Die konzeptionelle Einbindung aller beteiligten Akteur:innen in die (Doping‑)Präventionsarbeit ist international und fachübergreifend Konsens in der evidenzbasierten Forderung – die praktische Umsetzung stellt allerdings eine Herausforderung dar (Wright et al., 2010; Backhouse et al., 2012; Scharf et al., 2021). Ziel des hier auszugsweise vorgestellten Forschungsvorhabens ist es, bestehende Partizipationsansätze bzw. -prozesse aktueller Dopingpräventionsprogramme im europäischen Raum theoriegeleitet zu analysieren, zu vergleichen und die Ergebnisse in eine systematische Handlungsempfehlung zur partizipatorischen Einbindung von Athlet:innen in die institutionelle Dopingpräventionsarbeit der Nationalen Anti-Doping-Agentur Deutschland (NADA) zu überführen. Dazu wurde ein Best-Practice-Modell entwickelt, das einerseits angesichts der weltweit komplexen Anforderungen an die Dopingprävention übergreifende Aussagekraft besitzt und andererseits kontextspezifischer, d. h. nationaler Anpassungen bedarf. Der folgende Beitrag skizziert die sowohl theoriegeleitete als auch empirisch gestützte Entwicklung dieses Modells und liefert konkrete Handlungsempfehlungen für die Anti-Doping-Arbeit im Spitzensport.

Partizipation

Unter Federführung von der World Anti-Doping Agency (WADA) bzw. der NADA ist die konzeptionelle Einbindung von Athlet:innen in die Dopingpräventionsarbeit sinnvoll, um die Akzeptanz der Adressat:innen zu steigern, indem ihre spezifischen Bedürfnisse, Werte und Umstände berücksichtigt werden. Dieser Anspruch geht über gängige Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden hinaus, die sich auf Diskussionen oder Rückfragen beschränkt (Cléret, 2011; Backhouse et al., 2012; Fallace et al., 2019; Scharf et al., 2021). Partizipation räumt Athlet:innen Teilhabe in ihren Handlungsfeldern ein, etwa durch aktive Mitbestimmung und/oder Zuweisung von Entscheidungskompetenzen (Hart, 1992; Jacob, Kannen, & Niestroy, 2014). Methodisch dient Partizipation dazu, Wissensbestände und Verfahren zu generieren, um z. B. latente Widerstände zu reduzieren und eine höhere Akzeptanz für Dopingprävention insgesamt zu erreichen. Dafür sind die jeweiligen Partizipationsprozesse und -formen transparent zu gestalten (Hafen, 2012). Die Art der Gestaltung ermöglicht Rückschlüsse über die Höhe des Partizipationsgrades, der sich in Anlehnung an Arnstein (1969), Hart (1992, 1997), Gernert (1993) und Wright et al. (2010) über Stufenmodelle der Partizipation bestimmen lässt. Aus Sicht des Individuums liegt der höchste Grad an Partizipation in der Selbstbestimmung von Entscheidungen und Handlungen, dem individuellen Kompetenzerleben sowie dem Erleben von sozialer Eingebundenheit. Dabei gilt nach Deci & Ryan (2000), je stärker die Bedürfnisse der Athlet:innen erfüllt werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit intrinsischer Motivation. Umgekehrt limitiert ein geringerer Erfüllungsrad die Partizipation und reduziert die Motivation für Konzepte und Maßnahmen auf externale Regulationsmechanismen (ebd.).

Ausgehend davon wird zunächst offengelegt, inwiefern die untersuchten Dopingpräventionsprogramme Partizipation der Athlet:innen begünstigen oder erschweren (Coelen, 2010).

Qualitatives Stufenmodell

Die theoriegeleitete empirische Untersuchung erfolgte multimethodisch durch ein aufeinander aufbauendes, qualitatives Stufenmodel, das in die folgenden vier Phasen einzuteilen ist:

Beginnend mit einer (1) qualitativen Dokumentenanalyse (Mayring, 2015) bestehender Präventionsprogramme europäischer NADOs (n=4) nach partizipativen Gesichtspunkten. Neben den partizipativen Ebenen (strukturell, konzeptionell, inhaltlich) wurden Partizipationsstufen (z. B. Fremdbestimmung, zugewiesen aber informiert, Mitwirkung) und Partizipationsgrade berücksichtigt. Wright et al. (2010) benennen vier Partizipationsgrade, die sich zunehmend hinsichtlich der Partizipation steigern: Der erste Grad, die Information, bezeichnet eine unilineare Weitergabe von Wissen ohne jedwede Einbindung der Adressat:innen. In der Konsultation, als zweitem Grad, bezieht man Athlet:innen als Adressat:innen z. B. mittels Befragungen oder Diskussionsrunden mit ein, aber bei der Entscheidungsfindung, bspw. hinsichtlich gesetzter Anwesenheitspflicht der Präventionsveranstaltung, werden sie ausgeschlossen. Mitbestimmung wird dem dritten Grad gleichgesetzt, hierbei werden Vorwissen und Kompetenzen der Adressat:innen einbezogen, die Teilnehmer:innen werden aktiv in die Veranstaltung eingebunden, gestalten diese inhaltlich mit. Der vierte Grad, die Ermächtigung, überträgt den Adressat:innen Entscheidungen und zielt darauf ab, individuelle Interessen artikulieren, aushandeln und umsetzen zu können. Die damit verbundenen Denk- und Handlungsweisen und deren (Aus‑)Wirkungen werden damit individuell zuweisbar. Innerhalb der Dopingprävention sollen die Adressat:innen die für sie individuelle Schutz- und Belastungsfaktoren (er)kennen, ableiten, verstehen und darauf bewusst Bezug nehmen können (Hafen, 2012).

Der (1) qualitativen Dokumentenanalyse schlossen sich (2) Interviews mit Expert:innenFootnote 1 (n=14) zur Ergebnisreflexion und -erweiterung der vorangestellten Dokumentenanalyse an. Dafür wurden anlehnend an die Ergebnisse der Dokumentenanalyse akteursspezifische Interviewleitfäden für Interviewpartner:innen eingesetzt. Als Expert:innen wurden einerseits die konzeptionell Verantwortlichen der untersuchten Präventionsprogramme der NADOs rekrutiert (n=5) und anderseits die Zielgruppe dieser Programme, Kaderathlet:innen (n=9).

Im Rahmen eines anschließenden Workshops wurden die vorangestellten Ergebnisse aus den Phasen (1) und (2) in einem (3) Ratingbogen zu ausgewählten Aussagen zusammengefasst und durch ein Gruppendelphi-Verfahren (Niederberger & Renn, 2018) durch die befragten Experten (n=8) reflektiert, zur Diskussion gestellt und bewertet. Die Aussagen waren zugleich in Anlehnung an das parallel zum Forschungsprozess entwickelte (4) Best-Practice-Modell eingeordnet sowie auf konkrete Handlungsempfehlungen hin ausgerichtet formuliert. Diese vier skizzierten Stufen des empirischen Forschungsprozesses werden im Folgenden transparent dargestellt.

Dokumentenanalyse

Aus n=34 europäischen Präventionsprogrammen wurden n=4 ausgewählt und analysiert. Dabei diente die deutsche und englische Sprache der untersuchten Nationen als Einschlusskriterium, insofern als Deutsch die Muttersprache des Untersucher:innenteams ist und Englisch fließend beherrscht wird. Mit Blick auf die in Muttersprache zu führenden Interviews mit den Akteur:innen der Herkunftsländer und den maximal bilingual auszurichtenden Delphi-Workshop ergibt sich, dass die deutschsprachigen europäischen Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz) sowie ein englischsprachiges Land (Großbritannien) in die Untersuchung aufgenommen wurden. Ausgeschlossen wurden somit aus forschungsökonomischen Gründen alle europäischen Länder, in denen weder Deutsch noch Englisch Amtssprache ist. Das zu analysierende Material erschloss sich vorwiegend über den meistgenutzten Weg der Adressat:innen – die Internetpräsenzen der NADOs (Körner, Ribel-Sencan, Scharf, Schneider, & Symanzik, 2019). Ergänzend dazu wurden auf Nachfrage bereitgestellte, d. h. nicht öffentlich verfügbare, Materialien einbezogen. Einzig über die Webseiten von der Anti-Doping-Agentur Großbritanniens (UKAD) wurden keine aussagekräftigen Inhalte zu Schulungsveranstaltungen bereitgestellt. Im Anschluss an die Bestandssicherung wurden die Materialien geordnet und für die qualitative Inhaltsanalyse (Mayring, 2015; Kuckartz, 2018; Kuckartz & Rädiker, 2020) aufbereitet (Zeitraum der Bestandsaufnahme: 02.–06.2020; vgl. Abb. 1). Die Inhalte liegen hierbei in Präsenz-Footnote 2, Digital- und Druckangeboten vor, wobei alle Druckangebote über den Digitalbereich verfügbar sind. Ableitend von der theoretischen Grundausrichtung wurde ein Kategoriensystem entlang der beschriebenen partizipativen Gesichtspunkte deduktiv und induktiv gebildet und definiert (Mayring, 2015; Kuckartz, 2018; Kuckartz & Rädiker, 2020). Es lagen sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventive Ansätze vor, d. h. Prävention, die unmittelbar am Individuum ansetzt als auch an sie umgebende Strukturen (Hurrelmann & Quenzel, 2010; Bette & Kühnle, 2012).

Abb. 1
figure 1

Untersuchte Präventionsprogramme (orange hinterlegt sind die für die Dokumentenanalyse genutzten Materialien)

Interviews

Auf Grundlage der Befunde aus der zuvor erfolgten theoriegeleiteten Inhaltsanalyse der Druckmaterialien und Webseiten-Auftritte wurden akteur:innenspezifische Interview-Leitfäden für die national Verantwortlichen der Dopingprävention (n=5) einerseits, Athlet:innen (n=9) als Zielgruppe andererseits erstellt. Die Unterscheidung der Interviewfragen lag darin, dass Entscheider:innen nach Begründungen für ihre Präventionsstrategie und die Athlet:innen nach ihrer Meinung zur Umsetzung befragt wurden. Diese Leitfäden wurden in Pre-Tests (n=8) auf Dauer, Stimmigkeit, Verständlichkeit sowie Vollständigkeit untersucht und daraufhin modifiziert (Bortz & Döring, 2016). Die Themenbereiche der Leitfäden setzten sich zusammen aus: (1) Einstiegsfragen zum Präventionsprogramm, (2) Zielsetzung sowie (3) Gestaltung und Umsetzung des jeweils nationalen Präventionsprogramms, (4) Zukunft der Dopingprävention und (5) Auswirkungen der Coronapandemie auf die Präventionsarbeit. Weiterhin wurden aus den Interviews die Ergebnisse der Dokumentenanalyse durch die befragten Expert:innen validiert und kontrastiert. Die Kontrastierung bereits erhobener Ergebnisse ist hierbei methodisch bereits als partizipatives Vorgehen zu verstehen, indem die Expert:innen aktiv in den Forschungsprozess eingebunden und daran beteiligt werden.

Kollektiv der Expert:innen

Die nationalen und internationalen Kooperationspartner des Forschungsprojekts wurden um eine Kontaktherstellung mit möglichen Interviewpartner:innen gebeten. Im Zeitraum vom Juni bis August 2020 konnten so insgesamt 14 Expert:innen (neun Männer, fünf Frauen) im Alter von 17 bis 62 Jahren (MW = 32, SD = 11,8) für ein leitfadengestütztes Interview rekrutiert werden. Die Interviewten stammten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aus jedem dieser Länder wurden die Leitungen der NADOs, Athlet:innen sowie deren Sprecher:innen interviewt. Aus Großbritannien konnte wegen personeller Umbrüche der UKAD keine verantwortliche Person rekrutiert werden. Daraus ergab sich methodisch begründet, dass die Kontrastierung seitens der Athlet:innen ausbleiben musste und dementsprechend keine Vertreter:innen aus Großbritannien am Delphi-Workshop teilnehmen konnten.

Ratingbogen

Ableitend aus den Ergebnissen der (1) Dokumentenanalyse und (2) Interviews wurde zur Bestimmung inhaltlicher Validität eigener und fremder Beobachtung sowie der Schaffung von Objektivität (Bortz & Döring, 2016) ein Ratingbogen für die Expert:innen entwickelt und entlang eines Delphi-Verfahrens eingesetzt. Im Vorfeld des Delphi-Workshops wurde der 23 Aussagen umfassende Ratingbogen mittels kognitiver Interviews in Pre-Testungen (n=4) validiert (Tourangeau, Rips, & Rasinski, 2000; Porst, 2009).

Zum Workshop wurden alle Interviewten eingeladen, um eigene und fremde Aussagen bewerten, diskutieren und im Verlauf ggf. neu bewerten zu können (Niederberger & Renn, 2018). Von den 14 Interviewten nahmen acht – ausschließlich männliche – Experten bzw. deren Vertretung teil.

Best-Practice-Modell

Die vorliegende Expertise hat zum Ziel, die partizipativen Prozesse innerhalb der Dopingprävention, insbesondere in Deutschland mit seinem NADA-Präventionsprogramm Gemeinsam gegen Doping (GGD), für eine Beteiligung und Einbindung der Athlet:innen stärken zu können. Dazu konnte im Rahmen des Projekts das in Anlehnung an Körner & Staller (2020) modifizierte Best-Practice-Modell (vgl. Abb. 2) entwickelt und validiert werden. Dieses stellt zugleich den Ausgang für allgemeine ausgesprochene Handlungsempfehlungen dar. Das Modell verfolgt eine ganzheitliche Betrachtung für eine Beteiligung der Athlet:innen in der Dopingprävention, zeichnet sich durch Offenheit sowie Dynamik aus, berücksichtigt empirische Evidenzen zum Lernen und dient:

  • als formales Orientierungs- und Steuerungsmodell, das inhaltlich und konzeptionell offen und variabel gestaltbar ist,

  • zur Systematisierung von Entscheidungen, Begründungen und Steuerung der Maßnahmen und Angeboten sowie deren Qualität durch abgestimmte Entscheidungen,

  • der Konzeptualisierung von Athlet:innen (Wer-Dimension), sachlichen und sozialen Anforderungen (Was-Dimension) im Zusammenhang kontextualer Bedingungen sowie präferierten oder notwendigen Lehr-Lern-Settings (Wie-Dimension) für die Präventionspraxis,

  • als Praxiswerkzeug zur Gestaltung und Umsetzung unter Berücksichtigung organisationaler und kontextualer Bedingungen (z. B. finanzielle, personelle oder gesetzliche Gegebenheiten),

  • der Reflexion und Transparenzschaffung der Dopingprävention,

  • als Anregung kontinuierlicher Zusammenarbeit mit den Athlet:innen durch andauernde Erhebungen empirischer Daten zu Bedarf, Bedürfnissen, Voraussetzungen und Lernerfolg.

Abb. 2
figure 2

Entscheidungs- und Begründungsmodell Professionelle Dopingprävention. (In Anlehnung an Körner & Staller, 2020, 2021)

Im (inter)nationalen Kontext der Dopingprävention liegt ein solches Modell mit den zuvor abgebildeten Zielstellungen bislang nicht vor. Vielmehr ging es bislang darum, relevante Themenbereiche und Rahmenbedingungen für Präventionspraxis zu evaluieren (u. a. Boardley, Chandler, Backhouse, & Petróczi, 2021). Gerade deswegen ist es, u. E. nach, international anschlussfähig. Das vorgelegte Modell verfolgt einen zirkulär-reflexiven Ansatz, der vor allem in der Präventionspraxis zum Ausdruck kommt. Die Planung und Umsetzung unterliegen der ständigen Reflexion, die in Abhängigkeit der sich umgebenden drei Ebenen (Wer, Was, Wie), den kontextualen Bedingungen und dem Organisations-Selbst stehen. Die Präventionspraxis stellt einen komplexen Entscheidungs- und Begründungsprozess dar, der nur in Abhängigkeit zu seiner Umwelt (NADA und Präventionskontext) aufzufassen ist und in ständiger Wechselbeziehung zu den drei sich gegenseitig bedingenden Ebenen steht. Mit einer auf die Bedürfnisse der Athlet:innen zentrierten Dopingprävention geht eine Aufhebung ausschließlich verpflichtender unidirektionaler, starrer Lernarrangements einher. Die Anwendung und das Gelingen des Modells liegen in der Verantwortung des Organisations-Selbst (z. B. Ziele, Wissen, Überzeugung), das stets mit dem jeweiligen Präventionskontext (z. B. Ressourcen, Gesetzgebung, Regelungen) abgleichen muss. Hierzu zählen auch Anpassungen und Reaktionen auf gesellschaftliche Phänomene wie die Coronapandemie. Zugleich wird damit der ständigen Reflexion des Präventionskontextes einerseits und der Forderung regelmäßiger Evaluationen des International Standard for Education (ISE) der WADA andererseits entsprochen (WADA, 2021).

Ergebnisse

Dokumentenanalyse

Die Bestandsaufnahme zeigt zunächst, dass lediglich aus Deutschland und Österreich Materialien zu allen Präventionsbereichen (Präsenz‑, Digital‑, Printbereich) sowie zur Konzeption der Präventionsarbeit für die Dokumentenanalyse vorlagen. Aus der Schweiz und Großbritannien konnten hingegen nur die Webinhalte des Präventionsprogramms einbezogen werden. Aus der Dokumentenanalyse lässt sich insgesamt festhalten, dass die untersuchten nationalen Präventionsprogramme die Athlet:innen innerhalb der drei partizipativen Ebenen (konzeptionell, inhaltlich) überwiegend über Vorstufen der Partizipation, d. h. der Mitwirkung ohne Entscheidungsoption, in die Dopingprävention einbinden. Einzig auf struktureller Ebene konnten entlang des Analyserasters keine partizipativen Anteile identifiziert werden.

Vor allem werden Athlet:innen über allgemeingültige oder spezifisch zugewiesene Informationen in Kenntnis gesetzt, seltener findet sich eine Teilhabe oder Mitwirkung wieder. Den betroffenen Athlet:innen werden über die Präventionsprogramme eingegrenzt Kompetenzen zugesprochen, mit denen sie selbstständig und daher autonom Entscheidungen treffen können (Mitbestimmung & Selbstbestimmung). Der Präsenzbereich hebt sich hierbei aufgrund der dort bestehenden Möglichkeit des direkten und persönlichen Austausches von den anderen (digitalen) Maßnahmen und Angeboten wesentlich ab. Die Athlet:innen werden dort durch konkrete Aufgaben, Meinungsabfragen oder Diskussionsprozesse aktiv beteiligt und befähigt, die jeweilige Veranstaltung mitzugestalten.

Weiterhin stellt sich dar, dass vor allem auf konzeptioneller Ebene eine Beteiligung vorgesehen ist, indem die Athlet:innen bspw. Mitbestimmung bei der Auswahl der Themen im Vorfeld zu Schulungsveranstaltungen zugesprochen wird oder dadurch, dass Aufgaben innerhalb dieser selbstbestimmt in Bezug auf die Bearbeitungstiefe ausgearbeitet werden können. Gerade der E‑Learning-Bereich ermöglicht den Athlet:innen zeitlich unbegrenzten Zugriff sowie eine interessengeleitete, bedarfsgerechte Auswahl der Inhalte (z. B. Wissensquiz, Med-App zur Medikamentenabfrage).

Interviews

Die Auswertung der durchgeführten Interviews entlang psychologischer Grundbedürfnisse (Deci & Ryan, 1985) erwies sich dahingehend als ertragreich, als hierüber übereinstimmende Aspekte sowohl innerhalb als auch zwischen den jeweiligen Akteursgruppen festgestellt werden konnten. Es stellt sich aus den Interviews dar, dass Dopingprävention begrenzt auf die Grundbedürfnisse der Athlet:innen eingeht. Dies drückt sich einerseits darin aus, dass in erster Linie die strukturellen Bedingungen und Vorgaben der globalen Anti-Doping-Arbeit leitend für die inhaltliche Gestaltung und konzeptionelle Umsetzung der Entscheidungsträger sind. Und andererseits darin, dass die Teilnahme für Spitzensportler:innen zumeist verpflichtend ist. Unterforderung entsteht dann, wenn die Inhalte sich jährlich wiederholen. Positiv heben die Athlet:innen den zwischenmenschlichen Austausch hervor. Hauptsächlich werden Athlet:innen zu Zwecken einer fachlichen Klärung eingebunden, indem sie über die strukturellen bzw. fremdbestimmten Vorgaben des Anti-Doping-Systems informiert werden. So soll ein Mindestmaß an Grundwissen über Anti-Doping-Bestimmungen erworben und dieses durch ausgewählte Maßnahmen, und Angebote erlernt, gefestigt und reflektiert werden. Es zeigt sich, dass partizipative Prozesse i. d. R. weitestgehend auf inhaltlicher Ebene stattfinden. Auf konzeptioneller Ebene ist eine Beteiligung der Athlet:innen dagegen unterschwellig und auf struktureller Ebene gar nicht vorhanden.

Die Perspektive der Athlet:innen wird in der Dopingprävention aufgrund der bestehenden Konzeption beschränkt sozial eingebunden, indem z. B. punktuell Meinungen im Rahmen von Präsenzveranstaltungen eingeholt werden. Stärker sozial eingebunden sind die Sprecher:innen der Athlet:innen, da von ihnen bspw. Rückmeldungen einzeln oder in Gremiensitzungen zum Webauftritt der NADOs eingeholt werden. Allerdings übernehmen Athlet:innen die Rolle der Sprecher:innen ehrenamtlich, begrenzte zeitliche Verfügbarkeiten sind die Folge.

Rechte von Athlet:innen bspw. während einer Dopingkontrolle, sind weniger inhaltlicher Bestandteil. Fragen seitens der Athlet:innen zielen zumeist darauf ab, Sanktionen für Training und Wettkampf zu verhindern. Dopingprävention wird als Teil des Dopingkontrollsystems aufgefasst. Dadurch werden v. a. Klärungen zu Ausnahmegenehmigungen, erlaubten Medikamenten/Nahrungsergänzungsmitteln und der Verwaltung und Bedienung der Datenbank ADAMS (Anti-Doping Administration and Management System) gewünscht.

Experten-Rating

Der Ratingbogen mit seinen 23 Aussagen (Tab. 1) war in seiner Auslage dem Kernziel der Partizipation eines selbstbestimmten Verhaltens ausgerichtet (Coelen, 2010; Wright, von Unger & Block, 2010), indem i. B. die Perspektive der Athlet:innen bzw. deren Grundbedürfnisse leitend für die konzipierten Aussagen waren. Hierfür wurde der Bogen unterteilt in einen (1) allgemeinen Einstieg, (2) die Zielstellung, (3) Gestaltung und Umsetzung sowie (4) sonstige Punkte zur Dopingprävention der beobachteten Präventionsprogramme. Bei 19 von 23 Aussagen konnte ein Konsens hergestellt werden, sodass übergeordnet Gemeinsamkeiten in Bezug auf Partizipation und partizipative Prozesse feststellbar waren. Die ausschließlich männlichen Experten (n=8) kamen in den Arbeitsphasen darüber ein, dass Partizipation als Methode dazu beitragen kann, die Athlet:innen zu einem selbstbestimmten Dasein, i. S. von Empowerment, zu unterstützen. Ziel von Präventionsprogrammen sei es, Athlet:innen möglichst individuell zu erreichen, abzuholen und einzubinden, damit Prävention gelingen kann. Dass die Rolle der Athlet:innenvertretungen zu stärken und auszubauen ist, wird durchweg befürwortet. Uneinigkeit besteht darin, ab welcher Altersstufe sowie ab welchem Leistungsniveau Athlet:innen durch die Präventionsprogramme eingebunden werden sollten.

Handlungsempfehlungen

Tab. 1 Ratingbogen im Delphi-Verfahren (Bewertungsskala: 1 = Stimme gar nicht zu; 10 = Stimme vollkommen zu)

Aus den Ergebnissen zeigt sich, dass die Grundlage für eine Beteiligung der Athlet:innen einer stärkeren Individualisierung durch Steigerung der Interaktivität bedarf, worüber parallel eine höhere Transparenz der Präventionsarbeit verfolgt werden sollte. Für eine Akzeptanzsteigerung ist es notwendig, eine Verschränkung der Dopingprävention mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Athlet:innen herzustellen (Deci & Ryan, 1985), indem deren lebensweltlichen Bedingungen und Verhaltensmöglichkeiten den Ausgangswert künftiger präventiver Arbeit darstellen. Dabei sollten diese Themenfelder gerahmt werden von Inhalten, die Expert:innen aus Wissenschaft und WADA/NADA als notwendig erachten und evidenzbasiert gemeinsam weiterentwickeln (Boardley et al., 2021). Hierüber verbindet sich eine Reflexion aktueller Dopingprävention, die sich wissenschaftlichen Erkenntnissen öffnet und eine systematische Interaktion mit den Akteur:innen des Spitzensports verfolgt. Der sich daraus ergebende individualisierte Zugang ist wesentlich, damit eine Mitbestimmung an den eigenen impliziten Motiven und expliziten Motiven der Dopingprävention wahrscheinlicher wird (Heckhausen & Heckhausen, 2010). Die Athlet:innen sollen an einer für sie betreffenden Dopingprävention beteiligt und darüber befähigt werden, individuell dopingbegünstigende Situationen zu erkennen, verstehen und mit diesen umgehen zu können. Derzeit bestehende zyklisch wiederkehrende Informationsveranstaltungen mit gleichbleibenden Inhalten sollten entsprechend methodisch-didaktisch angepasst werden. Ansatzweise finden sich solche Bestrebungen innerhalb der Dopingprävention bereits, wenn zwischen Basis- und Aufbau-Modulen unterschieden wird oder nach Sportarten angepasste Formate und Materialien bereitgestellt werden. Schon einfache Unterscheidungen, wie das Leistungsniveau oder ein ggf. parallel ausgeübter Beruf, geben Rückschlüsse darüber, welche Themen und Inhalte relevant sind.

Der Einsatz digitaler Instrumente (z. B. KI-Lösungen) sollte für die NADOs obligatorisch sein, um die Interaktivität zu steigern. Daraus lassen sich, mit Blick auf Datensparsamkeit, Informationen über die Athlet:innen (Wer-Ebene), deren bevorzugten Inhalte (Was-Ebene) sowie das präferierte Lernsetting (Wie-Ebene) für die Präventionspraxis bestimmen (Abb. 2). Tab. 2 zeigt mit Bezug zum Best-Practice-Modell (Abb. 2) konkrete Handlungsempfehlungen.

Tab. 2 Darstellung ausgewählter Handlungsempfehlungen in Anlehnung zum Best-Practice-Modell

Diskussion und Ausblick

In der Logik eines jeden Evaluationsprojekts liegt begründet, dass analysierte Inhalte seitens der Verantwortlichen zwischenzeitlich aktualisiert wurden. Die jeweiligen Updates waren nicht Gegenstand der Analyse.

Dopingprävention samt Evaluation stellt auch durch den ISE der WADA (WADA, 2021) einen festen Teilaspekt des Spitzensports dar und soll Athlet:innen sensibilisieren. Die vorliegende Expertise zeigt an, dass mit dem hier vorgestellten Modell einem solchen Vorhaben entsprochen werden kann. Vor allem die technischen Weiterentwicklungen ermöglichen individualisierte, subjektorientierte, didaktisierte Dopingprävention auf konzeptioneller sowie inhaltlicher Ebene (Bartsch & Brandl, 2015; Erner & Böhm, 2019). Die hiermit verbundenen und umsetzbaren strukturellen Anpassungen sind folgerichtig, um das Athlet:innen-Dasein aus dem Duktus der aktuellen Objektrolle – entgegen fremdbestimmter Regulationen – sowie erwartbaren Ergebnisstandards auflösen zu können (Scharf, 2019; Scharf et al., 2021). Letztlich sollte Ermächtigung im Athlet:innen-Dasein nicht nur eine formal erreichbare Zielgröße darstellen (Hart, 1992; Wright et al., 2010; Jacob et al., 2014), damit eine individuelle Denk- und Handlungsweise nachvollzieh- sowie erfahrbar bzw. umsetzbar sein kann.

Die von der NADA Deutschland seit 2022 bereitgestellte e‑Participation-Web-App bietet hierfür u. U. die technischen Gegebenheiten, ein solches Vorhaben anwendungsbezogen zu realisieren. Zum Zeitpunkt der Erhebung war diese App erst als Prototyp in der Pilotphase, sodass die inhaltliche und methodische Ausgestaltung nicht Gegenstand der Untersuchung war.

Methodische Limitationen des Forschungsprojekts betreffen v. a. die Rekrutierung der Interview- und Workshopteilnehmer:innen. So zeichnete es sich durchweg ab, dass die NADO-Verantwortlichen eine hohe Bereitschaft zur Partizipation aufzeigten, während die Athlet:innen und auch deren Vertreter:innen schwer für eine Teilnahme zu gewinnen waren. Die Teilnahme und die Anti-Doping-Thematik insgesamt sind eine Störung im Alltag der Athlet:innen, die zeitlich, sachlich oder sozial auf Ablehnung stoßen kann (Scharf, 2019). Bedeutsam für Partizipation und hier für einen Präventionserfolg ist, dass ein persönlicher oder sportlicher Mehrwert mit der Dopingprävention verbunden wird. Athlet:innen müssen davon überzeugt werden, dass die Mitgestaltung neben Zeitverlust auch gewinnbringende Aspekte mit sich bringt. Der bis hierhin noch unberücksichtigte Aspekt eines gezielten Kompetenzerwerbs könnte ein Ansatz dafür sein, Widerstände aufzubrechen, um die Adressat:innen aktiv einzubinden. Die Rede ist von der aus der psychologischen Risikoforschung bekannten Risikokompetenz (Gigerenzer, 2002, 2012; Slovic, 2016). Hierbei handelt es sich um eine Kompetenz, mit der eine Aufhebung systematischer Fehler wahrscheinlicher wird (Koller, 2007). Es geht um das Erkennen und Beurteilen von Risiken bzw. Belastungsfaktoren, indem soziale Merkmale im Hinblick ihrer Risiken analysiert und daraus ableitend individuelle Lösungsansätze bzw. Schutzfaktoren gebildet werden können. Bildung von Risikokompetenzen sollte als Grundvoraussetzung dienen, um Belastungsfaktoren zu erkennen und Schutzfaktoren bilden und anwenden zu können. Das empfohlene problemorientierte Lernen, das sich an den Lernern und deren Bedürfnissen orientiert, ist dafür wesentlich und ließe sich durch handlungsorientiertes Lernen in der Praxis erweitern. Ein solcher Ansatz lehnt an eine bedarfs- und bedürfnisorientierten Verhaltensprävention an (Hafen, 2012) und berücksichtigt die Lebenswelten bzw. intra- und interindividuellen kontextualen Bedingungen und Unterschiede.

Mit dem hier vorgestellten Best-Practice-Modell wird ein Kompass für die Optimierung und Weiterentwicklung der Dopingprävention bereitgestellt, den es u. E. jetzt gilt, in der Praxis anzuwenden. Der beschriebene Ausblick stellt einen praxisnahen Weg dar, der mit und durch die Athlet:innen sowie der Unterstützung der NADA Deutschland in einem partizipativ angelegten Setting gestaltet werden kann. Unsere Untersuchung legt das aus der Schule bekannte Verfahren „Choice and Voice“ als Lehrkonzept nahe und bietet mit dem Best-Practice-Modell einen methodischen Rahmen (Mötteli, Grob, Pauli, Reusser, & Stebler, 2022).

In der Folge sollten dafür die Referent:innen methodisch-didaktisch entsprechend weiterqualifiziert werden, um den gestiegenen Anforderungen flexibler, individualisierter Präventionsarbeit erfolgreich begegnen zu können.