Fünfzig Jahre ist es her, dass Karl Adam und Hans Lenk mit dem „mündigen Athleten“ eine zivilgesellschaftlich legitimierbare Rechtfertigung des Spitzensports formuliert haben (vgl. Lenk, 1979). Seitdem findet sich kaum eine Präambel oder ein Leitbild der Sportorganisationen, in denen der „mündige Athlet“ nicht zur Legitimation des Spitzensports und der dafür benötigten Fördermittel herangezogen wird. Die neue Bundesregierung bindet in ihrem Koalitionsvertrag die Förderung des Spitzensports an Mitwirkungsrechte der Athletinnen und Athleten (vgl. Bundesregierung, 2021, S. 113/114), und auch in der sportwissenschaftlichen Fachliteratur wird der „mündige Athlet“ nach wie vor zitiert (vgl. u. a. Gaum & Stapelfeld, 2020; Schürmann, 2020; Hummel & Wendeborn, 2019; Prohl & Stiller, 2011). Betrachtet man die jeweils bemühten Kontexte des „mündigen Athleten“ jedoch genauer, fällt eine interessante Unterscheidung auf. Die Unterscheidung bezieht sich auf die unspezifische Idee eines „mündigen Athleten“ im Vergleich zu dessen Konkretisierung bzw. Personifizierung, und zwar sobald die Zielvorstellung einer persönlichkeitsbezogenen Mündigkeit mit der Zielvorgabe eines persönlichkeitsunabhängigen Erfolgs in Verbindung gesetzt wird. Auffällig ist, dass sich immer dann auf eine vage Idee zurückgezogen wird, wenn der perspektivische Anspruch auf staatliche Fördermittel nicht allein mit sportlichen Erfolgen gerechtfertigt werden soll oder bspw. aufgrund der allein 37 gewonnenen Medaillen bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio und der somit schlechtesten Medaillenbilanz deutscher Olympioniken nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Entsprechend verlautbart der DOSB dann auf seiner Homepage, dass Team Deutschland zwar auch weiterhin um Erfolge und Medaillen kämpfe, man aber immer mehr in den Mittelpunkt rücken wolle, „wie die Athlet*innen von Team D stellvertretend für uns alle auftreten“ und damit ihrer Vorbildrolle als mündige Athleten gerecht werden (DOSB, 2020). Unabhängig derartiger Absichtserklärungen ist zudem interessant, dass sportlicher Erfolg noch lange nicht als hinreichende Bedingung gilt, sportlich erfolgreiche Athleten auch als mündige Personen zu akzeptieren. Wobei sich die Kritik dann nicht gegen die Idee des „mündigen Athleten“, sondern gegen die mündige Person wendet. Wie dies eben jener an den Basketballer LeBron James adressierte Kommentar „Shut up and dribbleFootnote 1“ belegt oder natürlich auch Donald Trumps berüchtigte Forderung „Get that son of a bitch off the field right now. Out! He’s fired. He’s fired!Footnote 2“, die er an die Verantwortlichen der San Francisco 49er nach Colin Kaepernicks Kniefall richtete.

Es gilt daher, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum es seit 50 Jahren offensichtlich nicht gelingt, die Idee des „mündigen Athleten“ über einen Schein zur Rechtfertigung des Spitzensports hinaus tatsächlich auch als Wesen des Spitzensports in einer ZivilgesellschaftFootnote 3 zu verankern. Hierzu möchte der vorliegende, analytisch-hermeneutisch aufgebaute Essay seinen Beitrag leisten. Dazu ist es notwendig, sich vorab grundsätzlich mit dem Begriff der Mündigkeit auseinanderzusetzen, vor allem mit der Frage, wozu der Mensch bzw. ein Spitzensportler überhaupt mündig werden sollte.

Für Theodor W. Adorno besteht „die einzig wirkliche Konkretisierung der Mündigkeit darin, dass die paar Menschen, die dazu gesonnen sind, mit aller Energie darauf hinwirken, dass die Erziehung eine Erziehung zum Widerspruch und zum Widerstand ist“ (Adorno, 1971, S. 145). Bemerkenswert ist zunächst die Erkenntnis, dass Mündigkeit in ihrer Konkretisierung auch den Widerspruch des Erziehenden gegenüber seinem Erzieher einschließt. Demzufolge kann eine Erziehung zur Mündigkeit weder linear, noch planbar und in ihrer Konkretisierung auch in keiner Weise vorhersehbar sein. Die Konkretisierung der Mündigkeit ist somit ein höchst rekursiver Prozess, setzt sie doch nicht allein eine Ambiguitätstoleranz des Erziehers gegenüber dem Erziehenden, sondern vor allem auch gegenüber sich selbst und den eigenen Zielen voraus. Bezieht man diese Überlegungen nun auf den Spitzensport, mag das angedeutete Spannungsfeld nicht weniger brisant erscheinen. So wird ein Trainingsprozess als „Handlungsprozess zur Realisierung der planmäßigen und Trainingsreiz zielgerichteten Einwirkung auf die Leistungsentwicklung“ (bspw. bereits Martin, Carl, & Lehnertz, 1991, S. 16) definiert und ist folgerichtig jener Trainer der beste, der die Leistungsentwicklung seiner Athleten bestmöglich steuern, planen und vorhersehen kann. Somit stellt der Anspruch einer linearen Steuer- und Planbarkeit der Leistungsentwicklung schon intentional genau das Gegenteil dessen dar, was den unvorhersehbaren Prozess einer Erziehung zur Mündigkeit bestimmt. Der Konflikt zwischen einem „mündigen Athleten“ und einem System, das allein auf die Planbarkeit sportlichen Erfolgs ausgerichtet ist und für die eigene Daseinsberechtigung alles verhindern muss, was diese Planbarkeit gefährdet, ist unausweichlich. So wie es Immanuel Kant bereits 200 Jahre vor Adorno vorweggenommen hat: „… daß der bei weitem größte Teil der Menschen (…) den Schritt zur Mündigkeit außer dem, daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nach dem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie versuchen allein zu gehen“ (Kant, 1784, S. 482).

Erziehung zur Mündigkeit ist somit ein komplexer Prozess unterschiedlicher, vor allem aber interessengeleiteter Perspektiven, deren Konkretisierung und freie Entfaltung, zumindest in einer Zivilgesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland, gleichfalls eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und Fürsorgepflicht für das Individuum bedarf. Entsprechend kann der Anspruch einer persönlichkeitsbezogenen Erziehung zum „mündigen Athleten“ nicht ungeachtet der zugrundeliegenden Systemlogik bzw. Codierung analysiert werden, die das jeweils kollektivistische System, in diesem Fall das System des Spitzensports in der Bundesrepublik Deutschland, durch Sinn konstituiert und von seiner Umwelt unterscheidet.

Aus systemtheoretischer Perspektive hat sich für den Spitzensport in der Literatur die Codierung „Sieg/Niederlage“ (vgl. u. a. Riedl & Cachay, 2002; Schimank, 1988) etabliert, die von der Codierung „Leisten/Nichtleisten“ für das gesamte Sportsystem unterschiedenFootnote 4 wird. Folgt man dem systemtheoretischen Denken, bestimmt die Codierung eines Systems immer auch die Handlungsrationalität der individuell handelnden Systemteilnehmer (vgl. Luhmann, 1987). Das heißt, die individuelle (Best‑)Leistung kann zwar für das handelnde Subjekt einen Erfolg darstellen, bleibt aber ohne gleichzeitigen Sieg für das kollektivistische System des Spitzensports irrelevant. Zugespitzt wird dieses Spannungsfeld durch die Bedeutung der ebenfalls kollektivistischen Nationenwertung im Olympischen Medaillenspiegel, wenn selbst individuell erbrachte Siege in der kollektiven Niederlage untergehen und nach Tokio weniger die Namen der Olympiasieger Funk, Rendschmidt, Rotter-Focken, Kröger oder Rauhe etc. in Erinnerung bleiben als vielmehr die mit 37 Medaillen „schlechteste deutsche Olympia-Medaillenbilanz seit der Wiedervereinigung“ (FAZ vom 08.08.1921). Dass die vom Bundesinnenministerium (BMI) 2016 beauftragte PotAS-Kommission sich mit dieser systembedingten Schieflage auseinandersetzt, ist hingegen nicht zu erwarten. Stattdessen konzentrieren sich die Bemühungen der Kommission weiterhin darauf, dass „die Förderung des Spitzensports sich wieder deutlicher im Medaillenspiegel von Europa‑, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen niederschlägt“ (Zimmermann, 2022, S. 1). Eine notwendige Auseinandersetzung mit dem systembedingten Spannungsfeld des Spitzensports, wie es Gaum & Stapelfeld (2020) in ihrer Analyse der „Leistungssportreform“ (DOSB & BMI, 2017) bereits aus zivilgesellschaftlicher Perspektive angemahnt haben, bleibt somit weiterhin aus (vgl. Gaum & Stapelfeld, 2020). Demzufolge bleibt aber auch die Ursache des Problems erhalten, wenn eine allein kollektivistische Erfolgsförderung (sei sie nun medaillenzentriert retrospektiv oder medaillenzentriert potentialorientiert) lediglich um eine ökonomische Kosten-Nutzen-Perspektive erweitert wird, wie es der Titel „Mehr Gold fürs Geld“ auf der Homepage der UniversitätFootnote 5 des Vorsitzenden der PotAS-Kommission nahelegt – und bleibt die proklamierte Mündigkeit der Athleten weiterhin wünschenswert, aber nicht notwendig. Eben weil nicht die Codierung „mündig/unmündig“ das System des Spitzensports bestimmt, sondern allein der zählbare Erfolg, für dessen Erreichen man erfolgreich, aber eben nicht zwingend mündig zu sein braucht. Daraus folgt aber auch, dass es aus systemtheoretischer Perspektive sowohl gegenüber den Athleten als auch gegenüber den Trainern unredlich ist, etwas über den reinen Erfolg Hinausgehendes wie die Mündigkeit zu fordern, und wird es zynisch, wenn der „mündige Athlet“ allein zur Legitimation von Fördermitteln wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird. Im Kontext der bisherigen Argumentationsführung werden für die zukünftigen Entwicklungen im Spitzensport daher zwei Optionen gesehen, deren Erörterung bemerkenswerterweise kaum geführt wurde, aber nicht allein vor dem Hintergrund der verwendeten Ressourcen gesamtgesellschaftlich geführt werden muss (vgl. Thieme, 2020)Footnote 6:

  1. 1.

    Das Sein entledigt sich des Scheins: Die Idee des „mündigen Athleten“ wird aufgrund der Nichtpassung zur Erfolgslogik des Spitzensports aufgegeben. Im Sinne einer „no compromise strategy“Footnote 7 wird die Förderung und Rechtfertigung des Spitzensports konsequenterweise allein an der Zielerreichungsgröße „going for gold“ gemessen und ausgerichtet.

  2. 2.

    Der Schein wird zum Sein: Die Codierung „Sieg/Niederlage“ des Spitzensports wird über ihre unpersönliche, allein erfolgszentrierte Funktion hinaus um das persönlichkeitsbezogene Moment der Mündigkeit erweitert und in die Codierung „mündiger Sieger/unmündiger Verlierer“ überführt.

Da die Veränderung der Codierung zwangsweise die Handlungsrationalität des gesamten Systems verändert (vgl. Luhmann, 1987) und sich der Schein grundsätzlich schwieriger zum Sein wandeln lässt als umgekehrt, kann die erste Option natürlich einfacher verwirklicht werden – und laufen die Entwicklungen der „Spitzensportreform“ ja auch genau in jene RichtungFootnote 8. Die Aufrechterhaltung des Scheins dürfte jedoch zusammenbrechen, sobald der Widerspruch der Systemteilnehmer bzw. die Abkehr der Athleten und Trainer den Schein entlarven oder die Politik die Ressourcen aufgrund ausbleibender Erfolge in Frage stellt.

Die zweite Option bedeutet die wesentlich weitreichendere Reform. Sobald die Mündigkeit nämlich nicht mehr allein des Scheins wegen gewahrt wird, sondern tatsächlich als Sieg der Mündigkeit die binäre Codierung zwischen „mündiger Sieger“ und „unmündiger Verlierer“ leitet, kann weder der sportliche Sieg noch die sportliche Niederlage ohne die Frage nach dem „Wie“ des Zustandekommens bewertet werden. Dadurch rücken die persönlichkeitsbezogene Leistung und die Frage, auf welche Art und Weise, gegenüber welchen Widerständen, mit welcher Haltung der Sieg erreicht oder die Niederlage ertragen wird, ins Zentrum einer qualitativ-ganzheitlichen Bewertung. Der Argumentationslinie Adornos und Kants folgend, wäre dann ein „mündiger Sieger“ ein Spitzensportler, der im Widerspruch zu seinen sportlichen Erfolgen, im Widerspruch zu seinem Körper, im Widerspruch zu sämtlichen Rückschlägen, im Widerspruch zu unterbliebenen Fördergeldern, im Widerspruch zu der Erkenntnis, selbst in 400-m-Weltrekordzeit dort angekommen zu sein, wo man losgelaufen ist – trotzdem wieder und wieder an den Start geht und in der höchsten Form des Widerspruchs seine Mündigkeit dadurch dokumentiert, sogar sich selbst besiegt zu haben. Als handlungsleitende Funktion der Systemveränderung rückt somit das Trotzdem (gegenüber den Widerständen) im Vergleich zu dem Weil (der zweckrationalen Begründung) in den Mittelpunkt eines mündigen Strebens, Bestmögliches zu leisten. Entsprechend wird der mündige Sieg nicht allein über die Konkurrenz, sondern insbesondere über sich selbst zum systemleitenden Moment und kann die dadurch gewonnene Bewusstwerdung in einer Linie zum anthropologischen Ansatz der exzentrischen Positionalität im Sinne Plessners verstanden werden (vgl. Plessner, 1928; Prohl & Emrich, 2009). Das heißt, die Bewusstwerdung, sich im Spitzensport selbst überwinden zu müssen, um sich selbst oder andere besiegen zu können, lässt den Spitzensportler in ein Verhältnis zu sich selbst treten. Nach Plessner offenbart allein dieses Vermögen, neben dem Aufgehen im Erleben, sich zusätzlich auf das Erleben beziehen zu können, sich also beim Erleben zu erleben, das, was einen exzentrischen und demnach mündigen Menschen von einem allein zentrisch positionierten Tier unterscheidet (vgl. Plessner, 1928, S. 288ff.). Eine Änderung der Systemlogik vom unpersönlichen „Sieg“ zum exzentrisch positionierten „mündigen Sieger“ geht demnach weit über den bloßen Sieg im Wettkampf hinaus, wenn sich der „mündige Sieger“ durch eine leidenschaftlich reflexive Selbstüberwindung offenbart und den Sieg im Wettkampf untrennbar mit dem persönlichen Sieg über sich selbst und aus sich selbst heraus versteht – und dementsprechend nicht allein eine ResonanzFootnote 9 zu sich selbst, sondern auch zu seiner Umwelt gewinnt (vgl. Rosa, 2016). Dem gegenüber steht der „unmündige Verlierer“, der nicht allein den Wettkampf verliert, sondern durch eine unwürdige Haltung in der Niederlage auch jegliche Resonanz zu sich und seiner Umwelt vermissen lässt. Argumentationslogisch umfasst eine Ausweitung der Codierung „Sieg/Niederlage“ um den Aspekt der Mündigkeit dann natürlich auch noch die Optionen des „unmündigen Siegers“ sowie des „mündigen Verlierers“. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Bezugsrahmens sähe man sich demnach einer quaternären Codierung „mündiger Sieger“, „unmündiger Verlierer“, „mündiger Verlierer“ sowie „unmündiger Sieger“ gegenüber, was den systemtheoretischen Vorgaben nach allein binären Codierungen zunächst widerspricht (vgl. Luhmann, 1987). Der Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn man die Niederlage des „mündigen Verlierers“ zwar auf eine Wettkampf-Niederlage bezieht, im dargelegten philosophisch-anthropologischen Sinne aber als einen exzentrisch positionierten Sieg über sich selbst versteht. Die mündige Haltung, gerade in der Niederlage aus und über sich herausgetreten zu sein, erscheint somit gleichsam als ein Sieg über sich selbst und kann sogar eine nachhaltigere Resonanz erzeugen als der Sieg im WettkampfFootnote 10. Somit gäbe es im philosophisch-anthropologischen Sinne zwar wettkampfbezogene Niederlagen, aber eben keine „mündigen Verlierer“, die nicht gleichsam als „mündige Sieger“ über sich selbst die positive Codierung der Systemlogik belegen. Diametral gegenüber steht der „unmündige Sieger“, der sich nicht allein im philosophisch-anthroposophischen Sinne, sondern selbst im bisherigen Spitzensportsystem als „unmündiger Verlierer“ offenbart. Als Beleg seien Ben Johnson oder Tonya Harding angeführt, aber auch die (bislang) über 150Footnote 11 unmündigen Sieger, deren olympischen Medaillen rückwirkend aberkannt wurden und deren unmündige Siege sich somit gleichsam als unmündige Niederlagen bewerten lassen. Demzufolge wird durch das Primat der persönlichen Mündigkeit in Bezug auf den Ausgang des Wettkampfes die geltende Notwendigkeit einer binären Codierung legitimierbar. Da die Codierung eines Systems nun aber nicht allein das System von seiner Umwelt abgrenzt, sondern immer auch die Handlungsrationalität des Systems und dessen Teilnehmer bestimmt (vgl. Luhmann, 1987), wäre mit der Codierung „mündiger Sieger/unmündiger Verlierer“ dann auch ganz klar bestimmbar und operationalisierbar, wer aufgrund welcher Verhaltensweisen zu einem förderungswürdigen Spitzensportsystem dazugehört – und wer nicht! Im Gegensatz zum „mündigen Athleten“, aber auch im Gegensatz zum „mündigen Ästheten“ (vgl. Emrich, Prohl, & Brand, 2006), der ohne entsprechende Binär-Codierung, ohne entsprechenden Antipoden, vor allem aber ohne systemische Einbindung der „Sieg/Niederlage“-Codierung auch keinen Einfluss auf die Handlungsrationalität des Spitzensport-Systems finden konnte – solange ein unmündiger Athlet als Olympiasieger im System verbleibt, aber ein mündiger Athlet, der sich gegen Doping entscheidet und die Olympianorm verfehlt, aus dem System fällt. Neben dieser höchst problematischen Selektionsfunktion führte das Nichtvorhandensein eines entsprechenden Antipodens zudem dazu, dass der „mündige Athlet“ auch von jeglichen Interessenvertretern beliebig funktionalisiert werden konnte – und sei es, eine bildungsbezogene Fassade der Eliteschulen des Sports aufrechtzuerhalten (vgl. Stiller, 2017; Güllich & Emrich, 2006; Prohl & Elflein, 1996). Die Einhaltung ihres verfassungsrechtlichen Auftrags vorausgesetzt, würden sich jedoch gerade die Bildungsinstitutionen wegen ihres zugewiesenen Qualifikationsauftrags anbieten, eine ebenso professionstheoretische wie verantwortbare Unterscheidung zwischen „mündigen Siegern“ und „unmündigen Verlierern“ zu treffen.

Für die handlungsleitende Didaktik zur Erziehung zum „mündigen Sieger“ hieße das, dem bildungstheoretischen Verständnis AdornosFootnote 12 folgend, die Widersprüche im Spitzensport offenzulegen, an und für sich zu reflektieren – um den spitzensportlichen Wettkampf dann in vollem Selbst-Bewusstsein und vollkommener Leidenschaft trotzdem einzugehen. Im Rahmen der Planungen einer „Schulakademie (G)mündiger Sieger“ wurde ein entsprechend schulrechtlich verankertes und curricular auf den Spitzensport bezogenes Konzept ausformuliert)Footnote 13 und steht zur Umsetzung bereit. Zugegeben: Die Gefahr, dass angesichts der Auswüchse im Spitzensport gerade den Talentiertesten ihre Talente zu schade sein könnten, um sie in einem derartigen Feld aufs Spiel zu setzen, ist durchaus gegeben. „Weil es aber keine normale Demokratie sich leisten kann, explizit gegen eine derartige Aufklärung zu sein“ (Adorno, 1971, S. 146), sollte es aus bildungstheoretischer und spitzensportlicher Perspektive selbstverständlich sein, eine Gruppe der leistungsfähigsten und motiviertesten Menschen unserer Zivilgesellschaft gesamtgesellschaftlich dann auch ebenso zu unterstützen und zu fördern.