Seit vielen Jahren gibt es Forderungen, der Unterricht solle gerade in der gymnasialen Oberstufe phasenweise eine Aufhebung der Fachgrenzen zugunsten eines fächerübergreifenden Unterrichts ermöglichen, um Schüler*innen an die Wissenschaftspropädeutik heranzuführen (KMK, 2021). Es sollen wissenschaftspropädeutische Kompetenzen aufgebaut werden, die es den Schüler*innen ermöglichen, auf fachlichen Grundlagen fußend, Zusammenhänge zwischen Disziplinen, aber auch fachliche Grenzen zu erkennen. Um Zusammenhänge sowie Grenzen zu erfahren, ist ein ergänzender fächerübergreifender Unterricht unabdingbar (KMK, 2021; Ukley, Gröben, Wegner, & Spintzyk, 2013). Mannigfaltige Publikationen beschäftigen sich konzeptionell-reflektorisch mit fächerübergreifendem Unterricht in der Fachkombination aus Sport und Biologie (u. a. Hüfner, Mergelkuhl, Röllke, Kastrup, & Wilde, 2016; Kramer & Wegner, 1,2,a, b; Krombholz & Fischer, 2018). Vor allem der Sportunterricht bietet anderen Fächern einzigartige Anknüpfungsmomente zur praktischen Veranschaulichung theoretischer Konzepte (Ukley et al., 2013). So kann beispielsweise die Wirkungsweise exekutiver Funktionen bei Lernprozessen durch die Erfahrung ihrer Auswirkungen in sportpraktische Übungen erlebbar und damit nachvollziehbar gemacht werden (Kramer, Großecosmann & Wegner, im Druck). Gleichzeitig profitiert ein mehrperspektivisch orientierter Sportunterricht von einer potenziellen Steigerung kognitiver Aktivierung der Schüler*innen (Balz, 2021). Trotz dieser vielversprechenden Argumente stellt sich die Erforschung fächerübergreifenden Unterrichts an der Schnittstelle zum Sportunterricht sehr eindimensional und limitiert dar, da in aktuellen Studien vorrangig der Wissenserwerb untersucht wird und weitere theoretisch diskutierte Auswirkungen fächerübergreifenden Unterrichts wie u. a. affektive Faktoren kaum erforscht werden (Kramer & Wegner, 2020a). Demnach muss ein fächerübergreifend orientierter Sportunterricht primär in seinen strukturellen Merkmalen und hinsichtlich seiner potenziellen Auswirkungen auf die Schüler*innen und Lehrer*innen stärker empirisch im Vergleich zum Fachunterricht untersucht werden, um den didaktischen Diskurs über eine vermehrte Umsetzung nicht allein auf der Grundlage konzeptioneller Ideen, sondern zusätzlich durch empirische Befunde zu beleben (Balz, 2021; Kramer & Wegner, 2020a). In diesem Artikel soll vor allem ein strukturell orientierter Blick auf einen fächerübergreifenden Sportunterricht geworfen werden. Nach Labudde (2003) unterscheidet sich ein Fachgrenzen überschreitender Unterricht u. a. in seinen konstruktivistischen Prozessmerkmalen vom Fachunterricht. Knüpfen Schüler*innen an ihr Vorwissen an, das nicht in Fachdisziplinen getrennt vorliegt, und konstruieren aktiv neues Wissen in subjektiv relevanten Kontexten, kann dies nicht in einer Fachdisziplin geschehen und muss notwendigerweise Fachgrenzen überwinden, um relevante Fragestellungen beantworten zu können. Ein solcher Unterricht sei demnach situativer, aktiver und konstruktiver (Labudde, 2003). Inwiefern sich ein fächerübergreifender Unterricht in diesen Merkmalen vom Fachunterricht abgrenzt, wird in der vorliegenden Studie näher untersucht. Dies dient einer ersten Charakterisierung eines fächerübergreifend orientierten Sportunterrichts und bietet zudem Anknüpfungspunkte an potenziell positive Auswirkungen für den Sportunterricht und damit zusammenhängend auch für die Schüler*innenschaft.

Kognitive Aktivierung im Sportunterricht

Die Erforschung eines mehrperspektivischen Sportunterrichts erhält im aktuellen Diskurs um die kognitive Aktivierung im Sportunterricht einen immer größeren Stellenwert und eine empirische Legitimation. Unter kognitiver Aktivierung wird eine von drei Basisdimensionen (kognitive Aktivierung, effektive Klassenführung, unterstützendes Unterrichtsklima) verstanden, die durch Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung als besonders bedeutsam für die Unterrichtsqualität im Sinne eines motivierenden und lernwirksamen Unterrichts herausgestellt werden (Lipowsky & Hess, 2019). Nach Lipowsky (2015) ist unter kognitiver Aktivierung, die Anregung der Lernenden „zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand“ zu verstehen (S. 89). Anders ausgedrückt ist hiermit die Intention gemeint, durch komplexe Aufgaben kognitive Aktivität, „also subjektive Konstruktionsprozesse“ (Sygusch, Hapke, Liebl, & Töpfer, 2021, S. 170), bei den Schüler*innen auf einem lernwirksamen Niveau durch die Lehrkraft anzuregen (Hermann, Seiler, & Niederkofler, 2016; Niederkofler & Amesberger, 2016; Sygusch et al., 2021). Sie ist daher für das fachliche Wissen sowie das Verstehen und die Beurteilung von Sachverhalten relevant und stellt das Fach Sport vor eine Herausforderung, da es neben einer kognitiven, vielmehr durch eine physische Aktivität gekennzeichnet ist (Balz, 2021). Es stellt sich somit die Frage nach der generellen Umsetzbarkeit kognitiver Aktivierung im Sportunterricht, da häufig nur bestimmte Fertigkeiten erlernt werden, die kognitiv nicht interpretiert werden müssen (Balz, 2021; Messmer, 2021). Allerdings ist es im Sportunterricht ebenfalls wichtig, die sportliche Tätigkeit zu verstehen (Messmer, 2021). Eine mögliche Perspektive lässt sich daher über einen mehrperspektivischen Sportunterricht einnehmen, der eine Betrachtung des Sports aus verschiedenen Perspektiven zulässt und komplexe Phänomene erschließen kann (Balz, 2021). Einem solchen Unterricht ist die kognitive Aktivierung inhärent, da die Einnahme von und das Wechseln zwischen unterschiedlichen Perspektiven Kognitionen aufbauen und verändern (Balz, 2021). Kontrastierend besteht eine unzureichende Realisierung von Unterrichtskonzepten zur kognitiven Aktivierung und ein Evaluationsdefizit eines speziell mehrperspektivischen Sportunterrichts, dem mit der vorliegenden Studie begegnet werden soll (Balz, 2021).

Den theoretischen Hintergrund der kognitiven Aktivierung bilden konstruktivistische Lerntheorien, die eine eigenständige Konstruktion neuen Wissens betonen (Lipowsky, 2015; Lipowsky & Hess, 2019; Sygusch et al., 2021). Die vorliegende Studie untersucht daher einen fächerübergreifenden Unterricht im Fächerverbund Sport und Biologie im Vergleich zu den Einzelfächern bezüglich ihrer konstruktivistischen Prozessmerkmale. Darauf aufbauend sollten sich weitere Studien zur Eruierung der Effektivität (bspw. affektiv-motivationale Aspekte, kognitive Aktivierung) anschließen.

Gemäßigter Konstruktivismus

Wie bereits erörtert, entspringt die kognitive Aktivierung einer konstruktivistischen Lerntheorie, die als Grundlage der Studie fungiert.

Zunächst sei sie von der erkenntnistheoretisch geprägten Form des radikalen Konstruktivismus von Glaserfeld (1984) abgegrenzt. Diese Theorie beschreibt die Aneignung von Wissen immer als einen aktiven und individuellen Konstruktionsprozess. Die Wirklichkeit kann durch die eigenen Sinnesleistungen und durch das Vorwissen eines jeden Individuums nicht ganzheitlich und objektiv erfasst werden, weswegen auch kein geteiltes Wissen zwischen Individuen möglich ist (Glaserfeld, 1984). Diese Position erschwert den Austausch im didaktischen Segment. Dort bietet der lerntheoretische Ansatz von Reinmann und Mandl (2006) gute Anknüpfungspunkte, da sie sich für eine gemäßigte Position aussprechen, in der geteiltes Wissen sowie Instruktionen möglich sind. Instruktionen gänzlich durch offene Lernumgebungen im Sinne einer individuellen und aktiven Wissenskonstruktion jedes Lernenden zu substituieren, führt zu einer Überforderung zumeist schwächerer Schüler*innen und zu einer geringen Lenkung des Unterrichts (Reinmann & Mandl, 2006). Gerade unter Betrachtung dieser Gefahr muss das Vorwissen der Schüler*innen sehr genau beachtet und für die Gestaltung der Lernumgebung miteinbezogen werden. Reinmann und Mandl (2006) sprechen sich in der Umsetzung für eine Problemorientierung als zentrales Leitprinzip ihres gemäßigten Konstruktivismus aus. Für die Aneignung des benötigten Fundaments postulieren Reinmann und Mandl (2006) eine Unabdingbarkeit der Instruktion.

Doch wie gestaltet sich ein konstruktivistischer Lernprozess im Sinne des gemäßigten Konstruktivismus? Reinmann und Mandl (2006) stellen hierzu sechs Prozessmerkmale des Lernens auf:

Innerhalb eines effektiven Lernprozesses sollte der Lernende eine aktive Rolle einnehmen, da Lernen selbst auch immer ein aktiver Prozess ist (Terhart, 1999; Reich, 2005). Dieser Prozess kann von außen lediglich angestoßen, aber nie gesteuert werden (Terhart, 1999).

Im Sinne eines selbstgesteuerten Lernens müssen die Lernenden ihre Lernprozesse selbstverantwortlich steuern und kontrollieren können (Desch, Basten, Großmann, & Wilde, 2017). Dies ist je nach Lernsituation in verschiedener Stärke möglich (Reinmann & Mandl, 2006).

Das Lernen stellt immer einen konstruierenden Prozess dar (Reinmann & Mandl, 2006). Das Vorwissen sowie die Fertigkeiten und Fähigkeiten der Lernenden bilden dabei die Grundlage, in die der neue Inhalt integriert und so neues Wissen konstruiert wird (Desch et al., 2017).

Ein Lernprozess ist immer emotional geprägt (Reinmann & Mandl, 2006). Positive Emotionen (Freude, Interesse) können dem Lernprozess dienlich sein, während negativ konnotierte Emotionen (Frustration, Angst) eine hemmende Wirkung haben können (Urhahne, Marsch, Wilde, & Krüger, 2011).

Lernprozesse sind zudem immer situativ an bestimmte Kontexte gebunden (Reinmann & Mandl, 2006). Es ist zu empfehlen, möglichst authentische und alltagsnahe Kontexte der Lernenden zu wählen (Desch et al., 2017).

Zuletzt ist ein Lernprozess immer durch eine soziale Komponente geprägt, da sich Lernen meist in Interaktion mit anderen Lernenden vollzieht (Reinmann & Mandl, 2006).

Diese lerntheoretische Position des gemäßigten Konstruktivismus sei leitender Gedanke der vorliegenden Studie, in der die Prozessmerkmale spezifischer untersucht werden.

Konstruktivismus im Sport- und Biologieunterricht

Im Sportunterricht geht es um die Lösung motorischer Probleme, die nicht selten aus dem Alltag der Schüler*innen (Balancieren auf einer Wegbegrenzung o. ä.) stammen (Brodtmann & Landau, 1982). Diese Probleme sind situativ nahe an den Alltagserfahrungen der Schüler*innen und bieten damit eine günstige Ausgangslage für einen konstruktivistisch orientierten Unterricht. Bei der Lösung der Probleme nimmt der Sportunterricht eine Sonderstellung im Vergleich zu den meisten Fächern ein, denn Probleme können hier anders als in kognitiv orientierten Fachdisziplinen nicht von anderen Schüler*innen für die eigene Person gelöst werden (Brodtmann & Landau, 1982). Neben den Bewegungsproblemen seien ebenfalls jene zu nennen, die eine fächerübergreifende Auseinandersetzung verlangen (Brodtmann & Landau, 1982). Daher gibt es Bestrebungen zu einer stärker kognitiv aktivierenden Herangehensweise (s. Kognitive Aktivierung im Sportunterricht). Denn Sportunterricht ist wichtig, um Schüler*innen neben der Bewältigung von Bewegungsproblemen auch über die Wichtigkeit eines gesunden und aktiven Lebens aufzuklären (Sun, Chen, Zhu, & Ennis, 2012). Davon ausgehend, entwickelten sich vorrangig im amerikanischen Raum sportpädagogische Ansätze, die sich auf einen sozialen Konstruktivismus stützen und Wissen für ein langes und gesundes Leben vermitteln (Azzarito & Ennis, 2003). Die zusätzliche kognitive Komponente erweist sich als ein Bindeglied zwischen der physischen Erfahrung und der Bedeutung für das eigene Leben (Fernández-Balboa, 1997). Der Sportunterricht erhält hierdurch einen höheren Stellenwert und gewinnt an Relevanz. Bisherige Studienergebnisse legen positive Effekte dieses konstruktivistischen Ansatzes nahe. Demnach steigert er die Motivation für den Sportunterricht aber auch für die Ausübung außerschulischen Sports und hat einen positiven Einfluss auf den Erwerb gesundheitsrelevanten Wissens (Chen, Martin, Sun, & Ennis, 2007; Chen, Sun, Zhu, & Chen, 2014; Zhang et al., 2014). Die Kombination von physischen und kognitiven Komponenten weist starke Parallelen zum fächerübergreifenden Unterricht und zum Ansatz der kognitiven Aktivierung auf, dem durch die empirische Bildungsforschung ebenfalls ein hoher Stellenwert zukommt. Die positiven Befunde forcieren eine weitere empirische Auseinandersetzung mit dem Konzept eines fächerübergreifenden Sportunterrichts.

Das Fach Sport bietet hierfür eine einzigartige Voraussetzung – den Erfahrungswert (Ukley et al., 2013). Wie in keinem anderen Fach können Schüler*innen durch körperliche Aktivität Primärerfahrungen machen, wodurch das theoretische Wissen auf einer neuen Ebene erlebbar wird (Ukley et al., 2013). Die Biologie bietet eine gute Ergänzung zum Sport, da sie besonders vor dem Hintergrund der Gesundheitserziehung und der Anpassungsmechanismen eines Trainings die notwendigen theoretischen Hintergründe liefert. Das Charakteristikum der Problemorientierung moderat konstruktivistischer Unterrichtsvorhaben ist immanenter Bestandteil des Faches Biologie (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2014, 2019). Der naturwissenschaftliche Erkenntnisweg basiert auf einer problemorientierten Ausgangslage. Dennoch lässt sich nicht pauschalisieren, ob die sechs Merkmale der konstruktivistischen Lerntheorie nach Reinmann und Mandl (2006) im Unterricht stark ausgeprägt sind, da das Problem nicht zwangsweise auf den Erfahrungen der Schüler*innen beruht (situativ) und nicht unbedingt ein Konstruktionsprozess angestoßen wird. Es gibt aber empirische Hinweise, dass ein Biologieunterricht von Schüler*innen als konstruktivistisch wahrgenommen werden kann (Marsch, Hartwig, & Krüger, 2009).

Zusammenfassend kann ein Biologieunterricht durch den naturwissenschaftlichen Erkenntnisweg und ein Sportunterricht durch Bewegungsprobleme bereits in seinen Fachgrenzen durch konstruktivistische Prozessmerkmale gekennzeichnet sein. In Form fächerübergreifender Unterrichtsvorhaben lassen sich die beiden Fachdisziplinen darüber hinaus idealtypisch miteinander verbinden. Durch den erörterten Erfahrungswert des Sportunterrichts sammeln die Schüler*innen Primärerfahrungen, die durch theoretische Inhalte der Biologie erklärt werden können. Gleichzeitig wird dieses Wissen durch den Sportunterricht veranschaulicht und erlebbar gemacht, wodurch nicht nur das Fach Sport, sondern auch die Biologie entscheidend von einer Fächerverknüpfung profitiert (Abb. 1). Es wird nicht nur träges Wissen vermittelt, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand ermöglicht.

Abb. 1
figure 1

Beziehungsdreieck der Fächer Biologie und Sport zum Unterrichtsgegenstand. (Mod. nach Ukley et al., 2013)

Konstruktivistische Prozessmerkmale fächerübergreifenden Unterrichts

Im fächerübergreifenden Unterricht werden Problemstellungen über den Zugang durch mehrere Fächer bearbeitet. An die Ideen des gemäßigten Konstruktivismus anlehnend, können Schüler*innen bestehendes Wissen mit neuen Inhalten verknüpfen und dieses unter Berücksichtigung verschiedener disziplinärer Zugänge und Perspektiven erweitern. Im Fachunterricht ist das in dieser Tragweite nicht möglich. Dies lässt sich wie folgt begründen:

Ein konstruktivistisch geprägter Unterricht, der sich als primär aktiv, situativ und konstruktiv versteht, argumentiert Labudde (2003), muss zwangsläufig fächerübergreifend orientiert sein. Werden Lernende dazu aufgefordert, „an ihr Vorverständnis anzuknüpfen und neues Wissen aktiv in einem für sie relevanten Kontext aufzubauen“ (Labudde, 2003, S. 50), kann dies nicht in den Fachgrenzen stattfinden, sondern muss fachüberschreitende Phasen beinhalten. In dieser Argumentation wird bereits deutlich, dass auch im fächerübergreifenden Unterricht die lernrelevanten Kontexte bei den Lernenden gesucht werden, um sie in ihrer Lebenswirklichkeit und in ihren verschiedenen Lernvoraussetzungen abzuholen (Labudde, 2008). Diese Kontexte sollen ebenfalls möglichst authentische Probleme darstellen, damit die Schüler*innen lernen, Problemsituationen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dennoch wird zur Lösung dieser Probleme ein Grundwissen benötigt, welches in der notwendigen Tiefe vorrangig im Fachunterricht erarbeitet werden kann (Popp, 1997). Demnach resultiert die Debatte um den fächerübergreifenden Unterricht in der Empfehlung, ein Gleichgewicht zwischen übergreifenden und fachspezifischen Phasen im Unterricht zu wahren (Moegling, 2010).

Hypothesen

Die angeführten Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus eines fächerübergreifenden Unterrichts sind theoretisch begründet. In der vorliegenden Studie soll untersucht werden, ob sich die Prozessmerkmale eines gemäßigten konstruktivistischen Unterrichts im fächerübergreifenden Unterricht Sport-Biologie auf Basis der Einschätzungen von Schüler*innen empirisch belegen lassen. Die in den vorherigen Kapiteln angeführte Argumentation spricht für eine stärkere Ausprägung konstruktivistischer Prozessmerkmale innerhalb fächerübergreifender Maßnahmen. Labudde (2003) stellt in seiner Argumentation vor allem die konstruktivistischen Merkmale „aktiv“, „situativ“ und „konstruktiv“ als Stärken fächerübergreifenden Unterrichts dar. Aus diesem Grund werden die drei Merkmale genauer untersucht und mit dem Fachunterricht verglichen. Dabei ist der Vergleich zum Sportunterricht besonders interessant, da dieser hinsichtlich der angesprochenen Merkmale eine Nähe zum fächerübergreifenden Unterricht aufweist. Folgende Annahmen wurden gebildet:

  • H1: Das Prozessmerkmal „aktiv“ wird von den Lernenden in den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten höher bewertet als in den beiden Einzelfächern Biologie und Sport.

  • H2: Das Prozessmerkmal „situativ“ wird von den Lernenden in den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten höher bewertet als in den beiden Einzelfächern Biologie und Sport.

  • H3: Das Prozessmerkmal „konstruktiv“ wird von den Lernenden in den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten höher bewertet als in den beiden Einzelfächern Biologie und Sport.

Innerhalb des didaktischen Diskurses über konstruktivistischen Unterricht wird dem Vorwissen eine große Bedeutung für das Gelingen eben jener Unterrichtsmaßnahmen zugesprochen. Es wird angenommen, dass das Vorwissen der Lernenden einen Einflussfaktor auf die Wahrnehmung der konstruktivistischen Merkmale darstellt. Demnach wird folgende Hypothese aufgestellt:

  • H4: Lernende mit einem subjektiv hohen Vorwissen bewerten die konstruktivistischen Prozessmerkmale der fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten höher als Schüler*innen mit einem subjektiv geringen Vorwissen.

Methode

Stichprobe

An der Studie nahmen 75 Schüler*innen aus vier Kursen des Sekundarbereichs teil. Das durchschnittliche Alter der Kursteilnehmer betrug 15,2 Jahre. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig. Alle Kurse nahmen an einer fächerübergreifenden Unterrichtseinheit teil, in der die Fächer Biologie und Sport miteinander verbunden wurden. Es gab zwei thematisch verschiedene Konzepte, die wiederum entweder als Tagesmaßnahme oder als Unterrichtsreihe durchgeführt wurden. Biologisch waren beide im Bereich Neurobiologie zu verorten, und sportwissenschaftlich beinhalteten die Maßnahmen Wissen über Koordination und Trainingslehre. Trotz der Differenzen folgten alle Maßnahmen demselben methodischen Gang, der im Sinne fächerübergreifenden Unterrichts die Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus (aktiv, situativ, konstruktiv) nach Reinmann und Mandl (2006) aufwies.

Fächerübergreifender Unterricht

Die Darstellung des Unterrichtsaufbaus erfolgt zunächst allgemein und dann an einem konkreten Beispiel mit Bezügen zu den Prozessmerkmalen des gemäßigten Konstruktivismus nach Reimann und Mandl (2006).

Zu Beginn jeder Unterrichtseinheit wurde ein sportbiologisches Problem durch eine kleine sportpraktische Einheit entwickelt. Diese Probleme waren so ausgewählt, dass sie möglichst authentisch waren und einen Alltagsbezug herstellten (situativ). Zur jeweiligen Fragestellung sollten die Schüler*innen Hypothesen entwickeln, die anschließend aus biologischer und sportpraktischer Sichtweise überprüft wurden. Die Erarbeitungen der grundlegenden theoretischen Konzepte wurden methodisch in Gruppenarbeiten organisiert. Mit Hilfe von u. a. Modellen, psychologischen Testverfahren oder Messgeräten konnten sich die Schüler*innen die Inhalte selbst aneignen und sie am eigenen Körper erleben (aktiv). Dabei half ihnen ihr Vorwissen, auf dem sie immer weiter aufbauen konnten (konstruktiv). In Zwischensicherungen und einer abschließenden Diskussion konnten die jeweiligen Erkenntnisse im Hinblick auf das Eingangsproblem überprüft werden (situativ). Das theoretisch erarbeitete Wissen wurde daraufhin zur Beurteilung eines sportpraktischen Trainings herangezogen (aktiv, konstruktiv). Abschließend erfolgte der Bezug zur Theorie und zur anfänglichen Problemstellung, um Konsequenzen für den Alltag der Schüler*innen abzuleiten (situativ).

In der Unterrichtseinheit zum Thema „Lernen durch Bewegung“ wird zu Beginn eine koordinative Übung vorgestellt (Tennisbälle parallel hochwerfen, Arme kreuzen, Bälle fangen). Trotz der leichten Teilübungen (Werfen, Kreuzen, Fangen) stellt die kombinierte Durchführung eine größere Schwierigkeit dar. Zur vollständigen Klärung der Frage „Warum fällt uns diese koordinative Übung so schwer?“ bedarf es fachüberschreitender Momente. Erste Ideen zielen häufig auf Probleme des Gehirns oder der Reizweiterleitung. Daher erfolgt eine Erarbeitung verschiedener Gehirnareale und ihrer Funktionen bei der Durchführung von Bewegungen. Dabei greifen die Schüler*innen auf Wissen zum Aufbau des Gehirns und zur Reizweiterleitung zurück (konstruktiv). Abschließend werden das Assoziationsareal Frontallappen und die dort lokalisierten exekutiven Funktionen herausgestellt, welche die Ausführung koordinativ anspruchsvoller Übungen erschweren. Die Lernenden erleben die Auswirkungen der exekutiven Funktionen zunächst über kleine psychologische Testverfahren (u. a. Stroop, Eriksen Flanker) und dann in einem kombinierten Training aus kognitiven und sportpraktischen Elementen (aktiv). Bevor die Schüler*innen ein kombiniertes Training durchführen, werden seine biologischen Auswirkungen auf das Gehirn (neuronale Plastizität, Langzeitpotenzierung) erörtert. Es wird deutlich, dass sich durch ein solches Training nicht allein die Koordination verbessert, sondern generell kognitive Prozesse besser ablaufen können (situativ). In dem Praxisteil werden verschiedene Spiele durchgeführt, die jeweils eine exekutive Funktion ansprechen. Mit Rückgriff auf das erworbene Wissen benennen die Lernenden die jeweiligen Funktionen und verändern selbstständig Spiele, sodass andere exekutive Funktionen gefordert und gefördert werden (aktiv, konstruktiv).

Eine ausführlicher beschriebene Unterrichtsreihe kann bei Kramer et al. (im Druck) nachvollzogen werden.

Testinstrument

Das verwendete Testinstrument geht auf die Arbeiten von Urhahne et al. (2011) und Basten et al. (2015) zurück. Die Wissenschaftler*innen nutzen ein hypothetisch-deduktives Vorgehen zur Konstruktion eines Fragebogens, der die Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus nach Reinmann und Mandl (2006) erfasst. Sowohl das umfangreiche Messinventar von Urhahne et al. (2011) als auch die Kurzfassung von Basten et al. (2015) für einen ökonomischeren Einsatz im Unterricht erwiesen sich als messgenau. Daher kann die Kurzskala zur Messung gemäßigt konstruktivistischer Prozessmerkmale des zu untersuchenden Unterrichts eingesetzt werden. Wie bereits erörtert, sind hierbei die Merkmale „aktiv“, „situativ“ und „konstruktiv“ von besonderem Interesse (s. „Konstruktivistische Prozessmerkmale fächerübergreifenden Unterrichts“). Zudem wurde eine sechsstufige Ratingskala zur Beantwortung der einzelnen Items gewählt. Die Subskala „konstruktiv“ wurde um das Item „… hat mir bisheriges Wissen weitergeholfen“ ergänzt. Tab. 1 zeigt die Subskalen und die internen Konsistenzen in Abhängigkeit der Unterrichtssettings.

Tab. 1 Interne Konsistenzen, Beispiel-Item und Item-Anzahl der jeweiligen Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus (aktiv, situativ, konstruktiv) in Abhängigkeit der jeweiligen Unterrichtssettings (N = 75). (Mod. nach Basten et al. (2015))

Innerhalb der Subskalen konnten durchweg zufriedenstellende Reliabilitätswerte festgestellt werden, was für die Messgenauigkeit der sechsstufigen Ratingskala spricht (Döring & Bortz, 2016).

Zur Beantwortung der vierten Hypothese wurde neben der Skala zur Erfassung der Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus die Vorerfahrung auf einer vierstufigen Skala erfragt. Dazu sollten die Schüler*innen nach der fächerübergreifenden Unterrichtseinheit abschätzen, wie viel Vorwissen sie in Bezug zum Thema gehabt haben. Je zwei der Bewertungsstufen wurden in der neuen Variable „Vorwissen“ zu „wenig“ oder „viel“ Vorerfahrung zusammengefasst.

Statistische Auswertung

Das Projekt verfolgt das Design-based Research-Modell nach Shavelson, Phillips, Towne und Feuer (2003). Die Ergebnisse der vorgestellten Studie sind Resultat einer ersten Implementierung fächerübergreifender Unterrichtseinheiten, die in weiteren Schritten verfeinert werden sollen. Zudem ermöglicht dieser Forschungsansatz die Fokussierung aus ersten Ergebnissen abgeleiteter Forschungsdesiderata. Die vorgestellten Subskalen sind Teil eines größeren Messinstruments, das für ein Prä-Post-Design genutzt wurde. So wurden die Schüler*innen vor und nach der fächerübergreifenden Unterrichtseinheit mit Hilfe des Messinstruments zu ihren Einstellungen befragt. Innerhalb dieser kleinen Teilstudie interessiert aber nur der zweite Testzeitpunt (Posttest), da dort die Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus abgefragt wurden. Die Schüler*innen erhielten die Aussagen der einzelnen Subskalen und sollten sie auf einer sechsstufigen Skala im Hinblick auf die fächerübergreifende Unterrichtseinheit, ihren regulären Biologieunterricht und ihren regulären Sportunterricht bewerten. Die statistische Auswertung erfolgte über das Statistikprogramm IBM SPSS Statistics (IBM Corp., Armonk, NY, USA) in der Version 27.0. Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage wurde für jede Subskala eine einfaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung berechnet, um Unterschiede innerhalb der Unterrichtssettings zu untersuchen. Als Effektgrößenmaß wurde das partielle Eta-quadrat herangezogen. Aufgrund multipler Testung liegen die Ergebnisse Bonferroni korrigiert vor (Holm, 1979). Zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage wurde ein t-Test für unabhängige Stichproben gewählt, da ausschließlich der Einfluss des Vorwissens auf die Beurteilung der fächerübergreifenden Einheiten erfasst werden sollte. Da bei der Subskala „konstruktiv“ keine Homoskedastizität vorlag, wurde hierfür der Welch-Test genutzt. Cohens d diente in diesem Fall als Effektgrößenmaß. Auch für die t-Tests und den Welch-Test wurde die Bonferroni-Holm-Methode zur Adjustierung des p-Werts herangezogen (Holm, 1979).

Ergebnisse

Vergleich fächerübergreifender Unterrichtseinheiten mit dem Fachunterricht

Zur Überprüfung der ersten Forschungsfrage und damit zur Prüfung der ersten Hypothesen (H1–H3) wurde für jede Subskala eine ANOVA mit Messwiederholung berechnet. Bei der Messwiederholung handelt es sich nicht um ein Prä-Post-Design, sondern um einen Vergleich der drei Treatments (Sportunterricht, Biologieunterricht, fächerübergreifender Unterricht). Die Ergebnisse werden nachfolgend mit Bezug zur deskriptiven Statistik dargestellt.

Prozessmerkmal „aktiv“

Innerhalb des Prozessmerkmals „aktiv“ (n = 75) konnte auf rein deskriptiver Ebene ein Unterschied zwischen den Unterrichtssettings festgestellt werden. Der Mittelwert liegt mit M = 4,90 (SD = 0,77) beim fächerübergreifenden Unterricht am höchsten. Danach folgt der Sportunterricht mit M = 4,85 (SD = 1,04) und der Biologieunterricht mit M = 4,35 (SD = 0,91; Abb. 2). Der Mauchly-Test ergab, dass eine Sphärizität angenommen werden kann (Mauchly-W(2) = 0,927; p = 0,063). Dabei zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den einzelnen Unterrichtssettings (F(2,148) = 11.170; p ≤ 0,001; partielles η2 = 0,131; n = 75). Die Paarvergleiche belegten einen signifikanten Unterschied zwischen dem Biologieunterricht und den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten (−0,55, 95 %-KI [−0,88 bis −0,22]) sowie dem Sportunterricht (−0,50, 95 %-KI [−0,83 bis −0,16]). Im direkten Vergleich der fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten und dem Sportunterricht konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden (0,05; 95 %-KI [−0,22 bis 0,32]). Demzufolge schätzen die Schüler*innen den Sportunterricht und den fächerübergreifenden Unterricht bezüglich des Prozessmerkmals „aktiv“ signifikant höher ein als ihren Biologieunterricht. Zwischen den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten und dem regulären Sportunterricht lässt sich kein Unterschied belegen.

Abb. 2
figure 2

Darstellung der Mittelwerte und Standardabweichungen des Konstrukts „aktiv“ in den drei Unterrichtssettings (fächerübergreifende Unterrichtseinheiten, Biologieunterricht, Sportunterricht; n = 75)

Prozessmerkmal „situativ“

Für das Prozessmerkmal „situativ“ (n = 75) liegt der Mittelwert der fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten (M = 4,71, SD = 0,87) über denen des Sportunterrichts (M = 4,28; SD = 1,14) und des Biologieunterrichts (M = 4,28; SD = 1,23; Abb. 3). Bei näherer Betrachtung der Daten über die ANOVA (Sphärizität angenommen: Mauchly-W(2) = 0,974; p = 0,385) konnte ein signifikanter Unterschied zwischen den Unterrichtssettings festgestellt werden (F(2,148) = 5,169; p = 0,003; partielles η2 = 0,077; n = 75). Die Paarvergleiche ergaben einen signifikanten Unterschied zwischen dem fächerübergreifenden Unterricht und dem Biologieunterricht (0,43; 95 %-KI [0,10–0,77]) sowie dem Sportunterricht (0,43; 95 %-KI [0,10–0,77]). Der Sportunterricht und der Biologieunterricht unterschieden sich hingegen nicht signifikant voneinander (−0,002; 95 %-KI [−0,38 bis 0,37]). Innerhalb des Prozessmerkmals „situativ“ konnten konkludierend signifikant höhere Bewertungen der fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten im Vergleich zu den Fächern Biologie und Sport festgestellt werden.

Abb. 3
figure 3

Darstellung der Mittelwerte und Standardabweichungen des Konstrukts „situativ“ in den drei Unterrichtssettings (fächerübergreifende Unterrichtseinheiten, Biologieunterricht, Sportunterricht; n = 75)

Prozessmerkmal „konstruktiv“

Beim Prozessmerkmal „konstruktiv“ (n = 75) wurde der höchste Mittelwert bei den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten ermittelt (M = 4,56; SD = 0,99). Mit einem Unterschied von 0,09 Punkten folgt der Sportunterricht (M = 4,45; SD = 0,90), während der Biologieunterricht am niedrigsten bewertet wurde (M = 4,27; SD = 1,10; Abb. 4). Durch die ANOVA (Sphärizität angenommen: Mauchly-W(2) = 0,961; p = 0,235) konnte ein signifikanter Unterschied zwischen den einzelnen Unterrichtssettings gefunden werden (F(2,148) = 3,470; p = 0,034; partielles η2 = 0,045; n = 75). Die Ergebnisse der paarweisen Vergleiche legten einen Unterschied zwischen den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten und dem Biologieunterricht offen (0,29; 95 %-KI [−0,41 bis 0,54]).

Abb. 4
figure 4

Darstellung der Mittelwerte und Standardabweichungen des Konstrukts „konstruktiv“ in den drei Unterrichtssettings (fächerübergreifende Unterrichtseinheiten, Biologieunterricht, Sportunterricht; n = 75)

Einfluss des Vorwissens

Zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage wurde für jedes Konstrukt ein t-Test für unabhängige Stichproben herangezogen. Wie beschrieben, wurde für das Konstrukt „konstruktiv“ durch auftretende Heteroskedastizität ein Welch-Test berechnet. Insgesamt wurden n = 25 Schüler*innen mit wenig Vorwissen n = 50 Schüler*innen mit viel Vorwissen gegenübergestellt. Eine graphische Gegenüberstellung der einzelnen Mittelwerte findet sich in Abb. 5.

Prozessmerkmal „aktiv“

Für das Prozessmerkmal „aktiv“ lässt sich auf deskriptiver Ebene festhalten, dass jene Schüler*innen, die ein höheres Vorwissen in Bezug auf das Thema der Unterrichtseinheit angaben, ebenfalls das Konstrukt „aktiv“ höher bewerteten (M = 4,93; SD = 0,68) als jene Schüler*innen, die wenig Vorwissen angaben (M = 4,79; SD = 0,91). Der t-Test zeigt indes keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen (t(73) = 0,785; p = 0,950).

Prozessmerkmal „situativ“

Ähnliche Ergebnisse konnten auch für das Konstrukt „situativ“ beschrieben werden. Der Mittelwert liegt innerhalb dieses Konstrukts bei der Gruppe mit viel Vorwissen (M = 4,71; SD = 0,79) knapp vor dem der Gruppe, die weniger Vorwissen angab (M = 4,69; SD = 0,99). Der Bonferroni-Holm korrigierte t-Test wies keinen signifikanten Unterschied aus (t(73) = 0,063; p = 1).

Prozessmerkmal „konstruktiv“

Das letzte Prozessmerkmal „konstruktiv“ bewerteten die Schüler*innen mit mehr Vorwissen höher (M = 4,85; SD = 0,73) als jene Schüler*innen mit weniger Vorwissen (M = 3,94; SD = 1,13). Beim Welch-Test konnte ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen ermittelt werden (t(34.283) = 3,66; p = 0,003). Die Bestimmung der Effektgröße über Cohens d ergab einen großen Effekt (Cohens d = 0,957; Cohen, 1988).

Abb. 5
figure 5

Darstellung der Mittelwerte und Standardabweichungen bezüglich der Konstrukte „aktiv“, „situativ“ und „konstruktiv“ unterschieden in Schüler*innen mit wenig (n = 25) und jenen mit viel Vorwissen (n = 50)

Diskussion

Reinmann und Mandl (2006) sprechen sich für die Umsetzung eines problemorientierten Unterrichts aus, um die sechs Prozessmerkmale gemäßigten Konstruktivismus in Schulen umsetzen zu können. Dieser Ansatz lässt sich im fächerübergreifenden Unterricht wiederfinden, da erst ein zu lösendes Problem das Zusammenwirken mehrerer Fachperspektiven initiiert (Kramer & Wegner, 2020a). Daher ist die Problemorientierung fester Bestandteil diverser Definitionen fächerübergreifenden Unterrichts (Moegling, 2010; Stübig, Bosse, & Ludwig, 2008). Labudde (2003) argumentiert, dass vorrangig die Prozessmerkmale „aktiv“, „situativ“ und „konstruktiv“ konstituierende Merkmale des fächerübergreifenden Unterrichts seien und sich dieser gerade in eben jenen Prozessmerkmalen vom Fachunterricht unterscheiden ließe. Für diese Annahme zeigen sich empirisch nur zum Teil stützende Befunde. Für das Konstrukt „situativ“ wird die fächerübergreifende Maßnahme signifikant höher eingeschätzt als der jeweilige Fachunterricht der Schüler*innen. Damit gelingt es innerhalb der Maßnahmen, von Schüler*innen als relevant eingestufte Themen zu behandeln, was im Fachunterricht in dieser Ausprägung nicht möglich ist. Die Hypothese H2 lässt sich demnach bestätigen. Dennoch sei angemerkt, dass die Schüler*innen ihren jeweiligen Fachunterricht ebenfalls überdurchschnittlich hoch einschätzen, weshalb es scheinbar im Sport- und Biologieunterricht ebenfalls gelingt, den Unterricht situativ zu gestalten. Für den Sportunterricht lässt sich dies damit begründen, dass thematisch häufig auf Situationen und Bewegungsmomente aus dem Alltag der Schüler*innen Bezug genommen wird, die den Unterricht situativ anbinden (vgl. „Konstruktivismus im Sport- und Biologieunterricht“). In der Biologie lässt sich dies beispielhaft durch die Behandlung humanbiologischer Themen erklären, die einen lebensrelevanten Kontext bieten. Doch auch dort finden sich abstraktere Themen, deren Kontext zwar hergestellt werden kann, aber nicht so intuitiv wie im Sportunterricht. Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass sich beide Einzelfächer nicht voneinander unterscheiden. Bei Betrachtung der Subskala „aktiv“ lässt sich nur im Vergleich zum Biologieunterricht eine signifikant höhere Bewertung der fächerübergreifenden Maßnahmen feststellen. Dies bestätigt die Prämisse, dass im Sportunterricht eine aktive Auseinandersetzung mit dem Bewegungsgegenstand zwangsweise erforderlich ist und nicht von anderen erledigt werden kann, wodurch die hohe Bewertung dieses Prozessmerkmals begründet werden kann und die Sonderstellung des Sportunterrichts unterstützt wird. Der Befund zeigt, dass dieses Prozessmerkmal nicht allein für den fächerübergreifenden Unterricht konstitutiv ist, sondern auch im regulären Fachunterricht Lernprozesse im gleichen Maße aktiv verlaufen können, ohne Fachgrenzen zu überschreiten. Gerade die aktive Auseinandersetzung mit Bewegungsproblemen im Sportunterricht weist in der Subskala starke Ähnlichkeiten zu den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten auf. Das Fach Biologie scheint in der fächerübergreifenden Maßnahme demnach der stärkste Profiteur zu sein, da die theoretischen Inhalte sportpraktisch und somit aktiv erlebbar werden, was im Fachraum in der Form nicht umsetzbar ist. Die Hypothese H1 ist daher nur für das Fach Biologie anzunehmen. Für das letzte Prozessmerkmal „konstruktiv“ wurde durch die ANOVA ein signifikanter Unterschied zwischen den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten und dem Biologieunterricht eruiert. Die deskriptive Statistik zeigt zudem einen Trend, der den Ergebnissen des Konstrukts „aktiv“ ähnelt. Vergleicht man die Strukturen, wird auch im Konstrukt „konstruktiv“ der Biologieunterricht am schlechtesten bewertet, wohingegen der Sportunterricht und die fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten ähnliche Mittelwerte aufweisen. Ein Begründungsmoment lässt sich in der thematischen Breite der einzelnen Fächer finden. Der Sportunterricht wiederholt häufiger als der Biologieunterricht ähnliche Themenbereiche und baut dadurch auf vorhandenes Wissen auf. Zudem machen Schüler*innen in ihrem Alltag zwangsweise neue motorische Erfahrungen, auf Grundlage derer sie im Sportunterricht neue Fertigkeiten und Fähigkeiten erlernen. Ein Unterschied zwischen dem fächerübergreifenden Unterricht und dem Fachunterricht findet sich aktuell lediglich für das Fach Biologie. Damit ist die Hypothese H3 nur für das Fach Biologie anzunehmen. Die ähnlich hohe Bewertung des Sportunterrichts im Vergleich zu den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten untermauert die Sonderstellung des Faches und zeigt, dass die Bewegungsprobleme scheinbar in konstruktiven Lernprozessen eingebunden werden. Die Ergebnisse suggerieren, dass die Biologie innerhalb der fächerübergreifenden Einheiten am meisten von dem Zusammenschluss mit dem Fach Sport profitiert, da sich dieses Fach am stärksten hinsichtlich der konstruktivistischen Merkmale unterscheidet. Besonders interessant erscheint dabei die Nähe des Sportunterrichts zum fächerübergreifenden Unterricht. Eine Erarbeitung von Bewegungsproblemen im Fachzusammenhang unterscheidet sich zumindest nicht subjektiv von einer fächerübergreifenden Auseinandersetzung mit einem Thema. Dennoch können sich beide konstruktivistischen Herangehensweisen in ihren Effekten unterscheiden. Ob durch eine fächerübergreifende Orientierung des Unterrichts die Motivation für das Einzelfach gesteigert oder ihm eine höhere Bedeutung beigemessen werden kann, muss in weiteren Studien überprüft werden. In diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund des im ersten Kapitel dargelegten Diskurses wäre ebenfalls interessant, inwiefern die Schüler*innen kognitiv aktiviert werden.

Neben der Charakterisierung der fächerübergreifenden Maßnahmen wurde geprüft, ob das Vorwissen einen Einfluss auf die Bewertung der konstruktivistischen Prozessmerkmale hat. Durch die Ergebnisse der t-Tests konnte dies nur für die Subskala „konstruktiv“ empirisch bestätigt werden. Die Schüler*innen mit subjektiv höherem Vorwissen bewerteten das Prozessmerkmal signifikant besser als die Schüler*innen mit geringerem Vorwissen. Dieser Unterschied ist nachvollziehbar, da durch die Subskala der Einbezug des Vorwissens in den Unterricht abgefragt wird. Ist nur sehr wenig Vorwissen vorhanden, kann es auch nicht miteinbezogen werden. Bei den anderen Subskalen wurde kein signifikanter Unterschied ermittelt. Das Vorwissen mag daher theoretisch einen Einfluss auf konstruktivistischen Unterricht haben. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen aber, dass die Wahrnehmung der konstruktivistischen Prozessmerkmale durch die Schüler*innen nicht vom Vorwissen abhängen. Davon ausgenommen ist lediglich das Prozessmerkmal „konstruktiv“. Daher ist die Hypothese H4 bis auf die Subskala „konstruktiv“ vorerst zu verwerfen. Eine Limitation dieser Ergebnisse stellt die vierstufige Skala zur Bewertung des Vorwissens dar. Innerhalb der Stichprobe bewerteten die meisten Schüler*innen ihr Vorwissen im mittleren Bereich der Skala. Es gab also nur wenige Personen, die ihr Vorwissen am Rand der Skala einstuften. Um die Daten statistisch auszuwerten, wurden je zwei Stufen zusammengefasst, wodurch der Informationsgehalt teilweise verloren ging. Es ist wie auch schon bei der ersten Forschungsfrage zu empfehlen, eine größere Stichprobe zu untersuchen. Dadurch wäre es möglich, alle Bewertungsstufen der Skala statistisch einzubeziehen, wodurch der Einfluss des Vorwissens neu zu prüfen wäre.

Ausblick

Die vorliegende Studie konnte erste Unterschiede fächerübergreifenden Unterrichts im Fächerverbund Biologie und Sport im Vergleich zum jeweiligen Fachunterricht offenlegen. Es sind aber einige Limitationen wie die geringe Stichprobe anzuführen, weshalb eine weitere Untersuchung der Forschungsfragen zu empfehlen ist. Für eine zukünftige Auseinandersetzung wäre das Hinzuziehen einer Kontrollgruppe wichtig, um die Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus im jeweiligen Fach oder zumindest losgelöst vom fächerübergreifenden Unterricht zu erfassen. Bisher konnte aber schon festgestellt werden, dass sich vor allen der Biologieunterricht von den fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten unterschied, wohingegen die Prozessmerkmale des gemäßigten Konstruktivismus für den Sportunterricht ähnlich bewertet wurden. Dies unterstützt die Aussagen von Brodtmann und Landau (1982), die dem Fach eine Sonderstellung unter den Schulfächern hinsichtlich einer problemorientierten Ausrichtung und eine Nähe zum fächerübergreifenden Unterricht zusprechen. Das Vorwissen scheint bisher nur einen Einfluss auf das Prozessmerkmal „konstruktiv“ zu haben.

Eine weitere Überprüfung der postulierten Forschungsfragen ist durch die beschriebenen Limitationen dennoch wichtig und wünschenswert, um die aktuellen Befunde zu bestärken und weitere Effekte offenzulegen.