Zusammenfassung
Ziel der Arbeit ist es, die Preiselastizitäten der Nachfrage für einzelne (u. a. ermäßigte) Tarife des ÖPNV einer mittelgroßen deutschen Stadt (hier Jena) mithilfe einer empirischen Schätzung zu ermitteln. Insbesondere wird es dadurch möglich, den städtischen Zuschussbedarf an den ÖPNV, der nach Einführung ermäßigter Sozialtarife für bestimmte Bevölkerungsgruppen entsteht, abzuschätzen. Die Schätzung mittels AR-Modells erfolgte auf Grundlage monatlicher Umsatzdaten einzelner Produkte der vergangenen zehn Jahre. Für den ÖPNV in Jena beträgt die Preiselastizität der Nachfrage nach Einzeltickets zum Normalpreis − 0,63 und ist somit, geografisch bedingt, in Absolutwerten etwas höher als in vergleichbaren Studien. Für ermäßigte Sozialtarife konnte ein höherer Elastizitätswert festgestellt werden. Somit kann für Personen, die von Sozialtransfers leben, festgestellt werden, dass die Nachfrage nach Leistungen des ÖPNV (Einzelfahrten) weniger vom Einkommenseffekt (geringere Preiselastizität bei einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen) als vielmehr vom Effekt einer höheren Preiselastizität bei nicht berufsbedingten Freizeitfahrten bestimmt wird.
Abstract
The aim of the study is to calculate the price elasticity of demand for several local public transport products of a mid-sized German city (Jena) to estimate the potential subsidy requirements of social tariff concessions. The results of the ten year time series AR-model estimation show an elasticity coefficient of − 0.63 for a single ticket which is slightly higher in absolute terms compared with past studies but can be explained with the geographical structure of the examined city. The price elasticity of social concession-tariffs is significantly higher. This means that the income effect will be outweighed by the effect of lower demand of welfare recipients for (relatively inelastic) intra-city commuting.
Notes
Die Preiselastizität der Nachfrage gibt an, um wie viel Prozent sich die Nachfrage nach einem Gut ändert, wenn der Preis des Gutes um ein Prozent erhöht oder gesenkt wird.
Wenn im Folgenden von hoher oder niedriger Preiselastizität die Rede ist, sind die (negativen) Absolutwerte gemeint.
Korrelation der erklärenden Variablen miteinander.
Bei Monatstickets werden zusätzlich die Umsätze von Abo-Monatstickets und Jahrestickets integriert.
Grund hierfür ist vermutlich, dass weniger Karten auf „Vorrat“ gekauft werden.
Beispielsweise aufgrund jahreszeitlicher Schwankungen oder kultureller oder sportlicher Großereignisse.
Zwar fanden de jure nur Preiserhöhungen statt; de facto wurden die Preise im Beobachtungszeitraum jedoch auch gesenkt. So stellt z. B. die Einführung der 4er-Einzelkarten im Februar 2009 eine faktische Preissenkung dar.
Die Berechnung am Beispiel der Einführung von 4er-Tickets, wobei p für Preise und m für abgesetzte Tickets steht: \( {p_{\textit{gewichtet}}} = \displaystyle \frac{{{p_{\textit{EZ}}} * {m_{\textit{EZ}}} + {p_{4er}} * {m_{4er}}}}{{({m_{\textit{EZ}}} + {m_{4er}})}} \).
Probleme könnten nur auftreten, wenn gewisse Grenzwerte überschritten werden (AR-Koeffizient größer als 1) (vgl. Quantitative Micro Software 2005: 500); dies ist aber bei der vorliegenden Studie nicht der Fall.
Ein Überblick zu allen verwendeten Variablen befindet sich in Anhang II.
Um aus den Schätzkoeffizienten die Preiselastizitäten ablesen zu können, wurden, wie oben beschrieben, bei allen Schätzungen jeweils die logarithmierten Werte verwendet (vgl. Kap. 3).
Das Vollmobilticket (VMT) berechtigt, je nach Zone, zur Nutzung aller sich in der jeweiligen Zone (maximal auf der Achse Jena-Erfurt) befindlichen Nahverkehrsoptionen einschließlich des Regionalverkehrs der Deutschen Bahn AG. Diese Tickets konnten im Rahmen der Schätzung nicht berücksichtigt werden, da vollkommen unklar ist, welche Teile der jeweiligen individuellen Nachfrage sich auf den Stadtverkehr Jena beziehen. Dies könnte nur durch umfangreiche flächendeckende Befragungen in Verbindung mit stated preference-Analysen ermittelt werden. Bei diesen Analysen zur Feststellung bekundeter Präferenzen werden die Nutzer nicht nur nach ihrem möglichen Nachfrageverhalten befragt, sondern es wird eine reale Preis- oder Serviceänderung getestet (im oben genannten Beispiel etwa die Möglichkeit, ein DB-Monatsticket ohne Cityoption Jena zu einem bestimmten Preis zu kaufen). Aus einer Vielzahl von tatsächlichen Käufen von Tickets, die nur für diese Befragung kreiert werden, lässt sich dann die Struktur der Nachfrage für einzelne Teilleistungen abschätzen, z. B. von Verbundtickets.
Es ist stark davon auszugehen, dass für Wochen- und Monatstickets geringere Preiselastizitäten vorliegen, da diese zum überwiegenden Teil von Berufspendlern gekauft werden.
Besitzer eines Automobils haben durchschnittlich eine wesentlich geringere Preiselastizität der Nachfrage in Bezug auf Fahrten mit dem ÖPNV als solche, die kein Kraftfahrzeug besitzen (Balcombe/Mackett/Paully et al. 2004: 116).
Berufspendler reagieren kaum auf Preisänderungen (z. B. Dargay/Hanly 1999: 4; Pratt Consultant Inc./Texas Transportation Institute/Cambridge Systematics Inc. et al. 2000: 12.15; Balcombe/Mackett/Paully et al. 2004: 59), da sie täglich zur Arbeit fahren ”müssen“ und zumindest im Innenstadtverkehr und bei Betrachtung der Vollkosten (wozu auch Stau- und Parkkosten zählen) der ÖPNV günstiger ist. Erst wenn ein gewisser Schwellenwert durch Preiserhöhungen überschritten wird, steigt diese Fahrgastgruppe auf dann günstigere Alternativen um.
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Danksagung
Der Autor dankt den anonymen Gutachtern, Bianka Dettmer und Andreas Freytag für die umfangreiche Unterstützung beim Erstellen des Manuskripts sowie der Stadtverwaltung Jena und der Jenaer Nahverkehrsgesellschaft für die Bereitstellung umfangreicher Daten.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Appendices
Anhang I: Vergleichswerte zu Preiselastizitäten in vier europäischen Staaten
Quelle | Land | Daten-periode | Transport-mittel | Geografische Situation | Elastizitätswert |
---|---|---|---|---|---|
EXTRA (Nijkamp/Pepping 1998) | Finnland | 1988 | Bus, Tram U-Bahn, Bahn | innerstädtisch | − 0,48 |
EXTRA (Nijkamp/Pepping 1998) | Finnland | 1995 | Bus, Tram, U-Bahn, Bahn | Innerstädtisch | − 0,56 |
Sullström/Suoniemi (1995) | Finnland | 1966–1990 | Bus, Tram, U-Bahn, Bahn | innerstädtisch, zwischen Städten | − 0,75 |
EXTRA (Nijkamp/Pepping 1998) | Niederlande | 1984–1985 | Bus, Tram, U-Bahn | innerstädtisch, ländliche Gemeinden | − 0,35/− 0,40 |
BGC (1988) | Niederlande | 1980–1986 | Bus, Tram, U-Bahn | innerstädtisch, ländliche Gemeinden | − 0,35/− 0,40 |
Roodenburg (1983) | Niederlande | 1950–1980 | Bus, Tram, U-Bahn | innerstädtisch, ländliche Gemeinden | − 0,51 |
Fase (1986) | Niederlande | 1965–1981 | Bus, Tram, U-Bahn | Innerstädtisch | − 0,53/− 0,80 |
Gunn (1987) | Niederlande | 1986 | Bahn | ländliche Gemeinden | − 0,77 |
Oum/Waters Jr./Yong (1992) | Niederlande | 1977–1991 | Bus, Tram, U-Bahn | innerstädtisch, ländliche Gemeinden | − 0,74 |
EXTRA (Nijkamp/Pepping 1998) | Norwegen | 1990–1991 | Bus, Tram, U-Bahn, Bahn | innerstädtisch | − 0,40 |
EXTRA (Nijkamp/Pepping 1998) | Norwegen | 1991–1992 | Bus | zwischen Städten | − 0,63 |
EXTRA (Nijkamp/Pepping 1998) | Vereinigtes Königreich | 1991 | Bus, Tram, U-Bahn, Bahn | innerstädtisch, zwischen Städten | − 0,15 |
Anhang II: Verwendete Variablen
- ticket(ET):
-
Absatzmenge Einzeltickets
- ticket(WT):
-
Absatzmenge Wochentickets
- ticket(MT):
-
Absatzmenge Monatstickets
- ticket(ET erm ):
-
Absatzmenge ermäßigte Einzeltickets
- ticket(MT erm ):
-
Absatzmenge ermäßigte Monatstickets
- preis(ET):
-
Verkaufspreis Einzeltickets
- preis(WT):
-
Verkaufspreis Wochentickets
- preis(MT):
-
Verkaufspreis Monatstickets
- preis(ET erm ):
-
Verkaufspreis ermäßigte Einzeltickets
- preis(MT erm ):
-
Verkaufspreis ermäßigte Monatstickets
- PUmst 0, 1(ET):
-
Dummy Monat vor Preisumstellung, Einzeltickets
- PUmst 0, 1(WT):
-
Dummy Monat vor Preisumstellung, Wochentickets
- PUmst 0, 1(MT):
-
Dummy Monat vor Preisumstellung, Monatstickets
- PUmst 0, 1(ET erm ):
-
Dummy Monat vor Preisumstellung, ermäßigte Einzeltickets
- PUmst 0, 1(MT erm ):
-
Dummy Monat vor Preisumstellung, ermäßigte Monatstickets
- DEZ 0, 1):
-
Dummy Monat Dezember
- U(TT, GTT, WT, MT):
-
Gesamtumsatz Tagestickets, Gruppentagestickets, Wochentickets, Monatstickets; Substitute zu Einzeltickets
- U(ET, MT):
-
Gesamtumsatz Einzeltickets, Monatstickets; Substitute zu Wochentickets
- U(ET, WT, AMT, JT):
-
Gesamtumsatz Einzeltickets, Wochentickets, Abo- Monatskarten, Jahreskarten; Substitute zu Monatstickets
- U(WT erm , MT erm ):
-
Gesamtumsatz ermäßigte Wochentickets, ermäßigte Monatstickets; Substitute zu ermäßigten Einzeltickets
- U(ET erm , WT erm ):
-
Gesamtumsatz ermäßigte Einzeltickets, ermäßigte Wochentickets; Substitute zu ermäßigten Monatstickets
- LinSperrGew :
-
Zeiträume von Linienstörungen, gewichtet mit dem Anteil der jeweiligen Linie am Gesamtverkehrsaufkommen
- JenaPass :
-
Anzahl der sich in Umlauf befindlichen „JenaPässe“
- EBEgew :
-
Anzahl aufgegriffener Personen ohne gültigen Fahrschein, gewichtet mit den aufgewandten Kontrollstunden
- AR(1):
-
Statistische Kontrollvariable, Autoregression erster Ordnung
- AR(2):
-
Statistische Kontrollvariable, Autoregression zweiter Ordnung
- R 2 adj :
-
adjustiertes R-Quadrat (Bestimmtheitsmaß)
- DWstat :
-
Durbin-Watson-Statistik
- n :
-
Anzahl der Beobachtungen
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Vietze, C. Preiselastizitäten der Nachfrage im ÖPNV unter spezieller Berücksichtigung ermäßigter Sozialtarife am Beispiel einer mittelgroßen Stadt. Raumforsch Raumordn 69, 319–331 (2011). https://doi.org/10.1007/s13147-011-0116-0
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