Einleitung und theoretische Bezugspunkte

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass DifferenzkategorienFootnote 1 wie die Trias von Geschlecht, Migrationshintergrund und sozialer Herkunft die Chancen auf gleichberechtigte Teilhabe am Sportunterricht beeinflussen können (z. B. Frohn, 2007; Mutz & Burrmann, 2014; Steiger, 2019). Diese Studien zeigen, dass ungleiche Teilhabemöglichkeiten im Fach Sport in verschiedenen Formen zum Ausdruck kommen können, z. B. indem bestimmte Schüler*innen-Gruppen als weniger leistungsfähig abgewertet und dadurch bei der Notenvergabe benachteiligt werden. Oft bilden stereotype Wahrnehmungen und soziale Zuschreibungen, die sich entlang von Differenzkategorien manifestieren, die Grundlage für diese Benachteiligungen in pädagogischen Settings (Riegel, 2016). Die Ursachen und Hintergründe für die Entstehung von Differenzkategorien lassen sich durch sozialkonstruktivistische Ansätze erklären, die Differenzkategorien nicht als natürlich oder wesensmäßig, sondern als Zuschreibungen begreifen, die Homogenisierungen und Generealisierungen forcieren und dazu dienen, Grenzen abzustecken, Zugehörigkeiten auszudrücken und soziale Ordnungen zu strukturieren (Horvarth, 2017). Diese sozial hergestellten Ordnungen zwischen z. B. Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund oder Heranwachsenden unterschiedlichen Geschlechts sind durch Dichotomien, Binaritäten, Hierarchien und Machtgefüge gekennzeichnet und spiegeln sich in der ungleichen Verteilung von Ressourcen und Positionen wider (Mecheril & Plößer, 2011; Thuswald, 2016). Sie sind zugleich von vorhandenen sozialen Strukturen wie z. B. stereotypen Deutungsmustern beeinflusst, die durch Sozialisations‑, Habitualisierungs- und Institutionalisierungsprozesse tradiert werden und an deren Herstellung und Aufrechthaltung die Individuen durch ihr Denken und Handeln – im Sinne von „doing difference“ – selbst mitwirken (Hirschauer, 2014; Riegel, 2016). Differenzkategorien werden zudem erst durch das Anlegen eines bestimmten Maßstabs konstruiert, der als Norm gesetzt wird. Was als Norm gilt und was davon abweicht, wird maßgeblich in Vergleichs- und Abgrenzungsprozessen bestimmt (Riegel, 2016; Wenning, 2007). Horvarth (2017) dokumentiert dies beispielhaft an der für ihn nicht mehr zeitgemäßen Differenzkategorie Migrationshintergrund, die aus seiner Sicht eng mit Stigmatisierungen und Homogenisierungen verknüpft ist und persönliche, aber auch strukturelle Diskriminierungen im schulischen Feld provoziert.

Differenzkonstruktionen bilden sich allerdings nicht nur entlang der klassischen Trias bestehend aus Geschlecht, Migrationshintergrund und sozialer Herkunft aus. So haben sich verschiedene Wissenschaftler*innen dafür ausgesprochen, weitere Aspekte wie Alter, Behinderung oder Religion bei der Erforschung sozialer Ungleichheiten im Kontext von Erziehung und Bildung zu berücksichtigen (Lutz & Wenning, 2001). Spezifisch mit Blick auf den Sportunterricht werden zudem sportbezogene Vorkenntnisse, „(oft außerschulisch) erworbene Interessen und Fertigkeiten, Bewegungsvorlieben und individuelle Körperpraxen“ (Frohn & Grimminger, 2011, S. 154), körperliche Entwicklungsstände, körperliche Beeinträchtigungen und der Gewichtsstatus als relevante Faktoren für die Teilhabe herausgestellt (Frohn, 2013; Kleindienst-Cachay & Vogel, 2008; Möhwald, Grimminger-Seidensticker, & Korte, 2020). Die Forschungsliteratur benennt also eine Vielzahl potenzieller Differenzkategorien, die soziale Ungleichheiten im Unterricht strukturieren und somit die Teilhabechancen von Individuen beeinflussen. Mit dem Strukturbegriff weisen wir hier darauf hin, dass Differenzkategorien immer auch Kategorien sozialer Strukturierung sind, die die Chancen von Individuen in der Gesellschaft prägen und zentrale Bezugspunkte für die Zuweisung von sozialem Status darstellen. Damit wird zugleich betont, dass es sich bei Differenzkategorien nicht um bloße individuelle Merkmale handelt, die einzelne Personen beschreiben, sondern um strukturelle Deutungsmuster über Personengruppen, die in Organisationen und gesellschaftliche Verhältnisse eingeschrieben sind (Aulenbacher, 2008). Weitgehend unklar ist jedoch, welche Differenzkategorien in welchen Unterrichtsfächern ihre Wirkung entfalten. So ist aufgrund der unterschiedlichen Fachkulturen durchaus zu vermuten, dass fachspezifische Unterschiede bei der (Re‑)Produktion von Differenzkategorien bestehen (Frohn, 2020; Wischmann & Dietrich, 2014). Die Frage, welche Differenzkategorien eine besonders strukturierende Rolle einnehmen, ist auch für das Fach Sport, dem allgemein ein hohes inklusives Potenzial zugeschrieben wird (DSLV, dvs, DOSB, & FSW, 2019) und das (aufgrund des Fokus auf körperliche Leistung) in grundsätzlicher Weise auf körperbezogenen Differenzordnungen basiert, erst unzureichend erschlossen.

Ein Blick in die existierenden empirischen Arbeiten zu Heterogenität und Inklusion im Fach Sport offenbart zudem, dass dort v. a. die Perspektiven der Lehrkräfte im Fokus stehen (z. B. Bartsch, Hartmann-Tews, Wagner, & Rulofs, 2019; Meier et al. 2017; Thomas & Leineweber, 2018; Wagner et al., 2021). Die Sichtweisen der Schüler*innen auf diesen Gegenstandsbereich wurden – bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Bartsch, Wagner, & Rulofs, 2022; Frohn, 2020; Ruin & Meier, 2018) – bisher kaum erfasst. Dabei sind Schüler*innen als „erkennende und reflektierende Personen [durchaus dazu] imstande […], sich ein differenziertes Bild von sich selbst und ihrem Schulsport zu machen“ (Bräutigam, 2011, S. 65). Ihre subjektiven Sichtweisen und Erfahrungen, die sie im Rahmen des Sportunterrichts gesammelt, „gedeutet, verarbeitet und bilanziert“ haben (Bräutigam, 2011, S. 65), repräsentieren eine ernstzunehmende Perspektive, die in der Forschung sichtbar gemacht und bei der Erforschung von Fragen der Teilhabe im Sportunterricht nicht vernachlässigt werden sollte. Schließlich stellen Schüler*innen die größte Personengruppe in der Schule dar und gelten neben den Lehrkräften als zentrale Akteur*innen im sportunterrichtlichen Geschehen, die dieses eben nicht nur passiv rezipieren, sondern als (Ko‑)Konstrukteur*innen aktiv mitgestalten und hervorbringen (Krieger, Heemsoth, & Wibowo, 2020). Ihre Perspektive anzuerkennen, ist folglich unerlässlich, um soziale Wirklichkeit im Sportunterricht adäquat und mehrperspektivisch zu erfassen. Erst die Zuwendung zur Schüler*innenperspektive ermöglicht es, einen für pädagogisches Handeln ertragreichen Perspektivwechsel anzubahnen, um die im Schulkontext sehr präsenten Normalitätserwartungen der erwachsenen Akteur*innen zu ergänzen und kritisch zu reflektieren (Krieger et al., 2020). Zudem folgt das Sich-Einlassen auf die Schüler*innensicht auch einer professionsbezogenen und unterrichtspraktischen Prämisse, da die Vorstellungen der Schüler*innen hilfreiche Impulse für die Lehrer*innenbildung bereitstellen und dabei unterstützen können, Benachteiligungen abzubauen. Leitend ist hierbei die Annahme, dass Wissen zu „Schüler*innenvorstellungen […] als Teil des fachdidaktischen Wissens von Sportlehrkräften anzusehen“ ist, welches zentrale Ansatzpunkte für unterrichtliche Reflexionsanlässe und die Entwicklung von individuellen Unterstützungs- und Fördermaßnahmen offeriert (Krieger et al., 2020, S. 116). Hier setzt der vorliegende Artikel an, der Schüler*innen als kompetente Akteur*innen anerkennt und sich dazu verpflichtet, ihre Perspektiven auf Differenzkategorien im Fach Sport in den Mittelpunkt zu stellen.

Forschungsstand zu Heterogenität und Inklusion im Sportunterricht

Die Sichtung der (sportunterrichtsbezogenen) Forschung zu Heterogenität und Inklusion zeigt vielfältige empirische Befunde, die im Folgenden systematisiert vorgestellt werden. Um die eigene Studie angemessen vorzubereiten, steht dabei zunächst die auf die Schulkultur zentrierte Forschung im Mittelpunkt, wobei anschließend die lehrkräfte- und schüler*innenorientierte Forschung zur Teilhabe im Sportunterricht unter besonderer Berücksichtigung sozialstruktureller Merkmale in den Fokus rückt.

Welche Rolle die Schulkultur und das Schulprogramm als Ausdruck der Schulkultur und Instrument der Schulentwicklung bei der konkreten Umsetzung von Inklusion im Unterricht spielen, ist noch relativ unerforscht. So wird zwar durchaus davon ausgegangen, dass eine inklusive Ausrichtung des Schulprogramms zur Schaffung einer entsprechenden Kultur beitragen kann (Booth & Ainscow, 2016); gleichwohl fehlen in diesem Bereich noch empirische Arbeiten. Daran anknüpfend legen wissenschaftliche Ergebnisse nahe, dass neben einer diversitätsgerechten Schulkultur auch die Verhältnisse und Kulturen in den einzelnen Schulklassen (z. B. gutes Klassenklima durch respektvolles und unterstützendes Verhalten) in inklusionsbezogene Prozesse hineinwirken (zsf. Krawinkel, Südkamp, Lange, & Tröster, 2017).

Insgesamt wird deutlich, dass in den letzten Jahren national wie international v. a. die EinstellungenFootnote 2 und Wahrnehmungen von (angehenden) Sportlehrkräften hinsichtlich Inklusion und Heterogenität im Zentrum des Interesses standen (zsf. Block & Obrusnikova, 2007; Braksiek, Gröben, Rischke, & Heim, 2019; Radtke & Adolph-Börs, 2020; Reuker et al., 2016). Reuker et al. (2016) arbeiten in einem international angelegten Review heraus, dass die inklusionsbezogenen Einstellungen von Sportlehrkräften durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden können, u. a. durch die Ausbildung und Vorerfahrungen. Stehmer (2021) konnte ergänzend zeigen, dass Sportlehrkräfte, die an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Heterogenität und Inklusion teilgenommen haben, sich signifikant kompetenter im Umgang mit heterogenen Lerngruppen im Sportunterricht einschätzen als ihre Kolleg*innen, die nicht an solchen Maßnahmen partizipiert haben.

Grundsätzlich stellen u. a. Reuker et al. (2016) sowie Ruin und Meier (2018) fest, dass sowohl im deutsch- als auch im englischsprachigen Kontext nur wenige empirische Studien vorliegen, die die Perspektiven der Lernenden auf Heterogenität und Inklusion im Sportunterricht ergründen. Auffällig ist, dass die existierenden Untersuchungen zum Großteil dem internationalen Raum entstammen und ein enges Inklusionsverständnis mit Fokus auf Behinderung voranstellen (z. B. Healy, Msetfi, & Gallagher, 2013; Reina, Hutzler, Iniguez-Santiago, & Moreno-Murcia, 2019; Seymour, Reid, & Bloom, 2009). Sie dokumentieren u. a., dass Schüler*innen dem inklusiven Sportunterricht weitgehend positiv gegenüberstehen und dass Variablen wie Geschlecht und Vorerfahrungen mit Personen mit Behinderung die inklusionsbezogenen Einstellungen der jungen Menschen moderieren (z. B. Campos, Ferreira, & Block, 2014; Hutzler, 2003; Reina et al., 2019). Konkret zeigt sich, dass Mädchen sowie Heranwachsende, die Vorerfahrungen im Kontext von Behinderung haben, eine positivere Einstellung zu Inklusion im Sportunterricht aufweisen als Jungen bzw. Schüler*innen ohne entsprechende Vorkenntnisse. Die Annahme, dass Mädchen eine höhere Akzeptanz dafür haben, Sport unter vielfältigen Bedingungen und mehreren Perspektiven zu betreiben als Jungen, die oft als eher einseitig wettkampforientiert gelten, wird als Erklärungsgrundlage für diesen Befund angeführt (Campos et al., 2014; Reina et al., 2019). Auch die Kontakthypothese, die davon ausgeht, dass direkter und häufiger Kontakt zu Mitgliedern verschiedener sozialer Gruppen (z. B. Menschen mit Behinderung, ethnische Minoritäten) unter geeigneten Bedingungen (z. B. gutes Klassenklima, kooperativer Klassenverbund, Wohlbefinden im Lernumfeld) Vorurteile gegenüber diesen Gruppen reduziert und zu positiveren Einstellung führt (Allport, 1979), wird zur Begründung ins Feld geführt. Laßmann (2020) konstatiert für die Schule allgemein ähnliche Befunde. Obendrein arbeitet sie heraus, dass jüngere Heranwachsende, deren Handeln zumeist noch weniger am gesellschaftlichen Leistungsgedanken orientiert ist, sowie Schüler*innen, die eine inklusive Klasse besucht haben und somit vielfältige Kontakte im Sinne Allports (1979) knüpfen konnten, über besonders positive Einstellungen zu inklusiven Unterrichtspraxen verfügen.

Analysen für den deutschsprachigen Raum, die die Sichtweisen der Schüler*innen auf Inklusion im Sportunterricht in den Vordergrund stellen und dabei ein weites Inklusionsverständnis im Sinne von Diversität zugrunde legen, sind bislang kaum vorhanden (z. B. Frohn, 2020; Ruin & Meier, 2018). Insbesondere quantitative Untersuchungen mit Schüler*innen zu diesem Themenkomplex stehen noch aus. Dabei ist zu beachten, dass zweifelsohne einige (quantitative) Studien existieren, die beleuchten, wie Schüler*innen ihren Sportunterricht erleben und dabei verschiedene sozialstrukturelle Aspekte (z. B. Geschlecht, Alter/Klassenstufe, Migrationshintergrund, Schulform) in ihre Analysen einbeziehen (z. B. Burrmann, 2015, 2020; Gerlach, Kussin, Brandl-Bredenbeck, & Brettschneider, 2006; Mercier, Donovan, Gibbone, & Rozga, 2017; Mutz & Burrmann, 2014). Diese Arbeiten sind zumeist nicht direkt im Inklusions- bzw. Heterogenitätsdiskurs verortet, bieten aber spannende Ausgangspunkte für die vorliegende Studie.

So zeigen empirische Untersuchungen, die die Geschlechterkategorie aufgreifen, dass Mädchen und Jungen den Sportunterricht unterschiedlich erleben und divergierende Sportartenpräferenzen und -motive aufweisen (zsf. Mutz & Burrmann, 2014). Auch wenn diese Differenzen zuvorderst auf sozialen Konstruktionen und traditionellen Geschlechterrollenbildern basieren (Hartmann-Tews, 2003; Mutz & Burrmann, 2014), prägen sie die realen Teilhabechancen von Heranwachsenden im Fach Sport. So verdeutlicht die Empirie, dass der Sportunterricht eher auf die Interessen der meisten Jungen ausgerichtet ist und z. B. ihre Wünsche nach Sport‑/Ballspielen und Wettkampforientierung aufgreift, wobei die Bedürfnisse von vielen Mädchen nach Individualsportarten (z. B. Schwimmen, Badminton) und gymnastisch-tänzerischen sowie akrobatischen Bewegungsformen weniger berücksichtigt werden (z. B. Kleindienst-Cachay, Kastrup, & Cachay, 2008). Dies und die daraus resultierende negative Folge, dass Mädchen sich eher vom Sportunterricht abwenden, wird in internationalen Studien bestätigt (z. B. Koca, 2009; With-Nielsen & Pfister, 2011). Mutz und Burrmann (2014) konnten zudem belegen, dass Mädchen im koedukativen Sportunterricht systematisch benachteiligt werden und z. B. schlechtere Sportnoten als Jungen und geschlechtergetrennt unterrichtete Mädchen erhalten. Ersichtlich wurde zudem, dass Mädchen überproportional häufig zu den Schüler*innengruppen gehören, die dem Sportunterricht eher unmotiviert und distanziert gegenüberstehen (Burrmann, 2015, 2020).

Hinsichtlich des Alters ist zu konstatieren, dass sich ältere Schüler*innen der neunten Klassen in der Studie von Burrmann (2015) eher der Gruppe der „Unmotivierten“ zuordnen lassen, während jüngere Siebtklässler*innen eher zu den „Hoch Engagierten“ im Sportunterricht gehören. Dieser Befund hinsichtlich Alter und Klassenstufe korrespondiert mit internationalen Studien (Mercier et al., 2017; Subramaniam & Silverman, 2007) und den Ergebnissen von Gerlach et al. (2006), die im Rahmen der SPRINT-Studie aufdecken konnten, dass der Sportunterricht bei steigendem Alter der Schüler*innen an persönlicher Bedeutung verliert und dass sich ältere Schüler*innen im Sportunterricht weniger wohl fühlen. Dies hängt möglichweise damit zusammen, dass sich die Interessen von Schüler*innen mit zunehmendem Alter ausdifferenzieren, das Angebot des Sportunterrichts diese Interessensvielfalt aber nicht abdeckt (Burrmann, 2015; Gerlach et al., 2006).

Dazu wie Schüler*innen mit Migrationshintergrund den Sportunterricht wahrnehmen, liegen vielfältige und teils ambivalente Befunde vor. So zeigen v. a. Untersuchungen aus dem internationalen Raum, dass Heranwachsende (insbesondere Mädchen) mit Migrationshintergrund im Fach Sport Stereotypisierungen erfahren (z. B. Benn & Pfister, 2013; Walseth, 2015). Die Daten der SPRINT-Studie liefern zudem Hinweise darauf, dass Schüler*innen mit Migrationshintergrund den Sportunterricht negativer wahrnehmen als ihre Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund und sich diesem auch eher entziehen möchten – v. a. Mädchen mit türkischem Hintergrund (Deutscher Sportbund, 2006). In den Untersuchungen von Burrmann (2020) kristallisiert sich indes heraus, dass Unterschiede in der Wahrnehmung des Sportunterrichts keinesfalls eindeutig auf den Migrationshintergrund der Schüler*innen zurückgeführt werden können bzw. dass junge Menschen mit Migrationshintergrund sogar verstärkt zum Cluster der hoch engagierten Schüler*innen gehören (2015).

Mit Blick auf die Schulform zeigt sich, dass Schüler*innen der Hauptschule im Vergleich zu solchen, die das Gymnasium besuchen, in der sportlichen Bildung benachteiligt sind: Sie treiben weniger Sport außerhalb der Schule, erhalten weniger Sportunterrichtsstunden und werden häufiger von fachfremden Lehrkräften im Sport unterrichtet (Frohn, 2007; Gerlach et al., 2006). Dies spiegelt sich auch darin wider, wie die Schüler*innen dieser Schulformen den Sportunterricht wahrnehmen und bewerten. So gehören Hauptschüler*innen in der Clusteranalyse von Burrmann (2020) überproportional häufig den „Unzufriedenen“ und „Negativ Eingestellten“ an. Gymnasiast*innen lassen sich hingegen eher den „Zufriedenen“ und „Kooperativ Lernenden“ zuteilen. Einzuordnen ist dies auch vor dem Hintergrund, dass der Zugang zu Schulformen vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängt und dass v. a. Kinder aus sozial höheren Schichten das Gymnasium besuchen. Kinder aus einem sozioökonomisch gut aufgestellten Elternhaus sind zugleich häufiger Mitglieder im Sportverein und können i. d. R. mehr sportbezogene Vorerfahrungen in den Unterricht einbringen als ihre sozial benachteiligten Mitschüler*innen (Burrmann, 2020).

Untersuchungen, die die Erfahrungen von Schüler*innen mit Förderbedarfen oder Behinderungen im (inklusiven) Sportunterricht einfangen, sind im deutschsprachigen Raum bislang erst ansatzweise vorhanden (z. B. Giese, 2021; Ruin & Meier, 2018). Die genannten Studien legen nahe, dass der inklusive Sportunterricht von Schüler*innen mit und ohne Förderbedarf durchaus positiv erlebt wird und dass die Lernenden Differenzen, die sich entlang von Kategorien manifestieren, oft gar nicht wahrnehmen bzw. problematisieren. Zugleich berichten Lernende mit Förderbedarf auch von exkludierenden Erfahrungen im inklusiven Sportunterricht. Dies deckt sich mit Untersuchungsergebnissen aus dem internationalen Kontext, die diese ambivalenten Befunde stützen und offenlegen, dass Schüler*innen mit Handicap sowohl freudvolle als auch exkludierende Erlebnisse im inklusiven Sportunterricht machen (z. B. Healy et al., 2013; Seymour et al., 2009).

Ableitung der Forschungsfragen und Hypothesen

Der Abriss des Forschungsstands verdeutlicht, dass die bestehende Forschung, die sich mit Inklusion, Heterogenität und einzelnen Differenzkategorien bzw. sozialstrukturellen Merkmalen im Kontext des Sportunterrichts befasst, breit und vielfältig aufgestellt ist. Augenscheinlich wird zudem, dass die Literatur einige Differenzkategorien aufwirft, die für die Teilhabe am Sportunterricht relevant sein könnten (z. B. Alter, sportbezogene Fähigkeiten, Geschlecht, Behinderung, Migrationshintergrund) (u. a. Frohn & Grimminger, 2011; Kleindienst-Cachay & Vogel, 2008). Gleichzeitig sticht hervor, dass die Perspektive der Schüler*innen in diesem Themenfeld bislang marginalisiert wurde. Ihre diversitäts- und inklusionsbezogenen Wahrnehmungen – insbesondere die, die über die Differenzkategorie Behinderung hinausgehen – wurden erst in Ansätzen erfasst. Dabei ist es wichtig, mehr darüber zu erfahren, wie Schüler*innen Differenzkategorien im Sportunterricht wahrnehmen und welche Differenzkategorien sie als besonders relevant erachten. Schließlich lassen sich so Aussagen darüber treffen, welche Differenzkategorien aus Sicht der Heranwachsenden Einfluss auf soziale Chancen im Fach Sport haben und somit über die Verteilung von Ressourcen und sozialen Positionen im Sportunterricht entscheiden (Mecheril & Plößer, 2011; Riegel, 2016). Auch für Lehrkräfte sind Kenntnisse über die differenzbezogenen Einschätzungen von Schüler*innen von großer Wichtigkeit, denn sie stellen einen unerlässlichen Teil ihres fachdidaktischen Repertoires dar (Krieger et al., 2020) und können Implikationen für die Gestaltung unterrichtlicher Maßnahmen geben (z. B. im Bereich Differenzierung, Förderung und Unterstützung), die das Potenzial haben, sozialen Ungleichheiten und Benachteiligungen im Sportunterricht entgegenzuwirken. Aus dem Forschungsstand geht zugleich hervor, dass Differenzkategorien im Sportunterricht wahrscheinlich nicht von allen Schüler*innen gleichermaßen wahrgenommen werden, sondern dass systematische Unterschiede in den Relevanzsetzungen bestehen und (gewisse) Differenzkategorien für (manche) Schüler*innen von höherem Belang sind als andere. Vermutlich spielen die sportbezogenen Vorerfahrungen der Schüler*innen und ihre Zugehörigkeiten zu bestimmten sozialen Gruppen in diese unterschiedlichen Wahrnehmungen hinein – wobei die konkreten Zusammenhänge erst unzureichend erforscht sind. Dies führt insgesamt zur ersten Forschungsfrage, der im Beitrag nachgegangen wird:

  1. 1.

    Welche Relevanz haben Differenzkategorien für den Sportunterricht aus Perspektive von Schüler*innen und inwiefern lassen sich Schüler*innen hinsichtlich der Wahrnehmung und Relevanzsetzung dieser Differenzkategorien im Sportunterricht differenzieren?

Die zweite Forschungsfrage vertieft den Aspekt der Differenzierung und folgt empirischen Hinweisen, die auf den möglichen Einfluss sozialstruktureller Merkmale der Schüler*innen (Geschlecht, Alter/Klassenstufe, Migrationserfahrungen, Förderbedarfe), institutioneller Rahmenbedingungen (Schulform, Schulklasse, Beschulungsform (inklusiv vs. segregierend), Schulprogramm) und inklusionsbezogener Fortbildungen von Lehrkräften für die Ausbildung von Differenzwahrnehmungen verweisen. Sie lautet wie folgt:

  1. 2.

    Inwiefern stehen (sozial-)strukturelle Merkmale der Schüler*innen, der Institution Schule und der Lehrkräfte im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Differenzkategorien durch die Schüler*innen?

Konkret ist auf Basis der bestehenden Empirie zu vermuten, dass Mädchen, die selbst generell eher von Benachteiligungen im Sportunterricht betroffen sind (Mutz & Burrmann, 2014) und deren Interessen im Fach Sport oftmals vernachlässigt werden (Kleindienst-Cachay et al., 2008), Differenzkategorien eine höhere Relevanz zuschreiben als Jungen – insbesondere im Hinblick auf die Kategorien, die mit den sportbezogenen Vorlieben und Erfahrungen korrespondieren. Weiterhin ist anzunehmen, dass ältere Schüler*innen Differenzkategorien insgesamt eine höhere Bedeutung zusprechen als jüngere, da sie bereits über längere Zeit die gesellschaftlich geforderte Leistungsorientierung verinnerlicht haben und somit Vergleiche und Abgrenzungen zu anderen in stärkerem Maße eingeübt haben (Laßmann, 2020; Wenning, 2007). Ferner erscheint es plausibel, anzunehmen, dass Schüler*innen mit Migrationshintergrund Differenzkategorien aufgrund eigener Diskriminierungs- und Stereotypisierungserfahrungen eine höhere Relevanz beimessen als Schüler*innen ohne Migrationsbiographie (Benn & Pfister, 2013; Walseth, 2015); wobei der Forschungsstand hier nur eine vorsichtige Hypothesenbildung zulässt. Hinsichtlich der Schulform ist anzunehmen, dass Schüler*innen des Gymnasiums Differenzkategorien mehr Relevanz attestieren als ihre Pendants von anderen Schulformen. Hintergrund für diese Annahme ist, dass das Gymnasium die leistungsorientierteste Schulform ist. Auf Basis des Forschungsstands zum direkten Lernumfeld lässt sich vermuten, dass die Relevanzsetzungen von Klasse zu Klasse variieren (je nach Klassenklima) (zsf. Krawinkel et al., 2017). Zu den Differenzwahrnehmungen von Schüler*innen mit Förderbedarf oder Behinderung lassen sich aufgrund des ambivalenten Forschungsstandes nur vorsichtige Annahmen formulieren. Denkbar ist allerdings, dass diese Schüler*innen aufgrund spezifischer Exklusionserfahrungen (Giese, 2021; Healy et al., 2013) im besonderen Maße für Differenzkategorien sensibilisiert sind und ihnen verstärkt Bedeutung zusprechen. Zudem legt die bestehende Forschung nahe, dass Schüler*innen, die inklusiv beschult werden und somit die Möglichkeit hatten, vielfältige Kontakte zu sammeln (Allport, 1979; Laßmann, 2020), Differenzkategorien als weniger relevant wahrnehmen. Sie sind vermutlich damit vertraut bzw. daran gewöhnt, in sozial diversen Kontexten zu agieren. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass Schüler*innen, bei denen die Förderung von Inklusion fester Bestandteil des Schulprogramms/Leitbilds ist, Differenzkategorien als weniger wichtig erachten (Booth & Ainscow, 2016). Ähnliches gilt für Schüler*innen, deren Sportlehrer*innen an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Heterogenität und Inklusion teilgenommen haben (Stehmer, 2021). Dahinter steht jeweils die Annahme, dass hier in der gesamten Schulkultur und bei den Lehrkräften ein starker Fokus auf Inklusion vorliegt, was möglicherweise auch die Wahrnehmungen der Schüler*innen prägt.

Methodisches Vorgehen

Um die beiden Forschungsfragen zu bearbeiten, werden quantitative Daten aus einer Paper-Pencil-FragebogenerhebungFootnote 3 herangezogen, an der im Jahr 2017 N = 2546 Schüler*innen der Klassen sieben bis neun aus Nordrhein-Westfalen teilgenommen haben. Die Rekrutierung der Schüler*innen erfolgte im Sinne eines Schneeballsystems via praktizierender Sportlehrkräfte und E‑Mail-Anschreiben an Schulen. Die Verfasser*innen wurden hierbei von einem projektinternen Schnittstellenmanagement zwischen Universität und Lehrer*innen-Bildung unterstützt, welches die E‑Mail-Kommunikation über einen Verteiler koordinierte und die Kontaktdaten interessierter Schulen an das Forscher*innenteam weiterleitete. Die Akquise wurde eingestellt als abzusehen war, dass die Stichprobe mit Blick auf die Verteilung der Schulformen in etwa die Grundgesamtheit in Nordrhein-Westfalen abbildet (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2017). Schüler*innen bis einschließlich 13 Jahren, die sich an der Befragung beteiligen wollten, mussten vor dem Ausfüllen des Fragebogens eine von den Eltern unterschriebene Einverständniserklärung abgeben. Abgesehen von soziodemografischen Aspekten umfasste der Fragebogen Items zu den Themen Heterogenität und Inklusion im Sportunterricht. Konkret wurden den Schüler*innen Fragen vorgelegt, die darauf zielten, ihre Wahrnehmungen und Meinungen zu Heterogenität und Inklusion im Fach Sport zu erfassen. Das Kernstück des Fragebogens bildeten Items zur Bedeutung verschiedener Differenzkategorien im Sportunterricht, die auf Grundlage des Forschungsstandes generiert wurden (Tab. 1) (z. B. Frohn, 2013; Kleindienst-Cachay & Vogel, 2008; Lutz & Wenning, 2001). Die in der Erhebung thematisierten Differenzkategorien wurden von den Forschenden auf Basis der Literatur ausgewählt. Zudem hatten fünf Schüler*innen im Rahmen eines qualitativen Pre-Tests (Döring & Bortz, 2016) die Möglichkeit, ihr Verständnis der Items allgemein sowie aus ihrer Sicht fehlende oder nicht relevante Differenzkategorien mitzuteilen. In der daraufhin finalisierten Version des Fragebogens wurden die Studienteilnehmer*innen dazu eingeladen, die vorgelegten Differenzkategorien bezüglich ihrer Relevanz für das Fach Sport einzuschätzen. Die Anmoderation der Items ist Tab. 1 zu entnehmen und wurde bewusst allgemein gehalten. Aus einem allgemeinen Einleitungstext, der der eigentlichen Befragung vorgeschaltet war, ging hervor, dass sich die Schüler*innen mit ihren Einschätzungen auf ihren aktuellen Sportunterricht beziehen sollen. Der Fragebogen war obendrein mit dem Titel „Befragung zur Vielfalt im Sportunterricht“ überschrieben und durch das Anschreiben sowie die anderen Items in den Kontext von Inklusion und Umgang mit Vielfalt eingebettet, sodass die inhaltliche Stoßrichtung der Frage zuvor angebahnt wurde. Um sicherzustellen, dass die offene Anmoderation von den Schüler*innen richtig interpretiert wurde und sie sich angemessen instruiert fühlten, wurden verschiedene Formulierungen innerhalb des qualitativen Pre-Tests mit den Schüler*innen exploriert. Die hier gewählte Formulierung schien dabei insgesamt inhaltlich am besten zu passen und am wenigsten einzuengen. Zur Beantwortung der Items konnten die Schüler*innen auf einer Skala zwischen fünf Antwortmöglichkeiten wählen: 1 = „nein“, 2 = „eher nein“, 3 = „teils-teils“, 4 = „eher ja“, 5 = „ja“. Alternativ konnten sie auch „weiß nicht“ angeben und einer klaren Festlegung aus dem Wege gehen, wodurch eine größtmögliche Offenheit beim Antwortverhalten angestrebt wurde – auch mit dem Ziel, eine Reifizierung von Differenzen zu vermeiden. Um ergänzende Informationen zur Schule und zum Sportunterricht einzuholen, wurde zudem ein Kurzfragebogen an die Sportlehrkräfte verteilt, die die Fragebogenerhebung im Sportunterricht betreuten. Der Kurzfragebogen, in dem u. a. danach gefragt wurde, ob Schüler*innen mit und ohne Behinderung im Sportunterricht gemeinsam beschult werden, ob Inklusion im Schulprogramm/Leitbild der Schule verankert ist und ob die betreuende Lehrkraft bereits inklusionsbezogene Weiterbildungen besucht hat, diente v. a. dazu, die Lernumgebung und das Umfeld der befragten Schüler*innen genauer zu charakterisieren.

Tab. 1 Itembatterie zu Differenzkategorien und ihrer Bedeutung für den Sportunterricht aus Schüler*innen-Perspektive

Um Reifizierungen auch auf der Ebene der Datenauswertung vermeiden, wurde eine Clusteranalyse durchgeführt. So konnten Cluster von Schüler*innen in den vorliegenden Daten ermittelt werden, die sich in ihrer Wahrnehmung und Relevanzsetzung von Differenzkategorien im Sportunterricht unterscheiden. Mit dieser Vorgehensweise kam ein personenorientiertes Verfahren zum Einsatz, das es im Gegensatz zu variablenorientierten Ansätzen ermöglicht, interindividuelle Differenzen in der Wahrnehmung sichtbar zu machen und Gruppen von Heranwachsenden mit ähnlichen Einschätzungen zu bündeln. Gleichzeitig bietet diese Herangehensweise den Vorteil, dass (sozial-)strukturelle Merkmale nicht als zentraler Ausgangspunkt der Analyse genutzt werden, was die Gefahr reduziert, Differenzen zu reifizieren (Burrmann, 2015).

Konkret wurde auf Basis von 23 Items (Tab. 1) eine Two-Step-Clusteranalyse durchgeführt, die darauf zielte, ähnliche Fälle in einem Cluster zusammenzufassen (Brosius, 2018). Da das Verfahren nicht in der Lage ist, Fälle mit fehlenden Werten zu verarbeiten, wurden diese (N = 825) aus der Analyse ausgeschlossen. Nach Brosius (2018) „empfiehlt es sich in den meisten Fällen, keine Manipulationen an den fehlenden Werten vorzunehmen und damit den automatischen Ausschluss dieser Fälle aus der Analyse zu akzeptieren“ (S. 890). Die Berechnungen der Two-Step-Clusteranalyse beruhten auf dem Log-Likelihood Distanzmaß und dem Schwarzschen Bayes-Kriterium (BIC) (Brosius, 2018). Um Ausreißer auszuschließen, wurde für die Rauschverarbeitung ein Prozentwert von 5 eingestellt.Footnote 4 Die Ausreißer (N = 53) wurden in einem Ausreißercluster gebündelt, welches bei der Darstellung der Befunde vernachlässigt wird. Das Silhouettenmaß für Kohäsion und Separation diente zur Evaluation der Clusterqualität und liegt mit einem Wert von 0,2 noch im mittelguten Bereich (Sarstedt & Mooi, 2011). Da sich die inhaltliche Aufteilung der Cluster nachvollziehbar interpretieren lässt und die nachfolgenden Chi2-Vergleichstests signifikante Unterschiede zwischen den Clustern bestätigen, wurde die Clusterlösung trotz dieser eher mittelguten Strukturierung als sinnvoll bewertet.

In einem auf die Clusteranalyse aufbauenden Schritt wurde die (sozial‑)strukturelle Zusammensetzung der jeweiligen Schüler*innen-Cluster mittels Chi2-Tests untersucht. Auf Basis des Forschungsstandes wurden dabei folgende Merkmale der Schüler*innen in die Analyse einbezogen: Geschlecht, Alter/Klassenstufe, Migrationshintergrund und Förderbedarf. Um das Lernumfeld und die schulischen Rahmenbedingungen mit zu kontrollieren, wurden die Schulform, die Schulklasse, die Beschulungsform (inklusiv vs. segregierend), die Ausrichtung des Schulprogramms (inklusiv vs. nicht-inklusiv) und die Teilnahme von Sportlehrkräften an inklusionsbezogenen Weiterbildungen ebenfalls berücksichtigt. Um signifikante Unterschiede in der Clusterzusammensetzung zu konkretisieren, wurden die korrigierten standardisierten Residuen hinzugezogen, wobei Werte außerhalb des Bereichs von −2 bis +2 als auffällig bewertet wurden. Lagen die Residuen über +2 wurde dies als Hinweis eingestuft, dass Zellen besonders stark besetzt sind; bei Residuen unter −2 wurde von einer eher schwachen Besetzung ausgegangen (Bühl, 2008).

Ergebnisse

Im Folgenden werden zunächst die Zusammensetzung der Stichprobe und dann die Ergebnisse entlang der beiden Fragestellungen dargelegt, wobei als Erstes die Beschreibung der Schüler*innen-Cluster im Vordergrund steht, an die sich Erläuterungen zur Clusterzusammensetzung anschließen.

Zusammensetzung der Stichprobe

Von den N = 2546 Schüler*innen, die an der Befragung teilgenommen haben, konnten aufgrund fehlender Werte N = 1721 in die Clusteranalyse einbezogen werden. Diese Schüler*innen verteilen sich auf N = 126 Schulklassen. Ihr Durchschnittsalter betrug 13,85 Jahre (SD = 1,01; Min = 11; Max = 19). Detailliertere Informationen zu den Befragten können Tab. 2 entnommen werden.

Tab. 2 Beschreibung der Befragten nach soziodemographischen und schulbezogenen Merkmalen

Beschreibung der Schüler*innen-Cluster

Aus den Daten gehen drei Cluster von Schüler*innen hervor, die sich in ihrer Wahrnehmung und Relevanzsetzung der vorgegebenen Differenzkategorien im Sportunterricht unterscheiden und die auf Basis ihrer inhaltlichen Ausrichtung folgendermaßen benannt wurden: „viele Differenzkategorien relevant“ (Cluster 1), „sportbezogene Differenzkategorien relevant“ (Cluster 2), „Differenzkategorien irrelevant“ (Cluster 3) (Übersicht in Tab. 3 sowie Abb. 1).

Tab. 3 Ergebnisse der Clusteranalyse mit Mittelwerten (M) und Standardabweichungen (SD)
Abb. 1
figure 1

Profildiagramm der drei Schüler*innen-Cluster auf Basis der Mittelwerte

Das größte Cluster – Cluster 1 („viele Differenzkategorien relevant“) – mit N = 820 Befragten (47,6 %) umfasst die Schüler*innen, die Differenzkategorien im Sportunterricht grundsätzlich als eher relevant erachten, was sich darin widerspiegelt, dass 12 der 23 einzuschätzenden Kategorien von diesen Schüler*innen oberhalb des theoretischen Mittelwertes von 2,5 eingestuft wurden. Diese 12 Items beziehen sich v. a. auf unterschiedliche Beeinträchtigungsformen, sportbezogene Differenzkategorien (ob außerhalb der Schule Sport getrieben wird, welche Sportart, das sportbezogene Talent) und körperliche Merkmale von Schüler*innen. Konkret sprechen die Cluster-Angehörigen Beeinträchtigungen beim Sehen die höchste Relevanz zu, gefolgt von Beeinträchtigungen beim Hören, beim Verhalten und beim Umgang mit Gefühlen, im Bereich der geistigen Entwicklung sowie im Bereich der körperlichen Entwicklung. Auch dem sportbezogenen Talent, der Sportart, die außerhalb der Schule betrieben wird und der Gegebenheit, ob Schüler*innen grundsätzlich Sport außerhalb der Schule treiben, weisen diese Schüler*innen eine vergleichsweise hohe Relevanz zu. Differenzkategorien, die sich auf den Körper beziehen (Körpergröße, Übergewicht, körperlicher Entwicklungsstand), haben aus Perspektive der Cluster-Angehörigen ebenso einen hohen Stellenwert. Auch ob Schüler*innen die deutsche Sprache verstehen, wird als relevant wahrgenommen. Die anderen 11 Differenzkategorien wurden – gemessen daran, dass sie unter dem Mittelwert von 2,5 liegen – als weniger relevant bewertet. Die niedrigsten Werte weisen dabei die Items auf, die auf sozioökonomische und soziale Hintergründe verweisen (z. B. Religion, Geld, Bildungshintergrund).

Das davon abgrenzbare kleinste Cluster (Cluster 2: „sportbezogene Differenzkategorien relevant“) mit N = 373 Befragten (21,7 %) schließt Schüler*innen ein, die zuvorderst Items mit direktem Sportbezug als relevant einstufen. Diese Items rekurrieren auf die Begabungen, Fähigkeiten und das Know-how der Schüler*innen im Sport. Konkret sprechen die Angehörigen dieses Clusters dem sportbezogenen Talent die höchste Bedeutung zu, gefolgt von der Sportart, die außerhalb der Schule betrieben wird und ob Schüler*innen grundsätzlich außerschulisch Sport treiben. Den anderen 20 Items wird – orientiert am theoretischen Mittelwert – weniger Bedeutung im Sportunterricht zugemessen. Darunter fallen auch alle Förderbedarfe sowie Differenzkategorien, die sich auf die soziökonomische und soziale Herkunft beziehen.

Dem dritten Cluster („Differenzkategorien irrelevant“) gehören N = 474 (27,6 %) der befragten Schüler*innen an. Diese Schüler*innen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Differenzkategorien im Sportunterricht grundsätzlich als eher irrelevant betrachten. Dies wird daran ersichtlich, dass alle 23 vorgelegten Items von den Angehörigen des Clusters mit einem Mittelwert von unter 2,0 beziffert werden. Darunter weisen die Items, die sich auf Beeinträchtigungen beim Verhalten/Umgang mit Gefühlen, das Verständnis der deutschen Sprache, Beeinträchtigungen beim Sehen und Hören sowie das sportbezogene Talent beziehen, noch die höchsten Werte auf. Wie bei den anderen beiden Clustern scheinen auch hier die in den Sozialwissenschaften intensiv thematisierten Differenzkategorien im Bereich Herkunft und sozioökonomischer Status aus Perspektive der Schüler*innen eine eher untergeordnete Rolle im Sportunterricht zu spielen.

Clusterzusammensetzung nach (sozial-)strukturellen Merkmalen

In einem auf die Clusteranalyse aufbauenden Schritt wird nun zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage geprüft, inwiefern bestimmte Schüler*innengruppen in den einzelnen Clustern überproportional vertreten sind (Abb. 2). Dafür werden mithilfe von Chi2-Tests und der standardisierten korrigierten Residuen Unterschiede in der Clusterzusammensetzung in Bezug auf sozialstrukturelle Merkmale der Schüler*innen wie Geschlecht, Alter/Klassenstufe, Migrationshintergrund und Förderbedarf/Beeinträchtigung untersucht. Ergänzend werden schulstrukturelle Merkmale wie die Schulform, die Schulklasse, die Beschulungsform (inklusiv vs. segregierend), die Ausrichtung des Schulprogramms (inklusiv vs. nicht-inklusiv) und die Teilnahme von Sportlehrkräften an inklusionsbezogenen Weiterbildungen in den Analysen aufgegriffen, da anzunehmen ist, dass diese Charakteristika auch in einem Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Schüler*innen im Hinblick auf Inklusion und Teilhabe stehen – dies ist zumindest in dem hier vorliegenden Ansatz zu prüfen. In der folgenden Darstellung liegt der Schwerpunkt auf den Befunden, die auf eine Über- bzw. Unterrepräsentation bestimmter Schüler*innengruppen in den einzelnen Clustern hindeuten.

Abb. 2
figure 2

Schüler*innen-Cluster differenziert nach (sozial-)strukturellen Merkmalen mit Prozentangaben, korrigierten Residuen (KR), Signifikanzwerten (p) und Effektstärken (Cramer’s V).

Zur besseren Orientierung sind die Felder, in denen die korrigierten Residuen außerhalb des Bereichs von −2 bis +2 liegen, farblich hervorgehoben. Die Felder unter −2 sind einem hellen Grauton (d. h. unterrepräsentiert), die Felder über +2 in einem dunklen Grauton (d. h. überrepräsentiert) gekennzeichnet. Es wurde ein Signifikanzniveau von 5 % (α = 0,05) gewählt. Um die Effektstärke anzugeben, wurde Cramer’s V verwendet. Nach Cohen (1988) kann Cramer’s V folgendermaßen interpretiert werden: V = 0,1: kleiner Effekt; V = 0,3: mittlerer Effekt; V = 0,5: großer Effekt. Die Ergebnisse zum Faktor ‚Schulklasse‘ können aus Platzgründen (N = 126 Schulklassen) nicht im Detail in der Tabelle abgebildet werden

Abb. 2
figure 3

(Fortsetzung)

In den Analysen werden geschlechterbezogene Unterschiede signifikant (p < 0,001), wobei von einer geringen Effektstärke auszugehen ist (Cramers V = 0,12). Diese signifikanten Unterschiede beziehen sich auf Cluster 2 („sportbezogene Differenzkategorien relevant“), in dem Schülerinnen etwas überrepräsentiert und Schüler leicht unterrepräsentiert sind. In Cluster 1 („viele Differenzkategorien relevant“) und Cluster 3 („Differenzkategorien irrelevant“) zeigen sich hingegen keine geschlechterbezogenen Auffälligkeiten.

Auch mit Blick auf die Klassenstufe zeigen sich signifikante Unterschiede (p < 0,001) von niedriger Effektstärke (Cramers V = 0,08). Schüler*innen der siebten Klasse sind in Cluster 1 leicht unterrepräsentiert und überproportional in Cluster 3 vertreten. Lernende der neunten Klassen sind indes in Cluster 3 etwas unterrepräsentiert und in Cluster 2 leicht überrepräsentiert.

Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund sind in allen Clustern ähnlich vertreten; hier zeigen sich keine statistisch signifikanten Unterschiede (p = 0,204).

Die Clusterzusammensetzung differiert zudem signifikant (p < 0,001) nach SchulformFootnote 5, wobei der Zusammenhang eher schwach ausgeprägt ist (Cramers V = 0,16). Schüler*innen, die eine Haupt‑/Real- oder Sekundarschule besuchen, sind in Cluster 2 unterrepräsentiert, in Cluster 3 indes überproportional anzutreffen. Ganz ähnlich verhält es sich mit Schüler*innen der Gesamtschule. Im Kontrast dazu stehen Lernende, die das Gymnasium besuchen. Sie sind in Cluster 2 deutlich überrepräsentiert und in Cluster 3 stark unterrepräsentiert. Mit Blick auf Cluster 1 sind keine Unter‑/Überrepräsentationen bzgl. der Schulform zu verzeichnen.

Auch die besuchte Schulklasse ist für die Clusterzusammensetzung von Bedeutung. Es zeigen sich signifikante Zusammenhänge (p < 0,001) von mittlerer Effektstärke (Cramers V = 0,16), auf die hier aufgrund der Vielzahl an Klassen (N = 126) nicht im Detail eingegangen werden kann.

Unterschiede zwischen Schüler*innen mit und ohne Förderbedarf werden signifikant (p < 0,001), jedoch mit niedriger Effektstärke (Cramers V = 0,11). So sind Schüler*innen ohne Förderbedarf übermäßig im ersten Cluster anzutreffen, im dritten Cluster hingegen unterrepräsentiert. Bei Schüler*innen mit Förderbedarf verhält es sich umgekehrt. In Cluster 2 zeigen sich hinsichtlich der Variable Förderbedarf keine Unter‑/Überrepräsentationen.

Auch ob Schüler*innen mit und ohne Behinderung im Fach Sport gemeinsam oder getrennt unterrichtet werden, wird statistisch signifikant bedeutsam (p < 0,001), wobei die Stärke des Zusammenhangs eher gering ist (Cramers V = 0,15). Konkret zeigt sich Folgendes: Schüler*innen, die am gemeinsamen Sportunterricht von Heranwachsenden mit und ohne Behinderung teilnehmen, sind in Cluster 2 unterproportional und in Cluster 3 hingegen übermäßig vertreten. Bei Schüler*innen, die keinen inklusiven Sportunterricht besuchen, lässt sich ein gegenteiliges Muster erkennen. Sie sind in Cluster 2 über- und in Cluster 3 unterrepräsentiert. Für Cluster 1 sind hinsichtlich der Beschulungsform keine Auffälligkeiten erkennbar.

Ob die Förderung von Inklusion Bestandteil des Schulprogramms ist, wird statistisch ebenfalls in signifikantem Maße relevant (p < 0,001). Die Effektstärke ist dabei gering ausgeprägt (Cramers V = 0,12). Lernende an Schulen, an denen eine inklusive Förderung nicht schriftlich verankert ist, sind in Cluster 2 überrepräsentiert und in Cluster 3 unterrepräsentiert. Konträr verhält es sich bei Schüler*innen, deren Schule die Förderung von Inklusion in ihren Leitlinien fixiert hat. Für Cluster 1 zeichnet sich bzgl. der inklusiven Ausrichtung des Schulprogramms keine Über‑/Unterbesetzung ab.

Auch bzgl. der Teilnahme der Sportlehrkraft an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Inklusion/Heterogenität bestehen signifikante Unterschiede (p < 0,001) mit geringer Effektstärke (Cramers V = 0,18). Schüler*innen, deren Sportlehrkraft keine entsprechende Bildungsmaßnahme besucht hat, sind in Cluster 1 und 2 überrepräsentiert und in Cluster 3 unterrepräsentiert. Bei Schüler*innen, deren Sportlehrkraft angegeben hat, an inklusions-/heterogenitätsbezogenen Maßnahmen teilgenommen zu haben, zeigt sich ein gegenteiliges Muster.

Diskussion

Der Beitrag hat sich mit der übergeordneten Frage befasst, welche Differenzkategorien für die Teilhabe am Sportunterricht aus Schüler*innensicht eine besondere Relevanz haben. Um diese Frage systematisch zu beantworten und dabei eine Reifizierung von Differenzen zu vermeiden, wurde zunächst untersucht, welche Cluster von Schüler*innen hinsichtlich der Wahrnehmung und Relevanzsetzung von Differenzkategorien im Sportunterricht bestehen. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass sich auf Basis der Daten drei Schüler*innen-Cluster differenzieren lassen. Der Großteil der Befragten kann dabei dem ersten Cluster („viele Differenzkategorien relevant“) zugeordnet werden. Dem zweiten bzw. kleinsten Cluster („sportbezogene Differenzkategorien relevant“) gehören Heranwachsende an, die dem sportbezogenen Talent, der Tatsache, ob außerhalb der Schule Sport getrieben wird und der Sportart, die außerschulisch ausgeführt wird, eine hohe Bedeutung attestieren. Das dritte Cluster bündelt Schüler*innen, die Differenzkategorien im Sportunterricht als weniger bedeutsam wahrnehmen („Differenzkategorien irrelevant“). Dass die drei Cluster vorliegen, legt insgesamt nahe, dass Differenzkategorien im Sportunterricht nicht von allen Schüler*innen gleichermaßen wahrgenommen werden, sondern dass wesentliche Unterschiede bei den Differenzwahrnehmungen bestehen. Ein großer Teil der Schüler*innen (Cluster 1) scheint Differenzkategorien – insbesondere die körper- und sportbezogenen – jedoch als relevant zu erachten, was für eine ausgeprägte Präsenz dieser Kategorien im Sportunterricht spricht. Naheliegend ist, dass der Sportunterricht diese Kategorien aufgrund seiner Körperzentrierung in den Fokus rückt und dass sie durch seine Handlungsorientierung und die hohe Interaktionsdichte verstärkt Aufmerksamkeit erfahren. So macht u. a. Hirschauer (2014) darauf aufmerksam, dass Differenzen in erster Linie durch Handlungen aktualisiert und reproduziert werden und dass sie v. a. durch Interaktionsprozesse erleb- und wahrnehmbar gemacht werden. Möglich ist auch, dass der Sportunterricht durch seinen oft starken Bezug zum Leistungs- und Wettkampfgedanken, der Vergleiche mit anderen voraussetzt und erfordert, Differenzwahrnehmungen seitens der Schüler*innen forciert. Auf die fundamentale Bedeutung von Vergleichsprozessen für die Entstehung von Differenzkonstruktionen hat z. B. Wenning (2007) verwiesen.

Allerdings zeigen die Daten auch, dass nicht alle Differenzkategorien von den Schüler*innen mit Bedeutung versehen werden. Differenzkategorien, die in den Bereichen Herkunft und sozioökonomischer Status angesiedelt sind, haben über alle drei Cluster hinweg eine relativ geringe Relevanzzuschreibung erhalten. Dies mag darauf hinweisen, dass es dem Sport – wie oft von sportpolitischer Seite attestiert – tatsächlich gelingt, soziale Unterschiede zu nivellieren (DSLV et al., 2019). Allerdings ist es auch möglich, dass diese Differenzkategorien eher subtil im Hintergrund ihre Wirkung entfalten, sodass ihr Einfluss im Sportunterricht für Schüler*innen nicht direkt zu erkennen ist bzw. durch quantitative Forschung nicht in Gänze hervorgeholt werden kann (Bartsch et al., 2022). Dass soziale Kategorien wie Religion und soziale Herkunft in einer pluralisierten und vermeintlich liberalen Gesellschaft einen hohen Grad an sozialer Erwünschtheit erzeugen und die Schüler*innen entsprechend geantwortet haben, ist ebenfalls nicht auszuschließen.

Die zweite Forschungsfrage zielte darauf ab, potenzielle Unterschiede in der Clusterzusammensetzung zu analysieren. Hinsichtlich der Geschlechterkategorie zeigt sich, dass Mädchen dem zweiten Cluster überproportional häufig angehören. Die eingangs formulierte Annahme, dass Mädchen sportbezogene Differenzkategorien als besonders relevant erachten, kann somit bestätigt werden. Dass Schülerinnen diese Kategorien stärker im Bewusstsein haben als Schüler, könnte damit zusammenhängen, dass die teils divergierenden Präferenzen der Geschlechter im Sportunterricht nur unzureichend – und zwar zu Ungunsten der Mädchen – Beachtung finden (Kleindienst-Cachay et al., 2008). Dass im Fach Sport insbesondere die von Jungen (auch außerhalb der Schule) bevorzugten Sportarten aufgegriffen werden, könnte folglich dazu führen, dass Mädchen – aufgrund eigener Benachteiligungserfahrungen (Mutz & Burrmann, 2014) – für Unterschiede in diesem Bereich sensibler sind als Jungen.

Auch die Annahme hinsichtlich Alter bzw. Klassenstufe kann im Großen und Ganzen verifiziert werden. So geht aus den Daten hervor, dass Schüler*innen der siebten Klasse im dritten Cluster, in dem Differenzkategorien als eher irrelevant eingestuft wurden, überrepräsentiert sind, während Lernende der neunten Klasse hier unterrepräsentiert sind. Dies lässt sich in Anlehnung an Laßmann (2020) ggf. dadurch erklären, dass ältere Schüler*innen schon über einen längeren Zeitraum hinweg im leistungsbezogenen Gesellschafts- und Schulsystem sozialisiert wurden, das sich durch Abgrenzungs- und Vergleichsprozesse auszeichnet, die wiederum die Grundlage für Differenzkonstruktionen darstellen (Wenning, 2007). Das Ergebnis aus Vorgängerstudien, dass ältere Schüler*innen dem Sportunterricht insgesamt kritischer gegenüberstehen (Burrmann, 2015; Gerlach et al., 2006), kann ebenfalls bei der Einordnung des Befunds herangezogen werden.

Dass sich in der Clusterzusammensetzung keine signifikanten Unterschiede zwischen Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund erkennen lassen, deckt sich mit den Ergebnissen von Burrmann (2020), widerlegt aber zugleich die zuvor aufgestellte Annahme. Dies mag darin begründet liegen, dass die Kategorien „mit“ bzw. „ohne Migrationshintergrund“ sehr weite Konstrukte darstellen und die Schüler*innengruppen, die diesen Bezeichnungen zugeordnet werden, in sich äußerst heterogen sind. Weiterhin könnte dies ein Hinweis darauf sein, die Ausführungen von Horvarth (2017) genauer zu prüfen, in denen er auf das homogenisierende und exkludierende Potenzial dieser Differenzkategorie verweist und zur Debatte stellt, ob die Nutzung des Konzepts überhaupt noch angemessen sei – auch vor dem Hintergrund, dass in Nordrhein-Westfalen mittlerweile ca. 40 % der Schüler*innen eine Zuwanderungsbiographie aufweisen (Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen, 2022).

Hinsichtlich der Schulform zeigt sich, dass Schüler*innen von Haupt‑, Real‑, Sekundar- und Gesamtschulen übermäßig in Cluster 3 anzutreffen sind, das Differenzkategorien im Sportunterricht als eher irrelevant auszeichnet. Gymnasiast*innen sind hingegen in Cluster 2, das sportbezogene Differenzkategorien in den Fokus rückt, überrepräsentiert. Einzuordnen ist dies möglicherweise vor dem Hintergrund, dass die verschiedenen Schulformen von unterschiedlichen Orientierungen und Zielsetzungen geprägt sind. Während im Gymnasium Ziele wie Selektion und Leistung leitend sind und bildungsbürgerliche kompetitive Orientierungen überwiegen, sind die anderen Schulformen weniger kompetitiv und mehr auf Inklusion ausgerichtet. Die Zielorientierung an Gymnasien, die sich auch darin widerspiegelt, dass die Inklusionsquote dort vergleichsweise gering ausgeprägt ist (Laßmann, 2020), führt womöglich dazu, dass sich die Schüler*innen dort stärker miteinander vergleichen, was Differenzierungs- und Abgrenzungsprozesse verstärken und Differenzkonstruktionen forcieren kann (Wenning, 2007). Dass v. a. Schüler*innen aus privilegierten sozialen Schichten das Gymnasium besuchen, könnte ein zusätzlicher Ansatzpunkt für die Deutung der Befunde sein. Schließlich sind Schüler*innen dieser Schichten häufiger sportlich aktiv und haben i. d. R umfangreiche Möglichkeiten, vielschichtige Sporterfahrungen außerhalb der Schule zu sammeln, die sie in die Schule hineintragen (Burrmann, 2020). Ihre Kenntnisse in Bezug auf verschiedene Sportarten und Bewegungsfelder machen sie womöglich sensibler für sportbezogene Differenzkategorien.

Wie antizipiert erscheinen die Relevanzsetzungen auch im Zusammenhang mit der besuchten Schulklasse zu stehen. Dies ist grundsätzlich nicht überraschend und steht im Einklang mit Befunden, die die zentrale Rolle der näheren Lernumgebung, des Klassenverbunds und des Klassenklimas für die Umsetzung von Inklusion und ein vorurteilsarmes Miteinander betonen (Allport, 1979; zsf. Krawinkel et al., 2017). Allerdings kann auf Basis der Daten nicht im Detail eruiert werden, wodurch sich die Klassen auszeichnen (z. B. hinsichtlich Klassenklima, Wohlbefinden der Schüler*innen), die bestimmten Differenzkategorien eine höhere bzw. niedrigere Bedeutung zusprechen. Nachfolgestudien könnten diesen Ansatz aufgreifen und systematisch ermitteln, welche Einflüsse hier bestehen. Dies würde auch dem Anliegen sozialkonstruktivistischer Ansätze nachkommen, die betonen, dass Differenzkonstruktionen in den jeweiligen sozialen Kontexten betrachtet werden sollten (Riegel, 2016).

Der Befund, dass Schüler*innen mit Förderbedarf überproportional in Cluster 3 vertreten sind, dessen Angehörige Differenzkategorien eher weniger Bedeutung zu sprechen, korrespondiert nicht mit der im Vorhinein aufgestellten These. Denkbar ist, dass Schüler*innen mit Förderbedarf Differenzkategorien als besonders irrelevant einstufen, um sich selbst zu schützen und die Bedeutung von Förderbedarfen, die sie als „normabweichend“ klassifizieren (Riegel, 2016; Wenning, 2007), abzuschwächen. Insgesamt ist dazu, wie Schüler*innen mit Förderbedarf den Sportunterricht erleben und inwiefern sie sich dort ggf. stigmatisiert oder willkommen geheißen fühlen, noch zu wenig bekannt, was die Relevanz unterstreicht, ihre Sichtweisen empirisch zu erfassen. Hilfreich hierbei könnten quantitative Erhebungen in leichter Sprache sein, aber auch qualitative Ansätze (z. B. Peer-to-peer-Interviews, Beobachtungen), die tiefere Einblicke ermöglichen.

Darüber hinaus zeigen die Daten, dass sich die Wahrnehmungen von Schüler*innen, die einen inklusiven bzw. einen segregierenden Sportunterricht erfahren, voneinander unterscheiden. Schüler*innen aus Sportklassen, in denen Lernende mit und ohne Behinderung zusammen unterrichtet werden, sind in Cluster 3, das die Irrelevanz von Differenzkategorien betont, überrepräsentiert. Schüler*innen, die im Fach Sport nicht inklusiv beschult werden, sind hingegen überproportional häufig in Cluster 2 anzutreffen, das die Bedeutung körperbezogener Differenzkategorien akzentuiert. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der auf Basis des Forschungsstands erarbeiteten Annahme, dass Schüler*innen, die inklusiv beschult werden, Differenzkategorien als weniger relevant wahrnehmen. Ausschlaggebend für diese Vermutung waren ältere Studien, die offenlegen, dass Schüler*innen, die eine inklusive Klasse besucht haben und (Vor‑)Erfahrungen mit Menschen mit Behinderung sammeln konnten, über vergleichsweise positive Einstellungen zu inklusiven Unterrichtspraxen verfügen (z. B. Laßmann, 2020; Reina et al., 2019). Anknüpfend an Allports Kontakt-Hypothese (1979) kann dies damit zusammenhängen, dass sich Schüler*innen mit und ohne Behinderung im gemeinsamen Unterricht ganz grundlegend kennenlernen und miteinander in Kontakt kommen, was Vorurteile abbauen und Differenzwahrnehmungen nivellieren kann. Dies könnte insgesamt dafürsprechen, die gemeinsame Beschulung von Schüler*innen mit und ohne Förderbedarf im Fach Sport zukünftig auszubauen und segregierende Beschulungsweisen aufzulösen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ebenso der Befund zur Verankerung von Inklusion im Schulprogramm, der die vorab aufgestellte Vermutung stützt, dass Schüler*innen, bei denen die Förderung von Inklusion fester Bestandteil des Schulprogramms/Leitbilds ist, Differenzkategorien als weniger relevant wahrnehmen. So zeigen die Daten, dass Schüler*innen von Schulen, an denen die Förderung von Inklusion entsprechend niedergeschrieben ist, in Cluster 3 überrepräsentiert sind. Dieses Ergebnis könnte ein Hinweis darauf sein, dass ein inklusiv ausgerichtetes Schulprogramm die Umsetzung von Inklusion an Schulen durchaus fördern und dabei helfen kann, entsprechende Kulturen und Strukturen zu implementieren, um Differenzwahrnehmungen abzubauen (Booth & Ainscow, 2016).

Ebenso scheint es lohnenswert, qualitativ hochwertige Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Inklusion und Heterogenität in den verschiedenen Phasen der Lehrer*innenbildung auszubauen. Denn es geht aus der Erhebung hervor, dass Schüler*innen, deren Sportlehrkraft an einer entsprechenden Maßnahme teilgenommen hat, Differenzkategorien im Sportunterricht – wie vermutet – verhältnismäßig als weniger relevant erachten. Zumindest ist diese Gruppe von Schüler*innen in Cluster 3 deutlich überrepräsentiert. Ohne die Wirkung einzelner Bildungsmaßnahmen zu hoch stellen zu wollen, ist es denkbar, dass diese auf die inklusionsbezogenen Überzeugungen von Lehrpersonen einwirken können. So zeigt beispielsweise der Befund von Stehmer (2021), dass sich Sportlehrkräfte, die sich zum Thema Heterogenität fortgebildet haben, signifikant kompetenter im Umgang mit heterogenen Lerngruppen im Sportunterricht fühlen als ihre Kolleg*innen, die keine entsprechenden Maßnahmen besucht haben. Lehrkräfte, die Fortbildungen zum Thema Inklusion besuchen, gestalten ihren Unterricht vermutlich eher diversitätssensibel und inklusiv. Dadurch prägen sie möglicherweise auch die Wahrnehmungen ihrer Schüler*innen in die Richtung, dass sie Differenzkategorien eher weniger Relevanz zuschreiben.

Die Limitationen der Studie müssen insbesondere im Hinblick auf sozialkonstruktivistische Ansätze hervorgehoben werden. So ist aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive festzuhalten, dass das statistische Verfahren der Clusteranalyse, wie es hier gewählt wurde, zwar dabei helfen kann, eine gewisse Systematik innerhalb der Schüler*innen zu ermitteln, allerdings trägt es nicht dazu bei, die Perspektiven der einzelnen Schüler*innen und ihre individuellen Gründe für die Einschätzung von Differenzkategorien zu rekonstruieren. Darüber hinaus kann die Clusterung von Schüler*innen durchaus auch als Konstruktionsleistung durch Forschende verstanden werden, die Grenzen zwischen Schüler*innen einzieht. Gleichwohl handelt es sich beim gewählten Verfahren um einen personenorientierten Zugang, der es gewährleistet, sensibel mit Differenzkategorien und ihrer Reifizierung umzugehen (Burrmann, 2015). Durch die gewählte Methode konnte hier z. B. auch aufgezeigt werden, dass es eine Reihe von Schüler*innen gibt, die Differenzkategorien offenbar wenig bis gar nicht relevant finden und dies – also die Möglichkeit der Irrelevanz von Differenzkategorien – geht nicht selten in anderen (z. B. qualitativen) Arbeiten unter. Ferner ist es möglich, dass die Befragten durch die Items und die damit verbundene direkte Nachfrage nach Differenzkategorien in die Richtung einer Kategorisierung geleitet wurden, was die Betonung von Differenzen forcieren kann (Bartsch et al., 2022). Um dies zumindest ein Stück weit aufzufangen, wurde den Schüler*innen ein breites Spektrum an möglichen Differenzkategorien vorgelegt und sie hatten stets die Möglichkeit, Differenzkategorien als irrelevant zu bewerten oder einer Festlegung auszuweichen. Auch die relativ offene Anmoderation der Items verdient eine kritische Betrachtung. So wurde zwar im Rahmen eines Pre-Tests das Wording in Bezug auf Eindeutigkeit und Verständlichkeit geprüft, allerdings ist nicht auszuschließen, dass Schüler*innen die Fragestellung unterschiedlich ausgelegt haben.

Abschließend ist anzumerken, dass Differenzwahrnehmungen trotz aller Problematiken, die damit einhergehen können, auch positiv gedeutet werden können. So ist es nicht als grundsätzlich „verkehrt“ einzustufen, Differenzkategorien wahrzunehmen, wenn damit beispielsweise eine Sensibilisierung für Benachteiligungen einhergeht oder die Zielsetzung verfolgt wird, Ungleichheiten im Sportunterricht abzubauen. Der vorliegende Beitrag hat vor diesem Hintergrund lediglich den Versuch unternommen, die Perspektive der Schüler*innen einzufangen und ihre Wahrnehmung von Differenzkategorien herauszuarbeiten. Dabei konnte z. B. aufgezeigt werden, dass die Sicht der Schüler*innen und Erwachsenen/Forscher*innen mitunter divergiert – was Sozialwissenschaftler*innen als Differenz besonders hervorheben, muss nicht unbedingt der Perspektive der Schüler*innen entsprechen.