Die Zeitschrift Sportpädagogik greift im Themenheft „Lernförderung durch Bewegung“ das kognitionspsychologische Konstrukt exekutive Funktionen bzw. „die Förderung des exekutiven Systems“ auf (Pfitzner et al., 2021, S. 2). Aschebrock und KleinfeldFootnote 1 analysieren als Experten für Lehrplanentwicklungen in diesem Themenheft Kernlehrpläne (KLP) aus den Bundesländern Baden-Württemberg (BW) und Nordrhein-Westfalen (NRW) (2021). Sie richten die Aufmerksamkeit (1) auf die „Darstellung curricularer Entwicklungen“, (2) auf die Beantwortung der Frage nach materialgestützten Unterstützungsangeboten und (3) auf die Diskussion der Rolle des Faches Sport „hinsichtlich seiner möglichen Funktion als impulsgebendes Leitfach für eine Schulentwicklung […], die die selbstregulatorischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler fördert“ (Aschebrock & Kleinfeld, S. 40).Footnote 2

Achtzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung der „Klieme-Expertise“ (BMBF, 2009), die den theoretischen und methodischen Unterbau „zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ lieferte, sollte sich in der jüngsten Generation von Kernlehrplänen mittlerweile eine gewisse Reife der Prozesse und Produkte zeigen lassen. Gerade weil eine tatsächliche Festlegung nationaler Bildungsstandards im Fach Sport noch nicht erarbeitet wurde, müssten sich letztlich alle länderspezifischen kompetenzorientierten Kernlehrpläne konzeptionell an den Grundlagen orientieren. Das Thema der exekutiven Funktionen in den KLP wird hier aus dem Grund exemplarisch bearbeitet, weil es gemäß Aschebrock und Kleinfeld (2021) ein innovatives Beispiel für die (Weiter-)entwicklung von Kernlehrplänen darstellt und weil über das Angebot von „modernen Theorien zum Kompetenzerwerb“ (Pant, 2016; zitiert nach ebd., S. 40) beim interessierten Leser die Hoffnung auf die Füllung einer theoretischen Leerstelle der bisherigen Ära der Kompetenzorientierung geweckt wird, nämlich Modelle oder Theorien zu erkennen, die auf der Ebene des individuellen Lern- und Bildungsprozesses erklären könnten, wie Kompetenzen im schulischen Kontext überhaupt erworben werden. Erst auf der Grundlage solcher Modellvorstellungen können letztlich solide begründete Empfehlungen zur Unterrichts- und Materialentwicklung gegeben werden.

An die Diskussion über den Zusammenhang von Bildung und Kompetenz, die sich in „nationalen Bildungsstandards“ treffen sollten, soll hier kurz erinnert werden, denn in „Bildung“ finden sich die individuellen und gesellschaftlichen Ansprüche an das Lernen, die letztlich in die Bildungsstandards „gegossen“ werden müssten. An die Lehrplantexte müssen somit hohe Anforderungen an die sachliche und begriffliche Klarheit gestellt werden, um das „Bildungswesen“ über das neue Dogma der kompetenzorientierten Messung des Outputs steuern und verbessern zu können. Dies reflektiert auf überfachlicher Ebene u. a. Gruschka (2012) in seinen lesenswerten und kritischen Grundgedanken, insbesondere zu den diversen pädagogischen und wissenschaftlichen Hintergründen, Interessen und dann auch Beiträgen der Autoren zur Genese des Gutachtens, zum fragwürdigen definitorischen Gehalt des Kompetenzbegriffs nach Weinert (vgl. Gruschka, S. 81f.), der im Gutachten mit Bildung gleichgesetzt wird, zur Problematik der auf diesem unsoliden Fundament haltlosen Lehrplanentwicklung und zur fachlich desinteressierten bis desorientierten empirischen Bildungsforschung, die ohne Bezug zu fachlichen Verstehens- und Bildungsprozessen misst, skaliert und beschreibt, was messbar ist. Thiele erkennt ähnliche Brüche (vgl. 2012, S. 16ff.) und findet seinerseits fachspezifisch weitere Reduktionsschritte von Bildung zunächst auf Kompetenz, dann auf Output und letztlich auf Kognition. Ein kognitiver Output als Ergebnis von Kompetenzerwerb lässt die Bildungsangebote des Faches Sport inkompatibel erscheinen. Thiele verweist auf die empirisch belegbaren EindrückeFootnote 3 von inhaltlicher Beliebigkeit der „Bildungs“-Standards, die auf dem Mangel eines fachspezifischen Kompetenzmodells basieren, erkennt aber grundsätzlich eine Chance, die fachlichen Kernbestandteile der sportpädagogischen Bildungsansprüche in die „Sprache eines fachspezifischen Kompetenzdiskurses“ zu übersetzen (2012, S. 23).

Da immer noch kein Kompetenzmodell für das Fach Sport zugrunde liegen kann, müssen pragmatische Indikatoren für eine den Ansprüchen der Kompetenzorientierung gerecht(er) werdende Entwicklung von KLP im Fach Sport gewählt werden. Aus den bisherigen Überlegungen wären dies u. a. explizite Modellvorstellungen zum Erwerb von fachspezifischen Kompetenz(erwartung)en, begriffliche Klarheit der Konstrukte und Standards sowie inhaltliche und legitimatorische Bezüge zu ganzheitlich-fachlichen Bildungsansprüchen. Damit wird deutlich, dass die Analyse des Beitrags zu den „exekutiven Funktionen“ in dem Interesse erfolgt, den angekündigten Qualitätssprung oder zumindest eine Entwicklung tatsächlich zu entdecken.

Dieser Beitrag prüft also an einem als innovativ bezeichneten Beispiel, das insofern allerdings nicht „pars pro toto“ stehen kann, inwieweit allgemeine Probleme und typische Widersprüche im Kontext der kompetenzorientierten Lehrplanentwicklung fachspezifisch auf Länderebene überwunden werden können, wenngleich schon auf der Konzeptebene der Kompetenzorientierung teils unscharfe Begriffe und Konstrukte vorliegen und die paradigmatischen Ansprüche der empirischen Bildungsforschung nach fachspezifischen Kompetenzmodellen als Grundlage für die Formulierung von Bildungsstandards ihrerseits in der Fachdidaktik kaum erfüllt werden können bzw. werden (Thiele, 2012, S. 19). Wenn das Problem insgesamt wohl eher ausgesessen als angegangen wird, wie können dann auf Länderebene sinnvolle fachbezogene Kernlehrpläne mit Standards (Kompetenzerwartungen) entwickelt werden, die auf fachunspezifischen Modellen basieren müssen und die theoriefern und inflationär mit Begriffen arbeiten müssen, die mit Kompetenzorientierung im eigentlichen Sinne nur zufällig etwas zu tun haben können? Inwiefern ist die enge Festlegung der Ziele und der Inhalte des konkret zu planenden Unterrichts durch die Standards den Schüler*innen gegenüber pädagogisch vertretbar, wenn die Lehrplananforderungen selbst keiner pädagogischen Diskussion und Legitimation folgen?

Diese Fragen sind im Sport und darüber hinaus grundsätzlicher Natur für die Entwicklung von Kernlehrplänen, aber auch für die Kerncurricula in den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung. Ich möchte dies anhand des gewählten Beispiels mit vier Fragen in den Blick nehmen, um von dort abschließend Wünsche für die fachdidaktische Weiterentwicklung und für bessere Kernlehrpläne zu äußern, damit der Sportunterricht nicht trotz, sondern wegen seiner Lehrpläne guten Unterricht, Bildung und KompetenzerwerbFootnote 4 ermöglicht:

  1. 1.

    Was bedeuten die im Kontext der exekutiven Funktionen genannten Begriffe Selbstregulation, Fähigkeit zur Selbstregulation, Selbstregulationskompetenz und Kompetenz zur Selbstregulation im Beitrag von Aschebrock & Kleinfeld und in den Kernlehrplänen BW und NRW?

  2. 2.

    In welchem Verhältnis stehen diese Grundbegriffe zu den explizit auf sie bezogenen Kompetenzerwartungen der Kernlehrpläne BW und NRW und zu immanent (sport)pädagogischen Zielen?

  3. 3.

    Welche allgemeinen (sport)pädagogischen Risiken ergeben sich aus den spezifischen Desideraten zur Begriffsschärfe, zur Kompetenzmodellierung und zur Konstruktklarheit von Kernlehrplänen im Duktus „moderner Theorien zum Kompetenzerwerb“?

  4. 4.

    Wie kann und sollte es ausgehend von diesem „innovativen Beispiel“ mit der Kompetenzorientierung und der Outputsteuerung im Sportunterricht weitergehen?

Begriffserläuterungen und -klärungen im Kontext der exekutiven Funktionen

Lehrplantexte geben als „bildungspolitische Konsenspapiere“ (Poweleit, 2019, S. 96) mit normativem Charakter in der Regel keine Belege und Quellen an. Daher werden die von dem Autorpaar genutzten zentralen Begriffe zunächst textimmanent und im Blick auf die dort angegebenen Quellen dargestellt und erläutert, bevor der Versuch erfolgt, sie im Zusammenhang zu verstehen. Dies erfolgt im Hinblick auf die Begriffserläuterungen notwendigerweise etwas fragmentarisch, aber im Bemühen, den Kontext zu berücksichtigen.

Aschebrock und Kleinfeld (2021, S. 40) zitieren eingangs bei der Darstellung curricularer Entwicklungen im Kontext exekutiver Funktionen auf der schulfachübergreifenden Ebene aus der „Einführung in den Bildungsplan“ des Landes Baden-Württemberg. Dort heißt es: „Auch die ‚Fähigkeit zur Selbstregulation‘ nimmt in modernen Theorien der Kompetenzentwicklung eine immer prominentere Rolle ein“ (Pant, 2016, S. 11).

Welche modernen Theorien zur Kompetenzentwicklung Pant meint, erschließt sich bei der Lektüre des Originaltextes nicht. Es werden keine modernen Theorien zur Kompetenzentwicklung genannt bzw. zitiert, insbesondere nicht solche, die eine Veränderung des Stellenwerts exekutiver Funktionen gegenüber anderen Theorien ausweisen. Auf der anderen Seite nennt die gesamte Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ im Verweis auf ein Modell von Baumert die Begriffe Selbstregulation und Selbstregulationskompetenz nur ein einziges Mal, ohne sie darüber hinaus explizit zu erläutern (Baumert, nach BMBF, 2009, S. 68). Sie kommt gänzlich ohne den Begriff exekutive Funktionen aus, muss also vormodern sein.

Bezogen auf die „exekutiven Funktionen“ findet man im Begleitheft für Lehrkräfte zum Bildungsplan 2016 in den Erläuterungen zum Begriff „Selbstregulation“ weitere Konzepte:

Selbstregulation umschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen kontrollieren und steuern zu können. Sie spielt in allen drei Phasen des Lernens – bei der Planung, der Durchführung und der Bewertung – eine wichtige Rolle. Der Selbstregulation von Schülerinnen und Schülern liegen u. a. kognitive Prozesse zu Grunde, die in ihrer Gesamtheit auch als exekutive Funktionen bezeichnet werden. Die Förderung der Kompetenz zur Selbstregulation ist im Bildungsplan 2016 in der Leitperspektive „Prävention und Gesundheitsförderung“ ausdrücklich berücksichtigt. (Pant, 2016, S. 11f.)

Selbstregulation umschreibt offenbar einerseits eine Fähigkeit, zudem kann es anscheinend auch eine Kompetenz zu dieser Fähigkeit geben. Aus dem Kernlehrplan Sport (SI + II) für das Gymnasium in Baden-Württemberg stammt dann noch der Begriff „Selbstregulationskompetenz“, sie „ist im schulischen Kontext von großer Bedeutung, sowohl für den Erwerb der fachlichen Kompetenzen in allen Fächern als auch der sozial-emotionalen Kompetenzen während der gesamten Schulzeit“ (MKJS BW 2016b, S. 4).

Wenn man das Verständnis einer „Kompetenz zur Selbstregulation“ sucht, hilft der Originaltext mit einer üblichen, floskelhaften Bezugnahme (zitiert nach Pant, 2016, S. 9f.):

„Die Verfasserinnen und Verfasser des baden-württembergischen Bildungsplans waren gut beraten, sich auf ein in Pädagogik, Psychologie und Didaktik breit akzeptiertes Kompetenzverständnis festzulegen, das der Pädagogische Psychologe Franz Emanuel Weinert entwickelt hat. Ihm zufolge sind Kompetenzen definiert als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ (Weinert, zitiert nach Pant, 2016)

Begriffsdeutungen über verbale „Termumformungen“

Wie lässt sich diese Häufung von ähnlich klingenden Begriffen entwirren, deuten oder verstehen? Vielleicht helfen Äquivalenzumformungen in Analogie zur elementaren Algebra? Die Ausgangsgleichung lautet:

  • (I) Selbstregulation umschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen kontrollieren und steuern zu können.“ (Pant, 2016, S. 10)

Um zu verstehen, was nun die „Fähigkeit zur Selbstregulation“ meint, kann man für Selbstregulation die o. g. Umschreibung einsetzen. Dann wird aus dem Ausdruck „die Fähigkeit zur Selbstregulation“ die Sprachfigur:

  • (II) die Fähigkeit zur „Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen kontrollieren und steuern zu können“ (Pant, 2016, S. 10).

Es muss einen semantischen Unterschied machen, wenn man statt von „Fähigkeit zur …“ von „Kompetenz zur …“ schreibt, sonst würde man den Begriff Kompetenz ja nicht bemühen. Welchen Unterschied es genau macht, statt von einer „Fähigkeit zur“ von einer „Kompetenz zur“ Selbststeuerung zu sprechen, könnte ein „Sprach“-Term klären, der für den gerne auch als Kompositum verwandten Begriff „‑kompetenz“ die Definition von Kompetenz einsetzt. Allerdings kann dieser Term nicht so einfach gebildet werden, weil die zitierte Definition von Weinert nicht so leicht auf eine einzelne Kompetenz im Singular reduziert werden kannFootnote 5.

„Kompetenzen“ sind im Plural, also als „n*Kompetenz“ definiert. Dies bedeutet präziser, „n*Kompetenz“ sind:

  • (III) „die n (bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven na*Fähigkeiten und nb*Fertigkeiten, um nc*bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen nd*motivationalen, ne*volitionalen und nf*sozialen ng*Bereitschaften und nh*Fähigkeiten, um die ni*Problemlösungen in nj*variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können)“. Was bedeutet diese bestimmte Summe von unbestimmten Argumenten dann für eine singuläre Kompetenz? Wie wird diese definiert? Ist eine n/n*Kompetenz dann jeweils mit (a bis j = 1) die einzelne

  • (IV) singuläre kognitive (na/n)*Fähigkeit und (nb/n)*Fertigkeit, um ein (nc/n)*bestimmtes Problem zu lösen, sowie die damit verbundene (nd/n)*motivationale, (ne/n)*volitionale und (nf/n)*soziale (ng/n)*Bereitschaft und (nh/n)*Fähigkeit, um diese (ni/n)*Problemlösung in einer (nj/n)*variablen Situation erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können? Oder bleiben Weinerts komplexe Anforderungen im Sinne von (a bis j > 1) im Plural bestehen? Hierzu findet man keine genauen Aussagen, also muss für Singular/Plural offen formuliert werden:

  • (V) Eine Kompetenz ist (oder sind) „die bei Individuen verfügbare*n oder durch sie erlernbare*n kognitive*n Fähigkeit*en und Fertigkeit*en, um (ein) bestimmte*s Problem*e zu lösen, sowie die damit verbundene*n motivationale*n, volitionale*n und soziale*n Bereitschaft*en und Fähigkeit*en, um die*se Problemlösung*en in (einer) variablen Situation*en erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“

Das Argument zur „Kompetenz“ müsste nun in die „Kompetenz zur Selbstregulation“ eingesetzt werden, um sie in ihrer vollen moderner-theoretischen Komplexität zu würdigen. Was das Umschalten von „Fähigkeit zur …“ auf „Kompetenz zur Selbstregulation“ bedeutet, liest sich dann wie folgt:

  • (VI) Die „Kompetenz zur Selbstregulation“ ist (oder sind?) „die bei Individuen verfügbare*n oder durch sie erlernbare*n kognitive*n Fähigkeit*en und Fertigkeit*en, um (ein) bestimmte*s Problem*e zu lösen, sowie die damit verbundene*n motivationale*n, volitionale*n und soziale*n Bereitschaft*en und Fähigkeit*en, um die*se Problemlösung*en in (einer) variablen Situation*en erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können, die sich auf die Fähigkeit beziehen, die eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen kontrollieren und steuern zu können.“

Es ist zu hoffen, dass sich hinter der „Selbstregulationskompetenz“ nicht noch etwas anderes als die „Kompetenz zur Selbstregulation“ verbirgt und dass niemand auf die Idee kommt, eine „Fähigkeit zur Selbstregulationskompetenz“ zu erfinden.

Zum Zusammenhang von „Selbstregulationskompetenz“ und „exekutiven Funktionen“

Wesentlich für die Entwicklung der Selbstregulationskompetenz scheinen nun weitere kognitive Prozesse zu sein, denn: „der Selbstregulation […] liegen u. a. kognitive Prozesse zu Grunde, die in ihrer Gesamtheit auch als exekutive Funktionen bezeichnet werden“ (Pant, 2016, S. 10). Sofern man nicht von einem Zirkelschluss ausgeht, können diese Prozesse aber mit den im Kompetenzbegriff genannten kognitiven Fähigkeiten nicht gemeint, zumindest nicht deckungsgleich sein, denn einerseits sollten Prozesse keine Fähigkeiten sein und andererseits liegen diese Prozesse ja offenbar gemäß dem Desiderat von „modernen Theorien zur Kompetenzentwicklung“ (Pant, 2016, S. 11) dem Erwerb einer Kompetenz funktional zugrunde.

Um die Komplexität der Kompetenz-Algebra noch weiter zu strapazieren, erwähne ich nur kurz, dass Walk und Evers in den Erläuterungen zu den drei prozesshaften Teilaspekten teilweise auch von Fähigkeiten sprechen (2013). So ist die Inhibition „die Fähigkeit, einem ersten (unangemessenen) Impuls zu widerstehen …“ (Walk & Evers, S. 13), und kognitive Flexibilität ist eben kein bzw. nicht nur ein Prozess, sondern „die Fähigkeit, sich auf neue Situationen oder Anforderungen einstellen zu können“ (S. 15). Und Walk und Evers sehen nun tatsächlich in den gut entwickelten Fähigkeiten bzw. Prozessen der exekutiven Funktionen, also zum Beispiel in der Inhibition als Fähigkeit zur Impulskontrolle oder der kognitiven Flexibilität als Fähigkeit, sich auf neue Situationen einstellen zu können, die notwendige Basis, für u. a. „folgende Kompetenzen“ (S. 9): „Impulskontrolle […] und flexibles und adaptives Verhalten“. Runder kann ein Zirkelschluss nicht gelingen und noch viel unbedarfter kann man mit dem Kompetenzbegriff nicht umgehen.

  • (VII) Die Fähigkeit zur Impulskontrolle ist als einer von drei Bestandteilen der exekutiven Funktionen eine Grundlage für die Ausbildung einer Kompetenz zur Impulskontrolle, d. h. „die bei Individuen verfügbare*n oder durch sie erlernbare*n kognitive*n Fähigkeit*en und Fertigkeit*en, um (ein) bestimmte*s Problem*e zu lösen, sowie die damit verbundene*n motivationale*n, volitionale*n und soziale*n Bereitschaft*en und Fähigkeit*en, um die*se Problemlösung*en in (einer) variablen Situation*en erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können, die sich auf die Fähigkeit beziehen, die eigenen Impulse kontrollieren und steuern zu können.“

Es ist zu befürchten, dass u. a. diese Veröffentlichung gemeint sein könnte, wenn Pant formuliert: „Auch die Fähigkeit zur Selbstregulation nimmt in modernen Theorien zum Kompetenzerwerb eine immer prominentere Rolle ein“ (Pant, 2016, S. 11).

Exekutive Funktionen in der Form von Kompetenzerwartungen und als sportpädagogische Kategorie

Zunächst liegt der Fokus auf einem fachunspezifischen Lehrplankonstrukt, den sogenannten Kompetenzerwartungen, um verstehen zu können, welche Ansprüche die Kernlehrpläne im Bereich der exekutiven Funktionen formulieren. Anschließend soll reflektiert werden, inwieweit die exekutiven Funktionen als (sport)pädagogische Kategorie dienen können.

Kompetenzerwartungen zu exekutiven Funktionen

Der Begriff „Kompetenzerwartungen“ bildet eine Art Zwischenschicht in der intentionalen Dimension. Kompetenzerwartungen finden sich z. B. in NRW unterhalb einer sehr abstrakten umfassenden Handlungskompetenz, die auf der Lehrplanebene in weitere Komponenten (Bewegungs- und Wahrnehmungskompetenz, Sach‑, Methoden- und Urteilskompetenz) zerlegt wird, und den konkreten Lernzielen in Unterrichtsstunden und -vorhaben, die auf der schulischen Ebene den Erwerb der notwendigen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften leiten sollen, damit die Kompetenzerwartungen erfüllt werden können (MSB, 2019, S. 8):

„Mit dem Ziel einer umfassenden Handlungskompetenz in Bewegung, Spiel und Sport beschreibt der Kernlehrplan für den Sportunterricht der Sekundarstufe I beobachtbare fachliche Anforderungen und überprüfbare Lernergebnisse in Form von Kompetenzerwartungen“,

definiert der KLP SI G9 in NRW auch für andere Bundesländer typisch (vgl. Ruin, & Stibbe, 2014, S. 171). Kompetenzerwartungen, so heißt es weiter (MSB, 2019, S. 11f):

„beziehen sich auf beobachtbare Handlungen und sind auf die Bewältigung von Anforderungssituationen ausgerichtet,

stellen im Sinne von Regelstandards die erwarteten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten auf einem mittleren Abstraktionsgrad dar,

beschreiben Ergebnisse eines kumulativen, systematisch vernetzten Lernens,

können in Aufgabenstellungen umgesetzt und überprüft werden.“

In steuerungstheoretischer Hinsicht übernehmen Kompetenzerwartungen also landesspezifisch die Funktion der fehlenden nationalen Bildungsstandards (vgl. Roth, 2012, S. 69). Sie sollen, zumindest gemäß MSB (2019, S. 9), so hinreichend konkret und offen zugleich formuliert sein, dass sie für die Umsetzung in Performanzsituationen operationalisierbar sind. Roth weist bereits auf inkonsequente Handhabungen in den Vorgänger-KLP in NRW hin (2012, S. 69).

Im Vergleich zu den begrifflichen Höhenflügen der „Selbstregulationskompetenz“ kommen die im Beitrag von Aschebrock und Kleinfeld (2021, S. 41) zitierten Kompetenzerwartungen aus dem frischen Kernlehrplan BW der SI schon eher bescheiden daher: „Die Schülerinnen und Schüler können mit Emotionen (zum Beispiel bei Konflikten, Sieg oder Niederlage) umgehen und sie reflektieren“ (MKJS BW 2016c, S. 31). Ob eine solche Formulierung bei der qualitativen Unbestimmtheit eine dem Anspruch von Kompetenzerwartungen entsprechende, niveaustufendifferenzierte Evaluation ermöglicht, muss der Praktiker vor Ort entscheiden.

Man muss Aschebrock und Kleinfeld (2021) darüber hinaus beinahe schon dankbar sein, dass sie eine prozessbezogene Kompetenzerwartung aus dem Lehrplan für die Grundschule in Baden-Württemberg nicht erwähnen. In dieser drückt sich das hohe Vertrauen der Lehrplanschreibenden in die „Personalkompetenz“ der Kinder aus – oder eine maßlose Überforderung: „Die Schülerinnen und Schüler können ihre Selbstregulationsfähigkeit durch die Förderung der exekutiven Funktionen (Arbeitsgedächtnis, Inhibition/Impulskontrolle, kognitive Flexibilität) stärken und entwickeln“ (MKJS BW 2016a, S. 10).

Wenn unter dem Dogma der neuen Steuerung behauptet wird, dass der schulische Unterricht, also das konkrete Lernen der Kinder über den Output, also über die Qualität des Erreichens der Kompetenzerwartungen gesteuert wird (Aschebrock & Kleinfeld, 2021, S. 40), müssten doch entweder die landesweiten schulischen Evaluationen nachweisen, dass die Mehrheit der Grundschüler*innen beim Wechsel auf die weiterführende Schule in der Lage ist, den Begriff Selbstregulation von dem der Selbstregulationsfähigkeit zu unterscheiden und darüber hinaus in seiner funktionalen Beziehung zu den exekutiven Funktionen modellieren zu können, um in der Lage zu sein, die eigene Inhibition als Fähigkeit zur Impulskontrolle über die Förderung der Inhibition als Fähigkeit zur Impulskontrolle zu stärken und zu entwickeln.

Der Kernlehrplan für Grundschüler*innen benennt also in der Form einer Kompetenzerwartung als operationalisierbares Item einer Kompetenz die Selbstregulationsfähigkeit, die in der „moderneren Theorie“ als eine Basis für die Kompetenz zur Kompetenzentwicklung gehandelt wird. Hier scheinen mir mehrere Kategoriensprünge vorzuliegen, die zumindest Grundschüler*innen nur schwerlich auflösen können.

Wenn nun die Outputsteuerung tatsächlich erfolgen, greifen und funktionieren würde, dann verfügte ein Großteil der Grundschüler*innen entweder direkt oder nach einer ‚qualitätssichernden Ehrenrunde‘ über diese Fähigkeit bzw. diese Kompetenz bzw. diese Teilkompetenz, die je nach Kontext als eine Basis für die Kompetenz zur Kompetenzentwicklung gilt. Wenn also die Kinder spätestens ab der Klasse 5 schon über das Wissen, Können und Wollen verfügen, in der Anwendung ihres Wissens und Wollens auf sich selbst ihre Fähigkeit zur Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen kontrollieren und steuern zu können zu entwickeln, wozu braucht es dann noch Implementationsmaterialien für die Lehrkräfte der weiterführenden Schulen?

Exekutive Funktionen als (sport)pädagogische Kategorie?

Auf einer weiteren Relationsebene ist zu fragen, in welchem Verhältnis die anzustrebenden Kompetenzerwartungen zu sportpädagogisch legitimierten Bildungsansprüchen stehen. Aschebrock und Kleinfeld reflektieren, dass es sich bei den exekutiven Funktionen letztlich um ein überfachliches, neurobiologisches Konstrukt handelt (ebd., S. 42). Der Sportunterricht übernimmt also durchaus eine dienende Funktion, denn positive Effekte „einer verbesserten Fähigkeit zur Selbstregulation“ können „eine Steigerung der Aufmerksamkeit und Konzentration des Lernerfolges und der Lernbereitschaft sowie eine Verbesserung des Lernklimas zur Folge haben“, wie die Autoren aus dem KLP NRW zitieren (MSB, 2019; zitiert nach Aschebrock & Kleinfeld, 2021, S. 41).

Wer sich, wie auch Pfitzner et al. (2021, S. 7f.), noch an die Instrumentalisierungsdebatte erinnert, die das Wesen sportpädagogischer Begründungsmuster und Bedenken produktiv kontrastiert hat, der erkennt hier eine neue Dimension der Instrumentalisierung von Bewegung und Sport: „Lernförderung durch Bewegung“ als Titel des Themenhefts, Verbesserung der Fähigkeit zur Selbstregulation als mögliches Ziel des Sportunterrichts und exemplarisch eine Kompetenzerwartung, die von Sechstklässlern in NRW verlangt, dass sie „lernförderliche Spiele und Spielformen unter Berücksichtigung ausgewählter Zielsetzungen (u. a. Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit) kriterienorientiert entwickeln und spielen“ können (MSB, 2019, S. 33), lassen jeglichen Eigenwert sportlichen Handelns, Fragen nach der Zweckfreiheit des Tuns und der Sinnstiftung oder der Bewegungsfreude schmerzlich vermissen.

Prohl resümiert ein Bedenken Schallers gegenüber der Verzweckung des Sports. Demnach bestehe die Sorge, dass jede Instrumentalisierung des Sports auch die Menschen instrumentalisiere, die ihn betreiben. Es bestehe „die Gefahr der Manipulation der Schüler, weil die sportfremden Zwecke von anderen (dem Lehrer) gesetzt würden, oft insgeheim und nicht erkennbar“ (1999, S. 159). Hier geht die Entwicklung einen bemerkens- und bedenkenswerten Schritt weiter. Der KLP fordert nun, dass die Sechstklässler*innen den Sport und sich selbst instrumentalisieren können sollen. Die Fähigkeit zur Selbstregulation zu steigern, damit in einem impulskontrollierteren Lernklima die vorgegebenen Kompetenzerwartungen aller Fächer besser, zielstrebiger und weniger abgelenkt erreicht werden können, klingt weder kindgemäß noch emanzipatorisch. Es ist eine neuartige Form der expliziten Selbstinstrumentalisierung des Spielens und der Schüler*innen durch die Schüler*innen selbst. Inwieweit hier fachspezifische Bildungskategorien und allgemeine pädagogische Leitgedanken reflektiert und berücksichtigt wurden, legen die Texte nicht offen.

Risiken fehlender Begriffsschärfe, Kompetenzmodellierung und Konstruktklarheit im Duktus „moderner Theorien zum Kompetenzerwerb“

Aus der hier vorliegenden, exemplarischen Analyse einer wenig sachgerechten Begriffsverwendung auf ein allgemeingültiges Phänomen im Kontext der Lehrplanentwicklung zu schließen, kann sicher problematisch sein. Ich wage es mit einem exemplarischen Verweis auf die bereits erwähnten lehrplananalytischen Arbeiten von Ruin und Stibbe (2014, S. 172) und Roth (2012) dennoch und freue mich über jeden Diskussionsbeitrag, der im Kontext der Kompetenzdebatte im Fach Sport und der sich darauf berufenden Lehrplanentwicklung qualitativ überzeugendere Beispiele in einem quantitativ signifikanten Ausmaß aufzeigt. Wenn man begrifflich unscharf und wenig modellaffin Kernlehrpläne entwickeln mussFootnote 6, ergeben sich Risiken, die Schüler*innen und ihre Lehrkräfte (sport)pädagogisch unreflektiert betreffen.

  1. 1.

    Die scheinbare Beliebigkeit, mit der man den Kompetenzbegriff im Lehrplankontext quasi synonym mit dem Fähigkeitsbegriff nutzen kann, wird meines Erachtens schon zu lange in der Diskussion um Bildungsstandards und Kerncurricula nicht nur in der Schule und nicht nur im Fach Sport toleriert und unhinterfragt geduldet. Die Kluft zwischen den allgemeinen Ansprüchen an die Entwicklung von Bildungsstandards und deren konkreter Umsetzung wird nicht erkennbar geschlossen. Dies kann zu Unglaubwürdigkeit und mangelnder Überzeugungskraft nach innen und außen führen.

  2. 2.

    Wenn die aus der Klieme-Expertise erwachsenen Anforderungen an fachspezifisch zu entwickelnde Kompetenzmodelle als Paradigmen für die Entwicklung von Kernlehrplänen nicht ernster genommen werden, können leichter lediglich pragmatische Setzungen von „Standards“ im Kontext von teils überfachlichen Strukturmodellen erfolgen. Daraus kann sich sehr leicht ergeben, dass einerseits der fachliche Kern nicht erkennbar und definierbar wird. Darüber hinaus erschweren die als solche bezeichneten kompetenzorientierten Kernlehrpläne eine wirkliche Kompetenzorientierung in dem Maße, in dem sie das Abarbeiten an einer besonderen Form wohlklingender, mittel- bis überabstrakter Lernzielkataloge ohne Bezug zu fachlichen Kompetenzen in Gang setzen können, wie am Beispiel des überfachlichen Konstrukts der „exekutiven Funktionen“ deutlich wird.

  3. 3.

    Die aufgrund eines fehlenden fachlichen Kompetenzmodells unbeschränkte Offenheit der Kernlehrpläne für die quasi urwüchsige und nicht begründbare Formulierung beliebiger, neuer, moderner oder innovativer Kompetenzerwartungen, die keiner fachlichen, bildungstheoretischen und lernpsychologischen Diskussion entspringen können, kann von der Beschränktheit der Diskussion über einen tatsächlichen Kern von fachlichen Bildungszielen ablenken. Das Verhältnis von Bildung und Kompetenz, die Leerstellen und Unterschiede bleiben verborgen, denn man ist im Klein-Klein der Erfindungsfreude so sehr beschäftigt, dass der Blick gar nicht mehr auf das fehlende Ziel des Ganzen gerichtet wird.

  4. 4.

    In dem Maße, in dem die Menge an Kompetenzerwartungen (d. h. der Bildungsstandards) unspezifisch ausufert, gefährdet man die Figur eines Kernlehrplans, wenn man etwa den Vergleich zu einer Frucht wie der Kirsche ziehen möchte. Die Gefahr, dass das Anbahnen semiabstrakter Kompetenzerwartungen als der Kern des Unterrichts den gesamten Raum der Frucht einnehmen kann, wächst. So bleibt immer weniger Zeit für individualisierte, interessensorientierte, schülerorientierte, aktualitätsbezogene oder regionale Ausrichtungen des „Kulturguts“ Sport als das süße Fruchtfleisch des Unterrichts.

Quo vadis, kompetenzorientierter Sportunterricht? Oder: Quando vadis, Kompetenzorientierung?

Ich bin mit meinen exemplarischen Reflexionen zu den exekutiven Funktionen als „Leuchttürme moderner Theorien zur Kompetenzentwicklung“ im Lehrplan Sport im Sinne der Analyse am Ende und habe das Gefühl, dass „der Kaiser nackt ist“. Einige der Risiken dieser Entwicklung habe ich aufgezeigt. Gerade deshalb möchte ich an diesem „innovativen“ Beispiel der Entwicklung kompetenzorientierter Lehrpläne die oben gestellte Frage erneut aufwerfen: Wie kann und sollte es ausgehend von diesem Beispiel mit der Kompetenzorientierung und der Outputsteuerung weiter gehen? Beziehungsweise wann fängt sie überhaupt erst an? Diese Frage beziehe ich auf (1) die vernachlässigte Entwicklung von fachspezifischen Kompetenzmodellen, (2) die Qualität von Kompetenzerwartungen bzw. Bildungsstandards als Grundlage der Outputsteuerung sowie (3) die vorgeschlagenen Unterrichtsprinzipien zum Erwerb von Kompetenz(en) und deren Konnotationen, bevor ich Wünsche für die sportpädagogische Weiterentwicklung zur Diskussion stelle.

  1. 1.

    Zumindest in den „vormodernen“ Theorien zur Kompetenzentwicklung galten fachspezifische Kompetenzmodelle noch als notwendige, paradigmatische Basis für die Entwicklung von Bildungsstandards, und nur auf einer derartigen Grundlage wäre die Entwicklung kompetenzorientierter Kernlehrpläne und die Ausformulierung von Niveaustufen denkbar und legitimierbar (BMBF, 2009). In welchem Maße können, wollen und müssen wir also die Geschichte von der Kompetenzorientierung in unserem Fach tatsächlich noch ernst nehmen und weiter mit (er)tragen, solange kein tragfähiges Kompetenzmodell für unser Fach erarbeitet wird? Hier sollte bitte ein Kreis von Experten trotz aller fachspezifischen Differenzen sowie der ggf. geteilten Kritik und Ablehnung des Konzepts der Kompetenzorientierung Verantwortung übernehmen, damit bessere Bildungsstandards entwickelt werden können, die dieses Etikett ansatzweise zurecht tragen.

  2. 2.

    Eine systematische Outputsteuerung über die Diagnose und Evaluation erreichter „Kompetenzerwartungen“, die zu tatsächlichen Maßnahmen zur systemischen Qualitätsentwicklung schulischer Arbeit führen, ist sicher die absolute Ausnahme. Auf der anderen Seite legen die Kernlehrpläne durch die schiere Menge an teilweise unsachgemäßen, entgegen der Anforderungen nicht standardisiert operationalisierbaren Kompetenzerwartungen und mit den daraus erwachsenden Herausforderungen an die fachliche Auslegung und die notwendige kognitive Aufbereitung der Begriffe im Unterricht den Input fester, als es das Konzept der Outputsteuerung zugibt. Welchen „pädagogischen Schaden“ würde es anrichten, bei der Entwicklung von Kernlehrplänen weniger, aber dafür bessere Standards zu formulieren? Hier sollten die Bildungspläne quantitativ deutlich entschlackt und in Kombination mit dem ersten Aspekt qualitativ deutlich aufgepeppt werden.

  3. 3.

    Am wichtigsten ist mir ein Punkt, der die konkrete Ausgestaltung des Unterrichts betrifft. Aktuell werden im Kontext der Kompetenzorientierung Konzepte wie „Aufgabenkultur“ (Pfitzner, & Aschebrock, 2013), „Selbstregulation“, „exekutive Funktionen“ oder „reflektierte Praxis“ (MSB, 2019, S. 7ff.; Serwe-Pandrick, 2013) hoch gehandelt. Sie beschränken semantisch und unterrichtsdidaktisch in meinen Augen das individuelle Handeln der Schüler*innen auf das effektive Befolgen von Arbeitsaufträgen. In (sport)pädagogischer Hinsicht empfinde ich hierbei die Verkürzung der „exekutiven Funktionen“ auf die Fähigkeit zur reinen Ausführung von Aufgaben als traurig und unangemessen. Warum geht es nicht im sportpädagogischen Sinne einer Demokratieerziehung (vgl. z. B. Neuber, 2019) um das Finden und Formulieren von Wünschen? Wo bleiben das Aushandeln, Abstimmen, Erproben und Aushalten gemeinsamer Ziele? Warum soll die sportliche Praxis in der ersten Konnotation des Konzepts „reflektierte Praxis“, wie es zumindest in NRW für die Gestaltung des Unterrichts vereinnahmt wird, nur als gegebene Praxis erlebt werden, statt sie als eine gemeinsame Praxis zu gestalten?Footnote 7 Hier sollten die Formeln „Aufgabenkultur“ und „reflektierte Praxis“ mindestens erweitert werden. Und es lohnt sich dazu ein Blick in frühe Explikationen exekutiver Funktionen.

Wünsche und Ziele statt nur Aufgaben, Gestaltete Praxis statt nur Reflexion von Praxis – neue alte Leitbegriffe für die „exekutiven Funktionen“ und die Kompetenzdebatte im Fach Sport

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die „exekutiven Funktionen“ ein Konstrukt der Neuro- und Kognitionswissenschaften sind, die offenbar besonders gut über körperliche Aktivität zu beeinflussen und zu erwerben sind, was aber nicht zwingend an die Domäne des Sports gebunden ist. Das Ausprägen solcher kognitiven Strukturen über das Vehikel von Bewegung, Spiel und Sport, die für alle schulischen Fächer Lern- und Leistungsoptimierungen sowie bravere, impulskontrollfähigere Kinder versprechen, kann eine günstige Legitimationsfigur für den Stellenwert der physischen Bewegung und den Erhalt der Relevanz des Faches sein, da dies auch im Sportunterricht stattfinden kann. Aber ob dies zum Kern fachlicher Kompetenzen gehören soll, müsste bildungstheoretisch und sportpädagogisch gut begründet werden.

Muriel Lezak (1982, S. 281) war noch etwas offener, im Hinblick auf Kreativität und Gestaltung mutiger und gesellschaftsbezogen zukunftsgewandter, als sie exekutive Funktionen konzeptionierte: „The capacities for formulating goals, planning, and carrying out plans effectively—the executive functions—are essential for independent, creative, and socially constructive behaviour.“ Darf man Unabhängigkeit, Kreativität und soziale Konstruktivität als Analoga zur Komplexität eigenständigen, kompetenten Handelns denken?

Es ist schade, dass es von den lebensbereichernden, die Gesellschaft gestaltenden, Partizipation und Mitbestimmung ermöglichenden Teilfunktionen der exekutiven Funktionen in den Konzeptionen der 1980er Jahren nur drei in den Lehrplan geschafft haben, die auf ein effektiveres Umsetzen von vorgegebenen Aufgaben abrichten. Die nächsten Generationen müssen die Probleme lösen, die wir ihnen mit unserem Handeln bereitet haben. Dazu müssen sie aber gerade genau anders handeln und gestalten, als sie es von unserem Beispiel lernen können.

Wir sollten im Sinne von Neuber (2019) in der Schule allgemein und speziell im Fach Sport unter der Anleitung guter Kernlehrpläne mehr tun, damit Heranwachsende den Geist von individueller Freiheit im Rahmen gemeinsam getragener Entscheidungen, also von Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortlichkeit positiv und freudvoll erleben und als Prinzip verinnerlichen.