Macht es für Zahnärzte und Zahnärztinnen Sinn, ihre Patienten digital zu treffen? Spätestens seit den Zeiten des Lockdowns der COVID-19-Pandemie dürfte die Antwort auf diese Frage positiv ausfallen. Denn die Beratung über die Dringlichkeit einer Behandlung oder erste Hilfemaßnahme bei Kronenverlust per Bildschirm hat sich zu einem wichtigen Service-Tool gemausert.

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© Alterfalter / Fotolia

Die zahnärztliche Videosprechstunde kann bei Beratungsgesprächen, wie zum Beispiel dem Einholen einer Zweitmeinung, der Operationsaufklärung oder zur Folgeberatung nach der persönlichen Erstberatung in der Praxis eingesetzt werden. Auch die Besprechung eines Befunds oder eines Heil- und Kostenplans ist leicht online möglich, schließlich können auch Röntgenbilder am Bildschirm geteilt werden. Weitere Nutzungsmöglichkeiten sind die Beratung zur eigenen Prophylaxe, Mundhygiene, Ernährung oder ästhetischen Fragen, die visuelle Verlaufskontrolle, wie etwa die Überprüfung der Wundheilung nach Extraktion, die Beurteilung der Dringlichkeit einer Behandlung oder die Verordnung einer medikamentösen Therapie [1-5]. In der Pflege können defekte oder vermeintlich defekte Prothesen gesichtet werden und Instruktionen des Pflegepersonals erfolgen [6].

In den USA ist man noch weiter: Hier erhält beispielsweise der Nutzer der Schallzahnbürste Sonicare ExpertClean während der Zahnreinigung ein Echtzeit-Feedback und kann zusätzlich per Teledentistry und der dazugehörigen App das bei der Zahnreinigung gemessene Putzverhalten ebenso wie mit dem Smartphone gemachte Fotos mit seinem Zahnarzt teilen und ohne Praxisbesuch einen Check-up machen. Auf gleiche Weise wird die postoperative Pflege überwacht oder professionelle Expertise einholt [7].

Über die Qualität der mit dem Smartphone aufgenommenen Bilder und was der Zahnarzt darauf vernünftig erkennen kann, lässt sich im Einzelfall sicherlich streiten. Es gibt Kollegen, die auf ihrer Praxishomepage darauf hinweisen, wie die Aufnahmen gemacht werden sollten (Vorgabe von Ansichten, Verwendung eines möglichst aktuellen Smartphones im Portrait-Modus etc.). Das ist für die ästhetische Beratung in der Front sicherlich einfacher als die Kontrolle einer Extraktionswunde eines oberen 6ers (Abb. 1).

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© Dr .Ulrike Oßwald-Dame

// Selbstversuch eines Kollegen mit einem iPhone 12: Es sind brauchbare Bilder entstanden - jedoch nicht ohne Hilfeleistung.

Vorteile für Jung und Alt

Gerade chronisch Kranken, pflegebedürftigen Patienten, alten bzw. wenig mobilen Menschen oder Patienten, die im ländlichen Raum lange Wege zur Praxis haben, erleichtert die Videosprechstunde den Kontakt zum Zahnarzt (Abb. 2). Beratung und Aufklärung kann für sie so schnell, einfach und ortsunabhängig stattfinden. Auch jüngere Menschen profitieren, da sie keine unnötige Zeit für die Anfahrt, möglicherweise Fehlzeiten auf der Arbeitsstelle und Wartezeit aufbringen müssen [1, 3, 4].

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© agenturfotografin / stock.adobe.com (symbolbidl mit Fotomodellen)

// Von der Videosprechstunde machen vor allem auch ältere Menschen gern Gebrauch.

Vielleicht holt die Praxis mit der Videosprechstunde auch eine jüngere, auf Digitalisierung fokussierte Patientengruppe ab, die als nachwachsender Patientenstamm für die Praxiszukunft eine wichtige Rolle spielt. Dann sollte man das Tool als Serviceleistung betrachten, die Patienten bindet oder gewinnt [2].

Es kann sich positiv auf die Gesprächsatmosphäre auswirken, dass der Patient das Gespräch mit dem Behandler in seiner gewohnten Umgebung führt. Das bietet gerade Angstpatienten weniger Berührungsängste. Auch der Zahnarzt profitiert von dieser Flexibilität, schließlich kann auch er das Gespräch von daheim aus führen. Handelt es sich um einen Erstkontakt, lernt der Patient vorab seinen Behandler kennen. Darüber hinaus bietet die Videosprechstunde im Vergleich zu einem Telefonat den Vorteil des direkten Austauschs, da man der Person "gegenübersitzt", mit der man seine Zahngesundheit bespricht [2-4].

Technische und rechtliche Voraussetzungen

Für das Abhalten einer Videosprechstunde werden ein Bildschirm mit Kamera - egal ob Computer, Tablet oder Handy - Mikrofon und Lautsprecher sowie eine Internetverbindung benötigt; zusätzliche Software dagegen nicht. Für die Durchführung muss sich die Praxis einen zertifizierten Videodienstanbieter aussuchen. Damit soll der reibungslose und vor allem sichere technische Ablauf gewährleistet sein [8]. Der Videodienstanbieter muss dafür eine Reihe von Anforderungen erfüllen, wie unter anderem die End-zu-End-Verschlüsselung, die Nutzung von Servern ausschließlich im Europäischen Wirtschaftsraum, die Gewährleistung der ungestörten Durchführung (z. B. keine Signalgeräusche weiterer Anrufer) sowie entsprechende Nachweise zur Informationssicherheit und Datenschutz in Zertifikatform. Auf der Website der KZBV findet man ein Verzeichnis von 16 zertifizierten Videodienstanbietern mit vorgelegter Bescheinigung (Stand 20.9.2022) [9].

Vergleichen Sie unbedingt mehrere Angebote, denn diese unterscheiden sich in der Mindestlaufzeit und in den Kosten. Es gibt kostenlose Basisversionen, monatliche Pauschalpreise mit und ohne Begrenzung auf eine bestimmte Anzahl an Videosprechstunden bzw. mit oder ohne Kombination mit einem Online-Terminkalender, Starterpakete zu besonderen Konditionen etc. Auch die Leistungsinhalte sind sehr unterschiedlich, zum Beispiel hinsichtlich der möglichen Anzahl der Ärzte pro Account und maximaler Teilnehmerzahl, angebotenen Verbindungsnachweisen, Schulungen, Einbindungsmöglichkeiten auf der eigenen Homepage etc. [10].

Datenschutz und Datensicherheit müssen auch in der Videosprechstunde eingehalten und deshalb wie bei einer Sprechstunde in der Praxis Schweigepflicht und DSGVO gewahrt werden. Dazu gehört beispielsweise auch, dass die Videosprechstunde in einem geschlossenen Raum stattfindet und zu Beginn auf beiden Seiten eine Vorstellung aller im Raum anwesenden Personen erfolgen muss [2, 8, 11].

Auch ist die schriftliche Einwilligung des Patienten zur Videosprechstunde zwingend erforderlich. Die Videosprechstunde darf nur vom Zahnarzt durchgeführt und weder von der Praxis noch vom Patienten aufgenommen werden [4, 8, 9]. Bevor Sie einen zertifizierten Videodienst nutzen, müssen Sie diesen bei Ihrer KZV anzeigen. Bitte beachten Sie, dass es hier regionale Unterschiede geben kann.

Warten im virtuellen Wartezimmer

In der Praxis wird die Videosprechstunde oft in Verbindung mit einem Online-Terminsystem empfohlen, das ist aber nicht zwingend notwendig [3]. Anschließend erhält der Patient - entweder vom Terminsystem oder direkt von der Praxis - eine Terminbestätigung per Mail oder SMS mit den Zugangsdaten in Form eines Links. Der Anbieter stellt der Praxis die Internetadresse für die Videosprechstunde und den Einwahlcode zur Verfügung, diese wiederum gibt die Einwahldaten an den Patienten weiter [9, 14].

Zum Termin wartet der Patient im virtuellen Wartezimmer, der Zahnarzt wird dann benachrichtigt, dass der Patient sich im virtuellen Wartezimmer befindet. Schließlich kann der Zahnarzt den Patienten "Hereinbitten", indem er die Videosprechstunde (evtl. direkt aus dem Kalender heraus) startet - der Patient ist auf dem Bildschirm [1, 3]. Im Aussehen gleicht die Sprechstunde dann einem Skype- oder FaceTime-Gespräch, erlaubt sind diese Formate aber natürlich nicht!

Wie wird das Angebot genutzt?

Es gibt es keine Zahlen dazu, wie viele Zahnärzte bereits die Videosprechstunde nutzen. Allerdings ist bekannt, dass im Jahr 2019 ungefähr 3.000 Videosprechstunden in Deutschland abgerechnet wurden, im Jahr 2021 waren es mehr als 2,7 Millionen [12]. Man geht hier in erster Linie allerdings von der Nutzung durch die Hausärzte aus, aber auch Zahnarztpraxen nutzen die Videosprechstunde bereits und machen auf ihren Praxisseiten dafür Werbung. Einer aktuellen Befragung zufolge haben 18% der Bevölkerung mindestens einmal per Videosprechstunde mit Ärzten oder Therapeuten gesprochen. 31% wiederum beurteilten ihre Erfahrungen dabei mit gut, 40% mit eher gut [13].

Wie sieht es aber in der Praxis aus? Wir haben mit Dr. Tam Phan, Oberärztin am AllDent Zahnzentrum in Mainz, gesprochen, wo die Videosprechstunde für die Erstberatung angeboten wird, buchbar über Doctolib. Dieser Service wurde hier im Verlauf des vergangenen Jahres eingerichtet, unter anderem auch, um den Patienten im Zuge der Pandemie einen unkomplizierten Zugang zum Zahnarzt zu ermöglichen. Noch ist die Nachfrage etwas verhalten, pro Monat gibt es etwa eine Patientenanfrage. Insbesondere ängstliche Patienten, sehr beschäftigte Berufstätige und Mütter mit Babys oder Kleinkindern entscheiden sich für die Nutzung einer Videosprechstunde, wie Phan berichtet. Für jede Videosprechstunde wird circa eine Viertelstunde veranschlagt. Inhaltlich dreht es sich um das Einholen einer Zweitmeinung (insbesondere zu Preisen), das Erstgespräch zu ästhetischen Behandlungen wie Bleaching und Veneers sowie um Nachfragen zu Narkosemöglichkeiten. Bei Bedarf wird dann an das jeweilige AllDent Zahnzentrum in der Nähe verwiesen. Für eine Diagnose muss der Patient selbstredend zwingend in die Praxis kommen. Phan ist vom Vorteil der Videosprechstunde im Vergleich zur Telefonberatung überzeugt: "Mit der Videosprechstunde baue ich durch ein visuelles Gegenüber Vertrauen auf und kann mir ein erstes äußerliches Bild über eine mögliche Compliance schaffen."

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© AllDent Zahnzentrum

Dr. Tam Pahn vom AllDent Zahnzentrum in Mainz

Und wieviel Geld gibt es dafür?

In der vertragszahnärztlichen Versorgung ist die Videosprechstunde seit 1. Juli 2020 möglich, aber nur für Versicherte in stationären Pflegeeinrichtungen bzw. Versicherte, die aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit, Behinderung und Einschränkung nicht oder nur mit hohem Aufwand eine Praxis aufsuchen können (laut BMV-Z "Versicherte, die einem Pflegegrad nach § 15 SGB XI zugeordnet sind oder Eingliederungshilfe erhalten, sowie für Versicherte, an denen zahnärztliche Leistungen im Rahmen eines Kooperationsvertrages gemäß § 119b Abs. 1 SGB V erbracht werden"). Die Abrechnung der Videosprechstunde erfolgt über den Bereich konservierend-chirurgische Leistungen (KCH) über die BEMA-Nr. VS mit 16 Punkten. Wie bekannt, gilt dann auf Landesebene jeweils der vereinbarte KCH-Punktwert [9].

Für Privatpatienten bzw. Selbstzahler bietet sich die Übernahme der Beratungsziffern der GOÄ zur Privatabrechnung der Videosprechstunde an: GOÄ Ziffer 1 (Beratung), GOÄ Ziffer 2 (Ausstellung von Wiederholungsrezepten und/oder Überweisungen und/oder Übermittlung von Befunden oder ärztlichen Anordnungen - auch mittels Fernsprecher), GOÄ Ziffer 3 (eingehende Beratung) und GOÄ Ziffer 4 (Erhebung Fremdanamnese), denn die Leistungsbeschreibung besagt, dass diese Leistung auch telefonisch erbracht werden kann. GOÄ Ziffer 2 darf allerdings nicht neben anderen Leistungen abgerechnet werden. Weitere Leistungs- und mögliche Zuschlagsziffern sind möglich. Zusätzlich ist ein pauschaler Technikzuschlag - BEMA-Nr. TZ - mit 16 Punkten je Praxis bis zu zehnmal im Quartal abrechenbar [9, 15-17].

Tipp: Wer plant, die Videosprechstunde in seiner Praxis anzubieten, der findet in diesem Blog [18] eine Liste von Fragen, die sich der Zahnarzt stellen kann, um den Einführungsprozess richtig zu planen.

Fazit

Die Videosprechstunde ist auch in der Zahnmedizin für Beratung, Aufklärung und Information ein wichtiges Tool, und das nicht nur zur Versorgung von Pflegebedürftigen und der Verbesserung der Kommunikation zwischen Pflegepersonal und der zahnärztlichen Praxis. Die Videosprechstunde hat im zahnärztlichen Bereich von der Natur der Sache her eine geringere Bedeutung als in anderen medizinischen Bereichen, aber auch hier sparen sich Praxis und Patienten Zeit und Aufwand bzw. Kosten. Die Videosprechstunde ergänzt die Behandlung und ist ein Baustein für die digitale Praxiszukunft, den Patientenkontakt ersetzt sie aber nicht.

Es gilt Haftungsausschluss für die gegebenen Informationen.