Additivlösung bestehen kann.

TK in Deutschland sind generell Leukozyten-reduziert. Dennoch sollten TK vor Transfusion an immunsupprimierte Patienten Gamma-bestrahlt werden, um das Restrisiko für eine transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD) weiter zu minimieren [6]. Zunehmend werden photochemische Pathogeninaktivierungsverfahren eingesetzt, um die Übertragung bakterieller, viraler und anderer Pathogene zu reduzieren [7, 8, 9, 10].

Kompatibilität von TK und Empfänger

TK sollten möglichst kompatibel gemäß AB0-System transfundiert werden. Insbesondere eine Minorinkompatibilität zwischen TK und Empfänger durch im TK vorhandene Isoagglutinine Anti-A und Anti-B sollte vermieden werden. Dies gilt vor allem für kleinere Kinder und stammzelltransplantierte Patienten. Eine Rhesus-D-kompatible Transfusion ist bei Mädchen und bei Frauen im gebärfähigen Alter angezeigt. Patienten mit Antikörpern gegen Humane-Leukozyten- oder Plättchenantigene (HLA, HPA) benötigen entsprechend kompatible TK von ausgesuchten Spendern [11]. Die Bereitstellung HLA- oder HPA-kompatibler TK kann einige Tage in Anspruch nehmen, was bei der Operationsplanung berücksichtigt werden muss. Bei einigen hereditären Thrombozytopathien fehlen Antigene auf den Thrombozyten der Patienten. Ein Beispiel ist die Glanzmann-Thrombasthenie mit fehlendem Glykoprotein-IIb/IIIa-Komplex. Diese Patienten sollten nur im Notfall mit TK transfundiert werden, da sonst Antikörper gegen das fehlende Antigen gebildet werden. Spätere TK-Transfusionen sind dann ineffektiv, weil alle Spenderthrombozyten dieses Antigen tragen [12].

Neben der Wirksamkeit in der Behandlung der Blutung gilt das Thrombozyteninkrement eine Stunde nach Transfusion als Parameter zur Einschätzung des Transfusionserfolgs [13]. Steigen die Thrombozyten nach Transfusion nicht an, sollten Antikörper gegen HLA-Klasse-I und HPA ausgeschlossen werden [14].

Nebenwirkungen von Thrombozytentransfusionen

TK-Transfusionen sind in der Regel gut verträglich und es kommt selten zu schwerwiegenden Nebenwirkungen. Um den Nutzen der Transfusion den Nebenwirkungen gegenüber abwiegen zu können, sind in Tab. 1 die aktuellen Häufigkeiten sowie Symptome von Nebenwirkungen nach TK-Transfusion zusammengefasst.

T1 Nebenwirkungen von TK-Transfusionen (nach [15, 16, 17, 18, 19, 20, 21])

Thrombozytentransfusion außerhalb chirurgischer Eingriffe

Außerhalb von chirurgischen Eingriffen und Interventionen unterscheidet sich das Blutungsrisiko bei Patienten mit typischer hypoproliferativer Thrombozytopenie kaum, wenn die Thrombozytenzahlen zwischen 10-100 × 109/L liegen [3, 22].

Prophylaktische Thrombozytentransfusionen ab einem Transfusionstrigger von 10 × 109/L reduzieren Blutungen vom WHO(World Health Organization)-Grad I und II. Schwerere Blutungen vom WHO-Grad III und IV oder die Mortalität werden nicht reduziert.

Bei stabilen Patienten nach autologer Stammzelltransplantation wurde gezeigt, dass eine therapeutische Transfusionsstrategie sicher ist [23]. Patienten mit akuten Leukämien profitieren von prophylaktischen Thrombozytentransfusionen [24, 25]. Aus diesem Grund gelten Transfusionstrigger von 10 × 109/L Thrombozyten als adäquat für prophylaktische TK-Transfusionen bei akuten Leukämien [26].

Zusätzliche Risikofaktoren für Blutungen sind Fieber, allogene Stammzelltransplantation, Induktionschemotherapie, zusätzliche plasmatische Gerinnungseinschränkungen, Thrombozytenzahlen < 5 × 109/L, sowie eine lang andauernde Thrombozytopenie [22, 27, 28, 29]. Liegen diese Risikofaktoren vor, ist eine prophylaktische Transfusionsstrategie mit einem Transfusionstrigger von 10 × 109/L Thrombozyten vermutlich ebenfalls von Vorteil. Allerdings gibt es in diesen Situationen auch keine eindeutige Evidenz für höhere Thrombozytenzahlen als Transfusionstrigger [30].

Im Gegensatz zur Thrombozytopenie sind Thrombozytentransfusionen nicht indiziert zur Prophylaxe von Blutungen bei Thrombozytenfunktionsstörungen.

Periinterventionelle Thrombozytentransfusion

Eine Thrombozytopenie erhöht das perioperative Blutungsrisiko, welches ab Thrombozytenwerten von < 150 × 109/L bei chirurgischen und Intensivpatienten ansteigt [31, 32, 33]. Allerdings ist die Thrombozytopenie häufig sekundär und nicht allein für das Blutungsrisiko verantwortlich. Es müssen also weitere Risikofaktoren berücksichtigt und behandelt werden. Bis heute gibt es keinen evidenzbasierten Transfusionstrigger zur TK-Transfusion bei Thrombozytopenie und auch keinen eindeutigen Nachweis über den Vorteil einer präoperativen Transfusion [30, 34].

Je nach Lokalisation und Ausmaß des operativen Eingriffes gibt es internationale Konsensusempfehlungen bezüglich eines präoperativen Thrombozytenschwellenwertes bei thrombozytopenen Patienten [18, 35, 36, 37]. In Deutschland gelten die Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten [38]; diese werden gerade überarbeitet und können von den internationalen Empfehlungen abweichen. In Tab. 2 sind die Schwellenwerte der zuletzt publizierten internationalen Empfehlungen zusammengefasst.

T2 Präoperativ angestrebte Thrombozytenschwellenwerte (adaptiert nach [1]).

Unklar ist ferner, wie lange postoperativ eine Mindestzahl an Thrombozyten aufrechterhalten werden sollte. Wir handhaben dies eingriffsspezifisch, indem wir die Schwellenwerte je nach Nachblutungsrisiko für 24-48h aufrechterhalten [1].

Patienten mit hereditären Thrombozytopathien haben ebenfalls ein erhöhtes Blutungsrisiko. Wichtig ist hier, dass bereits präoperativ eine Thrombozytenfunktionsstörung erkannt wird. Daher sollte generell eine standardisierte präoperative Blutungsanamnese erhoben werden [31,32]. Ist die Anamnese auffällig, sollten eine plasmatische oder thrombozytäre Blutungsneigung weiter abgeklärt werden. Thrombozytentransfusionen sind nicht bei jeder Thrombozytenfunktionsstörung indiziert. Dies ist von der Erkrankung abhängig, für die im Einzelfall andere Therapien verfügbar sind (z. B. Desmopressin [DDAVP, 1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin], rekombinanter aktivierter Faktor VII [rFVIIa], Tranexamsäure).

Thrombozytentransfusion bei Patienten mit oralen Thrombozytenaggregationshemmern

Thrombozytenaggregationshemmer reduzieren das Risiko koronarer, zerebraler sowie peripher arterieller Verschlüsse [39, 40, 41, 42, 43]. Orale Thrombozytenaggregationshemmer umfassen:

  • Irreversible Inhibitoren: Acetylsalicylsäure (ASS), Ticlopidin, Clopidogrel, Prasugrel

  • Reversible Inhibitoren: Ticagrelor, Voraxapar.

Alle Medikamente variieren in ihrem Wirkmechanismus und in ihrer Halbwertszeit.

Das hämostaseologische Management von Patienten mit medikamentös bedingten Thrombozytenfunktionsstörungen unterscheidet sich vom Management hereditärer Thrombozytopathien darin, dass diese Patienten ein arterielles Thromboserisiko haben, insbesondere nach endovaskulärer Stentimplantation [44].

Die Einnahme von ASS erhöht das Blutungsrisiko etwa um das 1,4-Fache [45] gegenüber der Nichteinnahme. Dabei können arterielle Verschlüsse in der Anamnese oder ein fortgeschrittenes Alter das Risiko weiter erhöhen [46]. Durch Kombination mit einem ADP(Adenosindiphosphat)-Rezeptorantagonisten steigt das Blutungsrisiko um etwa das Doppelte [47].

Perioperativ erhöht sich mit der Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern ebenfalls das Blutungsrisiko. Unter ASS-Einnahme stieg in der POISE-2-Studie der Anteil an Blutungen absolut von 3,8 % auf 4,6 % [48]. Eine zusätzliche Einnahme von Clopidogrel verdoppelt das perioperative Blutungsrisiko [49].

Thrombozytentransfusionen bei Notfalleingriffen unter Thrombozytenaggregationshemmern

Notoperationen können in den meisten Fällen ohne prohämostatische Therapien erfolgen, wenn Patienten ausschließlich ASS eingenommen haben. Das zusätzliche Blutungsrisiko bedingt durch die ASS-Einnahme ist gering und eine Verzögerung des Eingriffs wäre oft mit schwerwiegenderen Folgen behaftet. Auch unter dualer Plättchenhemmung empfehlen aktuelle Leitlinien, die Eingriffe unter Beibehaltung der Plättchenhemmung durchzuführen. ADP-Hemmer sollten dann abgesetzt werden, wenn das Blutungsrisiko das Risiko koronarer Verschlüsse übersteigt [39, 50]. Für dringliche Operationen unter Plättchenhemmern mit hohem Blutungsrisiko haben wir ein Protokoll auf der Basis von TK-Transfusionen entwickelt [51] ( Abb. 1):

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Management dringlicher Eingriffe bei Patienten mit dualer Thrombozytenaggregationshemmung (adaptiert nach [58])

Die Operation sollte möglichst auf 24 h nach der letzten Einnahme von ASS und Clopidogrel/Prasugrel verschoben werden. Dies ermöglicht die Elimination der Plättchenhemmer und ihrer Metaboliten. Präoperativ erfolgt eine Transfusion von zwei TK. ASS wird 6-12 h postoperativ fortgesetzt, Clopidogrel nach 24-48h, wenn es bis dahin nicht zu Nachblutungen gekommen ist. Mit diesem Management kam es bei 181 konsekutiven Patienten nicht zu perioperativen Stentthrombosen, jedoch traten noch relevante Blutungen auf [52]. Dieses Management funktioniert nicht bei Patienten, die Ticagrelor eingenommen haben. Ticagrelor hemmt als reversibler ADP-Antagonist auch transfundierte Thrombozyten. Hier kann ein adaptiertes Protokoll angewendet werden, wenn vorher eine Umstellung auf Clopidogrel möglich ist.

Thrombozytentransfusionen bei Blutungen unter Thrombozytenaggregationshemmern

Thrombozyten verbessern die Hämostase nach ASS-Einnahme und etwas weniger effektiv nach Einnahme von Clopidogrel [53] und Prasugrel [54]. Kurz nach Einnahme von Ticagrelor ist eine Verbesserung der Thrombozytenfunktion dagegen kaum zu erwarten [55, 56, 57].

In der vielbesprochenen randomisierten PATCH-Studie wurde ein Nachteil von Thrombozytentransfusionen in Bezug auf das neurologische Outcome bei Patienten gezeigt, die unter einer intrazerebralen Blutung litten und mindestens sieben Tage vorher Thrombozytenaggregationshemmer eingenommen hatten [58]. Mittlerweile haben die Studienautoren um M. Irem Baharoglu ihre Einschätzung weitgehend revidiert, da in dem transfundierten Studienarm häufiger Patienten mit größerem Blutungsvolumen eingeschlossen wurden [59]. Somit bleibt der Stellenwert unklar. Weiterhin ist unklar, ob Thrombozytentransfusionen das Blutungsrisiko senken, wenn bei intrakranieller Blutung unter Thrombozytenaggregationshemmern eine neurochirurgische OP notwendig wird.

Zusammenfassung

Im Alltag wird eine restriktive Transfusionspraxis der Behandlung der meisten Patienten gerecht. Es müssen neben der Thrombozytenzahl auch weitere Risikofaktoren für Blutungen erkannt und behandelt werden.

Thrombozytentransfusionen bleiben aber ein zentraler Baustein in der supportiven Therapie hämatoonkologischer Patienten mit Thrombozytopenie oder Thrombozytenfunktionsstörungen.