Das Ringen um einen möglichst gerechten Umgang mit Leistungsdiversität gehört sicherlich zu den grundlegenden Fragen pädagogischer Praxis sowie bildungswissenschaftlicher Forschung und wird u. a. im Kontext der Problematisierung von Bildungsgerechtigkeit (Horster, 2015; Schäfer & Thompson, 2015), aber auch der Inklusionsforschung (Lütje-Klose, Boger, Hopmann, & Neumann, 2017; Sansour, Musenberg, & Riegert, 2018) kontrovers diskutiert. Vor dem Hintergrund meritokratischer Emanzipationsversprechen merkt Schäfer (2018, S. 11) dazu pointiert an, dass „das vielleicht vor allem Erklärungsbedürftige am Leistungsprinzip … seine allseits unbefragt erscheinende Geltung“ sei. In dieser komplexen Gemengelage und vor dem Hintergrund eines scheinbar ubiquitären Wirkungsanspruchs des Leistungsprinzips versucht der Beitrag der Frage nach der „Leistungsgerechtigkeit“ im inklusiven Sportunterricht nachzugehen und dabei insbesondere die Kategorie Behinderung mitzudenken, die – jenseits isolierter Nischendiskurse – weiterhin keine Provenienz in der deutschsprachigen Sportpädagogik hat.

Im Sinne von Art. 8 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK), der die Verpflichtung zur Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung für die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung betrifft, soll es darum gehen, Leistung nicht – wie oft üblich – unhinterfragt vom Standpunkt einer „scheinbaren Normalität einer unversehrten Leiblichkeit“ (Waldschmidt, 2012, S. 14) her zu diskutieren, sondern den Standort zu wechseln (Hoffmann, 2018), um vom „Standpunkt der Überflüssigen, der Ausgegrenzten, der Verdammten aus zu denken, vom Ort der Exklusion her“ (Jantzen, 2016, S. 142). Dabei beziehen wir uns im Folgenden auf das menschenrechtliche Modell von Behinderung (Degener, 2016), das erstmals im Entstehungskontext der UN-BRK als solches benannt und innerhalb der Disability Studies breit rezipiert worden ist. Im Mittelpunkt dieses Modells stehen keine spezifischen Behinderungsformen oder Personengruppen, die aufgrund ihrer Fähigkeiten oder Eigenschaften bzw. aufgrund des Fehlens bestimmter Fähigkeiten oder Eigenschaften als „behindert“ gelten, sondern die Erkenntnis, dass „Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht“ (Präambel e., UN-BRK). Da diese Wechselwirkungen und die Art der Barrieren historisch und kulturell variabel sind, wird Behinderung durch die UN-BRK nicht definiert, sondern lediglich eine unabgeschlossene Aufzählung angeführt: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, psychische, intellektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen, an der Gesellschaft hindern können“ (Art. 1, UN-BRK). Wenn im vorliegenden Beitrag im Kontext von Behinderung und Schulsport von der Gruppe der vom Leistungsprinzip „Ausgeschlossenen“ die Rede ist, so meinen wir damit genau jenen Personenkreis, dem aufgrund bestimmter gesellschaftlicher oder ökonomischer Leistungskriterien die volle und wirksame Teilhabe an Bewegungsbildung bzw. sportlicher Bildung in der Schule verwehrt wird.

Dieser Perspektivwechsel verfolgt das Ziel, theoretisch elaborierte Vorschläge zur Diskussion zu stellen, wie sich „Leistungsgerechtigkeit“ im inklusiven Sportunterricht möglichst diversitätssensibel aus einer behinderten- und inklusionspädagogischen Perspektive konzeptualisieren ließe. Die kritische Exklusionsforschung (Bude, 2008; Kronauer, 2010) macht dabei bereits seit den 1990er-Jahren deutlich, dass Exklusion keineswegs auf das Differenzmerkmal Behinderung beschränkt ist: Die gesellschaftliche Erfahrung, dass „das soziale Band unter höchster Spannung steht und Zugehörigkeit immer prekärer wird“ (Bude, 2017, S. 246), verweist auf eine potenziell größer werdende Masse an Ausgeschlossenen, wobei allerdings anzunehmen ist (Kastl, 2017, S. 156), dass für Menschen mit Behinderung ein besonders hohes Risiko besteht, „die Zone an der äußersten Peripherie“ des sozialen Lebens zu „bevölkern“ (Castel, 2017, S. 72). Da Exklusionsprozesse auch im Sport sowie im Sportunterricht wirksam sind (Giese & Ruin, 2018), bedürfen sie auch dort einer kritischen Analyse.

Im ersten Teil des Beitrags wird dazu der Versuch einer theoretischen Annäherung an den Begriff „Leistungsgerechtigkeit“ unternommen und im zweiten Teil die Perspektive der Disability Studies und ihrer Kritik des (Dis‑)Ableism eingenommen, um eine theoretische Folie für die sportpädagogischen Analysen zu entwerfen. Die nachfolgenden Analysen sollen normative Leistungsimperative identifizieren, welche die Umsetzung von „Leistungsgerechtigkeit“ im inklusiven Sportunterricht erschweren. Wir folgen dabei der These, dass camouflierte Leistungs- und Fähigkeitsnarrative stillschweigend in grundlagentheoretische und fachdidaktische Modellierungen innerhalb der Sportpädagogik eingewoben sind, die für Schüler*innen mit Behinderung ein exkludierendes Potenzial entfalten können (Giese, 2019). „Leistungsgerechtigkeit“ im inklusiven Sportunterricht ist in diesem Sinne zunächst weder eine Frage methodisch-didaktischer Anpassungen, wie es durch zahlreiche fachdidaktische Adaptationsmodelle suggeriert wird (Schoo & Mihajlovic, 2021, S. 76), noch allein eine Frage körpersoziologischer Betrachtungen (Meier & Ruin, 2019), sondern bedarf nach unserem Verständnis zunächst einer kritischen Reflexion impliziter ableistischer Vorformatierungen auf der Ebene der sportpädagogischen Theoriebildung. Um diese These zu illustrieren, werden am Beispiel von zwei prominent diskutierten fachdidaktischen Modellen implizite Exklusionsmuster herausgearbeitet, welche die Anerkennung von Leistungsdiversität strukturell erschweren. Konstruktiv gewendet geht es anschließend darum, inwiefern fachspezifische Modelle zu reformulieren sind, um einen chancengerechten Umgang mit Leistungsdiversität im Sportunterricht zu befördern.

„Leistungsgerechtigkeit“ – theoretische Annäherungen

Als der britische Soziologe Young im Jahr 1958 seine Gesellschaftssatire The Rise oft the Meritocracy 1870–2033 veröffentlichte, ahnte er vermutlich nicht, dass der ursprünglich kritisch-satirisch verwendete Begriff der Meritokratie bald schon zu einem geläufigen Ausdruck für das Grundprinzip moderner Leistungsgesellschaften werden sollte. Dieser wird auch im aktuellen Inklusionsdiskurs zunehmend unkritisch übernommen (Prengel, 2015, S. 161). Young entwirft in seinem Roman das dystopische Bild einer Gesellschaft, die sich ausschließlich am Leistungsprinzip orientiert und geht der Frage nach, welche Auswirkungen dessen Umsetzung insbesondere auf das Bildungssystem und die Entwicklung sozialer Ungleichheit haben würde: Permanente Leistungstests, die Separierung und Förderung von Lernenden in leistungshomogenen Gruppen sowie die Besetzung aller gesellschaftlichen wie beruflichen Positionen nach dem erbrachten Leistungswert des Einzelnen wären die Folge. Das politische System der repräsentativen Demokratie würde abgelöst durch die elitären Kreise einer durch Leistung legitimierten „Expertokratie“. Auch wenn Young einem solchen System nur eine eher geringe Stabilität bescheinigt, illustrieren seine Überlegungen doch eindrücklich, dass Chancengleichheit und die damit verbundene Idee der „Leistungsgerechtigkeit“ keineswegs zu mehr sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit führen. Im Gegenteil: Die Funktion des Leistungsprinzips besteht in meritokratischen Gesellschaften zuallererst darin, soziale Ungleichheit zu legitimieren und fortzuschreiben.

Diese These ist durch eine Vielzahl bildungssoziologischer und erziehungswissenschaftlicher Studien immer wieder empirisch erhärtet und in der Erziehungswissenschaft kritisch diskutiert worden (z. B. Zaborowski, Meier, & Breidenstein, 2011; Schäfer & Thompson, 2015; Sturm & Wagner-Willi, 2016; Sansour et al., 2018). Bourdieu und Passeron sprechen in diesem Zusammenhang bereits Anfang der 1970er-Jahre von der „Illusion der Chancengleichheit“ (Bourdieu & Passeron, 1971), deren ideologischen Charakter Bourdieu in verschiedenen Untersuchungen zur Rolle des Bildungssystems bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit nachgewiesen hat: „Dabei wurde der ‚Schulerfolg‘, d. h. der spezifische Profit, den die Kinder aus verschiedenen sozialen Klassen und Klassenfraktionen auf dem schulischen Markt erlangen können, auf die Verteilung des kulturellen Kapitals zwischen den Klassen und Klassenfraktionen bezogen“ (Bourdieu, 1983, S. 185). Diese soziale Verteilungsfunktion, durch die die Schule Bildungs- und Berufslaufbahnen vorstrukturiert und damit die Verteilung hierarchisch unterschiedener Berufspositionen von einer Generation auf die andere organisiert, bezeichnet Fend (2008, S. 44) als Allokationsfunktion.

Während Bourdieus Begriff des kulturellen Kapitals ebenso wie Youngs Begriff der Meritokratie eine gesellschaftskritische Perspektive auf die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von „Leistungsgerechtigkeit“ im Kontext schulischer Bildung eröffnen, ist der Hinweis auf die gesellschaftliche Funktion des Bildungssystems und die einseitige Betonung der Selektionsfunktion von Schule aus einer erziehungswissenschaftlichen Position kritisch zu hinterfragen: Die Unterscheidung von gesellschaftlichen und pädagogischen Funktionen, so Breidenstein (2018), sei vor allem für den Diskurs um schulische Leistungsbewertung und Notengebung prägend geworden:

„‚Die Gesellschaft‘ wird damit zu einer einerseits merkwürdig abstrakten, andererseits machtvollen Adresse, die als außerhalb der Pädagogik stehend entworfen wird, der man sich aber zu beugen habe. Das Unbehagen des schulpädagogischen Diskurses an der Selektionsfunktion wird dadurch entschärft, dass man an das meritokratische Versprechen des Strukturfunktionalismus anschließt und die Selektion von Schülerinnen und Schülern zugleich als ‚gesellschaftlich erforderlich‘ externalisiert.“ (Breidenstein, 2018, S. 62)

Dabei werde nur allzu leicht übersehen, dass in der Praxis schulischer Leistungsbewertung die Feststellung von Leistungsunterschieden konstitutiv mit der Organisation von Unterricht verknüpft sei und „Noten oft zum letzten Anker einer Beschwörung des Sinns von Schule als solcher werden“ (Breidenstein, 2018, S. 66).Footnote 1 So verweist die Kritik der schulischen Leistungsbewertung, gerade in ihrer Problemhaftigkeit, auf deren Funktion für die Aufrechterhaltung schulischer Ordnung und deren Aktualisierung (Hoffmann, 2018, S. 72). Jenseits einer „Verfeinerung und weitere[n] Ausdehnung der Praktiken schulischer Leistungsbewertung“ (Breidenstein, 2018, S. 68) verweist der Begriff der „Leistungsgerechtigkeit“ daher nicht nur auf ein pädagogisches oder gesellschaftspolitisches Gerechtigkeitsproblem, sondern auf die praktischen Erfordernisse einer normierenden Sanktionsmacht, die sich umso wirkungsvoller inszenieren kann, je besser es ihr gelingt, ihre Voraussetzungen im Unklaren zu belassen und sich damit einer systematischen wie praxeologischen Kritik weitgehend zu entziehen (Hoffmann, 2018, S. 71). Daher stellt auch der Soziologe Müller (2017, S. 55) fest: „Wer Chancengleichheit fordert, sagt soziale Ungleichheit.“ Das Leistungsprinzip kann somit auch als Ungerechtigkeitsprinzip gelesen werden, da es die Leistungsfähigkeit bestimmter Gruppen von vornherein ausschließt bzw. nicht anerkennt, was auf die sogenannten Leistungsschwachen, Leistungsverweigerer, Schulversager oder (Schwer‑)Behinderten verweist.

Dabei sind die vorgenommenen Grenzziehungen zwischen Leistungsfähigen und Leistungsunfähigen historisch höchst kontingent. Selbst wenn die darauf errichteten Leistungsnormen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort als zwingend notwendig, selbstverständlich und logisch-rational darstellen, erweisen sich diese bei genauerer Prüfung doch immer wieder als beliebig und letztlich willkürlich: „The idea of meritocracy may have many virtues, but clarity is not one of them“ (Sen, 2000, S. 5). Schäfer stellt daher fest, dass es sich bei dem Begriff der „Leistungsgerechtigkeit“ im Sinne Laclaus letztlich um einen „entleerten Signifikanten“ (Schäfer, 2018, S. 53) handelt, das heißt um einen „Signifikanten ohne Signifikat“ (Laclau, 2002, S. 65). Dieser Umstand erklärt, warum es auch im Kontext schulischer „Leistungsgerechtigkeit“ so schwerfällt, eindeutige und konsistent vertretbare Kriterien der Leistungsbeurteilung zu finden. Die Präsenz leerer Signifikanten ist nach Laclau die Bedingung für Hegemonie, also dafür, dass ein bestimmter, partikularer Inhalt (hier: Leistung) sich als gemeinsame Perspektive oder übergreifende Kraft der Emanzipation und sozialen Ordnung breiter Bevölkerungsmassen darstellt (Laclau, 2002, S. 75). Um diese Leerstelle zu markieren, setzen wir den Begriff im vorliegenden Text durchgehend in Anführungsstriche.

So erscheint das Leistungsprinzip in unserer Gesellschaft einerseits als „alternativlos“, da es untrennbar verbunden ist mit dem „zentralen emanzipatorischen Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft“ (Schäfer, 2018, S. 11), wonach die soziale Positionierung und die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen nicht von askriptiven Merkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder Ethnizität abhängen soll, sondern von persönlichen Fähigkeiten und individueller Anstrengung. Andererseits gelten beispielsweise schulische Leistungsbewertungen schon seit Jahrzehnten als wenig objektiv, ungerecht und im Hinblick auf Bildung und Erziehung oft als dysfunktional. Prominente Beispiele hierfür sind die internationalen Leistungsvergleichsstudien Programme for International Student Assessment (PISA) oder Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS), bei denen für hochgradig leistungsselektive Bildungssysteme wie in Deutschland oder Österreich regelmäßig festgestellt wird, dass der individuelle Bildungserfolg von kaum einem anderen Faktor so stark abhängig ist, wie von der sozialen Herkunft (OECD, 2019) und somit in der Schule soziale Ungleichheiten eher verstärkt, statt abgebaut werden. Demgegenüber liegen empirische Befunde vor, dass Lehrkräfte im Sport dazu neigen, die Notenskala selten auszuschöpfen, was impliziert, dass das Unterrichtsfach Sport nur in eingeschränkter Weise den Selektionsauftrag der Schule erfüllt (Kastrup, 2009).

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass „Leistungsgerechtigkeit“ als ein hochambivalentes und kontingentes Konstrukt zu verstehen ist, das sich mit Honneth (1997, S. 39) als ein „Verhältnis der steten Spannung“ zwischen gesellschaftlichen Selektionsansprüchen und der Anerkennung differenter Körper und ihrer jeweiligen Leistungspotenziale begreifen lässt. Für Menschen mit Behinderung kann dieses Spannungsverhältnis exkludierende Potenziale entfalten, weil ihre jeweiligen Leistungspotenziale typischerweise keine Anerkennung erfahren (Giese & Ruin, 2018). Erste Schritte zu einer gerechteren Leistungsbeurteilung könnten bedeuten, einem größeren Spektrum an individuellen Leistungsfähigkeiten mehr Beachtung zu schenken sowie die durch das Leistungsprinzip gezogenen Grenzen und die dadurch begründeten gesellschaftlichen Verhältnisse von Inklusion und Exklusion bestimmter Personengruppe bewusst zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern.

Theoretischer Bezugsrahmen: Disability Studies und Ableism

Um die Frage nach dem Umgang mit Leistungsdiversität aus der Perspektive der oftmals vom Leistungsprinzip Ausgeschlossenen zu analysieren, rekurriert die vorliegende Analyse auf das emanzipatorische Konzept der Disability Studies, das in Abgrenzung zu medizinischen und individualistischen Zuschreibungen die Differenzkategorie Behinderung als ein soziales Konstrukt begreift, das abhängig ist von gesellschaftlichen Normvorstellungen und Fähigkeitserwartungen und damit einem ständigen Wandel unterliegt. Hervorgegangen ist dieses Konzept in den USA und Großbritannien aus den politischen Analysen und Erkenntnissen der Behindertenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre. Analog zu Sexism, Racism oder Classism bezeichnet der Begriff Ableism den diskriminierenden Ausschluss bestimmter Personengruppen aufgrund ihrer realen oder ihnen zugeschriebenen Leistungsfähigkeit (Winker & Degele, 2009). (Dis‑)Ableism ist in diesem Zusammenhang sowohl als Ideologie wie auch als eine spezifische Forschungsperspektive der Disability Studies zu verstehen, die insbesondere als Grundlage für die Suche nach inhärenten Inklusionshemmnissen im Kontext von Fähigkeitsregimen geeignet erscheint (Hoffmann & Wolbring, 2019), und die auch in der Sportpädagogik (inter)national diskutiert wird (z. B. Giese, Buchner, Mihaljovic, & Oldörp, 2022).

Behinderung wird üblicherweise in Abgrenzung zur Normalität bzw. zu einem für das Lebensalter „typischen“ Körper- und Gesundheitszustand definiert (vgl. z. B. das deutsche Bundesteilhabegesetz, § 2, Abs. 1). Die Feststellung einer solchen Normabweichung stellt selbstverständlich noch keinen diskriminierenden Ausschluss dar. Von Ableism ist erst dann die Rede, wenn diese Normen auf bestimmte, einseitig überhöhte Fähigkeiten oder Fähigkeitserwartungen bezogen werden, die Unterdrückung, Abwertung und Marginalisierung bestimmter Personen oder Personengruppen zur Folge haben oder rechtfertigen sollen:

„Ableism beruht auf einer Bevorzugung von bestimmten Fähigkeiten, die als essentiell projiziert werden, während gleichzeitig das reale bzw. wahrgenommene Abweichen oder Fehlen von diesen essentiellen Fähigkeiten als Problem angesehen wird. Dies wiederum ist oft begleitet von Disablism, dem diskriminierenden, unterdrückenden oder beleidigenden Verhalten, gegenüber denjenigen, die diese ‚essentiellen‘ Fähigkeiten nicht haben.“ (Wolbring, 2015, S. 18)

Zu diesen essentiellen Fähigkeiten gehören nach Wolbring (2008) u. a. Aktivitäten, wie Gehen, Sprechen, Hören oder Sehen, die für die Anerkennung einer menschlichen Person als grundlegend gelten. In der Ableism-Kritik geht es nicht darum, die Zuschreibung oder Bewertung von Fähigkeiten grundsätzlich zu verneinen. Problematisiert werden vielmehr „irrationale, verletzende, grausame und unplausible Konzeptionen von Fähigkeit (und damit auch Behinderung), die eng mit Vorstellungen der Leistungsgesellschaft, Leistungsgerechtigkeit und insgesamt einem liberalistischen Gesellschaftsbild verknüpft sind“ (Buchner, Pfahl, & Traue, 2015). Als zentrale Forschungsperspektive ergibt sich daraus die Analyse impliziter Zuschreibungen von Fähigkeitserwartungen und der damit korrespondierenden Unmöglichkeit (im Sinne von Un-Fähigkeit/Dis-Ability), diesen Anforderungen zu genügen. Beispiele dafür sind ableistische Normalitätskonstrukte, welche die Bildungsfähigkeit eines Menschen an dessen Abstraktions- und Reflexionsfähigkeit oder an seine uneingeschränkte autonome Bewegungsfähigkeit binden (Hoffmann, 2013). Der soziale Ausschluss vollzieht sich in diesen Fällen entlang der binären Kategorien reflexionsfähig vs. nichtreflexionsfähig oder bewegungsfähig vs. nichtbewegungsfähig (Giese, 2019, 109).

Die ableismkritische Forschungsperspektive wird im folgenden Kapitel verwendet, um diskriminierende Leistungs- und Fähigkeitsnarrative in bildungstheoretischen und fachdidaktischen Modellen der Sportpädagogik zu identifizieren, die stillschweigend und unreflektiert vom Standpunkt motorisch, kognitiv, sozial oder anderweitig privilegierter Personen gedacht werden und für Schüler*innen mit Behinderung gegebenenfalls unüberwindbare Barrieren implizieren.

Sportpädagogische Analysen

Globale wie bildungspolitische Entwicklungen spiegeln sich auch in schulischen und fachdidaktischen Diskursen wider. So wird im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention (United Nations, 2006) von und für Menschen mit Behinderung eine volle gesellschaftliche Teilhabe gefordert. Bestehende, strukturell verankerte Traditionen der Segregation und Exklusion gilt es zu überwinden, was auch der organisierte Sport (Deutscher Olympischer Sportbund, 2022; Sport Austria, 2022), die Sportwissenschaft (Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft, 2015) sowie der Deutsche Sportlehrerverband (Deutscher Sportlehrerverband, 2013) explizit anerkennen. Das Bestreben, für Menschen mit Behinderung einen möglichst chancengerechten Umgang mit Fähigkeits- und Leistungsimperativen im Sport sowie im Sportunterricht zu gewährleisten, erscheint in diesem Sinne als ein allgemein anerkanntes Ziel.

Meier und Ruin (2019, S. 13) weisen darauf hin, dass der Sport vielfach zu einem idealtypischen Feld stilisiert werde, in dem vermeintlich klar sei, „welche inhaltlichen Konturen ‚Leistung‘ aufweist“, wenn es beispielsweise im organisierten Sport im Geiste des „unbestechlichen Leistungsvergleichs, der Konkurrenz und der Chancengleichheit“ (Lenk, 2010, S. 206) darum geht, nach scheinbar objektiven Kriterien Sieger zu küren und Podiumsplätze zu verteilen (Meier, Haut, & Ruin, 2016; Meier & Ruin, 2018). Und Sloterdijk (2009, S. 9) betont, dass es spätestens mit der „anthropotechnischen Wende“ im Sport darum geht, im Sinne des Perfektionismus, etwas immer besser können zu wollen, um das eigene Leben zu verändern und zu verbessern, wobei der Sport „zur Metapher der Leistung überhaupt geworden“ (Sloterdijk, 2009, S. 65) sei. Vor dem Hintergrund der intendierten gesellschaftlichen Transformationsprozesse zeigen ableismkritische Analysen jedoch (Giese & Ruin, 2018), dass sich – möglicherweise insbesondere – im Feld des Sports und im Hinblick auf Leistung „gegenwärtig eine tiefgreifende Paradoxie in der Kollision gesellschaftlich transportierter Normvorstellungen einerseits und der zugleich proklamierten gesellschaftlichen Teilhabeansprüchen aller Menschen andererseits vermuten“ (Meier & Ruin, 2019, S. 14) lässt, was in der (inter)nationalen Forschung explizit auch für den Sportunterricht beschrieben wird (Barker, Bergentoft, & Nyberg, 2017; Nyberg, Barker, & Larsson, 2020).

In diesem thematischen Kontext nehmen die nachfolgenden Ausführungen gezielt den schulischen Sportunterricht in den Blick. Eine differenziertere Analyse dieses Feldes erscheint lohnend, weil anzunehmen ist, dass die beschriebenen Paradoxien gerade im Schulsport besonders verdichtet vorliegen. So werden sportimmanente Sieg-Niederlage-Codierungen und damit verbundene Fähigkeits- und Leistungsimperative auch im Sportunterricht gezielt aufgeführt, gleichzeitig ist Sportunterricht aber daraufhin ausgelegt, einen produktiven Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen sowie zur Weiterentwicklung einer inklusiven Gesellschaft zu leisten (Meier & Ruin, 2019).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern in fachdidaktischen Ansätzen im Hinblick auf Schüler*innen mit Behinderung strukturelle Leistungsungerechtigkeiten eingeschrieben sind. Fachdidaktische Ansätze verstehen wir als fachliche Hinweise zur pädagogischen Ausgestaltung des Schulsports, die Orientierungen bezüglich des Auftrags des Schulsports, aber auch bezüglich seiner Unterrichtsmethoden und -inhalte geben. Exemplarisch in den Blick genommen werden dazu zwei Ansätze, die ausgewählt wurden, weil ihnen in der Sportpädagogik hohe Relevanz zugesprochen wird und beide Ansätze auch im Kontext des inklusiven Sportunterrichts diskutiert werden:

  1. a)

    Ansätze einer pragmatischen Sportdidaktik innerhalb des erziehenden Sportunterrichts, welche den fachdidaktischen Diskurs seit Jahrzehnten dominieren und sich durch den Bezug auf den Doppelauftrag des Sportunterrichts sowie durch Mehrperspektivität auszeichnen (Balz & Neumann, 2013)Footnote 2;

  2. b)

    Ansätze zur Kompetenzorientierung sowie zu Bildungsstandards, die u. a. von Gogoll (2012) und Stibbe (2011) diskutiert werden.

Pragmatische Sportdidaktik und erziehender Sportunterricht

Wenn hier von einer pragmatischen Sportdidaktik und ihrer Fortentwicklung im Rahmen eines erziehenden Sportunterrichts die Rede ist, so ist damit der Anschluss an eine fachdidaktische Tradition gemeint, die seit nunmehr 35 Jahren diskutiert wird und nach Neumann und Balz (2013, S. 7) „einen gewissen fachlichen Konsens für sich in Anspruch nehmen“ kann. Den inhaltlichen Kern der pragmatischen Fachdidaktik sieht Thiele (2013, S. 24) durch die drei Begriffe Handlungsfähigkeit, Sinn und Mehrperspektivität bestimmt, wobei die pragmatische Fachdidaktik sowohl von Thiele (2013, S. 27) als auch von Neumann und Balz (2013, S. 7) als ein Mittelweg zwischen einem (zu) stark sachorientierten Sportartenprogramm und einer (zu) stark schüler*innenzentrierten Bewegungspädagogik beschrieben wird. In diesem Sinne wurde in der Lehrplanentwicklung in Nordrhein-Westfalen ab Mitte der 1990er-Jahre das Ziel verfolgt, „den Auftrag des Schulsports erziehender auszulegen“ (Kurz, 2013, S. 21). Zentral erscheint dabei, dass „die Pädagogischen Perspektiven im Rahmen eines mehrperspektivischen Unterrichts vermittelt werden, wobei der Reflexion und der Erfahrungsorientierung ein besonderer Stellenwert eingeräumt wird“ (Prohl, 2012, S. 82). Beckers (2013) beschreibt Mehrperspektivität als das Anerkennen einer Vielseitigkeit des Interesses von Kindern und Jugendlichen, die gleichzeitig Voraussetzung für Erfahrungen und deren Reflexion sei. Die Erfahrung könne aber nicht ausschließlich durch sich selbst sprechen, sondern bedürfe unabdingbar einer Reflexion durch das Subjekt, um im Bildungsprozess wirksam zu werden, was beispielsweise dazu dienen könne, „eine Haltung, eine Einstellung gegenüber modischen Trends zu gewinnen“ (Beckers, 2013, S. 190).

Es lässt sich festhalten, dass der Mehrperspektivität in aktuellen sportdidaktischen Diskursen eine zentrale Rolle zugesprochen wird, um einen bildungswirksamen Sportunterricht zu realisieren. Diesem Prinzip wird aber auch im Kontext der Inklusionsdebatte wiederholt eine besondere Eignung als Grundlage einer inklusiven Didaktik zugesprochen, weil dadurch unterschiedliche Zugangsweisen zum Sportunterricht gefördert würden (Meier & Reuker, 2022). Bei dem Vorhaben, die Eignung der Mehrperspektivität für einen chancengerechten Umgang mit Leistungsdiversität zu bewerten, stellt sich jedoch das Problem, dass eine allgemeingültige Bezugnahme auf diesen Begriff kaum möglich ist. Orientieren wir uns an Balz und Neumann (2013, S. 149), so erscheint als ein zentrales Moment, „etwas von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten. […] Jenes Prinzip besagt, dass Schüler im Rahmen der Sacherschließung und Persönlichkeitsentwicklung oder der zu entfaltenden Partizipations- und Reflexionskompetenz unter mehreren Perspektiven gefördert werden sollen“.

Diese Auslegung der Mehrperspektivität macht deutlich, dass dieser Anspruch seitens der Schüler*innen hohe intellektuelle Leistungen verlangt, was aus behinderten- und inklusionspädagogischer Sicht bestimmte Schüler*innengruppen – zumindest auf der konzeptionellen Ebene der Theoriebildung – möglicherweise ausschließt. Einen Gegenstand in seiner sozialen und historischen „Gewordenheit“ zu reflektieren, ist nicht nur für die Lehrkraft „pädagogisch anspruchsvoll“ (Balz & Neumann, 2013, S. 149), sondern setzt auch bei den Lernenden hohe Reflexions- und Abstraktionsleistungen voraus, wie z. B. ein differenziertes Geschichtsbewusstsein oder kritisches Denken. Im Kontext einer ableismkritischen Perspektive stellt sich die Frage, ob die impliziten Leistungsansprüche von allen Lernenden in dieser Form geleistet werden können. Kritisch formuliert liegt der Idee der Mehrperspektivität u. a. die Fähigkeitserwartung zugrunde, dass die Lernenden dazu in der Lage sind, die Mehrperspektivität des Unterrichtsgegenstands bzw. der Sache zu reflektieren, um dadurch Orientierungen für den eigenen Lebensentwurf zu generieren. In solche fachdidaktischen Modellierungen sind implizit problematische Fähigkeits- und Leistungsimperative eingewoben, weil sie für bestimmte Personengruppen – beispielsweise aufgrund einer intellektuellen Behinderung – kaum zu erfüllen sind. Verstehen wir den erziehenden Unterricht und die damit verbundene Mehrperspektivität als dominierendes sportdidaktisches Muster, sind dadurch zumindest all diejenigen Schüler*innen von ungerechten Leistungsanforderungen bedroht, die Reflexions- und Abstraktionsleistungen, die für den eigenständigen Perspektivwechsel vorausgesetzt werden, in der intendierten Art und Weise nicht erbringen können. Dass der Mehrperspektivität eine besondere Eignung für die Einlösung inklusiver Ansprüche zuzusprechen ist, wäre somit kritisch in Frage zu stellen, solange damit primär Bildungsansprüche adressiert werden, die im Unterricht sprachlich, kognitiv und begrifflich-abstrakt operationalisiert werden.Footnote 3

Bildungsstandards und Kompetenzorientierung

Auch wenn „sich Lehrplankommissionen bislang nicht auf ein überzeugendes fachspezifisches Kompetenzmodell stützen konnten“ (Stibbe, 2013, S. 33), gilt gleichwohl, dass etwa seit der Jahrtausendwende auch dem Unterrichtsfach Sport – obwohl selbst gar nicht Gegenstand internationaler, schulischer Leistungsvergleichsstudien – „schlanke, standardorientierte Kernlernpläne, die ausschließlich die Ergebnisse des Unterrichts bei den Schülerinnen und Schülern im Fokus haben“ (Aschebrock, 2013, S. 69) durch kultusministeriale Vorgaben verordnet sind, auch wenn diese bildungspolitische Setzung skeptisch rezipiert und von einer breiten fachwissenschaftlichen Kritik begleitet wird (Aschebrock, 2013).

In diesem thematischen Kontext haben sich u. a. Gogoll (2012) und Stibbe (2011) mit der Frage auseinandergesetzt, „ob und unter welchen Bedingungen Kompetenzen als individuelle Voraussetzungen für Bildungsmöglichkeiten im Lernbereich ‚Bewegung, Spiel und Sport‘ angesehen werden können“ (Stibbe, 2013, S. 33). Die Autoren weisen darauf hin, dass sich Bildungsstandards und Kompetenzmodelle an den allgemeinen Bildungszielen des Faches zu orientieren haben und dass sich daraus die Forderung ergibt, „die jeweiligen Vorstellungen über die allgemeinen Bildungsziele des Faches, an denen diese Prüfung vorgenommen werden kann, offenzulegen“ (Gogoll & Kurz, 2013, S. 82). In diesem Sinne argumentieren die Autoren, dass es gerade im Lernbereich „Bewegung, Spiel und Sport“ sinnvoll erscheine und in der Tradition des Faches verwurzelt sei, die fachlichen Bildungsziele an das Handeln des Individuums, an seine Handlungsfähigkeit, zu knüpfen. Diese Handlungsfähigkeit der Lernenden beschränkt sich nicht nur auf das aktive sportliche Handeln selbst, sondern auch „auf den Grad an Selbstbestimmtheit und Verantwortlichkeit, mit der sie sport- und bewegungsbezogene Handlungsentscheidungen […] umsetzen können“ (Gogoll & Kurz, 2013, S. 84).

Um diese Überlegungen für ein Kompetenzmodell im Sport nutzbar zu machen, argumentieren Gogoll und Kurz, dass die Grundannahme, dass sich sportliche Bildungsresultate primär auch im praktischen Handeln der Menschen zeigen, auch zu gewissen „Erwartungen an das Handeln von Menschen im Bereich Sport und Bewegung“ (Gogoll & Kurz, 2013, S. 84) führt. Wesentlich erscheint dabei, dass das sportliche Handeln auf Basis von verstandes- und vernunftbasierten Orientierungsleistungen erfolgt (Gogoll, 2013, S. 14). In diesem Sinne entwickeln die Autoren ein Stufenmodell mit drei qualitativ unterschiedenen Niveaustufen von Lernergebnissen:

  1. 1.

    Erkunden: Auf der ersten Stufe geht es um das sportliche Handeln selbst und um das Verbessern von motorischen und gegebenenfalls auch motivationalen Eigenschaften.

  2. 2.

    Sachlich-reflexives Erschließen: Auf der zweiten Stufe geht es über das sportliche Handeln hinaus darum, Wissen zu vermitteln, das es den Schüler*innen ermöglicht, eigenständig und sachkompetent sportliche Fertigkeiten zu verbessern.

  3. 3.

    Intentional-reflexives Erschließen: Auf der dritten Stufe geht es darum, mit diesem Wissen reflektiert umzugehen und beispielsweise die Relevanz einzelner sportlicher Handlungsfelder vor dem Hintergrund der eigenen Lebenssituation bewerten zu können.

Gogoll und Kurz (2013, S. 89) weisen explizit darauf hin, dass der Sportunterricht erst dann das volle pädagogische Potenzial des Faches ausschöpfe und zur Bildung beitrage, „wenn der Unterricht auch die zweite und die dritte Stufe erreicht“. Gogoll selbst betont den hohen Anteil, der auch hier abstrakten, intellektuellen Fähigkeiten zukommt, wenn er von komplexen Übersetzungsleistungen spricht, bei denen Schüler*innen „sportbezogene Erfahrungen zu mehr oder minder abstrakten Wissensstrukturen verdichten, die sie anschließend wiederum für ihr eigenes sportpraktisches Handeln einsetzen können“ (Gogoll, 2013, S. 16). Den daran orientierten Bildungszielen liegen vielfältige Leistungs- und Fähigkeitserwartung zugrunde. So wird auf den Stufen 2 und 3 beispielsweise vorausgesetzt, dass alle Lernenden dazu fähig sind, die implizierten Verstandes- und Vernunftleistungen zu erbringen. Auf Stufe 1 scheint unhinterfragt, dass alle Lernenden die motorischen Ansprüche zumindest grundsätzlich erbringen können, und für alle drei Stufen gilt, dass davon ausgegangen wird, dass alle Lernenden grundsätzlich bereit und willens sind, sich auf die intendierten Ziele einzulassen.

Wie im vorausgegangenen Kapitel sensibilisiert die ableismkritische Perspektive für Ungerechtigkeiten, die mit einer einseitigen Betonung sprachlich-kognitiver Bildungsansprüche einhergehen, weil die intendierten Fähigkeiten nicht für alle Menschen als gegeben vorausgesetzt werden können. Der ableismkritische Bezugsrahmen impliziert vielmehr problematische Umkehrschlüsse: So ist zu fragen, inwiefern für Menschen, die aufgrund einer sogenannten intellektuellen Behinderung nicht zu abstrakten sprachlich-kognitiven Reflexionsleistungen in der Lage sind und auf Stufe 3 keine intendierten Bildungserfolge erbringen können, ein chancengerechter Umgang mit ihrer jeweils individuellen Leistungsfähigkeit gegeben ist, oder ob sie durch die theoretische Modellierung nicht vielmehr per se als leistungsunfähig gelten.

Da die Analyse hier nur ausschnitthaft erfolgen kann, sei darauf hingewiesen, dass auch andere eingelagerte Fähigkeitsimperative diskutiert werden könnten: Welche Erwartungen werden beispielsweise an Menschen mit körperlichen Behinderungen gestellt, die auf Stufe 1 und 2 keine motorischen Leistungserfolge erbringen können, auf Stufe 3 allerdings durchaus leistungsfähig sind? Schüler*innen mit Verhaltensauffälligkeiten, die sich aufgrund von emotionalen Krisen oder psychischen Behinderungen nur eingeschränkt oder gar nicht auf den eigentlich notwendigen Bildungspakt einlassen können bzw. diesen bewusst oder unbewusst unterlaufen, bleiben ebenfalls gänzlich unbeachtet. Bei diesen Schüler*innen fungiert die implizite Fähigkeitserwartung des „Sich-Einlassenkönnens“ als ein camoufliertes strukturelles Exklusionsprinzip, das einen chancengerechten Umgang mit Leistungsdiversität erschwert.

Konstruktive Perspektiven? Eine Heuristik

Die ableismkritischen Analysen zeigen, dass Schüler*innen mit Behinderung – in Ergänzung zu vorliegenden sportpädagogischen Analysen aus der Perspektive der Disability Studies (Giese & Meier, 2023) – auch bei der Frage nach der „Leistungsgerechtigkeit“ im inklusiven Sportunterricht als Ausgeschlossene betrachtet werden müssen. Die in die fachdidaktischen Modelle eingewobenen Leistungs- und Fähigkeitsimperative sind durch gesellschaftliche Normalitätskonstrukte vorformatiert und fungieren als wirkmächtige Werkzeuge einer Normalisierungsgesellschaft (Foucault, 1977). So verweisen die sportpädagogischen Analysen auf camouflierte Chancenungerechtigkeiten, die sich u. a. aus einer einseitigen Fokussierung auf sprachlich-kognitive (intellektualistische) Fähigkeitsregime ergeben, womit „oftmals sehr umfangreiche Rationalitäts- und Reflexivitätsansprüche verbunden [sind], die von vielen Menschen kaum eingelöst werden können“ (Zirfas, 2012, S. 80). Das je spezifische Leistungsvermögen von Schüler*innen mit Behinderung findet in den hier diskutierten Modellen keine Beachtung.

Dies ist insofern paradox, als speziell das Unterrichtsfach Sport vielfältige Möglichkeit bieten könnte, auch präverbale und leibliche Bildungsvorstellungen zu adressieren (Franke, 2015), die diesseits von ableistischen Fähigkeitslogiken liegen (Quinten, 2021). Im Gegensatz zur meritokratischen Perspektive, die auch im Sportunterricht problematische Ausdeutungen von Leistungsnarrativen reproduziert, schlagen wir auf einer grundlagentheoretischen Ebene vor, zwischen funktionalen und substanziellen anthropologischen Diskussionsebenen zu unterschieden (Scherer & Bietz, 2013, S. 17). Diese Unterscheidung verweist auf die Annahme, dass es sehr wohl „pädagogisch und moralisch sinnvoll sein kann, von pädagogisch-anthropologischen Erkenntnissen auszugehen, ohne dass dies zu einer Sonderanthropologie von Menschen mit Behinderungen führen muss“ (Zirfas, 2012, S. 75). In dem vorliegenden Argumentationszusammenhang bedeutet dies, aus einer funktionalen Perspektive zu bejahen, dass selbstverständlich – damit es an dieser Stelle nicht zu Missverständnissen kommt – z. B. auch Schüler*innen mit intellektueller Behinderung zu umfangreichen Reflexionsleistungen in der Lage sind. Solange diese allerdings (auch im Sportunterricht) auf einer substanziellen Ebene ausschließlich sprachlich-kognitivistisch operationalisiert werden, impliziert diese Theoriebildung unausgesprochene Exklusionsmomente.

Die vorgeschlagene Unterscheidung ermöglicht, in Abgrenzung zu intellektualistischen und kompetenztheoretischen Modellen, eine Perspektive auf Leiblichkeit und Verkörperung in den Blick zu nehmen, die sich von überhöhten Reflexionserwartungen, Perfektionierungen und Optimierungen löst, indem leibliche Erfahrungen im körperlichen Üben fokussiert werden, was auch an bildungstheoretische Arbeiten in der allgemeinen Erziehungswissenschaft bzw. der Sportpädagogik anschlussfähig erscheint (Boger & Brinkmann, 2021; Brinkmann & Giese, 2023). Es gilt zu fragen, welche Fähigkeiten von Schüler*innen mit Behinderung möglicherweise übersehen oder ignoriert werden, die aus sportlicher und sportpädagogischer Perspektive eine Bereicherung darstellen können, wie z. B. ungewöhnliche und originäre Bewegungsmuster, eigensinnig-ästhetische Ausdrucksformen, besondere Ausdauer, langsamere oder schnellere Reaktionsgeschwindigkeiten oder auch ausgeprägte Fähigkeiten zur Nachahmung und zum Bewegungslernen.

Beispielsweise geht eine neuropsychologische Störung wie das Tourette-Syndrom zwar einerseits mit typischen motorischen und kognitiven Symptomen einher, die von den Betroffenen zum Teil als starke Einschränkung in ihrem Alltagsleben empfunden werden (Tic-Störungen, Zwangshandlungen, selbstverletzendes Verhalten), andererseits resultieren daraus oft auch spezielle motorische Fähigkeiten, wie dies Sacks in seinen neurologischen Geschichten über „Witty Ticcy Ray“ (Sacks, 1990) oder „Das Leben eines Chirurgen“ (Sacks, 1997) verdeutlicht.

Der Wiener Choreograph und Performance-Künstler Turinsky, der in seinen Arbeiten u. a. den Begriff des „intakten Körpers“ problematisiert, weist darauf hin, dass in diesem Ausdruck das Wort „Takt“ steckt und sich manche Körper gerade diesem „Intaktsein“ widersetzen: „Manche Körper funktionieren langsamer. Gleichzeitig geht es nicht nur um Langsamkeit, sondern auch um so etwas wie eine vorrangige Tendenz zur Wiederholung gegenüber der Variation. Bestimmte Körper sind eher zur Wiederholung geneigt als zur virtuosen Variation“ (Turinsky, 2020, S. 14). In den Disability Studies hat sich dafür der Begriff Crip Time etabliert, der mit der Forderung nach einem Umdenken hinsichtlich der Normalitätsvorstellungen von Raum, Zeit und Körperlichkeit sowie deren Rhythmisierung verbunden ist (Richard, Joncheray, & Duquesne, 2023).

Paradigmatisch lässt sich dies am gemeinsamen Tanzen von Menschen mit und ohne Behinderung aufzeigen, das international unter Bezeichnungen wie „community dance“, „DanceAbility“, „mixed-abled dance“ oder „inclusive dance“ firmiert. Beim community dance steht nicht die individuelle Leistungsfähigkeit im Sinne sportlichen Wettbewerbs oder bestimmter Minimalanforderungen an Bewegungs- und Ausdrucksfähigkeit im Mittelpunkt, sondern die Fähigkeit, Freude an der eigenen Bewegung innerhalb einer Gruppe anderer Menschen zu entwickeln. Eine ableismkritische Perspektive ist hierfür die Grundbedingung. Inklusiver Tanz soll Kinder, Jugendliche und Erwachsene im kreativen Umgang mit Körper und Bewegung dazu befähigen, „sich von herkömmlichen Leistungsstandards und ästhetischen Normen zu lösen, und erlaubt es, den Blick auf das Andere, auch Fremde, zu richten und Wertschätzung und Anerkennung für das Ungewohnte und Neue zu entwickeln“ (Quinten, 2016, S. 371).

Im Hinblick auf das pädagogische Potenzial der brasilianischen Tanz- und Kampfkunst Capoeira stellt Hoffmann (2020) fest, dass das damit verbundene gemeinsame Tanz- und Musikerleben nicht nur niemanden aufgrund bestimmter Fähigkeiten ausschließt (so dass auch Menschen mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen daran teilnehmen können). Durch die hohe Bedeutung, die dem Gemeinschaftserleben im Capoiera zukommt, hat vielmehr jede*r die Möglichkeit, Teil des Geschehens zu sein. Auch wenn Capoiera niemanden aufgrund von Leistungsdifferenzen vom Spiel mit Körper und Bewegungen ausschließt, ist es dennoch offen für Leistungskriterien und Bewertungen (ebd., S. 139), was – ganz praktisch – auf die weiter oben diskutierte Unterscheidung zwischen funktionaler und substanzieller Ebene zurückführt.

Auch wenn diese eher fragmentarischen Beispiele tendenziell quer zu einem Sportunterricht liegen mögen, der aufgrund von bildungspolitischen Vorgaben durch standardisierte Fähigkeitserwartungen geprägt ist, die Beispiele nur einen Teil der Sport- und Bewegungskultur thematisieren und eine Übertragung theoretischer Überlegungen in konkrete Unterrichtspraxis nie bruchlos erfolgen kann, illustrieren sie doch, dass schon heute bewegungskulturelle Praxen existieren, die mehr „Leistungsgerechtigkeit“ implizieren und aus denen Orientierungen für die fachdidaktische Konzeption eines inklusiven Sportunterrichts gewonnen werden können.

Fazit

Die Überlegungen zu den konstruktiven Perspektiven verweisen auf die Notwendigkeit, dass es im schulischen Sportunterricht verstärkt darum gehen muss, einem größeren Spektrum an unterschiedlichen Leistungspotenzialen Beachtung zu schenken und sich von intellektualistischen, aber auch von klassisch sportartenbezogenen Leistungs- und Körperimperativen zu lösen. Die Ausführungen zeigen auch, dass etablierte bildungstheoretische und fachdidaktische Konzeptionen wenig geeignet erscheinen, einen chancengerechten Umgang mit Leistungsdiversität zu befördern. Die exemplarischen ableismkritischen Analysen zeigen vielmehr, dass in diese Modellierungen – im Widerspruch zu den eingangs zitierten inklusiven Selbstverpflichtungen – unausgesprochen normative Leistungsimperative eingewoben sind, die aus der hier eingenommenen Perspektive der „Ausgeschlossenen“ systematisch und strukturell Ungerechtigkeit produzieren. Weiterhin zeigt die Analyse aber auch, dass die Frage nach der Anerkennung von Leistungsdiversität und „Leistungsgerechtigkeit“ zunächst nicht als eine Frage der konkreten Unterrichtsgestaltung zu verstehen ist, sondern dass auf einer quasi vorgelagerten Ebene zunächst fachimmanente anthropologische, bildungstheoretische und fachdidaktische Grundlagen zu überdenken und zu reformulieren sind. Aus einer selbstkritischen Perspektive ist abschließend allerdings auch darauf zu verweisen, wie schwierig und herausfordernd sich die konstruktive Wendung der hier vorgetragenen Kritik gestaltet. Dem Selbstanspruch, die angesprochenen Kritikpunkte neu oder anders zu denken, wird auch hier nur exemplarisch und kursorisch nachgekommen, was auf umfangreiche Forschungsdesiderata in diesem Feld verweist.