Hintergrund und Fragestellung: Die Faktor-Xa-Hemmer (XaI) Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban sind zur Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern sowie zur Prävention und Therapie tiefer Beinvenenthrombosen und Lungenembolien zugelassen. Wie bei allen Antikoagulanzien besteht das Risiko schwerwiegender Blutungskomplikationen. Als Gegenmittel wurde Andexanet Alfa (AnA) entwickelt, das spezifisch XaI bindet und deaktiviert. Im Jahr 2018 wurde AnA von der FDA vorläufig zugelassen für Patienten, die unter Apixaban oder Rivaroxaban lebensbedrohliche oder unkontrollierte Blutungen erleiden. Die Zulassung beruhte auf einer Interimsanalyse der ANNEXa-4-Studie. Jetzt wurden die Ergebnisse der Gesamtstudie publiziert [1].

Patienten und Methodik: Behandelt wurden Patienten, die binnen 48 Stunden nach der letzten Gabe von XaI oder Heparin schwerwiegende Blutungskomplikation erlitten hatten. Verabreicht wurde zunächst ein Bolus von AnA, gefolgt von einer 2h-Infusion. Der erste von zwei primären Studienendpunkten war die prozentuale Änderung der Anti-Xa-Aktivität nach AnA-Gabe, der zweite Endpunkt der Anteil der Patienten mit exzellenter oder guter Hämostase zwölf Stunden nach Infusionsende. Die Wirksamkeit wurde in der Untergruppe der Patienten ermittelt, bei denen die Anti-Faktor-Xa-Aktivität mindestens 75 ng/ml betrug.

Ergebnisse: Die Gesamtpopulation umfasste 352 Patienten, die Wirksamkeitspopulation 244 Patienten. Die Patienten waren im Mittel 77 Jahre alt, 50 % hatten eine eingeschränkte Nierenfunktion, 80 % waren wegen Vorhofflimmerns und 18 % wegen venöser Thromboembolien antikoaguliert. Bei 65 % der Patienten lag eine intrakranielle und bei 25 % eine gastrointestinale Blutung vor. Bei den übrigen Patienten waren andere Bereiche betroffen.

Bei Patienten, die Apixaban erhielten, ging die mediane Faktor-Xa-Aktivität von 150 ng/ml vor Therapie auf 11,1 ng/ml nach dem Bolus von AnA zurück (Reduktion 92 %). Bei Patienten, die Rivaroxaban erhielten, ging die mediane Faktor-Xa-Aktivität von 212 ng/ml auf 14,2 ng/ml zurück (Reduktion ebenfalls 92 %). Zwei Stunden nach Ende der Infusion betrug die mediane Reduktion bei Apixaban-Patienten 32 %, bei Rivaroxaban-Patienten 42 %. Der hämostatische Effekt der Therapie konnte bei 204 von 249 Patienten evaluiert werden. Der Anteil der Patienten mit exzellenter oder guter Hämostase betrug 85 % für gastrointestinale und 80 % für intrakranielle Blutungen. Bei 34 Patienten (10 %) trat in den folgenden Tagen ein thrombotisches Ereignis auf, davon bei elf Patienten innerhalb von fünf Tagen nach AnA-Gabe. Sieben Patienten erlitten einen Myokardinfarkt, 14 einen ischämischen Schlaganfall, 13 eine tiefe Beinvenenthrombose und fünf Patienten eine Lungenembolie. Die meisten thrombotischen Ereignisse traten bei Patienten auf, bei denen die Antikoagulation nicht erneut initiiert worden war.

Schlussfolgerungen: Bei Patienten, die unter XaI eine schwerwiegende Blutungskomplikation erleiden, reduziert AnA signifikant die Anti-Faktor-Xa-Aktivität. Bei 82 % der Patienten trat ein exzellenter oder guter hämostatischer Effekt binnen zwölf Stunden auf.

Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

„Starke Reduktion der Anti-Faktor-Xa-Aktivität mit gutem klinischen Effekt“

Die Ergebnisse der ANNEXA-4-Studie zeigen überzeugend, dass ein Bolus von AnA, gefolgt von einer zweistündigen Infusion, die Anti-Faktor-Xa-Aktivität um 80–90 % reduziert. Dies führt auch zu einem guten klinischen Effekt bei den Patienten, bei denen die Hämostase evaluiert werden konnte. Bei Patienten mit intrakraniellen Blutungen erfolgte dies durch erneute Computertomografien, in denen die Zunahme der initialen Blutungen als Kriterium herangezogen wurde. Die meisten intrazerebralen Blutungen hatten allerdings ein relativ geringes Volumen. Leider ist in der Publikation unter dem Endpunkt der Sterblichkeit nicht aufgeführt, wie hoch diese bei den Patienten war, die eine intrakranielle Blutung erlitten hatten. Die ANNEXA-4-Studie untersuchte nur Patienten mit schwerwiegenden Blutungskomplikationen. Patienten, bei denen eine dringende Operation oder ein interventioneller Eingriff notwendig war, wurden nicht untersucht und für diese stehen bisher auch keine Daten zur Verfügung. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde hat auch eine weitere Studie bei Patienten mit intrakraniellen Blutungen gefordert, wobei in dieser Studie die Randomisierung zu AnA oder Prothrombinkomplex erfolgt (NCT03661528). Im Moment betragen die Kosten für die niedrigere Dosis von AnA in den USA 24.000 USD, für die hohe Dosis 48.000 USD. Mit welchen Kosten in Deutschland zu rechnen ist, falls die Substanz auch bei uns verfügbar wird, ist bisher unbekannt.

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Prof. Dr. Hans-Christoph Diener